15 Jahre Sascha Hehn

15 Jahre Sascha Hehn

Das deutsche Fernsehen läuft einfach immer weiter aus. Tele5 empfiehlt sich neuerdings als Kontrastmittel zur Erinnerung, was Qualität sein könnte. Der Spiegel fragt sich in seinem Blog nach dem Sinn der Interviewautorisierung. Und die Netzpolitik hält inne.

Top-News des Tages: Sascha Hehn wird "Traumschiff"-Kapitän. Der amtierende Kapitänsdarsteller Siegfried Rauch scheidet aus Altersgründen aus. Auf stern.de beschreibt Jens Maier die Nachfolgersuche von Produzent Wolfgang Rademann:

"Also habe er 'mit einigen Schauspielern gesprochen', sagt er fast so, als komme der Besetzung des Postens eine ähnliche Bedeutung wie die der Gottschalk-Nachfolge bei 'Wetten, dass ..?' bei.

Ob diese Analogie es trifft? Bei "Wetten, dass..?" sind die Zweifel an der Ersetzbarkeit viel größer, weshalb die Suche nach dem Nachfolger von dem, der über die Jahre verwachsen war mit einem Format, das fragwürdig geworden war, nicht als Ritterschlag für den einen Auserwählten daherkam, sondern als Abklappern von lauter Notlösungen. Hat sich dann auch noch einer gefunden.

Sascha Hehn dagegen, als dessen größte Leistung Maier vielleicht nicht zu unrecht den Sprung ins Cabrio schätzt, kann nun zitiert werden mit dem Satz:

"'Das ist doch der Rentner-Job schlechthin. Wenn ich das 15 Jahre mache, bin ich Mitte 70'", kokettiert Hehn mit seiner neuen Rolle als Kapitän.

Denn der Witz dabei ist, dass man diese Aussage nicht einmal als Koketterie lesen muss. Sie sagt vielmehr alles über jene Form des deutschen Fernsehens, für die das "Traumschiff" steht. Auf dem "Traumschiff" Kapitän zu werden, wäre dann also eher vergleichbar mit Versorgungsposten, die die Politik verteilt – Stiftungsvorsitzender, EU-Kommissar, irgendwas, wo nicht gewählt wird, die Finanzierung aber steht. Hehn muss noch nicht mal sagen, wie sehr er sich auf die spannende Herausforderung als Schauspieler freut – was seine Ehrlichkeit fast deprimierend macht. Das "Traumschiff" wird einfach immer weiter auslaufen und an fernen Küsten anlegen, dieselben Geschichten erzählen, die es immer erzählt hat, und die Leute werden das gucken.

Dieses deutsche Fernsehen meint Peter Rütten, einst Autor bei Harald Schmidt, wenn er im Interview mit dwdl.de über seine eigene Sendung auf Tele5 spricht ("Rüttens Bullshit Universum", ab heute abend):

"Man hat keinen Mut mehr zum Risiko. Aber das gilt nicht nur für den Bereich Comedy. Ich habe im 'Spiegel' einen Artikel über die US-Serie 'Homeland' gelesen. Ich habe die Serie dann dank iTunes konsumiert und sie hat mir ein tolles TV-Erlebnis beschert. Auf jeden Fall habe ich in besagtem Artikel lesen dürfen, dass die Öffentlich-Rechtlichen sich da nicht heran trauen. Zu schnell, zu modern, zu ambitioniert - was auch immer - vielleicht sogar zu spannend."

Man kann zwar skeptisch sein, ob die "Intelligenzoffensive" von Tele5-Chef Kai Blasberg in der Realität tatsächlich den Siegeszug eines anderen, "Traumschiff"-fernen Fernsehens einläuten wird. Was für den Moment aber offensichtlich ist: dass Tele5 zumindest als Kontrastmittel für die Absurdität der deutschen Fernsehlandschaft taugt, in der die staatstragenden, von den Bürgern finanzierten öffentlich-rechtlichen Sender ihr Programm nach den Maßgaben des Privatfernsehens machen.

Das zeigt sich an einem anderen Interview mit einem anderen Tele5-Protagonisten. Benjamin Stuckrad-Barre (ebenfalls ab heute, 23.10 Uhr) hat der SZ ein schönes Interview gegeben, für das man der mutlosen Trägheit von ARD und ZDF dann doch wieder dankbar sein kann – dass deren erwartbares Zeug dann immerhin solch ein Reden motiviert:

"Deswegen hat Christian Ulmen ja seine Firma gegründet: weil er es leid war. Wie oft man mit Leuten essen gehen muss, bis aus 'Wir müssen da mal was machen' eine Sendung wird, wie oft man sich 'auf eine Nudel' verabreden muss - nein. Dafür haben wir keine Zeit, darauf haben wir keine Lust, und so entsteht auch keine Qualität."

Über die politischen Talkshows, die absurderweise als Krönung der Karriere von Leuten gelten, die irgendwann mal irgendwas gut konnten (oder auch nicht), sagt Stuckrad-Barre:

"Deswegen ist das auch so seltsam anzuschauen. Die sitzen dann in diesen cremefarbenen Sesseln, und man weiß gar nicht, wo hört der Gast auf, wo fängt der Sessel an. Es wird mir da zu viel gemeint und zu wenig wirklich gesprochen, und das halte ich für eine Bevormundung des Zuschauers. Im Fernsehen spielt das ja fast schon ins Genre der Gameshow. Bei Plasberg zum Beispiel, wo alles zu allem passt: Ah, Sie sagen jetzt dies und das, aber jetzt schauen wir uns kurz mal an, was Sie früher mal dazu gesagt haben. Mich ermüden Leute, die immer alles sofort einordnen können."

Wer den Innovationsfuror von öffentlich-rechtlichen Programmverantwortlichen, die sich für Fernsehpreise dann als große Ermöglicher feiern lassen, noch mal im O-Ton hören will, kann sich diese "Neo Paradise"-Folge anschauen, in der ZDFNeo-Chefin Prof. Dr. Simone Emmelius den Moderatoren Joko und Klaas den Prorgammauftrag per Telefongespräch mit auf den Weg gibt (ab 5.58 Min).

Für den Mut zur Selbstbefragung hat der Spiegel ja sein Blog angelegt. Dort schreibt Cathrin Gilbert das Making-Of zum Interview mit Dirk Nowitzki und seinem Berater Holger Geschwindner. Das ist wohl auch als Eigenwerbung zu verstehen (der Link zum Gespräch führt zum kostenpflichtigen Angebot), was Puristen der Selbstkritik womöglich etwas verdrossen zurücklässt. Und Freunde des Bloggens, die am Bloggen vor allem den persönlichen Ton schätzen, könnten mit Gilberts Text auch Probleme haben, weil der eben weniger nach Plauderei aus der Werkstatt als nach einem weiteren Artikel klingt.

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So oder so gewinnt man aber einen Eindruck vom Interviewautorisierungswesen, das gerade ja zur Diskussion steht (Altpapier von gestern) und letzte Woche im Spiegel-Blog schon Gegenstand eines Beitrags von Thomas Tuma war. Über die sich ziehenden Aushandlungen mit Geschwindner schreibt Gilbert:

"An manchen Stellen hat er 'Quatsch' an den Rand gekritzelt, die amerikaspezifischen Aussagen kürzt er knallhart zusammen, 'weil die Amis dieses Gespräch eins zu eins übersetzen und dem Dirk jede politische Aussage um die Ohren fliegen würde.' Zweieinhalb Stunden lang dauert der Prozess, am Ende haben wir jedes Wort mindestens zweimal herumgedreht."

Und so oder so führt der Spiegel-Blog (Gilbert reagiert, muss man das noch sagen, lobenswerterweise auf die Kommentare) dann zu der Frage, was man sich überhaupt von Interviews erwartet, in denen die Gesprächspartner dieses und jenes aus dem einen und anderen Grund nicht sagen können, die hier Kommentator Jan_der_Wolf aufwirft.

Das wäre das journalistisch erfreulichste Ergebnis der Autorisierungsdiskussion – das Interviews nicht als Tools zur Ruhmbefeuerung dienen, sondern nur noch mit Leuten geführt werden, die etwas zu sagen haben können.


ALTPAPIERKORB

+++ Auf Carta bilanziert Wolfgang Michal desillusioniert das Scheitern der E-Petition des Piraten Bruno Kramm zum Leistungsschutzrecht: "Es wird der Netzpolitik deshalb so gehen wie der polnischen Solidarnosc-Bewegung: Ist der übermächtige gemeinsame Gegner erst weg oder nicht mehr eindeutig zu erkennen, zerfällt die Bewegung in ihre (partei-)politischen und ideologischen Fraktionen. Im bevorstehenden Bundestagswahlkampf wird dieser Zerfallsprozess aus nächster Nähe zu beobachten sein. Dabei wird sich zeigen, ob es trotz dieser Auseinander-Entwicklung noch eine parteiübergreifende Kraft in der Netzpolitik gibt." +++ Für ein Innehalten und Reflektieren über den Stand des diskursiven Lage ums Netz spricht auch Sascha Lobos "Beipackzettel" zum neuen Buch: "Frontenbildung auf beiden Seiten, Simplifizierung um der vermeintlichen Wirkung willen, Abtun der Gefühle und Argumente der jeweils anderen Seite als egal oder zumindest weniger wichtig. Die Leute auf der anderen Seite müssen dumm oder moralisch verdorben oder beides sein, sonst wären sie ja meiner Meinung – diese Haltung findet sich viel zu oft auf beiden Seiten. Das ist das vergammelte Herz der derzeitigen Netzdebatte: kaum jemand akzeptiert andere Prioritäten als die eigenen." +++

+++ Zeitungskrisen international: Welt-Online informiert über die Lage im spanischen Medienkonzern Prisa ("El Pais"), die das Engagement des für sein philantropisches Sendungsbewusstsein lange geschätzten Investors Nicolas Berggruen bewirkt hat: "Und Berggruen? Der hält sich bedeckt, was seine Pläne bei Prisa angeht. Seine Schäfchen soll der 51-Jährige, dessen Vermögen auf 2,3 Milliarden Euro geschätzt wird, längst im Trockenen haben. Laut eldiario.es hat er sich das eingesetzte Kapital drei Jahre lang mit sieben Prozent Zinsen honorieren lassen, während die anderen Prisa-Aktionäre schon lange keine Dividende mehr erhalten. 'Der Untergang von El Pais wäre ihm egal', befindet die Zeitung. 'Für ihn hat sich der Deal allemal gelohnt'." +++ Instruktiv ist der Text von Inge Günther in der Berliner (Seite 26), der die Verwerfungen auf dem israelischen Markt bündelt (wobei die Beteiligung von DMS an der Tageszeitung Haaretz nicht verschwiegen wird). Befeuert wird die Krise durch ein von einem us-amerikanischen Milliardär finanziertes Gratisblatt, das sich nicht als wirtschaftliches, sondern politisches Unternehmen begreift: "Verlässlich unterstützt die Zeitung den Kurs des Premiers und teilt gegen Netanjahus Gegner aus – und das im saftig polemischen Ton, der bei vielen Israelis ankommt." +++

+++ Auf meedia.de problematisiert Stefan Winterbauer einen von Steinbrücks Redevermittelern: die WMP Eurocom von Hans-Hermann Tiedje, der über den unschlagbaren Vorteil verfügt, seine Geschäfte als Bild-Kommentator publizistisch supporten zu können. +++ Dietrich Leder schreibt im Freitag zum Ende des Doris-Heinze-Prozesses: "Das System, das sich Doris Heinze für sich und ihren Mann, der im Prozess zu einer Geldstrafe verurteilt wurde, ausgedacht hat, konnte nur in einem Sender gedeihen, in dem die Vorgesetzten nicht die notwendige Kontrolle ausübten. Man ließ Doris Heinze gewähren; sei es, dass man bewusst wegschaute oder einfach ignorierte, was vor sich ging. Darüber wäre noch zu sprechen." +++ In der TAZ kritisiert Marcus Bensmann Journalistenworkshops des Goethe-Instituts in Usbekistan. +++ In der FAZ (Seite 33) wundert sich Michael Hanfeld über den Zusammenschnitt der Opdenhövel-Scholl-Auszeichnung beim Fernsehpreis, weil das legendäre Gomez-Gespräch gar nicht von Opdenhövel geführt worden war, der Ausschnitt aber wohl den Eindruck erweckte: "Hatten sich ARD und ZDF nicht vehement über die von der Uefa manipulierten Bilder beschwert, die auffielen, als ein scheinbar entspannter Bundestrainer Joachim Löw einem Balljungen das Leder stibitzte – mitten im Spiel gegen die Niederlande? Was aber nicht während des Spiels, sondern davor aufgenommen war? 'Das entspricht nicht unseren journalistischen Standards', hatte ZDF-Chefredakteur Peter Frey gesagt. Bleibt die Frage, wessen Standard die Einspielfilme beim Deutschen Fernsehpreis entsprechen." +++ Horizont.net vermeldet den Hundetod aus Markus Lanzens "Wetten, dass..?"-Premiere: "'Toypudel Monarch gehört zu den Hunden, deren Rasse Teilnehmerin Monika Thaler nur anhand einer Fellprobe erkennen wollte. Nach der Wette sprang der Hund von einer Bank, kam unglücklich auf und starb wenig später. Zuvor habe der Pudel hat alle Proben und auch den Auftritt gut überstanden', so ZDF-Sprecherin Silke Blömer gegenüber der 'Bild'." Hat letztere schon gefragt, ob Markus Lanz jetzt zurücktreten muss? +++ Das ganze andere Fernsehen hört in Zukunft vielleicht auf den namen ServusTV aka Red Bull: Felix Disselhoff auf Meedia.de mit unglaublichen Zahlen weltweit. +++

Neues Altpapier gibt's morgen wieder gegen 9 Uhr.

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