Der Journalist als Schmeißfliege

Der Journalist als Schmeißfliege

Zwischen den Zeilen: Welches Bild hat der Tatort vom Journalisten? Und welches das Bundesverwaltungsgericht von der Pressefreiheit? Außerdem: gewagte Metaphern, große alte Irgendwasse und der sinnlose Tod von Twitter

Der aufmerksame Follower dieser Kolumne wird um die – wenn nicht präfetischhafte – Vorliebe für die missratene Metapher wissen, um die Begeisterung für sprachliche Bilder, die es aus der Kurve der Vorstellungskraft trägt, weil sich die schicke Form, in die Sinn mit aller Gewalt gekloppt werden soll, verweigert und birst wie eine Bockwurst beim ersten Anschneiden.

Folglich muss einem das Herz aufgehen, wenn Nikolaus von Festenberg im Tagesspiegel über die ARD-Vorabendserie "Zwischen den Zeilen" schreibt:

"Wenn Mord das Öl der fiktiven Fernsehunterhaltungsmaschine ist, dann raffiniert der WDR ein besonders erfolgreiches Leichtbenzin: die Kriminalkomödie."

Sehr raffiniert, "raffiniert" hier – passend zum aufgerufenen petrolchemischen Register – wieder an die Bedeutung zu erinnern, die wir vergessen haben, wenn wir nach einem Synonym für "clever" suchen. Und hübsch auch, die Petrolchemie in drei Akten zu performen (Öl, raffiniert, Leichtbenzin) – nur sträubt sich irgendwas in uns, so was – hey, hey – Aggregatunzuständiges wie Mord als Öl zu denken.

Was aber klar wird – und einnimmt: Festenberg gibt Gas. Die Kritik der ARD-Vorabendserie ist nicht nur Programmhinweis oder Schauempfehlung, vielmehr geht es ums Großeganze, also den ARD-Vorabend, diese chronisch kranke Problemkind, bei dem der Schnupfen, den es irgendwann bekommen haben muss, nicht mehr weggeht, obwohl jede neue Behandlung (Gottschalk, Krimikomödien) auf Linderung zielt.

"Der Lyriker Gottfried Benn hat über die 'Blaue Stunde', über die Scheide zwischen Tag und Abend, einmal gedichtet: 'Und wenn sie ging, weiß keiner, ob sie war.' So ist das auch mit dem Fernsehvorabend. Krumme Anfangszeiten im TV, hoch komplizierter Achsenmoment in der Alltagswirklichkeit, zwischen Feierabend und hauptabendlicher Entspannung. Junge Menschen – wegen der Werbung als Zuschauer hochbegehrt, aber gerade um diese Zeit im Verabredungsstress – sitzen seltener vor der Glotze."

Das ist Festenbergs Größe: Es werden auch die psychosozialen Bedingungen des ARD-Vorabends diskutiert. Und es geht noch weiter hinaus.

"Dem Krimigenre, was Wunder, merkt man außerdem seine Erschöpfung an. Der Mord-Blut-Ölmarkt ist aufgeteilt. Die Skandinavier mischen den immer gleich schweren, rußigen und brutalen Diesel an, die ambitionierten 'Tatort'-Anlagen füllen das Psycho-Super ab: verrückte Welt, verrücktere Kommissare. Und das gute alte Trimmel-Haverkamp-Folkerts-Normalbenzin – ungeil. Manierismus scheint zur Zeit das schier unausweichliche Schicksal."

Da wird's dann knifflig, denn den Unterschied zwischen dem Guten Alten und heute kann man sicherlich in "Geilheit" messen. Fürs Verständnis taugte es vielleicht aber auch, sich die Produktionsbedingungen zwischen damals und heute anzuschauen, Drehbuchkulturen etwa oder Ausstattungsmöglichkeiten.

Ins Geschmäcklerische wendet sich Festenbergs "Zwischen den Zeilen"-Begeisterung dann, wo er die Kritiken an der Serie, die er selbst ganz lustig findet, ohne Argument zum "modische[n] ARD-Bashing" rechnet.

Festenbergs Blick auf die Journalistendarstellung in der Serie zeigt sich eher, gähn, zwischen den Zeilen. Performativ könnte man bei ihm einen Zug ins Schirrmacherhafte erkennen: hochtourig und bei den Details nicht so genau. (Die "gar nicht so grenzdebile Sekretärin" wird nicht von Jennifer, sondern von Constanze Behrends gespielt. Und Felmys Essener Kommissar schrieb sich Haferkamp, nicht Haverkamp wie etwa der – sicco! – Metapherntheoretiker Anselm, gez. Joachim Rohloff). Und Beschreibungen wie die folgende würden den in der Serie gezeigten Journalisten wohl nicht mit Begriffen wie "unrealistisch" oder "Klischee" kommen:

"Ole Puppe spielt eine gekränkte Edelfeder, die sich, in die Provinz nach Aachen abgeschoben, saufend und leicht korrupt den Wonnen der Regression hingeben will, aber von der ehrgeizigen Jungjournalistin (Josephine Schmidt) auf das Investigativste gestört wird."

An den Journalisten-Klischees stört sich dagegen Zapp-Autor Boris Rosenkranz, der einen hübschen Beitrag über die "Schmierfink"-Variationen im Tatort gemacht hat. Beeindruckend ist daran die Serialität der Dämlichkeit, die sich unter dem Suchbegriff "Journalist" in der beliebten Sonntagabendreihe finden lässt.

Daraus eine These oder gar ein Problem abzuleiten, muss wohl aber an der Heterogenität der einzelnen Tatort-Folgen scheitern, die selbst Koordinator Gebhard Henke nicht mehr zusammengebunden kriegt. Wobei die Erkenntnis, dass es sich um Fiktion handelt, vermutlich nicht nur auf Journalistendarstellungen zutrifft.

Der Henke-O-Ton ist in vollerer, 23-minütiger Länge auf der Zapp-Sendungsseite zu finden. Und in manchen Details schon bemerkenswert: Wie der Tatort-Koordinator etwa die Nähe von Journalistenfiguren und Polizeiermittlern beschreibt, die schlüssig ist, zu der uns aber kein Tatort der jüngeren Zeit einfiele, der dieses Muster so erzählt hätte, wie Henke es beschreibt, sondern immer nur Bilder und Stimmungen aus irgendwelchen amerikanischen Filmen – was dann eben auf eine irritierende Weise bezeichnend ist, dass der deutsche Fernsehmacher, wenn er über Standards seiner Arbeit spricht, von amerikanischen Filmen zu reden anfängt.

Auch interessant, dass Henke selbst davon spricht, dass "Türken" im Tatort nicht immer nur Gemüsehändler sein sollten, sondern auch mal was ganz, äh, Normales wie Akademiker oder Unternehmer, dass einem dann aber auch dazu nicht umgehend Beispiele aus der Praxis des Tatorts einfallen. Dabei scheint Henke ein zugänglicher Mann: Dem Zapp-Autor Rosenkranz gesteht er zu, allein durchs Gespräch schon sensibilisiert worden zu sein für upcoming Journalistendarstellungen. We'll see.

Gemischte Gefühle in Sachen Selbstwahrnehmung verschafft dem Journalisten auch das gestrige Bundesverwaltungsgerichts-Urteil in der Frage, wie sich der BND zur Anfrage eines Bild-Mannes zu Nazi-Vergangenheit im Amt zwischen 1950 und 1980 verhalten darf.

Wolfgang Janisch schreibt in der SZ:

"Im Ergebnis hat Saure [der Bild-Mann, AP] den Prozess nun trotzdem verloren."

Hat aber trotzdem verhalten Grund zur Freude:

"Im Grundsatz aber verweist das Gericht auf die 'besondere Bedeutung der Presse in einem freiheitlichen demokratischen Staatswesen'. Hieraus folge die Pflicht des Staates zur Erteilung von Auskünften. Wenn spezielle Vorschriften fehlten, dann gewähre das Grundgesetz einen einklagbaren Anspruch ... Damit erklärt das Gericht indirekt doch wieder den Maßstab für anwendbar, wie er sich aus den Landespressegesetzen ergibt."

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Die Erklärung, warum der Prozess verloren ging, liegt in der Unterscheidung zwischen Information und Untersuchung: Für die Information, die der Bild-Mann erfragen wollte, hätte der BND eine Untersuchung anstrengen müssen, die den Begriff des Auskunftgebens offenbar überschreitet. Das wäre angesichts des Themas symptomatisch, praktisch aber durchaus nachvollziehbar.

Jost Müller-Neuhof erklärt die ganze Geschichte im Tagesspiegel sehr geduldig mit Frage und Antwort. Die Entscheidung über Sieg oder Niederlage der Pressefreiheit ist nicht leicht zu fällen:

"Ob die Pressefreiheit eher gestärkt oder geschwächt sei, ließ ein Gerichtssprecher nach Verkündung des Urteils offen. Der Anwalt des Klägers, Christoph Partsch, sprach dagegen von einem 'großen Erfolg für die Pressefreiheit', weil der Auskunftsanspruch unmittelbar aus der Verfassung nun anerkannt sei. 'Die Bundesbehörden bleiben zur Auskunft verpflichtet', sagte Partsch. Trotzdem kündigte er an, für seinen Mandanten voraussichtlich eine Verfassungsbeschwerde in Karlsruhe erheben zu wollen."

Aus Sicht von Klägers Anwalt scheint das Untersuchungsauftragsargument des BND nicht zutreffend:

"Er sei überrascht, dass die Anfrage seines Mandanten nicht als journalistischer Auskunftsanspruch behandelt worden sei. Die erbetenen Informationen lägen in der Behörde vor, sie müssten nur zusammengeführt werden."

Christian Tretbar schließt im Tagesspiegel die Frage nach Einsicht in die Planungsakten des noch nicht eröffneten Berliner Flughafens BER an.

Wenig euphorisch kommentiert Christian Bommarius in der Berliner:

"Interessant und gefährlich ist freilich die Bemerkung der Richter, garantiert sei nur 'ein Minimalstandard an Auskunftspflichten'. Sollte das bedeuten, dass der Informationsanspruch gegenüber Bundesbehörden nach der Leipziger Entscheidung nunmehr beschränkt ist, dann wäre das nicht akzeptabel. Das Urteil hätte es verdient, vom Bundesverfassungsgericht schnellstmöglich überprüft zu werden."

Daniel Schulz ist sich in der TAZ sicher:

"Die Pressefreiheit wurde gestärkt. Nein, falsch, die Pressefreiheit wurde geschwächt."


ALTPAPIERKORB

+++ Toll für Journalisten gedruckter Zeitungen liest sich eine Nachricht in der FAZ (Seite 31): "Allen angeblichen Enthüllungen und Erregungsstürmen aus den sozialen Netzwerken zum Trotz: Wer sich informieren will, nutzt vorzugsweise traditionelle Medien." Klingt wie die große Wende, heißt auf dem Papier aber dann – wir hätten nach dieser Ankündigung eine größere Zahl erwartet – lediglich: "Das '2013 Edelman Trust Barometer' hat die Antworten von 5800 Teilnehmern einer Online-Umfrage aus 26 Ländern ausgewertet, die zwischen 25 und 64 Jahre alt und gut ausgebildet sind sowie dem Einkommen nach zum oberen Viertel in ihrer Altersgruppe zählen. Dabei liegen die traditionellen Medien mit 58 Prozent in der Nutzergunst gleichauf mit den Suchmaschinen im Internet. In den Industriestaaten allerdings haben Erstere mit 51 Prozent gegenüber 47 Prozent die Nase vorn." +++ Umfragen – wie sinnvoll sind sie? Die TAZ hat auch eine gelesen, die sich dann unter dem Überschrift "Liebling Jauch" so darstellt: "Günther Jauch ist laut einer Umfrage Deutschlands beliebtester Talkmaster. Seine nach ihm benannte ARD-Sendung sehen 29 Prozent am liebsten, wie eine Untersuchung des Marktforschungsinstituts YouGov ergab." Die weiteren Plätze: Plasberg 9 Prozent, Lanz 8, Raab 7. Kann man doch Zweifel kriegen, ob beliebt hier nicht einfach nur Prominenz meint, also die Freude darüber, überhaupt einen Namen nennen zu können auf die völlig irrelevante, weil hausgemachte Frage, wer denn der liebste Talkshowmoderator sei? +++

+++ Irrelevant und hausgemacht – trifft nicht zu auf Frank Schirrmacher, dem Jörg Sundermeier in der TAZ einen Pressespiegel verfasst hat, der mit dem denkwürdigen Satz beginnt: "Er gilt, obschon erst knapp über fünfzig, bereits als der große alte Mann des deutschen Feuilletons." Echt? Irgendein Rohloff'sches Kneifen sagt uns, dass Frank Schirrmacher als alles Mögliche gelten kann, wird und muss, bloß nicht als "der große alte Mann" von irgendwas. Zumindest haben wir noch keinen Szenekenner getroffen, der eine solche Floskel, die man selbst bei Wolf Schneider schon nicht mehr glauben würde, obwohl der wenigstens alt ist, in Zusammenhang mit dem FAZ-Mitherausgeber bringen würde. +++ Irgendwie auf Schirrmacher geht auch der Aufmacher im Feuilleton der Zeit (Seite 45) zurück, in dem Alexander Cammann gleich den "Kapitalismus" rauszuhauen versucht gegen die Projektionen, die sich in der Feuilleton-Bubble eben projizieren lassen ("simpel gestrickte Fata Morgana") – ob das mit "Kapitalismus" dann so viel zu tun hat, würden wir nach Lektüre des Textes eher in Zweifel ziehen. +++

+++ Johannes Boie macht in der SZ vorsichtige Versuche, den Quotenbegriff als Ausdruck von Zuschauerwahrnehmung in Zeiten von Mediatheken und Internet zu erweitern. +++ Daniel Bouhs stellt in der Berliner über den neuen Monitor-Moderator Georg Restle vor (Seite 25), der immer noch unter der – letztlich völlig unsinnigen – Kürzung der ARD-Politmagazine von 45 auf 30 Minuten leidet. +++ Sonja Pohlmann schreibt im TSP über die neue Spitze der Spiegel Mitarbeiter-KG. +++ Die TAZ über den Stand im Bieterwettbewerb um die FR. +++

+++ Im Fernsehen läuft der Film von und mit Familie Hörbiger, "Meine Schwester". Spannend daran ist, wer aus welcher Perspektive die Familienverhältnisse erzählt. Egbert Tholl, der für die SZ (Seite 37) ein allerliebstes Dramolett verfasst hat: "Christiane: 'Der Loriot geht schon gern mit mir in die Modegeschäfte.' Sascha: 'In der Wiener Innenstadt weiß man sofort: Hier war der Hund von der Frau Hörbiger.'" Tholl erklärt aus Sicht der Patronin, also Christiane Hörbiger, das heißt Schwester (Maresa), Sohn (Sascha Bigler, der Regisseur) und Neffe (Cornelius Obonya, Schauspieler). +++ Sarah Mühlberger zäumt in der Berliner dagegen vom Regisseur her auf, also Mutter (Christiane), Tante (Maresa), Cousin (Cornelius Obonya). +++ In der FAZ, wer hätte das gedacht, switcht Heike Hupertz total demokratisch: Christianes Sohn (Sascha Bigler) und Maresas Sohn (Cornelius Obonya).+++

+++ Sehr lustig ist Stefan Niggemeiers Reaktion auf Christopher Lauers Twitter-Beerdigung von gestern (siehe Altpapier) in der FAZ: "'Twitter ist für mich gestorben.'" Es ist nicht ganz klar, warum für exakt diese Information nun nicht ein Tweet gereicht hätte, sondern offenbar ein mittellanger Gastbeitrag in der FAZ nötig war, insbesondere da Lauer bei der Gelegenheit ganz nützliche Fragen postuliert, die der Reduzierung des weltweiten Laberaufkommens dienen könnten: 'Ist es zu viel verlangt, dass sich alle, egal, in welcher Kommunikationsform, vorher folgende drei Fragen stellen: Muss es gesagt werden? Muss es jetzt gesagt werden? Muss es jetzt von mir gesagt werden? Und: Welcher Mehrwert entsteht denn durch diese permanente Nabelschau auf Twitter konkret und für wen?' Entweder fielen Christopher Lauers Antworten auf diese drei Fragen, die man sich an vier Fingern einer Hand abzählen kann, sehr überraschend aus. (Ich hätte sie jedenfalls an seiner Stelle vor dem Verfassen des Artikels beantwortet mit: nein, nein, nein und: 'Ach, aber in der FAZ?')". +++ Steffi Dobmeier wundert sich in der TAZ ebenfalls. +++

Der Altpapierkorb füllt sich morgen wieder.

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