Gutes haben und Erfolg tun

Gutes haben und Erfolg tun

Springer verschafft seinen Geschäftsaktivitäten eine Sinngrundlage. Markus Lanz will kein Opfer medialer Entwicklungen sein, macht sich aber dazu. Der Stern lernt einen ganz anderen Markus Lanz lieben. Und warum hochrangige Politiker bei hochrangigen Ereignissen keine Handyfotos von sich machen sollten

Erst kommt das Fressen, dann kommt die Moral. Wenn Springer schon die ganze Woche so abgeht, dann sucht man doch auch noch mal den Brecht aus dem Zettelkasten "Bedeutende Zitate der Weltgeschichte" heraus. Wobei der hier streng chronologisch gemeint ist: Erst die Facts, dann die Unterfütterung.

"Nun gibt es ein dreiseitiges Papier, eine Art Glaubensbekenntnis für alle, die bei Springer arbeiten. Darin ist von genannter 'Sinn und Seele' die Rede, aber auch von 'profitablem Wachstum', 'kaufmännischer Kompetenz' und dem Willen, der 'führende digitale Verlag' zu werden, was Gruner + Jahr und Burda auch hartnäckig für sich reklamieren."

Erklärt Claudia Fromme in der Süddeutschen (Seite 35). Ulrike Simon, die zuletzt in ähnlicher Schlagzahl upcoming Standardtexte rausgehauen hatte wie Springer Personal- und Unternehmensmeldungen, schreibt in der Berliner:

"Es war einer dieser Langstreckenflüge, die Springer-Vorstandschef Mathias Döpfner gern nutzt, um in Ruhe zu schreiben. Im eigenen Haus redeten selbst Journalisten nur noch von Geschäftsmodellen, Gruner+Jahr nannte sich neuerdings 'Inhaltehaus', und auch sonst zeigte sich die Verlagsbranche verunsichert, ob und wie mit Journalismus noch Geld zu verdienen sei. Döpfner tippte den ersten Satz ein: 'Sinn und Seele des Unternehmens Axel Springer ist der Journalismus'."

Der fertige Text heißt "Homepage", man kann ihn hier lesen und als pdf herunterladen. Auf den ersten Blick ist interessant, dass der Text gestaltet ist, also nicht direkt aus Döpfners Schreibprogramm zum Drucken befohlen wurde. Gleichzeitig fragt man sich: Wenn schon eine Grafikerin an dem Dokument gesessen hat und etwa die Farben aus dem Axel-Springer-Tetris-Teil-Logo zur Hinterlegung besonders wichtiger News genutzt hat – wieso hat sie die finale "Strategie"-Grafik ("Kreativität", "Unternehmertum", "Rubrikenangebote" usw.) nicht auch noch bearbeitet (beziehungsweise rausgeschmissen – das ist doch Bullshit-Bingo auf engstem Raum oder versteht jemand den Zusammenhang von "Unternehmenswerte" und "Unternehmensstrategie", beide schwarz unterlegt?).

Lustig zu sehen ist natürlich, dass jemand wie Döpfner, der mal was mit klassischer Musik zu tun hatte, in so einem Text vollends in dieses Optimierungsgelaber regrediert, mit dem im Kapitalismus in der Marktwirtschaft der Angestellte zu noch effektiverer Arbeitskraftabtretung gebhagwanisiert werden soll:

"Wir sind leidenschaftlich und haben Lust, Neues zu entdecken, uns zu verändern und uns zu verbessern."

Man könnte Kulturpessimist werden: So ein esoterischer Schrutz in einem Laden, der 1968 mal gehasst hat. Aber andererseits will man ja auch nicht die Gefühle von Leuten verletzen, die an die Segnungen der Daueroptimierung glauben.

Erste Ergebnisse des Springer-Umbaus sind der TAZ oder dem Tagesspiegel zu entnehmen, für den Sonja Álvarez auf der Springer-Pressekonferenz war:

"'Unsere Erwartungen wurden übertroffen', sagte 'Bild'-Geschäftsführerin Donata Hopfen. Döpfner nennt die Zahlen 'extrem ermutigend'. Sie würden beweisen, dass Leser bereit seien, für journalistische Inhalte im Netz zu zahlen. Für 'Triumphmeldungen' gebe es aber keinen Anlass, noch müsse sich herausstellen, ob Bezahlmodelle langfristig und nachhaltig funktionierten."

In der Zeit (Seite 29) vermutlich noch in Unkenntnis der Zahlen mutmaßt Alina Fichter über einen möglichen Erfolg von Bezahl-Bild.de:

"Für Bild.de hatte der Springer-Konzern im vergangenen Jahr bereits die Übertragungsrechte für die Fußballbundesliga gekauft. Nichts dürfe seither so viele Leser dazu bringen, die kostenpflichtige, digitale Bildplus zu abonnieren."

Claudia Fromme widerspricht in der SZ:

"Das Bundesliga-Abo, das exklusive Zusammenfassungen der Fußballspiele im Netz beinhaltet, haben knapp 50 000 der Abonnenten für 2,99 Euro dazugebucht. Springer hat sich die digitalen Rechte etwa 24 Millionen Euro kosten lassen, sicher auch in der Hoffnung, dass Fußball einer der Zugpferde für das Bezahlangebot Bild Plus wird. Das ist er bislang nicht geworden."

Die Gesamtabonenntenzahl liegt bei etwas über 150.000; ob das nun ein gutes Zeichen ist, dass die Leute nicht wegen des Fußballs zahlen – urteilen Sie selbst!

Löblich ist, dass mit Ulrike Simon wenigstens eine Berichterstatterin das Glaubensbekenntnisgewäsch dezent auf reales Handeln hinterfragt:

"Ein entscheidender Satz steht ganz am Ende seiner Ausführungen: 'Und wir wissen, dass alles, was hier definiert ist, ein Ziel beschreibt, aber leider noch nicht immer und überall die Wirklichkeit.' Darunter fällt wohl, wenn Mitarbeiter nicht so 'respektvoll und warmherzig' behandelt werden, sich 'Individualisten' im Haus nicht so 'wohlfühlen' und Journalismus nicht so 'unabhängig, kritisch und glaubwürdig' ist, wie Döpfner es fordert."

Sonst?

"Wir wollen Erfolg haben, Gutes tun und Spaß haben."

Lautet übrigens der letzte Satz aus Döpfners "Homepage". Neben unserer bescheidenen Medienkolumne hier kann dieses Motto ernsthaft nur noch einer für sich reklamieren: Markus Lanz.

Der hat Arno Luik vom Stern ein Interview gegeben, dessen Bebilderung mit hotten Lanz-Pictures man auch noch für eine Cocooning-im-Winter-Geschichte bei "Essen und Fühlen" oder einen Breuninger-Modekatalog ("Wolltrends 2014") zweitverwerten könnte.

Im Gespräch macht der Moderator leider keine so gute Figur, auch wenn der von ihm adressierte Gesprächspartner ("Ein bisschen Liebe in lieblosen Zeiten, Herr Luik, mehr nicht") in der Autoreninfo am Ende des Textes ganz begeistert sein muss:

"Witzig, schlagfertig, unbeeindruckt vom medialen Ballyhoo: Arno Luik war nach mehrstündigem Schlagabtausch verblüfft von den Nehmer- und Geberqualitäten Markus Lanz'."

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Huch, das klingt aber auch so konfrontativ-tapfer ("Schlagabtausch", "mehrstündig") wie man am Ende gar nicht sein will. Eigentlich steckt in dieser Fußnote schon das Problem des Stern, das womöglich das Problem des Journalismus heute ist: dass man auf der einen Seite so Slomka-mäßig glaubt, den Gesprächspartner grillen zu müssen, auf der anderen Seite aber Angst davor hat, die Leserin mit negativen Gefühlen zu belästigen – am Ende kommt dann so eine Wellness-Simulation raus, die man das PDF von Springer kleben könnte.

Einblick ins Gespräch, dass von Lanzens Gejammer handelt, das er gleichzeitig dementiert, gibt diese KSTA-Zusammenfassung.

Joachim Huber macht sich im Tagesspiegel die Mühe, Lanz zu erklären, dass seine Mutmaßungen übers Runterschreiben nicht ganz zutreffend sind:

"Zum Leidwesen nicht weniger Politjournalisten und von noch mehr Fernsehkritikern sind die 'Menschen da draußen' nicht die Tanzbären, die sich nach den Medien-Melodien im Kreise drehen. Auch wenn das Verhalten am Wahltag sicherlich – und hoffentlich – einem anderen Begründungszusammenhang als das Nutzungsverhalten am Fernsehabend folgt, so ist es eine simple wie verkürzte Annahme, dass Medien Menschen aussteuern können."

Aber was soll Markus Lanz auch anderes machen, als auf die Journalisten schimpfen? Er kann sich die Geschichte seiner Insuffizienz für das, was er machen soll (und was eh nicht mehr funktionieren kann), ja nicht als persönliches Problem erzählen. Und wenn man Lanzens Fragetechnik kennt, die Art und Weise, wie er in Gesprächen Interesse simuliert, dann ist auch klar, dass das Reflektionsvermögen gering ist oder der Zynismus unendlich.

Insofern ist es eher ein Medienjournalisteninsidergag, dass Luik Kritik an Lanz übt, indem er ihm Zitate von Stefan Niggemeier vorhält (der sich letzte Woche, noch mal lustigerweise, erst mit den Techniken des Stern-Gesprächs befasst hatte).

Was Lanz zu diesen Fragen einfällt, spricht eher für das geringe Reflektionsvermögen:

"Der Ankläger hat übrigens nie mir geredet: Zu viel Recherche könnte die schöne, böse Geschichte ja kaputt machen."

Was soll man dazu sagen, wenn ein Fernsehmoderator nicht versteht, dass "Recherche" bei der Fernsehkritik zuerst bedeutet, sich diese Sendungen anzuschauen (was im Falle von Lanz vielleicht sogar heftiger ist, als im Halbdunkel von Tiefgaragen stundenlang auf Informanten zu warten), statt im persönlichen Gespräch rauszufinden, dass der Moderator seiner Frau Blumen zum Geburtstag schenkt und als Typ auch sonst schnafte ist?

Glücklicherweise belegt der Stern gleich als abschreckendes Beispiel, liebe Kinder, wohin zuviel Nähe führt.

"Wetten, dass... Sie in einer halben Stunde eine andere Meinung von Markus Lanz haben werden? ... Sie staunen, wie bitter seine Jugend war?"

Äh, nein.


Altpapierkorb

+++ Eigentlich toll gewesen wäre natürlich, dass Gespräch mit Lanz wie Lanz selbst zu führen, also immer wieder rein in die eine Wunde. Macht vielleicht die Titanic eines Tages noch mal. Die Welt schreibt derweil, dass Lanz unlängst in seiner Sendung Femen-Riots deeskalierte: "Lanz bedankte sich und sagte: "Botschaft angekommen". Das Publikum applaudierte. Durch die Schlichtung konnten die Frauen noch einige Sekunden länger ihren Protest gegen die mutmaßlichen Machenschaften der Fifa herausbrüllen. Bei Twitter gab es gemischte Reaktionen auf die Aktion und Lanz' Art, den Protest zu beschwichtigen." +++ Man of the Year auf dem Time-Magazine wird Lanz des wegen aber nicht, die Wahl missachtete, gestern zum Trotz, auch Kevin Großkreutz und fiel auf den Papst. Der TSP informiert über Vorgänger: "Der 'Mensch des Jahres' wird seit 1927 von dem Nachrichtenmagazin gekürt. Bei der Auswahl soll nicht der beste, sondern der einflussreichste Mensch gewürdigt werden. Deshalb wurde 1938 Adolf Hitler gekürt, Josef Stalin später gleich zweimal." +++

+++ Nicht empfehlen kann man das Interview, das Wolfgang Koydl für die SZ (Seite 35) mit Weltwoche-Chefredaktorverleger Roger Köppel geführt hat – das setzt zur "Entlarvung" bequemerweise auf Fragen, die sich selbst erklären sollen. +++ Der Tagesspiegel wirft einen Blick nach vorn und begutachtet die PR-Arbeit der Olympischen Winterspiele von Sotschi: "Frau Barbischewa, welche Werte will ihr Land mit den Olympischen Spielen in die Welt transportieren? 'Innovation, Gastfreundschaft, unsere russische Seele', sagt sie überzeugt. Dann ist sie von den Fragen erlöst – fast. Die Kollegen von Russia24 wollen noch ein Interview. Uljana Barbischewa stellt sich so zur Kamera, dass das weite Runde hinter ihr hervorragend und fantastisch, ja perfekt, zur Geltung kommt." Ob das jetzt besonders charakteristisch für ein Land ist, dass auf Platz 148 der Pressefreiheit-Hitliste steht? +++

+++ Für Furore in der Mandela-Funeral-Nachberichterstattung sorgt das Selfie, das Obama, Cameron und die nun überall bekannte dänische Ministerpräsidentin Helle Thorning-Schmidt gemacht haben. Für die Berliner fragt Nina Kirstan: "Kann man das Selfie der drei Demokratievertreter als ähnlich schlechtes Benehmen werten? Die Meinungen dazu gehen auseinander. Da die Trauerfeier nach südafrikanischer Art eher wie ein Fest zu Ehren Mandelas begangen wurde, wird sich der Hype um das berühmte Selfie wohl bald legen." +++ Richtig festlegen will sich keiner, ob das jetzt stillos ist oder nicht. Simone Meyer in der Welt: "Die Trauerfeier für den südafrikanischen Freiheitskämpfer war keine typische, keine traurige, sondern eine unkonventionelle. Es wurde gesungen, getanzt, mit Vuvuzelas getrötet wie bei der Fußball-WM. Tausende Menschen, fast 100 amtierende und ehemalige Staatspräsidenten kamen weniger, um seinen Tod zu beweinen – als das zu würdigen, was Mandela zu Lebzeiten bewirkt hat." +++ Ambros Waibel in der TAZ mit dem tristen Gegenprogramm: "Und so fiel uns, bei Durchsicht der internationalen Pressefotos, ein trauriges Präsidentenpärchen auf, eines, dem niemand die Hände schüttelt, das keinen umarmt. Ob die mächtigste Frau der Welt besser eingebunden worden wäre, in den Reigen der Mächtigen?" +++ Die schönste Erklärung dafür, was an diesem Bild irritiert, liefern im Tagesspiegel Christiane Peitz, Moritz Schuller und Elisa Simantke: "Es geht dabei aber nicht in erster Linie um Etikette. Die dänische Premierministerin macht sich zum Groupie des amerikanischen Präsidenten, sie will ein Foto mit ihm, nicht umgekehrt. Damit dokumentiert sie unnötigerweise das politische Machtgefälle zwischen Dänemark und den USA. Gleichzeitig banalisieren sich alle drei Politiker, indem sie sich zu Zuschauern des Ereignisses machen. Sie fotografieren sich, um festzuhalten, dass sie drei dabei gewesen sind. Doch diesem Wunsch liegt ein fundamentales Missverständnis ihrer Rollen zugrunde: Schließlich wird die Veranstaltung in Johannesburg erst durch die Anwesenheit all der internationalen Staatschefs zum Ereignis." +++

Der Altpapierkorb füllt sich morgen wieder.

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