Gewinn und Spin

Gewinn und Spin

Es wird spannend: Wie konnte der TAZ das Kalkül mit dem nicht gedruckten Rösler-Interview nur so nach hinten losgehen? Man fragt sich. Offen auch, was Springer reißt nach dem Makeover. Und was die Jugend liest nach der Zeitung. Außerdem: Überwachungsmöglichkeiten.

Die TAZ ist mit ihrem verunglückten Philipp-Rösler-Interview nun am dritten Tag Mode beziehungweise im Heart of Interest des Mediabiz, wie das bei G+J auch nur "vielleicht" (Heidi Klum) hieße.

Den FAZ-Medienseitenaufmacher von Michael Hanfeld, dessen Schlagzahl gerade deutschlandachterolympiagoldhoch ist, kann man dabei noch am ehesten vernachlässigen: Der Text genügt sich in naheliegender Schadenfreude über die Widersprüchlichkeit der TAZ, freilich journalistisch getarnt, um nicht unangenehm als Häme aufzufallen.

Kann man machen, und Hanfeld macht das auch gut:

"So viel Hass in einem Interview war selten."

Ist etwa eine hübsche Ironie, wo Hanfeld eben die bieder durchgezogene journalistische Leitmotivigkeit der Hass-Vokabel in den abgedruckten Fragen meint. Und über die einfache oder vielmehr: nicht aufgegangene Rechnung auf Empörung der Ines Pohl über das zurückgezogene Gespräch, heißt es lapidar:

"Sie hält das offenbar für einen Skandal."

Es hätte Hanfeld aber vielleicht auffallen können, dass die größere Herausforderung woanders liegen muss, wenn die Dinger so leicht zu machen sind – die TAZ dran erinnern, dass sie bei Claudia Roth von den Grünen nicht nach Pädophilie gefragt hat. Und sonst zu erklären, wie das Biz so läuft:

"Nicht jeder macht so viel Wind um Interviews, aus denen nichts wird. Man macht Interviews, oder man macht sie nicht."

Denn das Spannende an dem missglückten Coup von heute aus betrachtet ist ja nicht mehr, warum es falsch war, die doofen Fragen abzudrucken (bzw. so tatsächlich mit jemandem über die Diskriminierung sprechen zu wollen, die er erfährt), sondern wie es dazu kommen konnte?

Am liebsten hätte man also jetzt eine dieser amerikanischen Serien, die einem in größter Smartness das Innenleben von medial-politischen Komplexen erklärt. Als Vorarbeit für das Drehbuch, das hierzulande nie einen Programmverantwortlichen passieren würde, taugten dann etwa Sonja Álvarezens Details im Tagesspiegel:

"20 Minuten sei in dem Gespräch am 20. August mit Rösler über Rassismus geredet worden, gut 25 Minuten über andere Themen. Die FDP-Pressestelle habe angeboten, dass die 'taz' ein Interview mit Fragen zur FDP-Programmatik veröffentlichen und 'maximal eine Frage' zu Rassismus veröffentlichen könne."

Diese Kommunikation würde man gern einmal von innen sehen. Und eine Antwort auf die Frage kriegen, ob die TAZ-Interviewerinnen Anja Maier und Sabine am Orde ihr eigentliches Ansinnen hinten den 25 Minuten Geplänkel über "andere Themen" von vornherein verstecken wollten (schließlich war "Hass" als Leitmotiv und Festnagel ja klar).

Pflichtschuldig wirkt der Hinweis auf Stimmen von außen:

"Vom Deutschen Journalisten-Verband bekommt die 'taz' für ihr Vorgehen Unterstützung: Als 'Politprofi' hätte Rösler die Angelegenheit anders handhaben müssen. Einige Leser bekräftigten im Blog die Zeitung ebenfalls in ihrem Vorgehen."

Dabei ist das die heißeste Frage der ganzen Angelegenheit: Wie konnte sich die TAZ in der Bewertung von Reaktionen auf ihren Coup so täuschen?

"Das Riskante daran, eine volle Windel in einen Ventilator zu werfen, ist, dass man vorher nicht weiß, wen der Inhalt nachher trifft."

Steven Geyer benutzt in der Berliner (Seite 25) zwar ein etwas waghalsiges Bild, bringt die Sache aber auf den Punkt:

"Im aktuellen Streit zwischen der tageszeitung (taz) und FDP-Chef Philipp Rösler nahm die Debatte – zur Überraschung des linken Blattes – nun eine Wendung, nach der es die taz selbst ist, die besudelt dasteht."

Natürlich muss der Journalistenverband den Journalismus verteidigen, aber abgesehen davon würde wohl kaum jemand behaupten, dass der Vorgang Rösler mehr geschadet habe als der taz.

Die darf sich jetzt, vielleicht die schlimmste Strafe, über solche Unterstützung freuen. Wer den Schaden hat.

Bei der Ursachenforschung ist Geyer auf ein Spiegel-Interview mit Rösler gestoßen, in dem der Politiker auch munter mit Fragen traktiert wird, die eher etwas über die Unfähigkeit der sogenannten Mehrheitsgesellschaft sagen, Differenz zu begreifen, ohne, dass die FDP Autorisierung verweigert hätte.

Eine Antwort, warum die TAZ heute trotzdem nicht cool kommt, hatte Timo Reinfrank von der Amadeu-Antonio-Stiftung bereits im TAZ-Hausblog-Gespräch mit Daniel Bax gegeben:

"Hinzu kommt, dass es bei der taz ja gerade erst eine Debatte um das N-Wort und rassistische Sprache gab. In so einem Kontext muss man sich doch fragen, wie man so ein Interview führt."

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Das ist ein Punkt, der die Sache so unverständlich macht, gerade auch weil etwa mit Bax ja ein kluger Redakteur eigens für nämliche Fragen bei der TAZ arbeitet. Nebenher erklärt Reinfrank damit auch, dass zwischen 2011 (Spiegel-Interview) und heute (TAZ-Interview) in Sachen Rassismus, Othering and so on eben doch einiges passiert ist, auch wenn das noch kein Leitartikel in die Welt beschlossen hat.

Den spannendsten Part spielt aber die FDP in der Angelegenheit, von der man gern etwas Näheres über die Entscheidungsfindung wüsste. Ob ihr dieser taktische Image-Erfolg passiert ist oder ob der irgendwann absehbar war. Spätestens als die TAZ das Interview zur Autorisierung schickte, müsste der Pressestelle klar gewesen sein, dass sie sich in einer Win-Win-Situation befindet: Wählt die TAZ den Hanfeld-Way und lässt das Gespräch mit den doofen Fragen ohne großen Aufhebens unter den Tisch fallen nach dem Einspruch der FDP, ist nichts passiert. Versucht die TAZ aber – kann man das vorher ahnen? – auf Skandal zu machen mit der Weißraum-Nummer, läuft die Sache von selbst für die FDP.

Wäre es so gewesen, verfügte die FDP über das bessere Gespür in Sachen gesellschaftlicher Modernisierung am Beispiel Diskriminierung als die TAZ – das wäre eine Nachricht, die zu denken gäbe.

Steven Geyer, der als politischer Journalist zweifellos das meiste Interesse an der Mechanik der Ränkespiele hat, sieht in seiner Betrachtung die Rösler-FDP nicht so souverän, wie sie hier angenommen wird und erkennt einen Nutznießer, den Rösler zu diesem Zeitpunkt des Wahlkampfs eben nicht offen angehen konnte:

"Die taz hatte Rösler dazu befragt, dass sein interner Konkurrent, Spitzenkandidat Rainer Brüderle, im Machtkampf um den Chefposten Rösler mit rassistischen Sprüchen abkanzelte. Dieses Thema dürfte die FDP im Wahlkampf stören. Darüber, dass sich zwei Lager stattdessen über fiese Fragen streiten, freut sich also: der Brüderle."

Im Übrigens wäre Brüderle wohl der Mann gewesen, mit dem die Diskriminierung des Parteivorsitzenden viel unproblematischer und gewinnbringender hätte diskutieren können. Vermutlich hätte der sich darauf aber nie eingelassen.


Altpapierkorb

+++ Wenig Kaffeesatzlese gibt nach wie vor der Döpfner-Auftritt im "Club Hamburger Wirtschaftsjournalisten" her. Die Agenturmeldung etwa im Handelsblatt: "Erste Erhebungen zeigten, dass die Internetseite entgegen aller Befürchtungen genauso häufig besucht werde, wie vor Einführung des Bezahlmodells, sagte Döpfner am Dienstagabend in Hamburg." +++

+++ Auch nicht viel aufregender: #2020, diese riesengroße Cordt-Schnibben-Wundertüte, bei der man immer nicht weiß, was man von halten soll: Geniale Debatte, die endlich mal nicht nur redet, sondern auch handelt ("Der Abend"-App!) oder letzter Hänger eines Zugs, den das Stephan-Weichert-Leif-Kramp-Stellwerk der deutschen Journalismusforschung schon vor Jahren zigfach hat abfahren lassen in epischen Reihung mit Alan-Rusbridger-, Jeff-Jarvis- und Mario Sixtus-Befragungen? Der jüngste SpOn-Text firmiert jedenfalls wohl auch under #2020: Journalistenschüler in ihren Twenties erzählen was Mediengebrauch, in dem Papier keine Rolle spielt: "Danach lese ich 'kress', 'meedia' und 'dwdl', um zu wissen, was die Mediendienste über die Medien sagen. Selbstreflektion ist wichtig, finde ich. Gerade im Medienbereich. Und Selbstreflektion fehlt. Vor allem dann, wenn es um Onlinejournalismus geht." Sagt Marieke Reimann (25), die Angewandte Medienwissenschaften in Ilmenau studiert. Kann man ihr nur beipflichten, Selbstreflektion ist gerade im Medienbereich ganz, ganz wichtig. +++ Wer es apokalyptisch mag, kann nun vom so dargelegten Informiertwerden ("Tagesschau in 100 Sekunden" ist auch beliebt bei den jungen Leuten) zu der Arbeit ziehen, die diese Journalisten einmal machen werden: Es gibt sie wohl schon heute. Christa Hucklenbroich erregt sich in der FAZ (Seite 35) einigermaßen nachvollziehbar, dass die Dokumentation "Mensch, Hund! Der Rasse-Wahn und seine Folgen", die heute 20.15 Uhr bei 3sat läuft, sich nicht wirklich für Gründe und Hintergründe interessiert, sondern immer wieder auf Schauwerte setzt: "Doch wo Gebhardt Ende der siebziger Jahre in akribischem Aufklärungsbemühen den letzten Winkel von Zuchtzwingern, Hundesportplätzen und Tierschutzvereinen ausleuchtete, da wirft Kastenholz ein paar muntere Schlaglichter auf bunt zusammengewürfelte Schauplätze des Hundehaltens in unserer Republik. Motto: Tiere gehen ja immer." +++

+++ Junge Leute dürfen, betreut von Edo Reents, heute auch in der FAZ ran. Über eineinhalb Seiten erklärt ein Markus Morgenroth von einer Firma namens Cataphora (die das alles zu können scheint, wovor wir Angst haben), was an Überwachung möglich ist im Zeitalter des Digitalen. Edo Reents fasst in einer Frage kurz vor Schluss das Wichtigste zusammen: "Alles, was Sie uns bisher erzählt haben, läuft auf eine Ernüchterung in Bezug auf die sozialen Netzwerke hinaus. Diese starteten mit Versprechungen von demokratischer Teilhabe, individueller Freiheit und Selbstbestimmung über die eigenen Daten. Spätestens seit den NSA-Enthüllungen wissen wir, dass wir im Internet so wenig wie möglich über uns preisgeben sollten. Führt Big Data am Ende dazu, dass die Menschen zu einer Form von vorauseilendem Gehorsam abgerichtet werden, zu immer mehr Effizienz?" +++ In der TAZ berichtet Lena Kaiser über den Fall des verhafteten Journalisten Barret Brown, dem in den USA eine lange Strafe droht: "Brown gilt als Experte für das Hackerkollektiv Anonymous. Wegen seiner politischen Nähe wurde er gelegentlich auch als deren Sprecher zitiert. Die Vergehen, derentwegen er angeklagt wird, umfassen 17 Punkte." +++ Hans Leyendecker schreibt zum Fall des abgehörten Journalisten Buchen: "Der Fall Buchen zeigt, wie die Außenwelt der Innenwelt der Dienste so funktioniert: Im eigenen Land werden, mehr oder weniger streng, die Gesetze beachtet. Im Ausland wird gewildert. So wie jeder Nichtdeutsche für die BND-Aufklärung faktisch vogelfrei ist, ist auch jeder Ausländer für Dienste wie NSA, GCHQ oder auch CIA zum Ausspähen freigegeben." +++ Zapp, das NDR-Medienmagazin, hat den eigenen Mann interviewt. +++

+++ Katharina Riehl informiert in der SZ (Seite 29) über eine amerikanische Serie mit Diane Kruger: "'The Bridge – America' ist mal wieder eine mit großem Aufwand hergestellte und starbesetzte Serie aus dem amerikanischen Kabelfernsehen, aber es ist auch eine Referenz an europäisches Fernsehen, das mancherorts immerhin so viel kann, dass es die Amerikaner nachmachen wollen. Die bislang zwölfteilige Geschichte der Sonya Cross ist ein Remake der dänisch-schwedischen Krimiserie 'Die Brücke - Transit in den Tod', in Auftrag gegeben von den öffentlich-rechtlichen Sendern aus Schweden und Dänemark, auch das ZDF war beteiligt." +++ Um den Transfer von .de nach worldwide geht es auch in dem – recht staatstragendenTagesspiegel-Interview Joachim Hubers mit dem scheidenden Deutsche-Welle-Intendanten Erik Bettermann, der beklagt: "Die Mehrheit des Deutschen Bundestages hat die Verantwortung Deutschlands in der Welt noch nicht wirklich verstanden. Wir sind in Sachen Internationalität ein Schwellenland. Darunter leiden die Goethe-Institute, die Humboldt-Stiftung und die Deutsche Welle unisono." +++

+++ Bildblog weist daraufhin, dass der "Wahl-Radar", der hohe Wählerzahlen für die AfD misst (7 bis 8 Prozent) von AfD-Mitgliedern betrieben wird: "Die 'Düsseldorfer Agentur', die den Dienst betreibt, gehört Wolfgang Osinski. Der war mal Pressesprecher von RTL, hat bei 'Bild' gearbeitet und ist heute Vorstandsmitglied der AfD in Düsseldorf. Zum dreiköpfigen 'Wahl-Radar Team' gehört außerdem Ulrich Wlecke — er ist Bundestagskandidat der AfD." +++ Die von Michael Hanfeld geäußerte ARD-Mitarbeiterzahl bei der IOC-Thomas-Bach-Sause in Buenos Aires (34) muss nach Abzug lokaler Helden runterkorrigiert werden (auf 16), wobei das nicht alles Journalisten sind, wie etwa Meedia.de vermeldet: "Nur 16 der 34 seien aus Deutschland nach Buenos Aires geflogen - und nur neun davon seien Journalisten, wie der SWR inzwischen per Pressemitteilung hinzufügt." Spannende Frage: Als was wird Gerhard Delling gerechnet? +++ Die Kabelbetreiber sortieren derweil ihr Angebot neu, die Dritten Programme der ÖR haben dabei, seit der Einspeiseentgeltdebatte, eher nicht so gute Karten (TSP). +++

+++ Die FAZ wirbt – warum auch immer – für die Beckmann-Sendung heut abend: "Heute Abend nun ist Enzensberger zu Gast in der Talkshow von Reinhold Beckmann im Ersten. Das Thema lautet 'Das digitale Ich – (Über)Leben im Datendschungel.'" +++ Susanne Mayer portraitiert in der aktuellen Zeit Jakob Augstein (Seite 50), während Moritz von Uslar 13 Seiten weiter entfernt mit Henryk M. Broder frühstückt. +++

Der Altpapierkorb füllt sich morgen wieder.

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