Heldenroutine

Heldenroutine

Das ZDF sendet zu viele Krimis (sagt die ARD), hat aber auch arge Probleme mit seinem Verhältnis zu Usain Bolt (sagen wir). Ist vielleicht unser aller Problem (sagt die Welt). Was zu sagen gibt es außerdem noch zu prominenteren Flüchtlingsspurensuchern und Politikern, die immer die Wahrheit sagen.

Das medienjournalistische Highlight des Wochenendes – das eine medienjournalistische Highlight, muss man sagen; das andere, die Krömer-Sendung mit Matussek findet sich unten im Korb –, das medienjournalistische Highlight des Wochenendes also spielt noch keine Rolle in den Betrachtungen des Tages. Vielleicht wird das auch so bleiben, nimmt man die leeren Besucherränge im Moskauer Lushniki-Stadion beim 100-Meter-Endlauf der Herren als "Fingerzeig" (Sportreporterfachausdruck).

Dieser 100-Meter-Lauf, im ZDF kommentiert von Peter Leissl, führte nämlich die versammelte Widersprüchlichkeit der Dopingdiskussion aus den vergangenen Jahren Tagen vor Augen. Nach der Sperre von gleich drei prominenten Kollegen Bolts kurz vor der WM und befeuert von dem schrecklichen Verdacht, dass Doping doch nicht allein das Geschäft von DDR, Weißrussland und China ist, fiel Leissls Kommentar noch einmal reservierter aus, was eine poetische Metapher zum Ausdruck brachte:

"Der Himmel weint, wenn der König läuft."

Dichtete Leissl, wobei es auch schon Rennen mit Bolt aka dem König gegeben haben soll, die bei Sonnenschein stattfanden. In der jetzigen Situation kam das schlechte Wetter gerade recht, es diente quasi als Vorschein der kosmischen Strafe für einen immer wahrscheinlicher scheinenden Betrug Bolts. Wobei der Betrug Bolts in der Perspektive Leissls (und des Fernsehzuschauers) nichts anderes meint als die als Vorwurf zurückgegebene Enttäuschung darüber, dass Bolts Image nicht dem entspricht, wozu es gemacht worden ist.

Oskar Beck fragt sich dazu in der zweiten Springer-Zeitung Welt, wer eigentlich Interesse an einem sauberen Sport hat:

"Ist Bolt gedopt? Es ist die falsche Frage. Die richtige heißt: Wollen wir es denn wirklich wissen? Die übers Wochenende bei weitem beste Antwort darauf verdanken wir dem 'Aktuellen Sportstudio' des ZDF. Mitten in dessen Feierstunde zum 50-jährigen Jubiläum hat Manfred Ommer, unser einst erfolgreich gedopter Sprinter, lästerlich die charmante These zerpflückt, dass die Welt saubere Athleten will. 'Wer' staunt Ommer, 'will sie denn noch? Das Publikum etwa? Es bejubelt den Ersten, und den Letzten pfeift es aus.'"

Diese Widersprüchlichkeit zeigte nun wie kein zweiter Leissl, der die Bälle am Start betont flachhielt, um nach den nur 9,77 Sekunden, der "Routine", wie es heute mehrfach heißt, dann doch ein wenig verschnupft zu sein, dass kein neuer Weltrekord im Finale rausgesprungen ist. Fast schon wieder ungeduldig wartete der ZDF-Kommentator dann auf Bolts CI-Geste, um sie schließlich beruhigt zu vermerken.

Eine Achterbahn der Gefühle, und das Tollste dabei ist, dass man als Medienbeoachter dabei natürlich immerfort vergisst, selbst in die Komplexität von Doping, Rekord und Spitzensport verwickelt zu sein. Peter Leissl kommentiert jedenfalls so, als sei er ein neutraler Beobachter und nicht der Gefühlsverstärker, als der das Fernsehen taugt – fast unabhängig davon, ob es das will oder nicht.

Dass das ZDF irgendwie doch will, zeigte dann noch das Interview, das Norbert König mit dem neuen Weltmeister führen durfte. Irgendwie verständlich, dass man so einer charismatischen Figur wie Bolt nicht mit der Frage nach dem Doping kommt (bei dem Zweitplatzierten Justin Gatlin hat sich der Investigativfrager König dann getraut), aber leider eben auch hochproblematisch.

Das, wozu die Journalismusauskenner "Haltung" sagen, legt das ZDF eben nicht an den Tag, wenn Leissl vorher raunt und König danach nicht mal fragt, wie das Wetter so ist. Die Dämlichkeit des Sportlerinterviews ist ja häufig schon beklagt worden, wenn man aber bei so einem Abend wie dem in Moskau nicht mal eine Frage auf die äußeren Bedingungen für den Lauf verschwendet, sondern angeblich wissen will, was die Pläne für die Zukunft sind – dann kann man sich das Gespräch auch schenken. Der Informationsgehalt reduziert sich darauf, dass man Usain Bolt reden hört.

[+++] Anderweitig für Diskussion sorgt die ZDFneo-Reihe "Auf der Flucht", bei der über eine Gruppe von politisch divergenten (Mirja du Mont, ein Ex-Nazi) und unterschiedlich prominenten Menschen (Mirja du Mont, ein Ex-Nazi) das Los von Asylsuchenden veranschaulichen soll (Altpapier vom Freitag). ProAsyl hat sich zwar erwartungsgemäß wenig begeistert geäußert, erachtet die Sendung lässigerweise aber für so gering, dass auf der eigenen Homepage darüber kein Wort verloren wird.

Christian Stahl, der selbst in diesen Kontexten recherchiert hat, kritisiert auf Carta:

"Ihnen ein Gesicht zu geben, eine Stimme, egal wie, wäre preisverdächtig und mutig. Aber das ZDF macht das Gegenteil. Statt die Flüchtlinge zu Helden der 'ungewöhnlichen Reise' zu machen, werden sie wieder nur zu Objekten degradiert, sie werden dramaturgisch notwendiger Teil der Gefahr, die auf der fragwürdigen ZDF-Heldenreise in 'die Ursprungsländer von Asylsuchenden in Deutschland' lauert."

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Am interessantesten liest sich allerdings Claudia Frommes Besprechung in der SZ (Seite 23), weil dort auch gelobt wird – bei allem, was an Stellvertreterrepräsentationskritik von Stahl berechtigt ist, verhilft die merkwürdige Anlage der Sendung einem Thema zu Aufmerksamkeit, von dem nicht viel gewusst werden will:

"Anders als Jenke von Wilmsdorff, der für RTL mit wilder Miene in einem überfüllten Flüchtlingsboot nach Lampedusa reiste, versucht 'Auf der Flucht' immer wieder den Voyeurismus, den solche Formate bedienen, zu stören. Es gibt lange Sequenzen, in denen der Zuschauer über die politische Situation aufgeklärt wird, die Reisenden, darunter Mirja du Mont und der ehemalige Böhse-Onkelz-Musiker Stephan Weidner, lassen sich ferner von Flüchtlingen erklären, wie die Situation in deren Heimat ist. Auch ist die Reise der Elendssimulanten keine Flucht, wie der Titel marktschreierisch vorgibt, sondern eine Spurensuche vom Ende einer Flucht hin zu ihrem Ausgangspunkt."

Das Beste an Frommes Kritik ist aber, dass sie die Schwäche der Sendung aus den Konventionen des Formats erklärt (was Stahl in gewisser Weise ja auch tut):

"Alles das hat mit den TV-Flüchtlingen zu tun, mit dem echten Leben nichts. Das ZDF kann noch so viele dokumentarische Einblendungen vornehmen, der Referenzrahmen bleibt. Ein Reality-Format steht automatisch in der Tradition der Leistungsschau von Egozentrikern in Extremsituationen, wobei es relativ unerheblich ist, was nun genau die starken Gefühle der TV-Reisenden erzeugt."

Anders gesagt, sind die Grenzen der Erzählbarkeit von Flucht und Asyl – Prominenz hin, Selbsterfahrung her – durchs Format vorgegeben.

[+++] Mission accomplished vermeldet dagegen die FAZ. Die hessische FDP-Politikerin Dagmar Döring verzichtet auf ihre Bundestagskandidatur:

"Nachdem sie von dieser Zeitung mit den Erkenntnissen der Wissenschaftler konfrontiert worden war, zog sie am Wochenende ihre Kandidatur zurück und distanzierte sich von einem selbst verfassten Aufsatz in dem 1980 erschienenen Sammelband 'Pädophilie heute'. Darin hatte die derzeitige Vorsitzende der 'Liberalen Frauen Hessen' die Straffreiheit für sexuelle Handlungen von Erwachsenen mit Minderjährigen gefordert."

Schon eine Darstellung von Grund und Folge, über die Journalismusauskenner nachdenken könnten.


Altpapierkorb

+++ Nicht alle Politikerinnen machen es den Medien so leicht wie Frau Döring. Stephan Lamby, geschätzter Mann des Fernsehens, hat eine Dokumentation über "Lügen" von Politikern gedreht ("Ich gebe Ihnen mein Ehrenwort", 22.45 Uhr, ARD. Die aber eher nicht so doll ankommt. Frank Lübberding in der FAZ (Seite 31): "Man lässt besser alles im Ungefähren. Lieber nichts Konkretes sagen und ankündigen, um sich keine Option für die Zeit nach den Wahlen zu verbauen. Damit wäre nur nicht mehr die Lüge das Problem, sondern die gelungene Täuschung über die eigenen Absichten. Vielleicht sollte Stephan Lamby darüber seinen nächsten Film machen. Eine These hätte er dann jedenfalls." +++ "Es ist ein Film, der den Vertrauensverlust der Menschen in die Politik mit Lug und Betrug, Tricks, Unwahrheiten, Machtgeilheit und Erpressung der Politiker erklärt. Wer wollte dem widersprechen? Aber über diese Bestandsaufnahme kommt Lamby leider nie hinaus", pflichtete Nico Fried in der SZ vom Samstag bei. +++ Simone Schellhammer, die im Tagesspiegel nicht ganz so unamused ist, zitiert aber auch Wolfgang Kubickis pointiertes Urteil von einer Hamburger Vorführung des Films: "Kubicki, der in Stephan Lambys letztem Film 'Schlachtfeld Politik – Die finstere Seite der Macht' prominent aufgetreten war, sagte: 'Der Film lässt mich ratlos zurück. Er ist im Grunde eine Aufzählung von Skandalen, die lange her sind.'" +++ Am meisten kann wohl Anja Maier in der TAZ mit der Sendung anfangen, sie spoilert auch Lambys persönliche Frage an seine Gesprächspartner nicht: "Ganz zum Schluss fragt Lamby seine fünf Abgeordneten ganz direkt: Haben Sie als Politiker schon mal gelogen? Vier sagen Nein, einer sagt, dass er das nicht ausschließen könne. Wer so wahrhaftig ist? Einschalten!" +++ Torsten Wahl fand's in der Berliner (Seite 25) auch okay, schreibt aber auch darüber, wie die ARD es im Sommer schafft, drei Dokus hintereinander zu senden, damit dann am Ende des Jahres Informationspflichterfüllung (60 Dokumentationen im Jahr!) vermeldet werden kann. +++

+++ Zur Geschäftsaufgabe von Edward Snowdens E-Mail-Provider Lavabit schrieben Constanze Kurz und Frank Rieger in der FAZ vom Samstag: "Die Warnung des Lavabit-Gründers in seiner Mitteilung über die Einstellung seiner Firma ist jedenfalls klar und eindeutig: Unter amerikanischer Jurisdiktion Dienste mit Privatsphärengarantie anbieten zu wollen ist schlicht nicht mehr möglich. Zu groß sind die Datengier und die Macht der Geheimdienste." +++ Wolfgang Michal fragt sich auf Carta, was es bedeutet, wenn in Europa vor allem Deutschland abgehört wird: "Die EU ist für die britisch-amerikanische Industrie zu einer mächtigen Konkurrenz aufgestiegen. Man will in Washington oder London frühzeitig wissen, was kontinentaleuropäische Firmen wie EADS oder Siemens oder Rheinmetall vorhaben, welche Maschinen oder Produkte sie an wen verkaufen, welche „Schurkenstaaten“ von deutschen Mittelständlern mit Spezialchemie, Elektronikteilen oder Waffen versorgt werden." +++

+++ Im Spiegel geht es um die Konkurrenz, die Russia Today CNN und anderen global agierenden News-Sendern macht (S. 134). +++ Im Focus erzählt Volker Herres, wie die ARD auf dem Programmplatz von Reinhold "Beckes" Beckmann durchstarten wird, wenn der Ende 2014 endlich aufhört. Außerdem hat das ZDF die größeren Förmchen: "Herres kritisierte im FOCUS-Interview die Konkurrenz: 'Das ZDF achtet derzeit stark auf maximale Einschaltquoten'. Jede zweite Fiction-Minute im Zweiten sei ein Krimi. Das Erste leiste sich nur 23 Prozent Krimis in seinem Film-Angebot." +++

+++ Womit wir im Kindergarten wären. Am dem quotensteigernden Beschweren von Matthias Matussek über seine Behandlung in Kurt Krömers Sendung, fasziniert am meisten, für wie relevant ein "Pöbelhans" (Krömer) wie Matussek tatsächlich gehalten wird: Oliver Jungen paukt ihn in der FAZ raus, die Welt berichtet in mindestens drei verschiedenen, äh, journalistischen Formen und auf einem Blog darf sich Matussek ausführlich ausheulen. +++  

Der Altpapierkorb füllt sich morgen wieder.

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