Ein Anrufer und ein Schweiger

Ein Anrufer und ein Schweiger

Il Tschweigers "Tatort"-Premiere kommt eher gut an bei den Rezensenten, jedenfalls nicht halb so schlecht, wie er bei nächster Gelegenheit wieder tun wird. Und ein Anruf eines Politikersprechers beim RBB lässt Erinnerungen an die Seehofer-ZDF-Affäre vom Herbst aufkommen – wegen der Vergleichbarkeit der Fälle lässt sich der Meinungsbildungsprozess vielleicht diesmal etwas beschleunigen. Zudem: Gründe gegen die Einstellung der Funkkorrespondenz.

Fuck als erstes Wort. Nichts für ungut, aber können wir auch. Wer noch nichts über den gestrigen "Tatort" gelesen hat, fragt sich jetzt womöglich: Fuckofant noch eins, warum wird denn hier so herumgepöbelt? Aber das muss so, es geht um den ersten Auftritt Til Schweigers als Hamburger Cop.

Um Til Schweiger aka Nick Tschiller kommen wir hier jedenfalls heute nicht herum, und dies schon mal vorab: Wenn Il Tschweiger noch einmal sagt, "die Feuilletons" würden ihn nicht fair behandeln, dann möge ihm der Riechkolben aus dem Gesicht fallen – sein Premieren-"Tatort" kommt nicht einmal ansatzweise so schlecht weg wie er gerne beleidigt guckt.

Vorher aber eine andere Mediengeschichte: Brandenburgs Ministerpräsident Matthias Platzeck habe im vergangenen Mai den Seehofer gemacht, genauer gesagt, sein Sprecher dessen Sprecher, berichtet der Spiegel (hier zitiert aus der Onlineversion):

"Brandenburgs Regierungssprecher Thomas Braune hat sich im Mai vergangenen Jahres über das Vorgehen eines RBB-Redakteurs bei RBB-Chefredakteur Christoph Singelnstein beschwert."

Worüber er sich beschwert hat, ist nicht egal, aber eigentlich auch nicht so wichtig – beschweren darf man sich ja, auch wenn's mindestens ungeschickt ist, wenn es Politiker bei öffentlich-rechtlichen Sendern probieren, die ja ihre eigene Verquickungsgeschichte miteinander haben. Wenn daraus keine Konsequenzen für die Berichterstattung folgen, bleibt jede Beschwerde allerdings belanglos. Anders sieht es nur aus, wenn es doch Konsequenzen gibt – wie wohl in diesem Fall:

"Platzeck reagierte ungehalten auf die Frage, während die Kamera schon lief. In den frühen Regionalnachrichten sahen die Bürger einen patzigen Platzeck. Nach Braunes Intervention wurde der Beitrag umgeschnitten, in der späteren Berichterstattung fehlte das Gemurre des Ministerpräsidenten."

Und da wird's dann panne. "Singelnstein", also der RBB-Chefredakteur, "bestätigte den Vorgang und sprach in diesem Zusammenhang von einer 'Überfall-Situation' in der sich Platzeck befunden haben", greift sz.de auf. Unplausibel ist das nicht: Man ändert die Berichterstattung, weil man einen eigenen Fehler als solchen anerkennt. Intern sei der Vorgang "kontrovers diskutiert" worden, heißt es, die Berliner Zeitung etwa greift via epd diesen Aspekt auf und zitiert einen RBB-Sprecher, der sagt, es entbehre" jeder Grundlage", zu glauben, die Regierung habe Einfluss "auf journalistische Entscheidungen des Senders". Dennoch lässt sich der RBB von der Kritik nicht ausnehmen. Der Vergleich muss erlaubt sein: Die Dokumentation über einen Hühnermastbetrieb oder einen Onlinevertrieb, aus der murrende Firmenvertreter im Nachhinein herausgeschnitten wurden, nur weil die es fordern, die muss erstmal einer finden.

Für ein vorläufiges Fazit hilft es, in den Oktober und den November zurückzublättern und sich anzuschauen, was da so geschrieben wurde: Damals versuchte der Seehofer-Sprecher – erfolglos –, auf die ZDF-Nachrichten telefonisch Einfluss zu nehmen; wenig später wurde bekannt, dass der bayerische Minister Markus Söder einst beim Bayerischen Rundfunk hatte vorsprechen lassen, und der von seiner Sprecherin beanstandete Beitrag wurde anschließend tatsächlich – womöglich, wie es damals durchaus glaubwürdig hieß, aus journalistischen Gründen – nicht mehr gesendet. Die Altpapiere von damals kann man einfach heute noch einmal lesen, wenn man wissen will, wie die Diskussion über den aktuellen Fall weiter- oder ausgehen könnte ("Die CSU und der 'Tatort'", 25.10., über die sog. "ZDF-Affäre"; "Ruf doch mal an...", 29.10., über die Anrufe von Söders Sprecher beim BR; "Schlimmer als Wahlkampf", 5.11.2012, über Söders Briefe an den ZDF-Intendanten).

Am Ende der Meinungsbildung standen damals an dieser Stelle, a) dass die strukturelle Politiknähe der Öffentlich-Rechtlichen das Problem ist, weniger die Anrufe (siehe etwa taz 1, taz 2). Und b) kein schlechter Vorschlag von Sebastian Esser:

"Es würde eine halbe Stunde dauern, Sender-Blogs einzurichten, in denen die öffentlich-rechtlichen Redaktionen Anrufe, SMS oder E-Mails aus der Politik dokumentieren. Besonders bei den politischen Talkshows wäre das sehr interessant. ARD, ZDF, worauf wartet Ihr?"

Immerhin, was jetzt kommt, handelt von Venezuela: "In bedeutenden Momenten erklingt die Nationalhymne, dann schalten automatisch sämtliche Kanäle auf die Stimme der Regierung." Wie die Staatssender dem toten Hugo Chávez huldigen, davon handelt der Artikel der Süddeutschen Zeitung, dem die Passage entnommen ist.

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+++ Was die deutschen Medien zusammenschweißt, ist der "Tatort". Angesichts der Fülle der Til-Schweiger-Krimikritiken, die kaum ein Medium ausließ, sollte man vielleicht auch noch auf jene Publikationen verweisen, die sich nicht verrückt machen lassen. Dazu gehört die Funkkorrespondenz, die immer wieder einmal genau das druckt, was auch wichtig ist, was aber sonst niemand macht, weil es nicht so knallt – eine komplizierte Debatte über die Medienpolitik der Zukunft; Rundfunkänderungsstaatsverträge im kompletten Wortlaut, zum Abheften für alle Branchenleute, die immer wieder einmal reinschauen müssen; und jetzt, zur Leipziger Buchmesse, da sich die Feuilletons die hottesten Buchknaller rauspicken, kümmert sie sich um die Hörbücher des Jahres. Bedauerlich, dass die katholische Kirche, die (wie auch die andere Kirche, deren Namen dem einen oder anderen Leser dieser Kolumne vielleicht schon einmal untergekommen sein könnte) Verdienste auf dem Gebiet der Medienpublizistik hat, über die Einstellung nachdenkt.

Der Tagesspiegel hat sich unter den Kritikern einer Abwicklung umgehört und zitiert etwa ARD-Programmdirektor Volker Herres, Lutz Hachmeister, den Direktor des Instituts für Medien- und Kommunikationspolitik Berlin, und RBB-Intendantin Dagmar Reim; letztere etwa hiermit: "Sie", also die Funkkorrespondenz, "sammelt Fakten, die andere leicht übersehen. Vor allem aber stellt sie immer wieder Zusammenhänge her, zeichnet das ganze Bild."

+++ Kommen wir zum Ende nun wirklich zum "Tatort" – hier ist eine kleine Rezensionsschau:

"Keiner muss 'Hurra' brüllen, keiner muss 'Scheiße' schreien." (Tagesspiegel)

"So viel wird darüber gemeckert, die Kommissare seien überpsychologisiert (Dortmund-Kommissar Faber, Keppler in Leipzig), und es werde immer so viel geredet und so wenig geschossen. Da soll Schweiger doch ruhig mal den Bruce Willis machen. Will ja sonst keiner. Und außerdem macht er das ja, für sich genommen, auch ganz gut." (taz)

"'Willkommen in Hamburg' ist ein solider Actionkrimi mit dem Tiefgang eines Papierbootes. Aber beim Zuschauen macht es Spaß." (Cicero.de)

"Til Schweiger, selbstironisch. Wirklich jede Menge Neues am Tatort diesmal." (SZ, die am Wochenende auch mit einer allgemeineren "Tatort"-Geschichte ihre Medienseitenleser beglückte).

"Leider ist nicht nur der Realitätsgehalt am Boden. Drei Tote am Anfang. Und kein Anflug von Logik in 90 Minuten." (Spiegel Online)

"Als Nick Tschiller ist Schweiger sehr passabel – und natürlich auch höchst quotenträchtig." (FAZ.net, das "die aktuell geläufige Sprachschlamperei" erwähnenswert findet, die sich in einer Textzeile zeige: "Unsere Beziehung macht keinen Sinn." Wozu zu sagen ist, dass "Sinn machen", auch wenn der eine oder andere Sprachbewahrer das nicht zu ahnen scheint, im Duden steht, also keineswegs eine Schlamperei, sondern lediglich eine Geschmacksfrage ist.

"Ein wenig fürchtete man ja vorab, dass Schweiger voll und ganz sein komödiantisches Potenzial (Keinohrhasen usw.) ausspielen könnte. Im Tatort zeigt er sich aber als das, was es in Deutschland eigentlich gar nicht gibt: als verdammt guter, grober, lässiger Action-Star. Man will mehr davon." (Zeit)

Und auch der Altpapier-Kollege Matthias Dell, der sich an anderer Stelle (Freitag) über aktuelle Entwicklungen des "Tatorts" und an weiterer anderer Stelle (Berliner Zeitung) über die Entwicklung des "Tatorts" mit speziell Schweiger Gedanken gemacht hat, ist durchaus angetan. Oder sagen wir: nicht negativ überrascht: "Willkommen in Hamburg ist ein sehr ordentlicher Sonntagabend, saubere Pflicht, keine überragende Kür, er macht vieles richtig oder, um unser leicht paranoides Gefühl besser auszudrücken: wenig falsch." (Freitag)


ALTPAPIERKORB

+++ Über eine Broschüre der Amadeu Antonio Stiftung mit dem Titel "Liken. Teilen. Hetzen. Neonazi-Kampagnen in Sozialen Netzwerken" berichtet der epd; die FAZ greift das auf: Es werde "in der Broschüre darüber aufgeklärt, was sich etwa hinter Schlagwörtern und Parolen wie Party-Patriotismus, Deutschenfeindlichkeit, 'Halalfreie Zone', 'Keine Gnade für Kinderschänder' versteckt oder warum sich Neonazis neuerdings im Naturschutz engagieren" +++

+++ Sind deutsche Medien so neutral, wie sie vielleicht glauben, wenn sie über die USA und Russland berichten? Walter von Rossum hat sich für eine ausführliche Sendung des Deutschlandfunks ("Zweierlei Maß?") Medienkommentare angesehen und fragt: "Ist der Skandal um Pussy Riot tatsächlich so viel kritikwürdiger als Guantanamo, die Waffenlieferungen an Syrien verwerflicher als die an Saudi-Arabien?" +++ Die Hürriyet schließt ihre deutsche Redaktion in Frankfurt: "(D)ie deutsche Hürriyet-Ausgabe war über Jahrzehnte das wichtigste Sprachrohr, wenn es um die Belange der türkischstämmigen Minderheit in Deutschland ging. In Frankfurt wurde Meinung – und oft genug Politik – gemacht" (taz) +++

+++ Spaßmacher of the week: Konstantin Neven DuMont für seine Bewerbung als WDR-Intendant (Interview im TSP) +++

+++ Wie relevant diese Meldung ist, weiß man wohl erst, wenn die Sendung anläuft, falls sie anläuft: Thomas Gottschalk und Günther Jauch – die beiden kennen sich noch aus dem Bayerischen Rundfunk – sind für RTL womöglich interessant als "Joko und Klaas für die ältere Generation" (Spiegel) +++

+++ Günther Jauch habe sich durch die Einladung Carsten Maschmeyers in seine Talkshow beim eigenen Sender unbeliebt gemacht, schreibt Spiegel Online. Demnach "schlug die Einladung Wellen bis in die Spitze des NDR, in den Gremien des Senders sorgte sie für Unverständnis. Der Tenor: Warum gibt Jauch bei einer Sendung über exzessive Managergehälter einem Mann ein Forum, der mit umstrittenen Geschäftsmethoden Millionen gemacht hat? Besonders ärgerlich sei, heißt es, dass der NDR als verantwortlicher Sender damit seine kritischen Beiträge zu AWD und Maschmeyer konterkariere." Christoph Lütgert, der die besagten Beiträge machte, nennt Jauch zur Strafe "RTL-Quizonkel" +++

+++ Dazu irgendwie passend, wobei – nein, es gibt keinen Zusammenhang: BR-Intendant Ulrich Wilhelm sprach sich in einem ganzseitigen FAZ-Interview (Samstag) u.a. für weniger ARD-Talkshows aus (online eine Zusammenfassung), Update: Das Interview ist in Gänze online). Wobei relativ relevanter ist, dass er eine Kooperation der Öffentlich-Rechtlichen mit den Zeitungsverlagen gedanklich wieder aufleben lässt: "Es ist doch zum Beispiel unverkennbar, dass Zeitungen bei ihren Onlineauftritten immer stärker auf Bewegtbilder setzen. Es wäre lohnend, darüber nachzudenken, wo wir unser unbestrittenes Know-how in diesem Bereich auch den Zeitungen zur Verfügung stellen können" +++

+++ Weitere Artikel aus dem Spiegel, der heute wieder einmal für die Mediennews des Montags verantwortlich ist: Fernsehproduzent Nico Hofmann tue "sich schwer" mit Quentin Tarantino; Hofmann wolle mit dem "geplanten Achtteiler über Adolf Hitler 'zum Kern vorstoßen'". Was Tarantino von Hofmann hält, ist nicht überliefert +++ Der Stern soll am Donnerstag nur 1 Euro statt 3,50 Euro kosten: "die Illustrierte (...) will ihren aufwendigen Relaunch mit Kampfpreisen flankieren", schreibt das Magazin +++ Und der Sächsische Rechnungshof kritisiere Geldgeschäfte des MDR +++

+++ Im Fernsehen: Im Medienseitenaufmacher porträtiert Hans Hoff den RTL-Reporter Jenke von Wilmsdorff, der eine eigene Sendung bekommt, "Das Jenke-Experiment" (RTL, 21.15 Uhr): "'Halten Sie mal', sagt er, und auf einmal hat man ein paar echte Pfunde in der Hand. Ein schwerer Babybauch ist in die Weste eingearbeitet, die der Mann, den alle nur Jenke nennen, eine ziemliche Weile getragen hat. Um mal zu sehen, wie das so ist, wenn man schwanger ist. Er wollte halt wissen, wie man sich so fühlt als Frau. Solche Fragen stellen sich auch andere Journalisten. So ist Sven Kuntze für die ARD ins Altersheim gegangen, hat sich Ranga Yogeshwar für den WDR und die Wissenschaft fahruntüchtig getrunken, aber keiner geht mit derartiger Vehemenz auf die Suche nach Antworten wie Jenke" +++ Auch der Tagesspiegel schreibt über die neue Sendung, was dafür spricht, dass es einen größeren PR-Termin gab +++ Die FAZ bespricht "Das System – Alles verstehen heißt alles verzeihen" (ZDF, 0.05 Uhr): "Das Thema des Films ist die DDR, aber es geht nicht um das Land, sondern dem Namen nach um 'das System', das sich als hochkompatibel mit dem Kapitalismus entpuppt und das so wenig verschwand wie die Menschen, die es betrieben" +++ "Das Fernsehen wiederum könnte im Erfolg der Fernsehserien das Ende des eigenen Geschäftsmodells erahnen. Denn wenn man die Sachen alle auf einmal im Netz haben kann, braucht man eigentlich auch keine Fernsehsender mehr. Google scheint das mit seinen Fernsehprojekten ähnlich zu sehen, und auf dem Apple-Fernseher sind klassische Fernsehsender nur noch eine von sehr vielen anderen Quellen für bewegte Bilder": Peter Richter im SZ-Feuilletonaufmacher über Kevin Spaceys Internetserie "House of Cards" +++

+++ Die SZ-Medienseite bespricht launig Waldemar Hartmanns "launige Abrechnung mit ein paar missgünstigen, eitlen oder unfähigen Kollegen und Chefs", erschienen in Buchform +++ Und die FAS schreibt über "Spex – Das Buch" +++

Das Altpapier gibt es wieder am Dienstag.

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