Die neue Bundesregierung hat einen deutlich strikteren Kurs in der Asylpolitik angekündigt. Worauf stellen Sie sich ein?
Katharina Thote: Wir stellen uns auf Veränderungen ein, auch auf Verschärfungen. Wir rechnen aber auch damit, dass sich die Bundesregierung der Rolle Deutschlands bewusst ist. Deutschland hat eine ganz wichtige Bedeutung für den globalen Flüchtlingsschutz. Das Land ist ein großer Unterstützer. Wir hoffen, dass das weitergeführt wird und alle neuen Maßnahmen und Herangehensweisen im Einklang mit dem Völkerrecht und auch mit den europarechtlichen Vorgaben konzipiert werden.
Der politische Wille, Flüchtlinge aufzunehmen, ist spürbar zurückgegangen in den vergangenen Jahren. Argumentiert wird mit der Überforderung von Kommunen und Bildungssystem. Haben Sie ein Stück weit Verständnis für diese Verschärfung im Ton und im Kurs?
Thote: Ich glaube, man übersieht gerade sehr leicht, dass es nach wie vor sehr viel Solidarität in Deutschland gibt, auch in der Gesellschaft. Deutschland steht selbst vor Herausforderungen. Aber weil das Land eine so wichtige Rolle für den globalen Flüchtlingsschutz spielt, ist gerade nicht die Zeit dafür, jetzt die Solidarität zurückzufahren.
Das UNHCR organisiert das Resettlementprogramm, um besonders Schutzbedürftigen, die keine Perspektive in ihrer Heimat oder in Flüchtlingscamps haben, eine dauerhafte Umsiedlung zu ermöglichen. Gehen Sie davon aus, dass Deutschland dabei ein Partner bleibt?
Thote: Das hoffen wir natürlich. Resettlement ist ein ganz wichtiger Baustein für den internationalen Flüchtlingsschutz, gerade für die Menschen, die im Erstaufnahmeland keinen wirklichen Schutz finden können.
Der jetzige Kanzleramtschef Thorsten Frei (CDU) und der Präsident des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (BAMF), Hans-Eckhard Sommer, haben sich dafür ausgesprochen, Flüchtlinge ausschließlich über Kontingente aufzunehmen. Das wäre quasi eine deutliche Ausweitung des Resettlements. Was halten Sie davon?
Thote: Das individuelle Recht auf Asyl und das Recht, Asyl zu beantragen, wenn man an der Grenze eines Landes ankommt, sind Grundpfeiler des globalen Systems des Flüchtlingsschutzes. Kontingente und Resettlement sind wichtig, können diesen Pfeiler aber nicht ersetzen. Derzeit reden wir beim Resettlement von einer kleinen Zahl von Flüchtlingen, die in sehr aufwendigen Verfahren ausgesucht und sehr sorgfältig überprüft werden.
"Zurückweisungen untergraben Grundpfeiler des Flüchtlingsschutzes"
Könnte man das nicht erhöhen?
Thote: An Bedarf mangelt es jedenfalls nicht. UNHCR hat zusammen mit anderen Partnern sehr gute Kapazitäten aufgebaut. Es gibt durchaus Möglichkeiten, das zu steigern. Dafür muss aber der politische Wille da sein.
Wer kommt über das Resettlementverfahren und welche Unterschiede gibt es da zu den Menschen, die auf eigene Faust an der deutschen Grenze ankommen?
Thote: Das Resettlement konzentriert sich auf besonders schutzbedürftige Flüchtlinge. Sehr oft sind es Menschen mit medizinischen Problemen, die im Erstaufnahmeland nicht behandelt werden können, oder Menschen, die dort keinen wirklichen Schutz finden, weil sie auch dort in Gefahr sind.
Bundesinnenminister Alexander Dobrindt (CSU) hat entschieden, dass die Bundespolizei künftig auch Schutzsuchende an den deutschen Grenzen zurückweisen soll. Für wie gravierend halten Sie diesen Schritt?
Thote: Zurückweisungen untergraben das, was ich als Grundpfeiler des Flüchtlingsschutzes beschrieben habe: das Recht, an einer Grenze Asyl zu beantragen. Das heißt nicht, dass es nicht Rückführungen in andere Länder geben kann. Es gibt aber auch europäische Vereinbarungen, die eine Prüfung des Antrags vorschreiben. Die sollten eingehalten werden. Was mir besonders Sorge macht, ist die Signalwirkung. Und man muss sicherstellen, dass es nicht zu Kettenabweisungen kommt.
"Beim Schutzstatus müssen rechtliche Standards eingehalten werden"
Die Kette würde an der EU-Außengrenze enden. Drohen dann wieder menschenunwürdige Zustände in überfüllten Flüchtlingslagern, wie es sie in der Vergangenheit in Griechenland gab?
Thote: Um solche Szenen zu vermeiden, ist es so wichtig, dass die europäischen Länder zusammenarbeiten. Im vergangenen Jahr wurde das neue Gemeinsame Europäische Asylsystem (GEAS) vereinbart. Dabei geht es ja auch um eine fairere Verteilung von Flüchtlingen. Man sollte sich jetzt darauf konzentrieren, das umzusetzen.
Die Bundesregierung hat angekündigt, bei GEAS nachverhandeln zu wollen. Es geht ihr um die Abschaffung des sogenannten Verbindungselements, um Asylverfahren in Drittstaaten zu ermöglichen, die keinerlei Bezug zu den Antragstellern haben. Stünde das UNHCR als Partner für solche Verfahren zur Verfügung?
Thote: Wir haben schon immer einen wichtigen Punkt betont: Die Verantwortung für die Asylverfahren liegt bei dem Staat, wo der Asylantrag gestellt wird. Die geht auch damit nicht vollständig weg, dass man das Verfahren an ein anderes Land überträgt. Ziel solcher Verfahren kann also nur sein, den Schutz der Flüchtlinge effizienter zu handhaben und nicht, den Schutz zurückzufahren. Der von der Vorgängerregierung veröffentlichte Bericht zeigt, dass es für solche Verfahren viele Hindernisse gibt: Das Land, in dem das geschehen soll, muss dazu auch in der Lage sein. Zudem müssen im Hinblick auf den Schutzstatus flüchtlingsrechtliche Standards eingehalten werden.
Mit dem Rückzug der USA aus der humanitären Hilfe und Entwicklungszusammenarbeit gerät die Hilfe für Menschen in Konfliktregionen enorm unter Druck. Welche Bedeutung kommt Deutschland global gesehen inzwischen für den Flüchtlingsschutz zu?
Thote: Deutschland ist eines der größten Geberländer weltweit und ein ganz wichtiger Partner. Jetzt gilt das natürlich noch mehr. Wir haben aktuell eine gefährliche Mischung der Krisen: Die verheerendste Fluchtkrise findet statt in einer Zeit, in der wir die schlimmste Finanzierungskrise haben. Was Deutschland und Europa in dieser Situation machen, wird sehr genau beobachtet.
Welche Folgen haben die Mittelkürzungen der USA für das UNHCR?
Thote: Auch andere Länder haben gekürzt und das Ausmaß der Folgen werden wir erst in einigen Monaten sehen, aber schon jetzt gibt es schmerzhafte Einschnitte. Im Südsudan mussten wir drei Viertel der Schutzhäuser für Frauen schließen. Da geht es um 80.000 von Gewalt, oftmals sexueller Gewalt betroffene Frauen und Mädchen, die keine medizinische, psychologische oder rechtliche Unterstützung mehr bekommen. Im Tschad haben wir zu wenig Geld, um die allein in den vergangenen zwei Wochen aus Darfur angekommenen 20.000 Flüchtlinge menschenwürdig unterzubringen. In Ägypten wurde sudanesischen Flüchtlingen die Gesundheitsversorgung gestrichen. Diabetiker bekommen ihre Medikamente dort nicht mehr. Da werden irreparable Schäden angerichtet.
Was meinen sie mit "irreparablen Schäden"?
Thote: Es brechen nicht nur Strukturen weg, sondern vielerorts wird ein über viele Jahre erreichter Fortschritt rückgängig gemacht: Kinder können nicht mehr zur Schule gehen, Traumata werden nicht behandelt, Menschen verzweifeln. Und bei einem Stopp der Gesundheitsversorgung geht es um die schlimmste Konsequenz: Es kostet Menschenleben.