Der traditionelle Wochenmarkt

Der traditionelle Wochenmarkt

Der Spiegel sorgt noch immer für viel Stoff: Ein paar Fragen zur Schleichwerbung bei "Wetten, dass..?" sind noch offen. Und das Augstein-Graumann-Interview kann auch mitgeteilt werden. Außerdem: Die LSR-Google-Chose erreicht die Schweiz. Und Vorschläge für einen zeitgemäßen Umgang mit der Haushaltsabgabe

Über den Spiegel wird ja durchaus gern geschimpft oder auch nur nachgedacht in the Mood of erkaltetem Liebhaber, aber dass er nicht gelesen würde, kann man auch nicht sagen. Was wäre die Medienseiten auch am Dienstag dieser Woche ohne ihn?

Hauptbeschäftigung bietet die Wetten, dass..?-Geschichte (Altpapier von gestern). Die FAZ, bei der Thomas Gottschalk am Sonntag Kolumnist ist, dreht eher kurz angebunden nach und gibt, wiederum in indirekter Rede, Dementi und Vorwurf wieder.

"Was Thomas Gottschalk persönlich schwer treffe, sei der im „Spiegel“ vermittelte Eindruck, 'er habe aufgrund von Verträgen oder Gewinnstreben den verunglückten Wettkandidaten Samuel Koch in seiner Fahrzeugwahl bei der verhängnisvollen Wette beeinflusst'. 'Das Gegenteil ist der Fall', sagte Thomas Gottschalk: 'Ich habe bei der Probe am Tag vor der Sendung Samuel eindringlich abgeraten, über eine Limousine zu springen, und ihn mehrfach beschworen, sich mit den kleinen Smarts zufriedenzugeben. Michelle Hunziker hat versucht mich dabei zu unterstützen. Ich wünschte nichts sehnlicher, als dass Samuel damals auf uns gehört hätte.'"

Meedia.de wiederum stellt dagegen fest, dass sich Gottschalk derart gegen einen Vorwurf wehre, der ihm so nicht gemacht worden sei.

"Damit widerspricht Thomas Gottschalk allerdings einer These, die die Spiegel-Journalisten so gar nicht aufgestellt haben. Zudem wirft die Erklärung des 'Wetten, dass..?'-Präsentators weitere Fragen auf. Etwa: Wenn dem Showmaster die Wette bei der Generalprobe schon so riskant vorkam, dass er den Kandidaten beschworen haben will, kleinere Fahrzeuge zu wählen, warum fiel dies offenbar weder der Redaktion noch den Sicherheitsverantwortlichen auf, die damals grünes Licht gaben?"

Der Unfall klingt in den Zitaten von Gottschalks Erklärung tatsächlich wie eine Naturkatastrophe, die Petrus nicht vermeiden konnte.

In der SZ werfen Katharina Riehl, Claudia Tieschky und Thomas Fromm andere Fragen auf. Sie betreffen Thomas Bellut, seinerzeit Programmdirektor, heute in Intendant des ZDF. Zwar hatte Bellut ab 2004 an einer Änderung der ZDF-Politik in Bezug auf den "Produktzirkus" gewirkt – offenbar aber nicht konsequent genug.

"Eine ganz andere Frage stellt sich angesichts der Vertragsdetails aber auch: Ist es tatsächlich möglich, dass der Programmchef, der bei Wetten, dass..? gerne im Publikum saß, diese Vereinbarungen nicht kannte? Und wenn es so war: Müsste ein öffentlich-rechtlicher Sender nicht kontrollieren, welche Deals gemacht werden?"

Ulrike Simon zielt in ihrem Text in der Berliner ebenfalls auf diesen Punkt:

"Geld, etwa von Automobilherstellern, habe das ZDF nicht erhalten, sagt der ZDF-Sprecher – wohl aber die Gottschalk-Firma Dolce Media, wie aus dem Spiegel-Artikel hervorgeht. Hat es das ZDF Dolce Media also womöglich überlassen, Vereinbarungen zu treffen, die dem öffentlich-rechtlichen Sender selbst untersagt wären? Das ZDF beharrt darauf, keine Erkenntnisse darüber zu haben, dass Schleichwerbung bei 'Wetten, dass..?' stattgefunden habe."

Womöglich folgen aus diesen Fragen weitere Texte in den nächsten Tagen. Interessant dürfte es auch werden, wenn sich neben Thomas Gottschalk auch Bruder Christoph, der Dolce Media-Geschäftsführer, äußert. Über den heißt es in dem um Originalität wie Beflissenheit gleichermaßen bemühten Krisenkommunikationsdeutsch bislang nur:

"Christoph Gottschalk sei verreist und könne sich 'erst nach seiner Rückkehr in die Aufklärung einschalten'."

Zit. nach SZ, Seite 31.

[+++] Der Spiegel ist dann doch noch so dick, dass mehr als der Wetten, dass..?-Aufmacher reinpasst. Andreas Fanizadeh exzerpiert in der TAZ das Interview, dass das Nachrichtenmagazin in der Antisemitismus-Sollmantatsächlichsagen-Debatte um Jakob Augstein, den Verleger des Freitag [für den ich arbeite], mit Augstein und Dieter Graumann vom Zentralrat der Juden geführt hat.

"Augstein, geboren 1967, zeigt sich zwar von den Vorwürfen getroffen, besteht aber als kritischer Journalist darauf, über Israel genauso unbelastet herziehen zu können wie 'über Angela Merkel oder über Amerika oder über die Linken oder die SPD'. Um auf Graumanns Argumente eingehen zu können, fehlt ihm tatsächlich jegliche Empathie."

Beschließt Fanizadeh seinen Bericht. Ein Argument von Graumann besteht in der "außenpolitischen Obsession" Augsteins (Israel). Das Wort Obsession könnte einem im Zusammenhang mit der TAZ und in Bezug auf Augstein in den Sinn kommen, wenn man einen zweiten Text zum Thema liest.

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Wobei man Deniz Yücel nicht absprechen kann, einen Punkt zu treffen, wenn er das Thema grundsätzlicher angeht. Zum einen verdankt sich seinem Text eine – oder haben wir da was übersehen? [wir haben was übersehen]– bislang eher rare Konkretion der Top 10-Liste vom Simon Wiesenthal Center.

"Seither verteidigt man Augstein gegen Vorwürfe, die niemand erhoben hat. Denn das SWC führt Augstein eben nicht auf die Liste der zehn 'wichtigsten' oder 'schlimmsten' Antisemiten der Welt, sondern in den 'Top Ten der antisemitischen Verunglimpfungen des Jahres'."

Yücels Kollege Fanizadeh spricht ebenfalls von "einem der zehn gefährlichsten Antisemiten der Welt". Fast interessanter aber ist Yücels Beschreibung der Augstein-Verteidiger (und Augsteins selbst) aus dem Geist des kritischen Großjournalismus, die der Autor in seinem gewohnt, äh, zupackenden Stil formuliert hat:

"Natürlich hat diese Geschlossenheit mit Standesdünkel zu tun. Journalisten, insbesondere die Leitartikler unter ihnen, halten es für ihr edles Vorrecht, an allem herumzumäkeln, reagieren aber patzig, wenn ihr eigenes Tun in die Kritik gerät. Den Ausdruck 'kritisch' haben sie gepachtet wie Dönerverkäufer das Wort 'komplett'. Vor vielen Jahren warb die Mainzer Allgemeine Zeitung mit dem Spruch 'Isch bin Meenzer und bin kriddisch', und schon dieser Spruch zeigt, was den kriddischen Dschornalismus ausmacht: intellektuelle Mittelmäßigkeit, stilistische Stümperei, geistlose Faktenhuberei, kleinliche Besserwisserei, fettarschige Selbstzufriedenheit. Etwas abgrundtief scheiße (oder makellos wunderbar) zu finden, hingegen ist als 'unseriös' und 'polemisch' verpönt."

Die SZ hat derweil ihren Berliner Neujahrsempfang durchgeführt und berichtet in einer Bilderstrecke.


ALTPAPIERKORB

+++ Da ist uns aber eine schöne Überleitung zur Personalie des Tages gelungen: Dominik Wichmann, lange Jahre Chef des SZ-Magazins, wird ab Mai alleiniger Chefredakteur des Stern, bei dem er seit zwei Jahren bereits als stellvertretender Chefredakteur arbeitet. Das wird zumeist vermeldet oder, wie von Michael Hanfeld in FAZ (Seite 31), mit dem Gedanken um eine wohl überlegte Nachfolgeregelung versehen: "Osterkorn und Petzold regelten quasi ihre eigenen Nachfolge: Im Sommer 2011 holten sie Dominik Wichmann, der mehr als zehn Jahre lang das Magazin der 'Süddeutschen Zeitung' geleitet hatte. Wichmann begann, sich um eine Neugestaltung zu kümmern. Das Ergebnis dieses Prozesses soll noch im ersten Quartal dieses Jahres vorgestellt werden – der Personalwechsel ist also der erste Schritt. Dass der Generationswechsel seit langem geplant gewesen sei, wie der Verlag Gruner + Jahr mitteilt, trifft zu." +++ Der, uff, umfassendste Text zu Wichmann findet sich allerdings online bei Meedia.de. Christian Meier orientiert auch über die geregelte Übergabe: "Der Weg Wichmanns an die Spitze ist insofern ungewöhnlich, weil er wie sorgfältig vorbereitet aussieht, wo Personalpolitik traditionell doch nicht zu den Stärken der Branche gehört. Da werden nämlich, Fußballtrainern gleich, Leute schnell an die Spitze und ebenso schnell wieder ins Aus befördert." Schreibt ansonsten aber eine – wohlwollende – Expertise, die bei den Leitartiklern nur unter der Headline "Was der Stern jetzt tun muss" rausgegangen wäre: "Die besondere Herausforderung, die dazukommt: Zwischen vermeintlich seichten Titelgeschichten und vermeintlich relevanten Stücken darf es keinen Widerspruch geben, wenn der Stern eine Zukunft haben soll. Kein loyaler Leser darf sagen: Ich kaufe den Stern, obwohl ich nichts mit Katzen anfangen kann. Die hohe Kunst der Markenführung muss darin bestehen, Gegensätze und unterschiedliche Fallhöhen in einer Ausgabe, also dem Stern-Gesamtpaket, als Kern der Marke zu begreifen und entsprechend zu verkaufen. Nicht trotz des Katzen-Content soll der Leser zugreifen, sondern weil man dem Blatt zutrauen soll, auch dieses Sujet so aufzubereiten, dass damit ein unterhaltsamer Erkenntnisgewinn verbunden ist." +++

+++ Markenpflege ist auch, was Stefan Winterbauer, ebenfalls auf Meedia.de, am Dschungelcamp lobt: "Als Zuschauer findet man sich beim Dschungelcamp sofort zurecht. Auch nach dem Tod des genialen Dschungel-Moderators Dirk Bach war die Produktion offensichtlich bemüht, die Rolle mit Daniel Hartwich im Bach’schen Sinne neu zu besetzen, ohne den verstorbenen Moderator plump zu imitieren. Dieses Gefühl dafür, was man beibehält und was man unmerklich verändern kann, ist gelungene Markenführung." +++ Gibt auch andere Meinungen: Kurt Sagatz erkannte gestern im Tagesspiegel Probleme mit dem Format: "Um das 'Dschungelcamp' 2013 ist es schlecht bestellt. Die Versuche des Moderatorenduos Sonja Zietlow und Daniel Hartwich, das medizinische Zwangs-Aus für Helmut Berger als ganz normalen Vorgang darzustellen, verfangen nicht." +++ Markus Ehrenberg vermisst heute ebenda Dirk Bach, wobei wir zwecks mangelnder Anschauung nicht recht einschätzen können, ob oder wie dabei das süße Gift Gestern gewirkt hat: "Wo Bach-Ersatz Daniel Hartwich auch am vierten Tag den unmöglichen Versuch wagte, Sonja Zietlow an bösartigen Kommentaren über das sinnfreie Tun und Lassen der von RTL degradierten C-Prominenten im australischen Busch zu übertreffen, stand Dirk Bach noch vor einem Jahr wie ein Monolith im grünen Dschungel, zog dem Irrsinn des Privatfernsehens - und den Kritikern desselben - eine Nase." +++ Der Briefwechsel in der Berliner – heute schreibt Marcus Bäcker – liest sich im übrigen auch schöner als die Hämeverlängerung andernorts online – auch weil es da ums Phänomen als solches geht.

+++ Nicht so cool für RTL (oder vielmehr die Leute, denen RTLs Tine Wittler die Bude renoviert hat): Das muss womöglich steuerlich erklärt werden, wie die Welt weiß. +++ Nicht so cool für den NDR: Eine gefakte Pressemeldung über Frank Beckmann, gegen den der Verdacht der Untreue beim KiKa steht, der deswegen aber nicht beurlaubt worden ist, wie AP-Autor René Martens in der SZ schreibt: "Die Falschmeldung wirft nun die Frage auf, wie frustriert jemand sein muss, dass er sich so viel Mühe macht. Wer hinter der gefälschten Mail steckt und warum, ist jedenfalls unklar." +++ Das Handelsblatt meldet, dass Rupert Murdoch via Tochterunternehmen die Mehrheit an Sky Deutschland übernimmt. +++ Wolfgang Michal regt auf Carta an, wie die Haushaltsabgabe entsprechend einer veränderten Mediensituation verteilt werden könnte. +++

+++ Und in der NZZ schreibt Urs F. Meyer, der Geschäftsführer des Verbands Schweizer Medien, zu Google und Leistungsschutzrecht. Der Vorspann ist vielversprechend, steht dort doch, dass Meyer gebeten wurde, "die Problemlage jenseits platter Schlagworte darzulegen". Dann fängt Meyer allerdings an mit dem Schreiben, und zwar so: "Vergleichen wir das Internetangebot doch einmal mit einem traditionellen Wochenmarkt", und deshalb haben wir's nicht übers Herz gebracht, den Artikel weiterzulesen. +++

Neues Altpapier gibt’s morgen wieder gegen 9 Uhr.

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