Emotionslose Emotionen

Emotionslose Emotionen

Jetzt geht's loo-hoos. Mit: Springers Bezahlsystem. Ohne: Lutz Marmor, Talkshowkrise gilt durch Beckmann-Move offiziell als beendet. Mittendrin in der Kritik: das ZDF-Sportstudio. Jenseits davon: Thomas Tumas ProQuote-PR. Außerdem: "Teilen" und "Zitieren" als prekäre Praxen

Unter dem Sandra-Kegel-Text über das – was ein Begriff! – "Schutzschirmverfahren" bei Suhrkamp auf FAZ.net steht ein zweideutiger Hinweis in kursiv:

"Eine ausführliche Analyse lesen Sie im Feuilleton der F.A.Z. vom 28. Mai."

Zweideutig, weil der Hinweis zum einen Zeit verschafft – in dieser Logik wäre die Information über den neuesten juristischen Turn im Suhrkamp-Gerangel zwischen den Gesellschaftern online aktuell abgesetzt worden sein, um hernach in etwas, äh, größerer Ruhe recherchieren zu können, was ein "Schutzschirmverfahren" eigentlich ist.

Zum anderen kann man den Hinweis aber auch als eine schlichte Form einer Online-Print-Bezahlstrategie nehmen, wofür der Zeitpunkt des getwitterten Links zum Text spricht (15.54 Uhr). Ohne genaue Kenntnis des Redaktionsschlusses bei der FAZ – vielmehr Zeit dürfte da nicht gewesen sein für die Arbeit am zweispaltigen Text auf der ersten Feuilletonseite der FAZ (Seite 25). Womöglich ist der Online-Text also nicht erste, schnelle Reaktion auf die Meldung vom "Schutzschirmverfahren" aus Suhrkamps Pressestelle, sondern schon Print anteaserndes Fazit der Recherchen.

However, der Hinweis unter dem Text führt in jedem Fall zum Thema des Tages, das die Bezahlstrategie von Springer ist – und gleichzeitig eben auch nicht. Die "ausführlichen Analysen" werden vermutlich erst morgen in den Zeitungen zu lesen sein, wenn überhaupt; ob Springers Pläne aufgehen, wird sich noch nicht mal am 11. Juni, dem Tag der Einführung, sagen lassen.

Was bei der FAZ der kursivierte Hinweis unter dem Online-Beitrag ist, wird bei Springer jetzt also institutionalisiert. Wie, hat die Welt in einer Grafik aufbereitet: 3 Modelle (für 4,99; 9,99 und 14,99 Euro) plus optional Fußball (2,99 Euro).

"'BILDplus' ist ein sogenanntes 'Freemium'-Modell und verbindet kostenfreie und kostenpflichtige Angebote. Exklusive Berichte und Interviews, Hintergründe und besondere Fotos werden nur gegen Bezahlung freigeschaltet, kündigte der Chefredakteur von 'Bild.de', Manfred Hart, an."

Heißt es in der dpa-Meldung, die auf den meisten Seiten, etwa auf FAZ.net oder der Berliner steht.

Der Tagesspiegel hat dagegen einen eigenen Bericht. Und dementsprechend fängt Joachim Huber mit der vielleicht wichtigsten Nachricht an, auch wenn die eher nachgeordnet klingt:

"Sollte Bildplus nach dem Start am 11. Juni nicht funktionieren, dann greift Plan B: 'Wir probieren es noch einmal, wir machen auf dem eingeschlagenen Weg weiter', sagte Springer-Chef Mathias Döpfner bei der Vorstellung der künftigen Bezahlstrategie für Bild.de."

Was sich bereits sagen lässt über Springers Pläne:

"Klar ist, dass die Reichweite für Werbeeinahmen über Bild.de nicht kannibalisiert werden soll, Absicht ist, dass zu den bestehenden Erlösquellen der 'Bild'-Zeitung“ und von Bild.de eine dritte kommt – eben Bildplus."

Bildplus soll auch intern Effekte haben, wie dem Welt-Bericht zu entnehmen ist:

"Von 'BILDplus' erhofft sich Döpfner auch ein stärkeres Konkurrenzstreben innerhalb der Redaktion. 'Jeder wird den Wunsch haben, mit seiner Geschichte bei BILDplus unter zu kommen', sagte er bei der Präsentation des neuen Angebotes."

Was etwas strange klingt, wenn wir Döpfners – sagt man dem so, Wolf Schneider? – Insinuat richtig verstehen: Der größte Ansporn für den Journalisten wäre es demnach, hinter der Paywall als so begehrenswert zu erscheinen, dass die Leute für Geld bezahlen, den hotten Scheiß vom Journalisten zu lesen.

Man könnte den Ansporn für Journalisten aber vielleicht auch einfacher formulieren: gelesen zu werden, und das doch von möglichst vielen, was den Free-Bereich von Springers Angebot dann immer noch attraktiver wirken ließe.

Aber das sind unkapitalistische Flausen, über die sich auch Stephan Seiler in einem SZ-Text (Seite 31) über das gewöhnliche Zugangscodesharing bei Pay-TV-Abos und anderen kennwortbasierten Angeboten wundert:

"'Sie leihen einem Freund auch nicht Ihre Kreditkarte aus', meint Best. Wenn er sich da mal nicht täuscht, möchte man in Anbetracht der im Netz entstandenen Nutzergewohnheiten erwidern. 'Teilen' ist dort längst zum Trend geworden. Viele Menschen nutzen mittlerweile wie selbstverständlich DSL-Anschlüsse, Fahrräder und Autos gemeinsam."

"Teilen" ist dort längst zum Trend geworden, klingt schon wieder so, wie eine Horror-Bedrohungsgeschichte, die auf dem Spiegel-Cover oder im Neon-Heft Schrecken verbreiten könnte. Sicherlich müssen wir alle Geld verdienen, aber irgendwas stimmt doch nicht im Ganzen, wenn "Teilen", eine so herrlich soziale Praxis, zum Problem wird.

Immerhin zitiert Seiler einen New York Times-Artikel, der das Thema schon Anfang April aufgerissen hat – immerhin, weil das bei deutschen Zeitungen ja nicht selbstverständlich ist, die Quellenangabe (und hier vielleicht auch nur geschieht, wenn man's böse meint, weil die NYTimes bigger ist als die SZ). Nach unten wird jedenfalls öfter geschwiegen: Christian Spiller etwa, der in seinem Zeit-Online-Text über Kloppos Guardian-Interview aus der Übersetzung vom Freitag [bei dem ich arbeite, MD] zitierte, ohne das zu erwähnen. Und dann auf Google schimpfen. Ungeiler Style.

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[+++] Schweigen soll nun auch herrschen, wo vorher "das endlose Gequatsche über zu viel Gequatsche" (Reinhold "Rilke" Beckmann) war. Michael Hanfeld teilt am Tag 2 nach seinem jetzt schon legendären FAS-Interview mit Beckmann (siehe Altpapier von gestern) mit, dass die Kuh für den ARD-Intendanten-NDR-Vorsitzenden Lutz Marmor damit vom Eis ist:

"'Ich gehe davon aus, dass damit auch die Debatte über die Anzahl der Talkshows im Ersten erledigt ist.'"

Wird Marmor zitiert. Das würde ihm natürlich so passen, dabei spricht eigentlich alles an den durch Beckmanns Spin öffentlich gewordenen Erkenntnissen über die Qualitäten des "senderpolitischen Ablass- oder Kuhhandels" (Reinhold "Rilke" Beckmann) für eine großangelegte Debatte über die Bedingungen beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk: Wie eine der Absetzung zuvor kommende Freiwilligkeit in neue Shows umgemünzt werden kann, wie die Senderarithmetik jede inhaltliche Diskussion von vornherein ausschließt. Es ist alles sehr traurig. Oder in den Worten von Joachim Huber im Tagesspiegel:

"Die Beckmann-Posse von Fall und Wiederauferstehung des unentbehrlichen Reinhold illustriert die Segregation des öffentlich- rechtlichen Rundfunks. Eine Welt mit eigener Gesetzmäßigkeit und Gesetzbarkeit...Das Modell Beckmann befriedigt nur Reinhold Beckmann."

Huber attributiert Beckmann als die Margot Käßmann der ARD, weil der noch weicher fällt als in Gottes Hand. Zugleich hebt der hübsch gallige Artikel auf das Großeganze ab, nämlich die Gebühr:

"Die Öffentlich-Rechtlichen versuchen mit weniger Erfolg denn je, die Milliarden Einnahmen aus jedermanns Geldbeutel mit Programmen für jedermann in Einklang zu bringen. Das kann nicht gelingen, da über zahllose (private) Angebote längst jeder Geschmack bedient wird. Zwangsabgabe und Zwangsbeglückung funktionieren nicht. Konzentration auf öffentlich-rechtliche Relevanz wäre ein entschiedener Weg aus der Zwangslage."

Allein, die Zwangslage ist das natürliche Umfeld von Lutz Marmor und seinen Intendantenkollegen. Die leben darin.


Altpapierkorb

+++ c/o Zwangslage könnte bald auch Tom Buhrow einziehen. Morgen wird beim WDR Intendantin gewählt nach dem abrupten Ausscheiden von Monika Piel, und Buhrow scheint gute Aussichten zu habe. Die SZ schreibt, warum: "Im WDR, der lange als rot galt und noch immer als eher links verortet wird, fragt man sich, was man von einem als vage konservativ geltenden Kandidaten halten soll. Sein politisches Profil ist eher die Profillosigkeit, der Kandidat wirkt schwach." +++ Was darüber nicht vergessen werden soll: David Denks kritische Würdigung Beckmanns in der TAZ"Beckmanns seifiger, selbstberauschter Interviewstil wirkt zwar mitunter peinlich-penetrant, doch eines hebt seine Sendung wohltuend von der Konkurrenz ab: dass an Beckmanns Studiotisch, von Klatschvieh unbehelligt, zumindest noch versucht wird, in aller Ruhe ein Gespräch zu führen, Menschen zu begreifen...Es mag bessere Interviewer geben als Beckmann – aber nicht im Ersten." +++

+++ Heiß diskutiert weiterhin: das deutsche Sportfernsehen, vor allem das ZDF-Sportstudio. Achim Dreis in der FAZ (Seite 31) sehr kühl: "Nun mag der heutige Sportdirektor von Red Bull Salzburg [Ralf Rangnick] zwar nicht mehr auf seine damalige Rolle als Besserwisser reduziert werden, ihn aber so ganz ohne Analyseansatz durchzuwinken war schon eine Leistung...Emotionslos ging es im 'Sportstudio' um Emotionen, zwischen Gesprächsfetzen mehrfach auseinandergerissen durch zugeschaltete Eindrücke aus Dortmund, München, London." +++ Bernd Müllender wird in der TAZ deutlicher: "Der deutsche Sportjournalismus ist verrottet bis ins Mark. Die Fernsehnasen, allen voran die Anschleimerbrigade des 'Aktuellen Sportstudios', verstehen sich als Verkäufer des Sports und Conférenciers, nicht als kritische, bestenfalls freche Begleiter." +++ Das wird das Sportstudio bestimmt gerne lesen und sofort zum Thema der nächsten – wie heißt denn Blattkritik fürs Fernsehen? – Konferenz machen. Immerhin wird von Dreis und Müllender Jochen Breyer als uneitel und interessiert gelobt, und diesen Eindruck muss man auch haben, wenn man ihn etwa in diesem Clip sieht (ab 4:58). Wobei die Distanz des ZDF zur modernen Welt sich rührend eben auch daran zeigt, wie der Moderator da (6:28) von "Twitter-Hinweis" spricht. Die Leute schreiben heute eben keine SMS-Briefe mehr. +++

+++ Thomas Tuma macht den Denis Scheck der Gleichstellungsdebatte, nämlich sich lächerlich mit seiner im Spiegel auf zwei Seiten geäußerten ProQuote-Kritik (hier eine Meedia-Zusammenfassung), die nur offene Türen einrennt bei den Kritisierten: "ProQuote begrüßt Thomas Tumas Debattenbeitrag im heutigen SPIEGEL zur Arbeit des Vereins. Darin konstatiert der langjährige Wirtschaftsressortleiter des Wochenmagazins einen 'unbestreitbaren Mangel an Frauen in Führungspositionen' – nicht nur in den Medien, 'sondern auch in Unternehmen, Behörden, Fakultäten'. Ferner lobt er, dass die Initiative ProQuote, die er mit nur 150 zahlenden Mitgliedern liebevoll als Verein von 'ScheinriesInnen' bezeichnet, 'ganze Arbeit geleistet' habe." +++ Tumas Mission scheint mit dem Text erfüllt, wie der TAZ zu entnehmen ist: "Gern hätte die taz Tuma dazu befragt, wie Journalistinnen sonst ihre Interessen verteidigen sollen, wenn sie nicht in ihrer Berichterstattung darauf aufmerksam machen dürfen, doch der Spiegel-Mann wollte sich nicht zu seinem Essay äußern, den Text für sich sprechen lassen." +++

+++ Eben. Man muss auch mal Texte für sich sprechen lassen. Julia Prosinger, TSP, über GNTM: "Klum lutscht Schokolade, also lutschen die Kandidatinnen Schokolade. Wenn die Kandidatinnen übereinander sprechen, sagen sie, wie Klum: 'Das Mädchen muss noch lernen, seine Persönlichkeit zu zeigen.' Achseln, die länger als einen Tag nicht rasiert wurden, sind für alle ein 'absolutes No-Go'." +++ Johannes Boie, SZ, über Politwoops, das von Politikern gelöschte Tweets wieder veröffentlicht: "Die Idee hinter Politwoops wurde mittlerweile in 24 Nationen umgesetzt. Sie entstand auf einem Programmierertreffen in den Niederlanden, bei dem ein anwesender Journalist die Idee der Plattform ausformulierte. Für die Hacker war die Umsetzung des Vorschlags nur die Arbeit eines einzelnen Nachmittags." +++ Kurt Sagatz, TSP, über den Jugendkanal von ARD und ZDF: "Den gemeinsamen Jugendkanal hatte er [Thomas Bellut, ZDF-Intendant] zudem von einem klaren Auftrag der Bundesländer und einer angemessenen Finanzausstattung abhängig gemacht. Selbst dann sieht er den Jugendkanal nicht vor dem Jahr 2017." +++ Rainer Stadler, NZZ, über Facebook: "Erst nach einigem Aufwand gelang es vor zwei Jahren einem Anwalt, dass Facebook Einträge löschte, die eine Frau diskreditiert hatten, welche nicht einmal Mitglied von Facebook war." +++ Und Ronnie Grob, Medienwoche, über die Basler Tageswoche: "Die Tageswoche hat einen verunglückten Namen (wird gerne auch mal 'Sekundenstunde' genannt), ein verunglücktes Logo (Grün im Dreieck) und eine Printausgabe, die zufällig wirkt und oft so langweilig und linkskonservativ daherkommt wie die kürzlich insolvent gewordene Frankfurter Rundschau. Es ist aber nicht alles schlecht: Mit der Website ist man der Konkurrenz in vielen Belangen voraus, mitunter produziert man preiswürdigen Lokaljournalismus. Finanziell hat man noch eine Weile lang ein schönes Polster. Und die Tageswoche verfügt über einige Mitarbeiter mit grossem Potential. Doch wird es einem Internen wie Dani Winter gelingen, diesem zur Geburt zu verhelfen? Man darf gespannt sein, ob und wenn ja, wie er sein Team umbauen wird." +++ Torsten Wahl schreibt in der Berliner (Seite 25) ausführlich und interessant über die Berliner Ausstellung "Zwischen den Zeilen?" über die Zeitungslandschaft zur Nazi-Zeit. +++

+++ Hildegard Krekel ist gestorben. In der FAZ (Seite 31) steht im Nachruf: "Als Synchronsprecherin lieh Hildegard Krekel unter anderem Bette Davis und Hellen Mirren ihre Stimme, sie spielte in 'Es muss nicht immer Kaviar sein', 'Detektivbüro Roth' und der 'Sesamstraße'." +++

Der Altpapierkorb füllt sich morgen wieder

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