Sind die Zonen wirklich grau?

Sind die Zonen wirklich grau?

Riesenskandal: Die ARD vermeldete Wahlergebnisse am Sonntagabend nicht – obwohl sie noch gar nicht vorlagen. Ein Geschäftsmodell für Onlinemedien entsteht, während ein Geschäftsmodell für "Wetten, dass..?" wohl ausläuft. Die WAZ lernt von Neon. Und das Dschungelcamp ist, bei allem Trash, eben auch wirklich Trash.

Yeah: "Das Bundeskartellamt hat keine Bedenken gegenüber dem Medienhaus Deutschland. Der Verkaufsstart kann damit offiziell beginnen", pressemitteilte dieser Tage das am morgigen Dienstag nicht nur an den Start gehende, sondern sicher auch seine Türen öffnende "Medienhaus Deutschland".

"Acht große Tageszeitungsverlage haben sich zusammengetan, um künftig Anzeigen gemeinsam zu akquirieren und zu vermarkten", fasst Wolfgang Michal bei Carta zusammen (es handelt sich übrigens um ACN, Axel Springer, DuMont Schauberg, Mediengruppe Madsack, Mediengruppe Pressedruck Augsburg, Verlagsgruppe Rhein Main, WAZ und die Zeitungsgruppe Stuttgart). Und er liefert auch eine erste Einschätzung der Architektur:

"Angeblich dient das Projekt nur der Vereinfachung, Zentralisierung und Kostenersparnis. Doch im Hintergrund des ambitionierten Großexperiments lauert längst ein deutsches 'Piano-Modell': ein gemeinsames Netzabo (=nationale Paywall), das die beteiligten Zeitungskonzerne (mit ihren rund 40 Tageszeitungen) unter sich aufteilen könnten. Das Medienhaus Deutschland wäre dann der Kern des lange gesuchten Geschäftsmodells für Onlinemedien."

Ob das so supi ist, beantwortet er allerdings noch nicht abschließend; es bedeutet schließlich eine Zentralisierung, die sich, unter welchen Umständen auch immer, theoretisch auch auf andere Bereiche – Inhalte – ausweiten ließe. Teresa Bücker beklagt in ihrem FAZ-Blog – anderes Thema und doch anschlussfähig – jedenfalls demonstrativ nicht die Abwesenheit eines Geschäftmodells für Blogs:

"Das Blog soll als Medium vor allem Vertrautheit schaffen und Gespräche stiften. In Blogs werden Diskussionen eröffnet, Fragen formuliert und Gedanken unvollendet publiziert. Blogs haben keine Freigabeschlaufe, sie machen verwundbar, sind wunderbar. Sie wirken im Regime der Leistungsgesellschaft fehl am Platz",

schreibt sie. Womit wir schon beim nächsten Thema wären: Regime der Leistungsgesellschaft. Diskussionen eröffnen. Keine Freigabeschlaufe. Wer bei diesen Zeilen in diesen Tagen nicht an die WAZ denkt, der kann kein Herz haben Medienjournalist sein. Die angekündigte Schließung der 120-köpfigen Redaktion der Westfälischen Rundschau bei gleichzeitiger Weiterführung des Titels (siehe Altpapier) lässt WAZ-Chefs zu drastischen Maßnahmen greifen. "Zensur in eigener Sache" kritisiert die taz online bzw. unter anderer Überschrift im Blatt: "Die WAZ-Gruppe will nicht, dass in ihren Zeitungen kritisch über die geplanten 'Umstrukturierungen' berichtet wird." Und in Stefan Niggemeiers Blog steht, mit Zeitungsseiten-Scans, die Geschichte einer nach Redaktionsschluss noch ausgetauschten Seite: Statt "Hohe Anteilnahme an Redaktions-Schließung" war demnach am Donnerstag in der besagten Rundschau für die meisten Leser eine Seite zum "Thema Wetter" zu lesen.

Sicher eine rein journalistische Entscheidung. Wetter – ich mein', gibt's was Politischeres? (Nachtrag von heute: Über eine Demo wurde dann doch berichtet.)

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Was ist an der Schließung der Westfälischen besonders? "Der einzigartige Skandal ist die beispiellose Respektlosigkeit gegenüber der Redaktion", kommentiert Frank Lübberding bei wiesaussieht: "Es ist für das WAZ-Management offenkundig völlig egal, welche Menschen welche Inhalte produzieren. Sie hat weder einen journalistischen, noch einen medienpolitischen Anspruch". Er konstatiert, das WAZ-Management habe "den Unterschied zwischen Klopapier und Zeitungen nicht verstanden". Nicht dass er damit nicht Recht haben könnte – aber wer weiß, wie groß der Unterschied ist?, "Neon Unnützes Wissen" gibt es jetzt jedenfalls auch als Klopapier (siehe Foto).

+++ Kommen wir unvermittelt zur niedersächsischen Landtagswahl vom gestrigen Sonntag. Wahl, das ist, wenn ARD und ZDF mal wieder alles falsch machen, wie Roland Tichy bzw. @rolandtichy vielleicht definieren würde, laut Twitterprofil "Chefredakteur der Wirtschaftswoche". Am Sonntag zum Beispiel hat die ARD, wie Tichy enthüllte, nicht das Wahlergebnis bekanntgegeben, obwohl das doch noch gar nicht feststand: "ARD sendet Lindenstraße statt Niedersachsenwahl. Wofür genau zahlen wir Rundfunksteuern?", fragte er sich am Sonntagabend und beklagte: "Wenn Wahl nicht so ausgeht wie die ARD es wünscht wird einfach Lindenstraße gesendet statt Wahlergebnis. Peinlich. #gez".

In der Tat peinlich, fragt sich freilich noch, für wen. Die ganze Sache mit den Öffentlich-Rechtlichen aber, die Ralf Mielke, ohne Schaum vor dem Mund, in Berliner Zeitung und Frankfurter Rundschau noch einmal zusammenfasst ("Was stimmt, ist, dass die beiden großen öffentlich-rechtlichen Sender – das kleine, aber feine Deutschlandradio kann hier ausdrücklich ausgenommen werden – in einer Akzeptanzkrise stecken, in die sie sich selbst hineinmanövriert haben"), schwelt jenseits solcher Skandale Wasimmerdasseinsoll weiter.

"Wetten, dass..?" ist einer der Bausteine dieser aktuellen Debatte. Wenn auf eines Verlass war in den vergangenen soundsovielen Jahren, dann, dass nach einer Ausgabe über die Show gesprochen wurde. Diesmal gibt es auch, aber nicht nur das gewohnte Naserümpfen oder Okayfinden. Harald Staun, zum Beispiel, sagt in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung in einem zornigen Beitrag: Abschaffung muss möglich sein.

"Würden Werbung und Sponsoring gestrichen, drohte [ZDF-Intendant Thomas] Bellut, als spräche er von einem Defizit im Gesundheitssystem, müssten eben die Beiträge erhöht werden. Nur eines kann man sich beim ZDF vermutlich noch weniger vorstellen als 'Wetten, dass..?' ohne Stars: ein Fernsehen ohne 'Wetten, dass..?'."

Der Grund für die Wut ("noch Zynismus oder schon Verblendung?") ist ziemlich genau eine Woche alt. Konnte man sich vergangenen Montag noch fragen, wie groß der Skandal nun sei, den der Spiegel damals rund um Schleichwerbung bei "Wetten, dass..?" enthüllt hat, weiß man heute: Es hat niemand vollherzig damit aufgeräumt. Die FAS nochmal:

"Wer (...) all die spitzfindigen Begründungen hört, mit welchen der Sender seine Kooperationspraktiken rechtfertigt, wird das Gefühl nicht los, dass sich die Werbeabteilung des ZDF in all den rechtlichen Grauzonen gar nicht so unwohl fühlt."

Die Frage, die wiederum der Spiegel heute aufwirft, ist eher: Sind die Zonen wirklich so grau?

"Aus dem Staatsvertrag ergibt sich für führende Medienrechtler eindeutig, dass ein Lanz oder Gottschalk bei Gewinnspielen den Preis eben nicht mit Wörtern wie 'wunderbar' oder 'sehr angenehm' hochjubeln durfte",

heißt es in der aktuellen Ausgabe, im sog. Nachdreh zum Titelthema der vergangenen Woche also, wo anschließend eine Reihe von Fachleuten zitiert werden – zusammengefasst in der Vorabmeldung, die auch online steht.

Während Hans Hoff in der SZ-Besprechung der Samstags-"Wetten, dass..?"-Ausgabe schreibt, dass das ZDF "ein neues Aufflammen der Debatte um Schleichwerbung (...) durch peinlich genaues Einhalten der Regeln" pariert habe ("Brav stand die Audi AG im Abspann als Produktionshelfer, und ein Filmchen, in dem das Auto für den Wettgewinner vorgestellt wurde, dauerte exakt 16 Sekunden"), lässt sich die Debatte davon also insgesamt von dieser Regeltreue wenig beeindrucken.

In der, ebenfalls, Süddeutschen war es am Samstag Schleichwerbeexperte Volker Lilienthal, der in einem Gastbeitrag schon ankündigte (siehe wuv.de), dass sie nicht vorüber sei; er schrieb von einem "schlimmen Controlling-Versagen des ZDF" und forderte, die Regeln zu überdenken und die aktuelle Diskussion als "Weckruf auch für die Medienpolitik" zu verstehen,

"die einen Fehler beging, als sie 2009 trotz medienkritischer Lektionen wie Sabine! (ZDF) und Marienhof (ARD) die EU-Liberalisierung von Product Placement mitmachte und dieses programmintegrierte, programmschädliche Werbeinstrument eben auch für ARD und ZDF nicht definitiv ausschloss."


ALTPAPIERKORB

+++ Weitere medienkritische Einlassungen rund um die Landtagswahl? Frank Lübberding prophezeite kurz vor Mitternacht, als Rot-Grün gerade mit einem Sitz vorne gehandelt wurde: "Morgen werden alle #Steinbrück vergessen haben und die Krise der Union ausrufen. @spiegelonline an der Spitze." Und morgen, das ist heute +++ Politikwissenschaftler Thorsten Faas diskutierte mit Andreas Cichowicz vom NDR bei Twitter, beginnend hier, darüber, warum die ARD in der Woche vor der Wahl eine gebührenfinanzierte Wahlumfrage durchführt, die Ergebnisse aber nicht veröffentlicht, während er geheimniskrämerisch heruminsidere +++ Jürgen Kaube bei FAZ.net über "Günther Jauch": "Der niedersächsische Wahlabend hat klar bewiesen, dass die Politik Wahlen gar nicht braucht, um zu wissen, was der Wähler will. Und das Fernsehen auch nicht" +++

+++ Die Dschungelcamp-Kritik im Lauf der Zeit: Am Anfang war das ewige "Privatfernsehen ist doof"; der Dschungel galt als niveaulos, und zwar aus Gründen, die man ja wohl nicht erörtern musste. Es folgte ein Wandel: Das Gegenteil wurde wahr. Mehr Niveau finde man kaum; toll geschriebene Witze, Prominente, die wissen, was sie tun, aber vom Zuschauer durchschaut werden, worum wiederum die Promis wissen, was auch der Zuschauer weiß, weshalb das Ganze jedenfalls ziemlich verschachtelt ist. Aber irgendwie nervt's ja doch, findet Marc Felix Serrao bei sueddeutsche.de und hat gute Punkte: "Wenn es eine deutsche Fernsehshow gibt, die das Elend der Ironie verkörpert (...), dann das Dschungelcamp. Nicht wegen der vermeintlich 'unmenschlichen' Prüfungen; wenig ist so menschlich wie Schadenfreude. Trüb und leer wird es dort, wo ein Teil des Publikums meint, die Ironie adle das Vulgäre und er oder sie selbst stünde schon deshalb über dem z-prominenten Rohmaterial, weil er die drübergestreuten Witzchen und Popzitate versteht" +++ "Die Leute wollen auf der Höhe ihres gespaltenen Bewusstseins bedient werden: Es ist Trash, aber Trash, der sich dessen bewusst ist", befindet Daniel Haas bei Spiegel Online über "Wetten, dass..?" – eine These, die Serraos Kritik nicht doppelt, aber stützt +++

+++ Nachdem Cindy aus Marzahn zur "Wetten, dass..?"-Assistentin ernannt ist, teilt der Spiegel im Joko-und-Klaas-Interview mit, dass Cindy nur zweite Wahl war – Joko und Klaas seien als Ko Moderatoren im Gespräch gewesen, ist zu lesen +++

+++ Zur Haushaltsabgabe: Joachim Huber rechnet im Tagesspiegel nochmal durch, wer in Europa denn nun wirklich der "Gebühren-Krösus" sei und kommt auf Deutschland, in der Summe, nicht beim Höhe des Beitrags für the bürger +++ Die SZ schreibt eine kleine Bundespressekonferenz-Schnurre auf, derzufolge das Justizministerium bei den PKs nicht mehr in der zweiten Reihe sitzen will und der Journalistenklub nun Dinge überlegt: "Vereinschef Mayntz sagt, er könne sich zum Beispiel einen 'Nachhaltigkeitsfaktor' vorstellen, über den auch die Fragenzahl im ganzen Jahr berücksichtigt werde" +++

+++ Zum Fernsehen: Sat.1-Tag! Die SZ macht mit dem "letzten Bullen" (wieder heute, 20.15 Uhr) auf und hat Darsteller Henning Baum in der natürlich Boxhalle getroffen +++ Die FAZ besichtigt die neuen Folgen der "Hoffnungsträger" des Senders, nämlich neben "Der letzte Bulle" auch "Danni Lowinski" +++ Die taz schaut lieber Arte, wenn es schon mal ein Arte-Programm gibt, das wirklich Arte-Programm ist: "Élysée 63 – Die Show" (morgen, 23.10 Uhr) +++

(Update: Ich habe Frank Lübberding in der ersten Version zweimal Falk genannt. Ist korrigiert.)

Das Altpapier gibt es wieder am Dienstag.

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