Es ist eine Ente

Es ist eine Ente

Während kein Krokodil in einem Badesee herumschwimmt, stellt sich innerhalb des Medienbetriebs die Frage nach der TV-Quotenmessung: Wie soll sie gehen, wenn die Leute Programme in der Mediathek gucken? Außerdem: Warum man die Titanic braucht. Warum man Witze über den Papst machen darf. Und warum die New York Times ein hyperlokales Experiment beendet.

Es ist natürlich kein Sommerloch, nur weil an einem bayerischen Badesee irgendein Krokodil aufgetaucht sein will, das aber, nach allem, was man so lesen könnte, vielleicht auch eine Ente im doppelten Wortsinn ist. Journalisten, die auf Beschäftigungstherapie ritualisiert nach Tiergeschichten fahnden, die sie abfeuern können – das trifft es wohl eher.

Dabei gäbe es ja genug zu tun – sagt jedenfalls Datenjournalist Lorenz Matzat in einem Blogpost vom bereits 6. Juli bzw. Donnerstag, in dem er Journalisten ein Versagen in der Begleitung der NSU-Morde vorwirft.

"Es fing schon damit an, dass offensichtlich kein Investigativteam oder ein einzelner Redakteur eines größeren Mediums in den vergangenen Jahren die behördlichen Märchen von den 'Dönermorden' in Zweifel gezogen hat",

schreibt er. Zurecht oder zu Unrecht? Ich bin mir da nicht sicher; jedenfalls steigt er dann aber schnell auf seine Steckenpferde auf – etwa den Datenjournalismus – und stellt fest,

"dass Journalismus auch im Internet heute immer noch vor allem aus Artikeln besteht, die – wenn es hoch kommt – auf einer Themenseite säuberlich hintereinander aufgereiht werden".

Internet und Journalismus – das ist auch das Thema von sueddeutsche.de-Chef Stefan Plöchinger, der auf seinem Blog schreibt:

"Bis heute findet sich auf Internetseiten großer Verlage, freundlich ausgedrückt, zuhauf populäre Massenware, die eher Entertainment ist denn Infotainment und nicht mit Journalismus verwechselt werden sollte."

Krokodile, die Enten sind, zum Beispiel. Plöchingers zentraler Punkt soll auch nicht verschwiegen werden: "Das Medium ist besser als sein Ruf" – ein Satz, den man kürzlich, Klammer auf, Klammer zu, so ähnlich von Markus Lanz gelesen hat, der natürlich das Fernsehen meinte. Aber bleiben wir bei einer Prämisse des Textes: Online-Journalismus gelte gemeinhin als Quantitäts- statt Qualitätsjournalismus. Und werde wegen schlechten Leumunds mit zu wenig finanziellen Mitteln ausgestattet.

Dann kommen wir nämlich auf direktem Weg zu den (Print-)Medientexte des Tages: Die erstens die Frage behandeln: Was, wenn sie doch in Onlinejournalismus investieren? Und zweitens die Frage nach der Fernsehquote.

Beginnen wir bei Punkt eins: In der Berliner Zeitung / Frankfurter Rundschau geht es um das hyperlokale Blog "The Local" der New York Times:

"Als die New York Times ihr Experiment mit hyperlokalem Journalismus im März 2009 begann, war sie voller Hoffnung und schrieb von Webseiten, die den Alltag abbilden sollten. Statt über das Besondere zu berichten, widmet sich hyperlokaler Journalismus dem Gewöhnlichen. Von einem 'virtuellen Kühlschrank' war die Rede. All die 'kleinen Freuden' und Termine, die Familien auf ihre Kühlschranktür kleben, sollten auch auf den Stadtviertel-Websites landen."

Nun aber schreibt Thomas Schuler (wobei die Nachricht schon ein paar Wochen raus ist, auch schon deutschsprachig), das Experiment sei "gescheitert", die New York Times tue sich schwer mit dem hyperlokalen Anzeigenmarkt:

"Vor wenigen Wochen informierte die Zeitung ihre Kooperationspartner von ihrem Ausstieg. Der Rückzug erfolgte in Raten: Der Blog in New Jersey wurde einem Konkurrenz-Verlag übergeben. Der Blog in Brooklyn erscheint zwar noch auf der Site der Times. Die redaktionelle Kontrolle liegt jedoch schon seit Januar 2010 bei der Journalistenschule der City University. Das spart Kosten. Die Beiträge der Hobby-Autoren werden ohnehin nicht honoriert."

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Zu Punkt zwei: Die Süddeutsche Zeitung – wie gesagt, es ist nicht Sommerloch, aber auf den Medienseiten heute newstechnisch doch ein bisschen – schreibt (die Medienseite ist seit dem sanften Relaunch weiter hinten in der Zeitung zu finden, heute auf S. 33) über die Quotenmessung im Fernsehen, das man, nicht nur wegen Lanz' Zitat, vielleicht in mancher Hinsicht als das Internet der alten Massenmedien bezeichnen könnte: viel Bild, viel Quantität, viel Gemecker über vermeintlich fehlende Qualität.

Es geht im Artikel um eine neue Quotenmesstechnik namens "Audiomatching":

"Mediatheken, Video-Portale, Catch-up-TV - all das wird immer häufiger genutzt, während die Marktanteile im klassischen TV bröckeln. Seit knapp einem Jahr gelingt es immerhin teilweise, das zeitversetzte Fernsehen in der Quote zu berücksichtigen, Aufzeichnungen auf Festplattenrecordern etwa. Ein größerer Schritt steht zum 1. August an: Mit einer zusätzlichen Messtechnik namens 'Audiomatching' kann die Verbreitungstechnik IPTV (Internet Protocol Television) abgebildet werden."

Allerdings würden Abrufe über Mediatheken-Abrufe über Computer etc. nach wie vor nicht berücksichtigt, und so kommt der Satz:

"Je stärker sich die Sehgewohnheiten wandeln, desto schwächer wird die Akzeptanz der Quote auf Seite der Agenturen und Unternehmen, die Spots schalten."

Quote schwächer akzeptiert! Geil, geil, geil! Claudius Seidl, einer der Feuilleton-Chefs der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung, widmet die Medienseitenrubrik "Die lieben Kollegen" diesmal den Öffentlich-Rechtlichen und schreibt über die Mehrheit, an die der gebührenfinanzierte Rundfunk sich wende:

"Die Mehrheit gibt es nicht, die Mehrheit hat immer gerade etwas Besseres als fernsehen zu tun, deshalb richtet sich das öffentlich-rechtliche, genau wie das kommerzielle Fernsehen, dem man daraus aber keinen Vorwurf machen kann, da es sein Geld ja selber verdient, immer an die Minderheit derer, die eben fernsehen: an die älteren Herrschaften, deren Augen das Fernsehen leichter als das Lesen fällt."

Seidl hätte vor einem knappen Jahr gerne als ZDF-Intendant kandidiert (Arbeitsprogramm: "Wir sparen uns das unverbindliche Geschwafel über Qualität und Geschmack, weil beides keine messbaren Größen sind"), was Die Welt veranlasste, ihn "Titanic-Intendant" zu nennen, und so kriegen wir in der Assoziationskette noch die Causa Titanic vs. Vatikan unter. Das Satiremagazin hatte bekanntlich den Papst auf dem Cover, das mittlerweile auf der Homepage der Titanic nur noch geschwärzt zu finden ist, was letztlich einige Beobachter erwartungsgemäß zur These verleitete, dass man Witze über diese andere Religion da wohl machen dürfen muss, über die eigene aber bitte nicht. Und die FAS fragt: Was würde fehlen, wenn Titanic fehlte? Richtig grundsätzlich wird es nicht, aber am Ende steht zumindest ein Fazit, das die Frage beantwortet:

"Es ist grundsätzlich von nicht zu unterschätzender Wichtigkeit, dass das Volk ein Organ hat, das Sachen machen darf, die das Volk nicht darf, denn andernfalls wird es krank, genormt, muss zum Psychiater" usw.

Wiglaf Droste schreibt in der Jungen Welt mit gebotenem Ernst:

"Witze verbieten, nur weil man sie – im Ernst oder auch nur geheuchelt – für Vier- bis Sechsjährigenhumor oder für schlecht oder für geschmacklos hält, das geht nicht."


ALTPAPIERKORB

+++ Der einstige Web2.0-Star Digg, ein Dienst zur Bewertung von Links, "mit dem Nutzer Nachrichten und Blogeinträge in verschiedenen Kategorien empfehlen können", wird für eine halbe Million US-Dollar "verramscht", schreibt etwa die FTD. Die SZ schreibt (S. 9): "die Seite gehört zu den Diensten, die am erfolgreichsten das Setzen von Lesezeichen für andere, das sogenannte Social Bookmarking, etabliert haben. Die Idee war es, dass die Community durch das Drücken des 'Digg'-Knopfes Texte von überall aus dem Netz auf der Seite hoch- oder runterwählen sollte. Je populärer sie wurden, desto mehr Traffic erhielten die Originalartikel" – und kommentiert: "So also vergeht der Ruhm in der digitalen Welt" +++

+++ Die Kündigung der Kabelverträge durch die Öffentlich-Rechtlichen: ARD und ZDF wollen bekanntlich nicht mehr dafür bezahlen, "dass ihre Programme in die Netze (der größten Kabelbetreiber) eingespeist werden", schreibt der Tagesspiegel in einem zuschauernahen Text zur Frage: Warum Kabel, warum Satellit, wie viele Sendersuchläufe noch? +++ Im weiteren Dunstkreis des Themas: Auch in Großbritannien gibt es eine Gebührendiskussion (DWDL) – und da zweifelt eigentlich kaum jemand an der Qualität des BBC-Programms +++ BR-Fernsehdirektorin Bettina Reitz wurde am Wochenende 50 – nicht ganz gewöhnliches Alter für eine ausführliche Würdigung. Christopher Keil schrieb sie in der SZ: "An ihr ist etwas Seltenes zu beobachten: die unzweifelhafte Kompetenz in allen Fragen des Films und eine besonnene, taktische Einstellung zum System und gegenüber den Funktionsträgern des Systems. Sie hat Scharfsinn und eine von Eleganz begleitete Durchsetzungsstärke, beeindruckt durch Klugheit wie Bildung" +++

+++ Der Stern-Ableger Yuno stehe vor dem Aus (Spiegel) +++ Lukas Podolski widerspricht den Aussagen, mit denen er bei ESPN zitiert wurde – weil sie erfunden seien (SZ) +++ Die Frage, warum Marco Schreyl von RTL als Moderator von "DSDS" und "Das Supertalent" abgesetzt ist, beschäftigt die Berliner Zeitung, und Schreyl ist auch Thema von "Niggemeiers Medienlexikon" (Spiegel, S. 73) +++

+++ Im Fernsehen laufen auch wieder Dinge: Die FAZ (S. 27) bespricht wieder die Montags-SWR-Doku, heute "Ausgerechnet wir! Drillinge. Träume. Wirklichkeit" (23.30 Uhr) +++ Die SZ bespricht die am Dienstag (22.45 Uhr, ARD) laufende Dokumentation "München 1970 - als der Terror zu uns kam", über Anschläge in München zwei Jahre vor dem Olympia-Attentat +++ Und die taz bespricht "The Prisoner" (ZDF, 23.50 Uhr), "die Neuverfilmung einer psychologisch komplexen und optisch gelungenen Kultserie aus den sechziger Jahren" +++

Das Altpapier stapelt sich wieder am Dienstag.

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