Er hat Leitplanken formuliert

Er hat Leitplanken formuliert

Der Titel von Peter Freys Memoiren steht ab heute fest. Neu am TV-Duell sind noch immer Twitter und Stefan Raab. Bei Spiegel ist auch am Tag von Wolfgang Büchners Amtsantritt was los.

Zum sogenannten TV-Duell ist natürlich schon alles gesagt, und das vermutlich schon seit Sonntagabend 20.31 Uhr (siehe Altpapier von gestern). Ein paar hübsche Betrachtungen gibt's heute dennoch.

Die hübscheste stammt vermutlich von SZ-Chefredakteur Kurt Kister, der auf dem Ticket seiner Wichtigkeit zum Meet & Greet ins Fernsehstudio nach Berlin-Adlershof reisen durfte und dafür mal wieder eine Seite 3 vollgeschrieben hat. Was eine sympathische Position ist – qua Amt zu dem Zirkus zu gehören und ihn sich auf der Rückfahrt dann doch genüsslich vom Leib zu halten.

An Steinbrück hat Kister beobachtet:

"Offenbar hat er beschlossen, dass ein attentiv freundlicher Gesichtsausdruck beim Zuhören gut ist. Dies sieht bei ihm so aus, dass er mit dem Unterkiefer zahnend lächelt, während die Oberlippe unbewegt bleibt. Dies erinnert zwar nicht an einen Piranha, aber doch an einen Delfin, der einem einen Versicherungsvertrag verkaufen möchte."

Da es hier ja aber ums Mediale geht (die Zahlen hat Joachim Huber im Tagesspiegel): Die wichtigste Neuerung war für Kister Twitter aka "das vielfältige elektronische Herumgemeine".

"Jenseits dessen war aber vieles so wie immer. Beide Parteien hatten ihre Claqueure in das große Studio in Adlershof mitgebracht, in dem wiederum ein paar hundert Journalisten die Claqueure beim Beobachten des Duells beobachteten. Unter den Claqueuren waren Merkelisten aus Neigung wie etwa der wackere Peter Hintze oder auch Merkelisten mangels Alternative wie Wolfgang Schäuble oder eben Ursula von der Leyen. Bei den Sozialdemokraten gab es Andrea Nahles, ein paar aus Steinbrücks Kompetenzteam und etwas Künstlervolk, zum Beispiel der Dings von den Prinzen. Andere, wie etwa der Steinbrückianer mangels Alternative Sigmar Gabriel, sahen sich mit Unterstützern und Journalisten das Duell andernorts an."

Zu den Überraschungen des Duells gehörte zweifellos Stefan Raab. Springers heißes Blatt hat den ProSieben-Moderator gleich zum Gewinner ausgerufen, was der Küppersbusch'sche Tagesschaum gestern abend verschwörungstheoretisch wasserdicht zu argumentieren wusste (0:17 bis 4.00): Raab ist die Blendgranate, die bei Merkels erwartbar schwachem Auftritt gegen das Eingeständnis gezündet werden konnte, dass in der journalistischen Logik auf Steinbrück als Sieger hätte entschieden werden müssen.

Weil aber Verschwörungstheorien als Mittel der Weltwahrnehmung durchaus (und gerade) zu schätzen sind, kann man über den Tagesschaum-Exkurs daran erinnert werden, dass Edmund Stoiber, der im Programmbeirat von ProSieben sitzt, Raab seinerzeit im Spiegel für die Moderation nominiert hatte. Schaut man sich dann an, wie die ins Jauch-Studio geeilte Anne Will Stoiber Grüße von Raab bestellt, dann ist das vielleicht keine Petitesse, sondern sagt viel über den medial-politischen Komplex, wenn wir das mal so nennen dürfen (und nichts Gutes über die Reflektionsfähigkeit von Anne Will).

Die inhaltliche Nähe Identität von öffentlich-rechtlichem und privaten Fernsehen sieht der Zeit-Online-Kolumnist Eric T. Hansen – freudig. Hansen ist Amerikaner und würde nie einen solch deutschen Kurt-Kister-Satz mit hängenden Mundwinkeln schreiben:

"Aber die Auseinandersetzung von Kanzlerin und Herausforderer ist nun einmal keine Talkshow."

Vielmehr würde Hansen wohl fragen, was anderes als Show im Fernsehen denn zu sehen sein sollte.

"Solange die Öffentlich-Rechtlichen und die Privaten streng getrennt blieben, konnte man sich jedoch immer noch einbilden, einer der beiden mache Qualität."

Was Raab am Sonntagabend widerlegte:

"Die Angst war berechtigt, denn Raab hat gestern zwar keine Mätzchen gemacht, dafür aber die Illusion zerstört, dass die Öffentlich-Rechtlichen etwas können, was die Privaten nicht können."

Angst vor Raab wäre für Michael Hanfeld in der FAZ (Seite 25) der Ehre vermutlich zu viel, er straft den ProSieben-Mann mit kalter Herablassung:

"Und um Stefan Raab natürlich, der auch nicht besser war als die drei anderen, aber erstaunlicherweise als Held gilt, nur weil er damit herausplatzte, wie cool er Steinbrück ('King of Kotelett') und wie bedauerlich er es findet, dass der nicht Vizekanzler in einer großen Koalition werden will. Das musste wirklich einmal gesagt werden. Wenn derartiges Gekasper jetzt schon als Sternstunde des politischen Journalismus gilt, dann gute Nacht."

Interessant ist, wie miesepetrig das klingt, da nicken dann nur Leute, die auch Regisseurstheater sagen (mit "g" wie in "Gurke" und nicht wie in "Gina" und abfälligem Ton) oder "amerikanische" Filme aus Prinzip nicht gucken. Denn eigentlich ist die Sickigkeit von Hanfeld von der Kisters nicht so weit weg, woraus Kister dann aber zu den Pirouetten seiner Totalironie abhebt, was sich schöner liest:

"Stefan Raab, der Unterhaltungsmann von ProSieben, erlebte den Stoiber-Effekt. Als Stoiber 2002 im ersten Duell gegen Schröder nicht einbrach, sondern sich wacker hielt, befanden viele, er habe sich gut geschlagen. Es gibt Situationen, in denen ein Nicht-Misserfolg schon ein Sieg sein kann. Viel mehr ist über die Moderatoren nicht zu sagen, obwohl man sicherlich über jeden einzelnen 13456 Tweets verschicken könnte, jeweils 30 davon der Bundesumweltminister."

Kister sagt natürlich doch noch ein bisschen was:

"Will war engagiert, aber ein wenig verbissen; Raab ok; Illner fragte routiniert und wollte manchmal, wenn auch selten mitdiskutieren; Kloeppel war nicht wirklich dabei, ist aber ein netter Mensch. Das nächste Mal würden zwei reichen. Es werden aber, wie gesagt, wieder vier werden."

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Und der letzte Satz ist nun der allerschönste, weil er so heiter an den schwer erträglichen Verhältnissen verzweifelt. Auch wenn etwa Rainer Stadler in der NZZ schreibt:

"Kontraproduktiv sind zudem die Bedingungen einer Gemeinschaftsproduktion von Sendern, die einander sonst konkurrenzieren. Die vier Moderatoren, üblicherweise Einzelkämpfer, wurden zum Quartett der Hilflosen, die mehr durch verkrampftes Scharren als durch ihre Interventionen auffielen."

Es werden wieder vier werden.

Ein Mann, der daran etwas ändern könnte (womöglich: ohne das zu wissen), ist der immer freundlich lächelnde Peter Frey, der es hierarchiemäßig in Mainz bis eine Stufe unter den "King of Kotelett" geschafft hat: zum ZDF-Chefredakteur.

Den interviewt Michael G. Meyer in der Berliner zum Duell, was keine schlechte Idee wäre, wenn Meyer wüsste, wen er da fragt: Wie kann man denn angesichts dieses parteibeeinflussten Gerangels um die Durchnormierung des sogenannten Duells einen daran unmittelbar Beteiligten wie Frey denn als quasi neutralen Experten befragen – ob es für ihn "überraschende Situationen" gab, wenn Frey doch an der Vermeidung genau dieser mitgewirkt hat?

Bisschen Stimmung kommt auf, wenn Frey sich zu seiner Stefan-Raab-Kritik äußern soll – wegen Freys Antwort:

"Ich habe vorab Leitplanken formuliert. An denen ist er entlang gefahren, und am Ende hat’s gerumpelt. Mehr will ich nicht dazu sagen."

Er hat Leitplanken formuliert! Ein Satz, aus dem Kurt Kister auf einem Inlandsflug vermutlich das ganze Elend des öffentlich-rechtlichen Fernsehens ableiten könnte und Freys Memoiren dazu.

Das Elend zeigt sich etwa in solchen Äußerungen, die eben den Schluss nahelegen, dass Frey gar kein Bewusstsein hat von dem Elend, an dem er arbeitet:

"Kein ernsthafter Moderator, der dort steht und sich an die Regeln hält, empfindet den Job als Traumauftritt."

Warum machen die das dann – Dienst am Vaterland?

Am Vier-Moderatoren-Problem hat das ZDF übrigens keine Schuld, es wollte zwei Sendungen mit je zwei Moderatorinnen, aber die Kanzlerin, die Doofi, wollte nicht, menno.

Es könnte alles so schön sein im deutschen Fernsehen. Und auch im deutschen Journalismus, wenn Michael G. Meyer seine letzte Frage, warum es in den USA mit einem Moderator fürs Duell auch geht, nicht selbst entschärft hätte durch den Hinweis auf das Publikum, das da auch rumsitzt und das Klartext-Frey dann die Chance gibt, nur das Publikum zurückweisen zu müssen (und nicht den einen Moderator), um den Satz zu sagen, für den ihn die Rundfunkräte aus der Politik vielleicht einmal zum "King of Kotelett" machen werden:

"Insofern war das Duell das Medienereignis des Jahres."


Altpapierkorb

+++ Das zweite Medienereignis des Jahres war die Männerrunde gestern in der ARD: Gysi, Brüderle, Trittin sowie Schönenborn und, who else, Gottlieb zwischen Beton – ein Bild, das die ganze Breite der Gesellschaft veranschaulicht. "Das Moderatorenduo, das mehrfach zur Einhaltung der Debattenregeln aufrufen musste, schlug sich insgesamt wacker. Jedenfalls hakten Schönenborn und Gottlieb bei so manchen Politphrasen der Kandidaten nach", informiert uns nicht Dabeigewesene Thorsten "Toto" Jungholt in Springers Welt. +++ Inhaltlich ist alles mit den beiden Tweets von Thomas Oppermann gesagt, der hat ein so seriöses Profilbild, dem glauben wir uneingeschränkt alles: "Souveräner Auftritt von @JTrittin beim #dreikampf. Wird Spass machen, mit Rot-Grün zu regieren. Ist ein anderes Niveau als Schwarz-Gelb." Immerhin gibt es auch Leute mit Humor. +++

+++ Wird man das später über Raab schreiben? Alexander Mendens Nachruf auf David Frost in der SZ (Seite 31): "David Frost selbst umgab ein Glamour, den Kollegen, die 'reinen Journalismus' betrieben, mit einer Mischung aus Neid und Bewunderung beäugten. Frost hatte systematisch an diesem Status gearbeitet...Frost verband in einzigartiger Weise unverhohlenen Ehrgeiz mit Liebenswürdigkeit und einem sicheren Boulevardinstinkt. 1969 war er nach der Queen und dem damaligen Premierminister Harold Wilson der bekannteste Brite überhaupt." +++

+++ Was macht eigentlich der Spiegel? Erste Montagskonferenz im Amt für Wolfgang Büchner. Sonja Álvarez schreibt im Tagesspiegel: ".. unterschwellig brodelt der Konflikt im Verlagshaus an der Ericusspitze weiter. Bereits am 16. September ist die außerordentliche Gesellschafterversammlung der Mitarbeiter KG angesetzt. Hier werden sich die KG-Geschäftsführer wohl erneut dafür rechtfertigen müssen, dass sie offenbar vorab über die Personalie Blome informiert waren, ohne die Mitglieder der Mitarbeiter KG darüber zu informieren." +++ Was aus "Augstein und Blome" werden könnte, wenn sich durch Blomes Wechsel zum linken Spiegel dann gleich zwei Linke gegenüberstünden, hat Álvarez bei Phoenix erfragt: "'Verlagshäuser spielen schon jetzt keine Rolle. Der Politik-Talk lebt vielmehr von den unterschiedlichen Persönlichkeiten und zugespitzten Meinungen.'" +++ Sven Sakowitz kann in der TAZ von Neuerungen im ZDF-Programm berichten: "'inka!' ist das Ergebnis eines mehr als einjährigen Entwicklungsprozesses: Weil das ZDF bei den Nachmittagsquoten nur auf dem vierten Platz liegt, rief Programmdirektor Norbert Himmler im Juli 2012 eine 'Task Force Daytime' ins Leben. 32 Produktionsfirmen wurden um Konzepte für neue Nachmittagsformate gebeten, nur die grobe Richtung und die Genres wurden vorgegeben. Aus 81 Vorschlägen wurden acht ausgewählt und pilotiert – der Talk mit Bause kam bei den Entscheidern im Haus am besten an." Wie mutig, ja wegweisend unerschrocken die Entscheidung am Lerchenberg ist, kann man erst begreifen, wenn man weiterliest: "Es ist ein ganz gutes Zeichen, dass man sich beim ZDF einigermaßen umfassend Gedanken über ein Programmangebot für die Zielgruppe am Nachmittag gemacht und nicht einfach stumpf die x-te Telenovela gedreht, eine weitere Kochshow gestartet oder ein paar Zootiere abgefilmt hat." +++ "ProSiebenMaxx soll der einzige Sender im Free-TV sein, der englischsprachige Serien im Original mit deutschen Untertiteln als festen Programmbestandteil zeigt, unter anderem 'Homeland', startend am Mittwoch mit der Wiederholung der ersten Staffel", schreibt der Tagesspiegel. +++

+++ Jürg Altwegg berichtet in der FAZ (seite 31) von Le Monde, wo die Chefredakteurin Krieg gegen Syrien empfahl: "Der martialische Appell hat die Redaktion aus dem Sommerschlaf geweckt. Ihr Sprecher Alain Beuve-Méry hält es für äußerst ungeschickt, 'unsere Zeitung zur Speerspitze eines Kreuzzugs für eine Intervention in Syrien zu machen'. Auch von anderen Medien wurde Nathalie Nougayrède angegriffen. Im Magazin „Marianne“ höhnte Jean-François Kahn, die Chefredakteurin sei auf die Linie von Bernard-Henri Lévy eingeschwenkt." +++ Ronnie Grob schreibt auf Carta über das Verhältnis von Journalismus und Sicherheitspolitik: "Nur hört man nie etwas von Journalisten, die keine Paniktexte geschrieben, nie etwas von Experten, die Stellungnahmen abgelehnt haben, und nie etwas von Politikern, die nicht in Panik neue Verordnungen erlassen haben." +++

Der Altpapierkorb füllt sich morgen wieder.

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