Günther Jauch in Vietnam

Günther Jauch in Vietnam

Eine Reise durch die freie Medienwelt: Die ZDF-Anhörung in Karlsruhe. Die streikenden Sender in Frankreich. Der geräumte Sender in Griechenland. Das Ideologiekomitee in Vietnam. Die Sprachlosigkeit von Günther Jauch. Außerdem: Vielleicht wird das mit dem Jugendkanal doch noch.

Was 'ne Woche! Allein die Berichte aus Karlsruhe von der ZDF-Rundfunkratsanhörung. Findige US-amerikanische Serienproduzenten würden daraus sofort eine Staffel schönster Hinterzimmeranzugträgerkabale zusammenlöten ("Circle in the Friends" oder so), zumal schon das Setting der Fantasie auf die Sprünge hilft.

"Die beiden Freundeskreise kommen stets am Tag vor einer Sitzung des viermal im Jahr tagenden Fernsehrats in einem Hotel zusammen."

Schreibt Volker Nünning in einem Text in der Funkkorrespondenz, der die Anhörung noch einmal Revue passieren lässt. Da stellt man sich doch gleich so ein rheinhessisch-unscheinbares, leicht achtzigerjahrekrustiges, aber derbe gediegendes, gaultmillautsternverziertes Haus vor.

Deutsche Fernsehsender würden, wenn überhaupt, wohl eine Sozialreportage draus machen, wahlweise in einem exploitationhaftem Vorabendkracher oder zwischen den Servicetipps bei WiSo. Michael Ridder gibt im Editorial von epd medien schon mal den Ton vor:

"In 50 Jahren ZDF hat sich in den Aufsichtsgremien des Senders eine Parallelwelt gebildet, in der eigene Gesetzmäßigkeiten herrschen."

Wird es gelingen, Franz Josef, Johannes, Hermann oder wie sie alle heißen, da wieder rauszuholen und in die Gesellschaft zu integrieren? Und dazu so Kamera von außen auf die mannshoch mit milchglasfolieabgeklebten, neonlichterhellten Sitzungsräume von der Nobelbude, in der sich die Männer zusammenrotten treffen.

[+++] Was es dagegen von ausländischen Rundfunkanstalten zu lesen gibt, nimmt sich geradezu beschaulich aus. In Griechenland macht der Staat aus seinem Einfluss keinen Hehl mehr: Die Restfunker im Mitte des Jahres auch auf Troika-Druck geschlossenen staatlichen Senders ERT wurden geräumt.

"Um 5.39 Uhr hebt der Radio-Moderator die Stimme: 'Willkommen im Jahre 1930. Willkommen im Mittelalter. Soeben ist mir mitgeteilt worden, dass ich nicht mehr weitersprechen soll. Dieses Mikrofon wird gleich ausgeschaltet. Liebe Hörer, denken Sie daran: Wir werden uns wiederfinden.' Als er das sagt, sind bereits Dutzende Polizisten der Sondereinheit MAT in dem Athener Hauptgebäude des alten Rundfunk- und Fernsehsenders ERT eingetroffen. Auch der Radio-Moderator muss gehen."

Berichtet Ferry Batzoglou in der Berliner. Alex Rühle schreibt in der SZ (Seite 47) etwas allgemeiner:

"Zum Zeitpunkt der Räumung befanden sich etwa 50 ehemalige ERT-Mitarbeiter im Gebäude. Vier von ihnen wurden vorübergehend festgenommen, aber am Vormittag wieder frei gelassen. Vor dem Gebäude versammelten sich etwa 200 Aktivisten und einige Abgeordnete der Partei Bündnis der radikalen Linken und kritisierten den Polizeieinsatz."

In Frankreich geht es gesitteter zu. Dort streikten gestern die Sender. Die Medienpolitik von Francois Hollande scheint nicht so gut zu kommen, berichtet Jürg Altwegg in der FAZ (Seite 43). Trotz des neuen Mediengesetzes, das die Unabhängigkeit des Rundfunks stärken soll und das auch Altwegg als Fortschritt lobt, gibt es Verdruss.

"Die Sozialisten wagten es nicht, den von Sarkozy 2010 ernannten Generaldirektor von France Télévisions, Rémy Pflimlin, zu ersetzen. Das hätte zu sehr an die schlechten alten Zeiten erinnert, da nach jedem Regierungswechsel auch die Spitzen der Redaktionen ausgewechselt wurden. Doch das, was die Sozialisten mit Pflimlin machen, ist nicht besser: Sie führen einen permanenten Klein- und Nervenkrieg gegen ihn. In der Woche, da im Parlament das Gesetz über die Unabhängigkeit des Rundfunks verabschiedet wurde, kündigte Schrameck [Leiter der staatlichen Medienbehörde CSA] in einem Interview mit dem Magazin 'L’Express' an, dass fortan alle vierzehn Tage ein Verantwortlicher von France Télévisions zum Rapport antreten müsse. Besser hätte man die guten Absichten nicht dementieren können."

Das ist ja fast wie in Vietnam, könnten die Kenner unter uns ausrufen. Kenner kann man werden durch den Bericht, den AP-Autor Christian Bartels von seiner Reise zum deutsch-vietnamesischen Mediendialog nach Hanoi nun in epd Medien veröffentlicht hat.

"Alle traditionellen Medien sind stark reglementiert, die geschätzt 17.000 Journalisten mit Presseausweis haben ausgiebige Auswahlprozesse durchlaufen. Trotz auf den ersten Blick enormer Pressevielfalt – der Weltverband der Zeitungen und Nachrichtenmedien (WAN-Ifra) bezifferte die Zahl der vietnamesischen Zeitungen 2010 auf 178 Titel – hört man häufig in Vietnam die Redensart: 'Wir haben so viele Zeitungen, aber nur einen Chefredakteur.'"

How come? Die werden alle regelmäßiger einbestellt als das französische Fernsehen.

"In der vorsichtigen, aber offenen Gesprächsatmosphäre des Mediendialogs kam die Rede auch auf die immer dienstags beim Ideologiekomitee der Kommunistischen Partei stattfindenden Briefings der Chefredakteure, bei denen mündliche Anweisungen zum Umgang mit Nachrichten erteilt werden."

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Der unbestreitbare Vorteil von Vietnam (oder auch Griechenland) ist nun aber, dass das große Böse, die Quelle aller Beschränkung einen Namen hat. "Ideologiekomitee" ist in dieser Hinsicht natürlich unschlagbar, weil es so klingt, wie man es sich vorstellt. Die poetischen Ausflüchte des griechischen Radiomoderators ("1930", "Mittelalter") streben immerhin noch in Richtung Anschaulichkeit.

Wohingegen Günther Jauch für seine Unfreiheit einfach keinen Namen hat. Und noch nicht mal eine Sprache: Günther Jauch kann über das, was ihn einengt und gängelt allenfalls abstrakt reden.

Der Yellow-Press-Watchblog Topfvollgold hat einen grandiosen Post verfasst über ein Interview mit dem beliebten Moderator und Städteplaner, der sich in Privatsachen öffentlich bedeckt hält.

"Wir wollten von ihm wissen, warum er das tut. Und wie er dabei vorgeht. Und welchen Einfluss die Regenbogenpresse auf sein Leben hat. Er hat sich sofort bereiterklärt, uns seine Sicht der Dinge zu schildern. Also sind wir zu ihm gefahren und haben ein sehr nettes und aufschlussreiches Interview mit ihm geführt."

Dass dann aber nur in drei kurzen Auszügen abgebildet wird. Weil sonst Gefahr bestünde, dass Jauch etwas Privates sagt, dass ihn wiederum künftig angreifbar machte.

"In dem Moment, in dem ich mich zu etwas Privatem äußere, fällt mein juristischer Schutz in sich zusammen. Dann heißt es: Der hat ja selber sein Privates nach außen getragen."

Heißt der zweite O-Ton. Zur Erklärung:

"Juristen nennen das 'Selbstbegebung'. Das heißt: Wer sich öffentlich über private Details äußert, gibt in gewisser Weise den Schutz seiner Privatsphäre auf. Das gilt im Übrigen nicht nur für Prominente, sondern auch für gänzlich unberühmte Menschen, die private Dinge ins Netz stellen."

Bei Gelegenheit könnten Katholizismusexperten ja mal darüber nachdenken, warum man seinen Privatsphäre so radikal und einmalig verlieren kann wie sonst nur die Jungfräulichkeit.

Die wesentlich interessantere Punkt für den Moment ist freilich das Dilemma von Günther Jauch, der selbst seriösen Seiten keine Interviews darüber geben kann, warum er sich den bunten Blättern verweigert. Und dafür kann man noch nicht mal ein Ideologiekomitee anprangern.

"Ich kann mich also nicht so frei und authentisch äußern, wie ich es manchmal gerne würde. Das könnten ja die verschiedensten Aspekte sein, die in meinem Leben wichtig sind – und dazu würde ich sicherlich viel mehr sagen, wenn ich nicht immer Gefahr liefe, dass da wieder alles verdreht wird. Das heißt, ich muss bei allen Artikeln, bei allen Äußerungen von mir immer genau schauen: Was kann daraus gemacht werden? Das beeinträchtigt mein Leben. Diese Leute schränken meine Freiheit ein. Es kostet Lebenszeit, es kostet Geld, und ich kann nicht so frei auftreten, wie ich es sonst sicherlich machen würde."

Man ist betroffen: Günther Jauch möchte man – Seezugang hin, Stadtplanung her – schon mal nicht sein. Und könnte es sogar sein, dass das Sonntagsabendgerede besser wäre, wenn Günther Jauch nicht Angst um seine Privatsphäre haben müsste?


Altpapierkorb

+++ Wir haben nichts zu verlieren außer unserer Angst – ist im Grunde das, was Rio Ronnie Grob, crossgeposted by Carta, den Journalisten mit Blick auf den Einfluss und die Abhängigkeit von PR- und Kommunikationsmenschen sagen will: "Es bleibt unklar, warum sich Journalisten überhaupt gängeln lassen von fremder Kommunikation und PR. Genau so unklar bleibt, warum sich Manager, Exekutivpolitiker und andere Führungskräfte überhaupt von ihren Kommunikationsverantwortlichen bemuttern, beschneiden, beaufsichtigen lassen." Andererseits schmiert Moral nun aber keine Brötchen. +++

+++ Dietrich Leder zerlegt die Medienpolitiker-Idee vom öffentlich-rechtlichen Jugendkanal schon im zweiten Satz seines FK-Textes: "Es beginnt schon mit der Idee. Wer die Vorstellung hegt, dass sich Jugendliche für ein Fernsehprogramm interessieren, das Erwachsene für sie ausgeheckt haben, hat nichts begriffen." ZDF-Intendant Thomas Bellut macht in dem Text den Günther Jauch – wirkt irgendwie auch recht gegängelt. Immerhin hat Leder noch Hoffnung durch die neuerliche Vertagung der Causa ins Jahr 2014: "Vielleicht setzt sich ja bis dahin der Gedanke durch, dass es ARD und ZDF besser anstünde, ein starkes, ein generell stärkeres Fernsehen in ihren Hauptprogrammen anzubieten, das auch Jugendliche interessiert, statt sich weiter bei den Jugendlichen anzubiedern, die nichts mehr hassen, als wenn man sich ihnen anbiedert." +++

+++ Die ARD-Hörspieltage motivieren ein schönen, grundsätzlicheren Text zum Hörspiel vom Stefan Fischer in der SZ (Seite 47): "Quotenmessungen hat das Radio nicht, aber Hörerbefragungen besagen, dass Hörspiel-Ausstrahlungen im Schnitt ein Publikum von mehreren Zehntausend haben. Beurteilt man diese Zahl nicht in einem massenmedialen Kontext, sondern in einem kulturellen, sind sie sehr hoch: Ein Roman, der sich 50000 Mal verkauft, taucht in den unteren Rängen der Bestseller-Listen auf, und eine Theaterinszenierung muss mehrere Dutzend Male ausverkauft sein, um auf solche Zuschauerzahlen zu kommen." Dem von Fischer beklagten fehlenden Diskurs wird allerdings nicht auf die Sprünge geholfen, wenn man so einen Text dann nicht verlinken kann. +++ In der TAZ hebt Svenja Bednarczyk eher auf ästhetische Frage ab: "Der Trend der Hörspieltage in Karlsruhe gehe zu 'weniger reinen Studioproduktionen', sagt Ekkehard Skoruppa, Hörspielchef des SWR und Leiter der Hörspieltage. 'Die Produktionen gehen mehr raus, die Stücke sind situativer.' Denn den Schauspielern wird oft nicht mehr der Text vorgegeben, sondern eine Situation. Sie sprechen frei. Das wirke authentischer." +++

+++ In Belluts ZDF läuft So. und Mo. um 20.15 Uhr "Das Mädchen mit dem indischen Smaragd". Ursula Scheer schreibt in der FAZ (Seite 43): "Das Indien, das sie sieht, ist ein ästhetisiertes Elends-Indien mit liebenswert schmutzigen Kindern, Blumen, Tänzen, Tieren, mit Buckligen und Beinlosen, die auf Rollbrettern herumrutschen. Da ist schon jede Menge Gefühlskolonialismus dabei." +++ Harald Keller findet in der TAZ sogar was Positives: "Der Film spricht Dinge an, die es bei Claus Beling eher nicht gegeben hätte: Diskriminierung, Misogynie, Korruption." Und überzeugt durch profunde Kenntnis der Geschichte: "Bis heute wird die Wahrnehmung des ZDF-Sonntagsfilms vom Wirken Claus Belings bestimmt, der bis 2007 die Hauptredaktion 'Unterhaltung Wort' leitete. Auf seiner Webseite rühmt er sich, 'wie kaum ein anderer die dramatische Kraft großer Landschaften erkannt und erzählerisch genutzt' zu haben. Die Stoffe für diese programmgestalterische Vision fand er primär bei Rosamunde Pilcher und bei Christiane Sadlo, deren Pseudonym Inga Lindström für eine ganze Filmreihe steht." Und Keller beklagt – they hear you, Ronnie Grob – die Bemusterung durch den Sender: "Worauf die Geschichte letztlich hinausläuft, lässt sich nicht sagen. Das ZDF verschickte nur den ersten von zwei Teilen. Als gäben Verlage Rezensenten halbe Romane an die Hand, stellten Plattenfirmen nur halbe Alben zur Verfügung, würden Pressevorführungen von Kinofilmen nach der Hälfte abgebrochen." +++

+++ Was man auch im Fernsehen gucken kann: Sexratgebersendungen. Markus Ehrenberg vom Tagesspiegel spricht über dadurch erst verursachte Beklemmungen mit Sexratgeberin Paula Lambert: "Absolut, und das liegt daran, dass das Grundthema nie angesprochen wird. Wer bin ich, was brauche ich, und sage ich es dem anderen? Ich glaube, diese ganzen Sextipps sind verheerend, da kommen sich beklommene Menschen nur noch bescheuerter vor." +++ Wie man Fernsehen überhaupt nur gucken sollte: Jürgen Schmieder hat für die SZ (Seite 47) Film- und Serienregisseur Paul Feig getroffen: "Ich wünschte, die Zuschauer könnten Filme und Serien in der Originalsprache sehen – wenn sie die Sprache verstehen. Überhaupt mag ich Untertitel lieber als Synchronisation." ++

Der Altpapierkorb füllt sich Montag wieder.

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