Jetzt kommt der Jahrhundertbus

Jetzt kommt der Jahrhundertbus

Die Geburtstagsfeierlichkeiten fürs ZDF auf der Zielgerade: Interviews, Shows, Satire. Außerdem: das NSU-Prozess-Berichterstattungs-Problem und ein Lösungsvorschlag dazu.

Am 1. April 2013 wird das ZDF ganz offiziell ein halbes Jahrhundert alt werden. Doch erst 50 Jahre also... Insofern kulmininieren nun die Jubiläumsfeierlichkeiten, die einem Halb-Jahrhundert-Geburtstag angemessen sind, auf vielen medialen Schienen und Kanälen (schließlich ist das ZDF erst von seinem vorigen Intendanten aus der "Babylonischen Gefangenschaft eines Ein-Kanal-Senders" hinaus geführt worden...).

Heute zum Beispiel gastiert "vor der Meistermannhalle auf dem ZDF-Gelände (Haupteingang)" der "Jahrhundertbus", nach eigenen Angaben der Daimler-/ Bertelsmann-/ Gruner+Jahr-/Google-/ Bosch-/ Stern-/ZDF-gepowerten Initiative "Gedächtnis der Nation" "der ideale Ort, um erlebte Vergangenheit festzuhalten". Falls Ihnen das zu hochgegriffen ist: Das erheblich bodenständigere Game "Wie gut kennen Sie das ZDF?", mit dem zdf.de online unterhält und das wir als Fotomotiv ausgeborgt haben, finden Sie hier.

Morgen abend läuft im ZDF-Hauptprogramm Teil 1 der großen Jubiläumsshow, die in Medienbeobachter-Kreisen unter anderem dadurch Aufsehen erregte, dass der ursprünglich vorgesehene Moderator Jörg Pilawa nach der Ankündigung seines Wechsels zur ARD durch die bislang sympathisch unterhaltungsshowferne ZDF-Talkshowmoderatorin Maybrit Illner ersetzt wurde.

Wie Illner war ("...schlug sich tapfer. Nicht weniger, aber auch nicht mehr") und wie es ungefähr wird, weiß der Thomas Lückerath, und zwar aus erster Hand. Der dwdl.de-Chef war bei der Aufzeichnung des ersten Teils zugegen und berichtet über die noch unbearbeitete, also bis morgen wohl um einige Länge bereinigte (jedoch für 150 Minuten eingeplante) Show:

"Mancher Talk dazwischen hätte dafür kürzer ausfallen dürfen. Und manche Studio-Aktion gleich ganz entfallen wie etwa alberne Spielchen mit Wigald Boning, Bernhard Hoëcker, Dirk Steffens und Harald Lesch. Merkwürdig war auch ein Talk mit Guido Knopp bei dem - warum auch immer - Olaf Schubert daneben gesetzt wurde und sehr verloren aussah. Von Knopps gequältem Lächeln nach Schuberts Einschüben mal ganz abgesehen. Und dann war da noch Howard Carpendale..."

Kaum endet morgen um 22.45 Uhr diese Sendung, können ZDF-Aficionados zum Beisender ZDF-Neo umschalten und "Lerchenberg" gucken, die kleine Satireserie mit Sascha Hehn, die die FAZ-Medienseite 31 heute als "ein Pointenfeuerwerk sondergleichen" empfiehlt. Ja, kurz nachdem der bekanntlich nicht als zu enger Freund der Öffentlich-Rechtlichen verdächtige Michael Hanfeld alle fünf Drehbuchautoren mit Namen nannte ("Felix Binder, Niels Holle, Vivien Hoppe, Maren Lüthje und Marc Seng", wobei "der Koautor Binder auch mit dem richtigen Gespür für Tempo und Zwischentöne inszeniert" hat), wandelt sich derselbe Artikel gar noch in eine Eloge aufs ganze ZDF:

"Das ZDF und vor allem dessen Intendant Thomas Bellut sind zum Jubiläum des Senders obenauf. Mit dem Dreiteiler 'Unsere Mütter, unsere Väter' hat das Zweite gerade bewiesen, was ein öffentlich-rechtlicher Sender leisten kann: in epochaler Weise Zeitgeschichte erzählen und eine gesellschaftliche Debatte anregen. Das ZDF-Fernsehspiel zeigt sich auch sonst überwiegend in guter bis bestechender Form. Neue Formate (in Maßen) gibt es bei ZDFneo und könnte der umtriebige Programmdirektor Norbert Himmler langsam, aber sicher ins Hauptprogramm holen. Dass der Spartenkanal ZDFkultur dichtgemacht wird, ist keine Katastrophe - die Einstellung kann den wesentlich ambitionierteren Kulturkanälen 3sat und Arte nur guttun. Zu viele Talkshows (wie die ARD) hat das ZDF auch nicht, dafür aber mit Markus Lanz einen Alleinunterhalter, der das öffentliche Gespräch im Fernsehen in einem ganz eigenen Habitus karikiert. ..."

Dass dem ZDF beim Debatten-Anregen rund um UMUV das FAZ-Feuilleton selbst in an Selbstverleugnung grenzender Weise beigesprungen ist - geschenkt. Und ob "Karikieren" so gemeint ist, dass man sich Lanz bloß als Karikatur vorzustellen braucht, um ihn erträglich zu finden - unklar. Es ist ja aber schön, wenn auch in gedruckten Zeitungen mal etwas zwischen den Zeilen steht.

+++ Auch die Medienseite der Süddeutschen macht mit dem ZDF auf: mit einem großen Claus-Kleber-Interview, dessen Anlass weniger das 50-Jährige des Senders als Klebers Zehn-Jähriges als "heute journal"-Moderator ist. Das Gespräch muss schon vor längerer Zeit stattgefunden haben ("Ein Frühlingstag auf dem Lerchenberg in Mainz. Die Sonne scheint in das sehr ordentliche Büro...", schreiben Claudia Fromme und Viola Schenz einleitend). Es kreist um Kleber-/ ZDF-Standards wie Klebers Ahmadinedschad-Interview vor einem Jahr und die "längste Fernsehtheke der Welt" (wie die SZ-Journalistinnen die Inneneinrichtung des "heute journal"-Studios nennen). Interessant wird das Interview mit der Frage:

"Mit ein paar Sachen verärgert das 'Heute-Journal' zuverlässig die Zuschauer: wechselnde Anfangszeiten, Kurzversionen in der Halbzeitpause beim Fußball und endlose Werbetrailer für Dokus oder Filme, die auch im ZDF laufen. Was hat das mit dem Tagesgeschehen zu tun?"

Kleber verteidigt erwartungsgemäß seinen Sender und dessen Programm, jedoch mit einer Einschränkung:

"... Aber wenn wir durch den Abend geschoben werden, nur um möglichst viel Krimi-Publikum mitzunehmen, dann protestieren wir sehr deutlich bei den Verantwortlichen."

Das Interview endet mit den Worten:

"... Wie gesagt: Die Kirche sollte voll sein, wenn wir anfangen zu predigen. Es ist gut für die Demokratie, wenn Sendungen wie 'Tagesthemen' und 'Heute-Journal' ein großes Publikum haben."

Dieses in mehrererlei Hinsicht unglückliche Kirchen-Bild hatte Kleber in der Tat schon zuvor verwendet ("Marietta Slomka hat einmal gesagt: Die Kirche soll voll sein, wenn wir predigen"). Und die Süddeutsche druckt es heute auf ihrer Titelseite ganz oben - vielleicht, weil es leicht provokant klingt kurz vor Ostern.

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[+++] Mehr ZDF-Stoff im Altpapierkorb. Wo es jedenfalls voll sein und auch fürs Staatswesen um etwas gehen wird: ab 17. April im Gerichtssaal A 101 im Münchner Justizkomplex. Der Streit um die ausschließlich von einheimischen Medien ergatterten Akkreditierungen, wie es Event-gemäß heißt, beim NSU-Prozess in München (Altpapierkorb gestern), schlägt Wellen. Er stellt sozusagen auch die Vielkanaligkeit des des öffentlich-rechtlichen Mediensystems in Frage.

"Es gibt aber auch Presseorgane, die mit zwei Vertretern dort sind, es gibt freie Journalisten, die zugelassen wurden, die ARD ist mit fünf Anstalten akkreditiert. Und die türkische Presse ist gar nicht vertreten",

beklagt Celal Özcan von der Hürriyet im sueddeutsche.de-Interview. "Gericht lässt türkische Medien nicht zu - aber fünf ARD-Sender", überschreibt der Tagesspiegel einen Bericht, der die Akkreditiertenliste weitergehend interpretiert ("...Als 'freie Journalisten' firmieren ein Paparazzo und der Referent der Linken-nahen 'Rosa-Luxemburg-Stiftung'...").

Immerhin, die Hürriyet (die zuletzt hier im Altpapier öfters vorkam, weil sie gerade erst ihre bei Frankfurt ansässige Europa-Redaktion schloss) bekam inzwischen gleich mehrere Angebote für einen Platz im Gerichtssaal. Sowohl die ihr nahestehende Bild-Zeitung als auch der (als besonders buntes Beispiel für akkreditierte Berichterstatter geeignete) Radiosender Arabella kündigten öffentlich an, ihren Platz an die türkischen Kollegen abgeben zu wollen. Der freie Journalist Christian Fuchs, Co-Autor des Buchs "Die Zelle", will seinen Platz mit ihnen teilen (SPON). "Doch das Gericht lässt den Tausch nicht zu!", schreibt die Bild-Zeitung, was ihr Angebot betrifft.

Einen pragmatischen Ausweg aus der verfahrenen Lage, zu der eben auch gehört, dass ein Gericht schlecht selbst die geeignesten Berichterstatter auswählen kann, hat Christian Rath auf der Meinungsseite der TAZ. Er plädiert für eine Videoübertragung, die das Münchener Gericht offenbar der deutschen Rechtslage wegen auch nicht für möglich hält (z.B. der TAZ gegenüber). Doch, meint Rath, sei

"eine Übertragung innerhalb des Gerichtsgebäudes auch zulässig. Schließlich überträgt das Bundesverfassungsgericht den Ton seiner Verhandlungen schon seit Jahrzehnten in den Arbeitsraum der Journalisten. Und Karlsruhe wird's wohl wissen."

Am Morgen kam auch ein in der heutigen SZ-Zeitungsausgabe noch nicht auf S. 5 enthaltener Heribert-Prantl-Kommentar ähnlichen Tenors ("Angst vor Videoübertragung ist überflüssig") herein.

[+++] Es ist ja schön, wenn auch in gedruckten Zeitungen mal etwas zwischen den Zeilen steht. In Felix Dachsels berührender "Liebeserklärung" "Die Medienkrise ist eine Chance für Journalisten" auf der TAZ-Medienseite scheint eine Menge zwischen ihnen zu stehen. Was in Zeilen steht wie:

"Journalisten werden ewig gebraucht, immer und überall, solange es Missstände gibt. Wie es Ärzte gibt, solange wir krank sind. Wie es die Küstenwache gibt, solange wir aufs Meer fahren. Journalisten verfluchen Autoritäten. Sie sind Optimisten...",

deutet auf ein Abschiedsschreiben hin, um das es sich offenbar handelt. Ob gar seine auf flxdax.wordpress.com im Januar beschriebene Parteizugehörigkeit damit zusammenhängt - ebenfalls unklar. Jedenfalls: Alles Gute.

 


Altpapierkorb

+++ Zurück zum ZDF: zumindest zum Jubiläum also nur Jubel in der Presse? Nein, die eigentlich Öffentlich-Rechtlichen-freundliche TAZ bringt eine Anti-Eloge. Jürn Kruse schildert den "Geburtsfehler des ZDF, ein rein politisch gewollter Sender zu sein", und wie er "bis heute nachwirkt", in deftigen Worten ("Der Sender war schon angegammelt, als er 1963 frisch gebacken aus dem Ofen kam"). Ein paar aktuelle Beispiele, wie sich das im Programm auswirkt, und die Frage, ob sich das bei der ARD anders verhält, hätten dem Text freilich nicht geschadet. +++

+++ Intendanten-Interviews gibt's natürlich auch. Das aus der nicht in Frankfurt, sondern in Mainz erscheinenden Allgemeinen Zeitung gestern wurde gern aggregiert, zitiert und agenturmäßig vermeldet, etwa wegen der kleinen Spitzen gegen Pilawa. Vielleicht jedoch Thomas Belluts steilste Sentenz darin: "Die Zukunft muss nicht in der Verpflichtung eines bekannten Moderators liegen. Sie kann auch daraus bestehen, neue Begabungen zu entdecken. So haben wir's mit Markus Lanz gemacht." Lanz hatte das ZDF ja beim luxemburgischen Nischensender RTL entdeckt. +++ Ein großes, mehr als siebenseitiges Interview steht  in der aktuellen epd medien-Ausgabe. Da erzählt Bellut so einiges Erstaunliche übers frühere Programm ("Ich habe mich jahrelang dafür engagiert, die interessanten Dokumentationen des Kleinen Fernsehspiels früher zu platzieren. Sie waren aber immer 90 Minuten lang und die Autoren waren nicht bereit, das zu verändern...") und übers beinahe gegenwärtige ("'Roche und Böhmermann' wäre ins Hauptprogramm gekommen, wenn sich die Moderatoren nicht zerstritten hätten. Man erlebt ja viel in diesem Beruf, das war mal wieder was Neues: dass sich zwei Moderatoren kurz vor der Beförderung ins Hauptprogramm zerstreiten..."). Bleiben könnte eine neue Formulierung für das sog. jüngere Publikum, das das ZDF bekanntlich nicht so oft einschaltet, aber, wie Bellut mit Hinweis etwa auf UMUV gern erwähnt, manchmal schon: "die Jahrgänge, die nicht ständig bei uns sind". +++ Bewusster Jan Böhmermann geht künftig sowohl beim ZDF-Nebensender Neo als auch bei einem digitalen ARD-Nebensender auf Sendung bzw. steht im Zentrum eines "kleines Senderstreits" (meedia.de). +++

+++ Das Icon der Bild-Zeitung gleich nebem dem der NZZ, das Neue Deutschland auf Augenhöhe mit, nur zum Beispiel, der Grazia: ... Niiu ist wieder da. Hendrik Tiedemanns und Wanja Oberhofs vor Jahren als physisch abonnierbares Druckerzeugnis gestartete Projekt einer "individuellen Tageszeitung", wie es der (ebenfalls dazu wählbare) Tagesspiegel nennt. Jetzt ist niiu eine App. +++

+++ "Theater, Kino, Fernsehen – Caroline Peters will das alles und will 'es so lange durchziehen, wie es irgend geht'": Der Tsp. bringt nun ebenfalls ein Porträt der "Mord mit Aussicht"-Hauptdarstellerin, die heute in der ARD im Thriller "Im Netz" zu sehen ist. +++ "Gerade in Deutschland, wo die Debatten rund um die Bereiche Internet und Datenschutz oft an der Grenze zur Hysterie geführt werden, trägt so ein Spielfilm zum Auftakt eines Schwerpunktabends sicher nicht zu einer gelassenen Grundstimmung bei den Zuschauern bei", meint die TAZ zur Thrillerhaftigkeit des Films. Sie ließ sich aber von der WDR-Redakteurin Barbara Buhl sagen, dass die Zuschauer "genrefest" sind "und erkennen, dass 'Im Netz' keine Doku, sondern in erster Linie ein unterhaltender Thriller sein soll". +++

+++ "In dieser Gegend weiß man nie, wann das Verbrechen zuschlägt. González hatte gelernt, auf der Hut zu sein, möglichst diskret Fragen zu stellen. Doch auch das nützte ihm nichts...", das könnten genrefeste Thrillerfans auch in Schweden verorten, vom Eigennamen mal abgesehen. Der Satz stammt aber aus dem nichtfiktionalen Tsp.-Bericht aus der von Drogenkartellen tyrannisierten Medienlandschaft Mexikos. +++

+++ "Caroline von Behring freilich, die Vorsitzende des Nobelkomitees, hat für die Schönheit des Raums keinen Blick. Unappetitlich liegt sie am Abend des Nobelbanketts auf den Bodenfliesen des 'Goldenen Saals', seufzt und stöhnt und stirbt, und ihrem schwerverletzten Tanzpartner, einem israelischen Stammzellforscher, der sich gerade auf dem Höhepunkt der Karriere wähnte, geht es nur unwesentlich besser...": Das aber ist Schwedenkrimi bzw. ein Auszug aus der zurückhaltenden FAZ-Empfehlung der "Annika Bengtzon"-Krimis, die ab morgen um 21.45 Uhr in der ARD laufen (und also die "Tagesthemen" durch den Abend schieben, um möglichst viel Krimi-Publikum mitzunehmen). +++

+++ Wiederum eher Fakt als Fiktion, freilich von den Urhebern mit Fiktionen verwoben: der Anschlag auf Til Schweigers Hamburger Haus. "Dass das Bekennerschreiben an die Hamburger Morgenpost ging, ist ebenfalls typisch für das linksradikale Milieu: Als einzige große Tageszeitung der Stadt gehört sie nicht zum Springer-Verlag", weiß die bunte Seite der SZ. +++

Neues Altpapier gibt's wieder am Donnerstag.
 

 

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