Bum-Bum-Drachentöter

Bum-Bum-Drachentöter

ORF-Generaldirektor Alexander "Bachmann-Preis bleibt" Wrabetz wird erst live bejubelt, dann schriftlich ausgebuht. Die ARD zeigt nicht Wimbledon 2013, aber ein Fußballspiel des BSV Rehden. Der Spiegel punktet mit Snowden, Teil 2. Dietmar Dath empfiehlt eine neue Serie. Und Georg Mascolo schreibt über Angela Merkels historische Chance.

Es gab zwei Veranstaltungen mit Publikumsereignischarakter am Wochenende, und beide sind in zweiter Linie Medienthemen: die Wimbledon-Finalspiele und die Verleihung des Ingeborg-Bachmann-Preises.

Zusammengefasst kann man sagen, die Öffentlich-Rechtlichen wollen beides in Zukunft übertragen. Das eine, Wimbledon, übertrugen sie zuletzt nicht, scheinen sich aber nun von größerem Interesse des Boulevards an Damentennis ("Bum-Bum-Bine" in Bild und BZ) doch davon überzeugen zu lassen, dass es sich um einen journalistisch relevanten Sport handelt. Das andere, den Bachmann-Preis, wollten sie – hier allerdings: der ORF – nicht mehr übertragen und haben sich (bzw. wurden) dann doch anders entschieden.

Im Nachhinein wirkt der Bachmann-Preis 2013 wie ein Wettbewerb zwischen Frankfurter Allgemeiner Sonntagszeitung und Spiegel Online, den, wenn er das wäre, für die FAS deren Kolumnistin Katja Petrowskaja gewonnen hätte, während SpOn-Redakteur Benjamin Maack den 3sat-Preis bekam. Beide Medien verstehen ihre Preisträger in ihrem Sinn zu nutzen – allerdings in einem okayen Rahmen. SpOn meldet Maack, und die FAZ nennt die Kolumnistin ihrer Sonntagsredaktion "bezaubernd".

Dass man sich um die innere Vielfalt der FAZ und FAS (Altpapier vom Freitag) auch beim Thema Bachmann keine Sorgen machen muss, dafür sorgen die Autorinnen Anna Prizkau (FAS-Medienseite) und Sandra Kegel (heutiges FAZ-Feuilleton), die vollkommen unterschiedliche Wettbewerbe gesehen zu haben scheinen:

FAS: "In einem scharfen, funktionierenden Literaturbetrieb hätten solche Texte wohl keine Chance, ihre Verfasser wären Mediengestalter, Anwälte oder Erzieher geworden oder doch eben Schauspieler geblieben."

FAZ: "Spielend überflügelte der Jahrgang 2013 das Niveau der vergangenen Jahre und bot der Frage von Sein oder Nichtsein jenseits aller Geldsorgen inhaltlich Paroli."

Wobei sich eine gefühlte Mehrzahl der weiteren Betrachungen eher wie Kegels lesen; die Christopher Schmidts im Feuilleton der Süddeutschen Zeitung etwa ("Vorbei die Zeiten der Schwermutsprosa, verspulten Innerlichkeitsexzesse und hermetischen Avantgardismen"), aber das muss nicht als Nachweis der einzigen Wahrheit verstanden werden, wir sind ja nicht bei 10000 Flies, sondern im weniger zahlengesteuerten Bereich der Literatur.

Apropos: Die Geldsorgen, die praktisch jede Bachmannpreis-Nachbereitung in diesem Jahr thematisieren musste, was den Vorteil hatte, dass in den Artikeln kein Platz mehr war für die sonst obligatorische Erinnerung an Rainald Goetz' aufgeritzte Stirn, sind behoben worden von einem Herrn namens Alexander Wrabetz, dem Generaldirektor des ORF. Wrabetz wurde dafür im Fernsehen am Sonntagvormittag für den Satz "Der Bachmann-Preis bleibt" schon bejubelt, bevor ausgesprochen war, dass der Preis nicht nur bleibt, sondern auch im Fernsehen übertragen wird (wobei er nicht aussprach, wie er gezeigt wird; die taz fürchtet jedenfalls "schmerzhafte Einschnitte"). In nicht live übertragenden Medien kriegt er dagegen vorrangig auf die Fresse dafür, dass es auch anders hätte ausgehen können. Die Berliner Zeitung sieht bei Wrabetz ein Gefälle zwischen Eintreten für den Preis und Auftreten beim Preis:

"Hinter den Kulissen hat es offenbar eine finanzielle Einigung über die zur Rede stehenden 350.000 Euro gegeben. Weshalb er nun direkt stolz aussah, konnte man sich nicht recht denken, aber alle waren erleichtert."

Und die FAZ schreibt zur Strafe einfach Wrabetz' Namen falsch:

"Der Jubel wollte kein Ende nehmen, dabei wurde im ORF-Theater bloß ein Schelmenstück aus der Realpolitik gegeben, in dem Wrabenz sich als tollkühner Drachentöter jenes Lindwurms gerierte, den er selbst zuvor von der Kette gelassen hatte. Dass er sich für die vermeintliche Heldentat vom Publikum feiern ließ, ist die absurde Volte eines Kärntner Sittenstücks. (...) Wrabenz hat Klagenfurt aufs Spiel gesetzt, um andere Interessen des Senders gegen politische Entscheidungen zu befeuern, die nichts mit Literatur, aber viel mit Fernsehgebühren zu tun haben."

Die mediale Konkurrenz um die poetisch streitbarste Zeile gewinnt übrigens ziemlich klar Focus Online, obwohl die Schublade mit den Wortbausteinen schon die richtige war: "Ingeborg-Bachmann-Preis fällt nicht Rotstift zum Opfer."

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+++ Auch nicht blütenrein ist die Focus-Online-Meldung, die ARD habe das Lisicki-Finale verzockt. Laut Focus lief das Frauenfinale am Samstag nicht im öffentlich-rechtlichen Fernsehen, weil die ARD dem Pay-TV-Sender Sky nicht genug geboten habe:

"Sky hält die Exklusivrechte an Wimbledon, wäre aber zu einem Deal bereit gewesen. Das Angebot der ARD war aber nach Focus-Informationen aus Sportrechtekreisen bei weitem nicht marktgerecht. Die ARD, die sich einen Box-Kampf mindestens eine Millionen Euro kosten lässt, hat einen Sportrechte-Etat von 1,03 Milliarden Euro (Gebührenperiode 2009-2012)."

Yo. Die Summe, die die ARD tatsächlich bot, soll aus den besagten Sportrechtekreisen gedrungen sein, heißt es, und wird zudem "branchenintern kolportiert" (Tagesspiegel), weshalb man wahrscheinlich sagen kann, dass die Summe von knapp 500.000 Euro ordnungsgemäß von zwei Quellen bestätigt ist (während eine dritte allerdings von 300.000 Euro schreibt). So oder so soll das aber vergleichsweise wenig sein, egal, ob man es mit Äpfeln, Birnen oder Boxen vergleicht.

Andererseits soll Sky für drei Jahre Wimbledon exklusiv 3,5 Millionen Euro bezahlt haben – was kostet dann das vielleicht am meisten Aufsehen erregende Spiel aus dem Gesamtpaket? Keine rhetorische Frage, ich habe keine Ahnung. Da der Sky-Vertrag aber eh ausläuft, ist immerhin sicher, dass es nun anders werden kann: Die ARD wolle "sicheren Zugriff auf Wimbledon-Livebilder ab 2014" bekommen, schreibt die Bum-Bum-BamS, deren Werktagsausgabe namens Bild super Tipps für alle hatte, die Sky nicht im Abo haben: a) Abo machen. b) Kneipe mit Abo suchen. c) Haben die Nachbarn Abo: bei ihnen klingeln. Journalismus kann auch einfach sein.

Dass den Öffentlich-Rechtlichen aus gegebenem Anlass mal wieder ihre tatsächlich süchtig anmutende Fußballvorliebe vorgeworfen wird, ist logisch, die Kritik folgt da gefühlt einem nicht übertrieben komplexen Algorithmus. "Wegen des Finales hat es in Deutschland Diskussionen gegeben, es ging mal wieder um das öffentlich-rechtliche Fernsehen und seinen Umgang mit dem Sport, es ging um die Frage, weshalb ARD und ZDF unverschämte Summen für Fußball ausgeben und dann nicht mehr viel für andere Sportarten übrig haben", schreibt die Süddeutsche auf der Seite Drei, um sich einen Absatzs später der Kritik tendenziell anzuschließen – freilich schon aus gutem Grund. Die schönste Sportübertragungskritik hat aber Turi2: Wimbledon-Finale gebe es nicht, "(d)as Erstrundenspiel im DFB-Pokal zwischen dem BSV Rehden und Bayern München überträgt die ARD dagegen am 5. August live". Keine Bum-Bum-Bine, aber BSV Rehden. Was zum!

Den grundsätzlichsten Kommentar schrieb aber Thomas Hahn im SZ-Sportteil vom Wochenende:

"Am Lisicki-Finale sieht man, was passieren kann, wenn Fernsehen und Verbände den Sport nicht mehr als zeitgeschichtliches Phänomen sehen, das Berichterstattung genauso erfordert wie andere gesellschaftliche Entwicklungen – sondern als Programmpunkt und Geschäftsmodell: Der Sport findet dann für viele Zuschauer einfach nicht statt."

Schade, wenn die Wimbledon-Finalspiele wieder im frei empfangbaren Fernsehen zu sehen wäre, wäre nur, dass man sich womöglich keine Übertragung mehr bei britischen Radiosendern anhören würde. Reporter, die im Stakkato jeden einzelnen verdammten Schlag beschreiben – "Backhand, crosscourt Forehand, too long!" –, das ist ganz großes Volleyball. Außerdem konnte man, wenn man live mithörte, feststellen, dass die Online-Text-Liveticker am Sonntagnachmittag immer etwas verspätet waren: um mindestens ein bis zwei Bum-Bums.


ALTPAPIERKORB

+++ Der dritte Themenkomplex heißt Prism/NSA/Snowden: Der Spiegel macht seinen zweiten Titel in Folge zum Thema und damit Punkte. 16 Autorinnen und Autoren haben die heutige Titelgeschichte geschrieben, zum Titelkomplex gehört auch ein Interview mit Edward Snowden – gut verkauft, aber es ist ein Frage-Antwort-Katalog, zu dem vor Bekanntwerden des Prism-Skandals Jacob Appelbaum ("Cypherpunks") die Fragen beisteuerte. Jedenfalls – und auch auf dem Titel: NSA und BND würden unter einer Decke stecken, sagt Snowden da +++ Dazu schreibt in der FAZ erneut der ehemalige Spiegel-Chefredakteur und v.a. als Geheimdienstkenner geltende Georg Mascolo (siehe zur Art seines neuen Engagements das Altpapier vom 28.6.), der die Enthüllungen konstruktiv wendet: "Merkels historische Chance", zu einem transatlantischen Freiheitsabkommen mit Barack Obama nämlich – "ein festes Versprechen, sich unter Freunden fortan nicht mehr auszuspionieren" +++ Lesenswert und mit dem Thema assoziiert sind das (nicht erst heute erschienene) Wired-Porträt von NSA-Director Keith Alexander. Und die taz-Geschichte Johannes Gernerts, der seinen Daten nachspürt +++ Außerdem hat sich – was man ebenfalls mit dem Thema assoziieren kann – am Freitag @fr_schirrmacher nach knapp fünfmonatiger Enthaltsamkeit auf Twitter zurückgemeldet; seine Thesen erleben ja gerade eine Art zweiten Frühling +++ Einen "Realismus-Kotau" à la "Wir wurden doch schon immer überwacht" beklagt Wolfgang Michal bei Carta +++ Und dann wäre noch die ausufernde und an mehreren Fronten stattfindende Twitter-Diskussion auch zwischen führenden Kräften des Internets zu erwähnen, darüber, ob man als Endverbraucher in der Lage sein muss, seinen Kram zu verschlüsseln. Für Journalisten stellt sich die Frage unabhängig von der eigenen Befindlichkeit, Stichwort Quellenschutz +++

+++ Im Fernsehen laufen sehr interessante Dinge: Dietmar Dath bespricht in der FAZ die heute bei Vox startende kanadische SciFi-Serie "Continuum" (22.15 Uhr): "Mit jeder Folge verläuft sich die Serie dabei tiefer in ihrem Grundwiderspruch: Linksextreme Bombenleger aus der Zukunft haben, sagt das Drehbuch, zwar in der Sache vollkommen recht – gigantische Unternehmen kaufen wirklich gerade den Staat und errichten allmählich eine Diktatur, gegen die selbst die schlimmsten Tyranneien des zwanzigsten Jahrhunderts wie ein Spielenachmittag im Montessori-Kindergarten wirken werden. Aber diese sich abzeichnende Zukunft verhindern sollen die linken Spinner trotzdem nicht, denn sie sind verrückt und kriminell (wie gesagt, obwohl – oder, was manchmal angedeutet wird und echte Kopfschmerzen auslöst: gerade weil – sie in der Sache vollkommen recht haben)"; siehe auch Tagesspiegel +++

+++ Mehrfach besprochen wurde "Durch die Nacht mit...." mit Olli Schulz und Tom Schilling bei Arte, wobei das schon lief, aber auch hier noch zu sehen ist. Tagesspiegel ("Und so kommt es zu wunderbaren Wortwechseln"), Spiegel Online ("Vielleicht ist es ja auch einfach so, dass die beiden wegen der einschüchternden Zwangs-Intimität des Arte-Formats – die Kamera läuft, jetzt seid mal spontan und lernt euch kennen! – sich sicherheitshalber in ihre Job-Rollen verkriechen") und Berliner Zeitung ("'Wir haben uns einmal auf einer Party gesehen und du hast dich unwohl gefühlt oder warst sternhagelvoll', erinnert Schulz ans erste Treffen. 'Wahrscheinlich hab ich mich unwohl gefühlt und war deshalb sternhagelvoll', entgegnet Schilling da nach langem Zögern und zeigt, dass Klugheit manchmal eben doch stärker ist als jedes Rollenprofil") kommen zu nicht gleichen Einschätzungen +++ Außerdem werden besprochen "Rückkehr aus dem Krieg – Elf Jahre Bundeswehr in Afghanistan" (ARD, 22.45 Uhr) im TSP und in der SZ "Der Chefankläger" (ARD, Dienstag, 22.45 Uhr) +++

+++ Und im Spiegel steht eine kritische Einordnung der hier schon aufgegriffenen Krimi-Flut im Fernsehen +++ Während die taz beim Filmfest München gute Ansätze fürs Fernsehen entdeckt hat +++ Und Montags-DWDL-Kolumnist Hans Hoff sieht Jörg Thadeusz als "Gefangenen des ZDF", weil "Durchgedreht", das er moderiert, nicht überzeugen könne +++

+++ Die taz von heute bringt auf den Stand in Sachen griechischer Rundfunk +++ Die SZ berichtet über das ungarische investigative Nachrichtenportal Átlátszó und eine Einschränkung, die u.a. ihm zuschaffen mache: "In einem Land, in dem immer mehr Journalisten über eine Einschränkung der Berichtsfreiheit klagen und in dem kritischer Journalismus in den mehrheitlich regierungsnahen Medien zur Mangelware wird, greifen immer mehr Reporter, aber auch Bürger auf ihr Recht zurück, Informationen direkt bei den Behörden zu erfragen. In einem Rechtsstaat ist das eine normale, wenn auch von staatlicher Seite nicht immer gern gesehene Sache. In Ungarn wurde – nach einem Veto des Staatspräsidenten und kleineren Änderungen an der Vorlage – die Einschränkung der Informationspflicht vor Kurzem beschlossen" +++

+++ Axel Springer plant offenbar, sich vom französischen Zeitschriftenverlag PGP zu trennen (Meldung in der u.a. SZ) +++ Im Spiegel steht ein kurzes Interview mit einem Permira-Manager über den Ausstieg der Private-Equity-Bande KKR / Permira bei ProSiebenSat.1 +++ Und es heißt dort, Barbara Schöneberger solle die RTL-Show "Die 2 – Gottschalk & Jauch gegen alle" moderieren +++

+++ Gewohnt lesenswert ist Constantin Seibts "Deadline"-Blog, das sich diesmal liest, als hätte jemand Wolf Schneider beigebracht, wie man nicht provoziert +++ Stefan Niggemeier arbeitet angesichts der Verleihung der "Kompassnadel" des Schwulen Netzwerkes NRW, eines Positivpreises also, an den Spiegel einen prominenten Teil der Aids-Berichterstattung des Magazins auf +++

+++ In der taz vom Wochenende antwortete Kulturredakteur Dirk Knipphals auf Peter Unfrieds hier zitierten Artikel über Richard David Precht und Theodor W. Adorno: "So ist es auf der einen Seite natürlich wichtig, sich an Adornos Verdammung der Kulturindustrie kritisch abzuarbeiten. Auf der anderen Seite benimmt sich die Kultur – gerade auch das öffentlich-rechtliche Fernsehen – manchmal dann doch so, dass es ganz gut ist, Adornos düstere Thesen parat zu haben. Dann kann man im Einzelfall prüfen, wann Spaß in Verdummung kippt oder eben nicht" +++

Das Altpapier gibt es am Dienstag wieder.

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