Alle Jahre ja nun nicht

Alle Jahre ja nun nicht

Die Zeit interviewt Günter Wallraff zu den Vorwürfen, die die Welt am Sonntag gegen ihn erhob (IM Hans Esser!). Der Welt-Chef verteidigt die Veröffentlichung. Die Verlegerschar an sich tritt der superheißen Content-Allianz bei. Und der ARD-Digitalsender Eins Extra wird in Tagesschau24 umbenannt; Gründe dafür gibt es auch.

Wenige Tage noch bis zur großen 100. big time Sause des Herrn Axel Cäsar Springer, und an wie vielen Fronten das Verlagshaus Springer, dessen Gründer den Feldherrn vielleicht ja auch nicht zufällig schon im Namen trug, derzeit mal wieder zeitgleich Gesprächsbedarf herausfordert, das ist schon ein Ding.

In erster Linie nimmt die Wallraff-Wallung ihre Fortsetzung. Die Älteren erinnern sich: Am Sonntag hatte die Welt am Sonntag hyperventiliert veröffentlicht, dass der beliebte Enthüllungsjournalist Günter W. (alias IM Hans Esser, der als Drahtzieher investigativer Recherchen gilt, die in der Bild-Redaktion stattfanden) nicht nur selbst irgendwie mit der Stasi connected gewesen, sondern dass auch ein Mitarbeiter an einem anderen Wallraff-Buch, "Ganz unten", von drüben eingenordet worden sei. Was dann, logischerweise, Wallraffs Text über z.B. Fremdenfeindlichkeit in der "BRD" zu einem Werk der Stasi und damit (eine These, die die WamS seriöserweise mit einem schicken Fragezeichen garnierte) womöglich nichtig mache; nebenbei aber auch noch Springer-Kritiker Wallraff an sich entglaubwürdige (siehe Altpapier vom Montag).

Das tragende Detail der Geschichte lautete: Es gibt eine Verbindung zwischen einem Wallraff-Mitarbeiter und der Stasi. Die Geschichte, die die WamS erzählte, hieß aber eigentlich: Wallraffs Werk ist Stasi-Werk (siehe auch Altpapier vom Dienstag). Man muss es auch humoristisch betrachten, wenn sich die ganze Rezeptionswirkung entfalten soll.

Wallraff selbst ging auf die Vorwürfe nun in einem Interview in der Zeit (S. 49/50) ein, für die er seit 2007 schreibt, wie dort auch zu lesen ist, und wies die Kernpunkte der Kritik zurück. "Die Stasi hatte am Zustandekommen von 'Ganz unten' keinerlei Anteil", lautet seine Erwiderung, und dann benennt er, wer aus seiner Sicht Springer und Reiter ist:

"Für den Springer-Konzern bin ich als linker Autor seit Jahrzehnten ein lieb gewordenes Hass- und Feindbild. Seit ich die Fälschungen und die Hetze der Bild-Zeitung Ende der siebziger Jahre in drei Büchern öffentlich machte, versuchen sie es alle Jahre wieder."

Was natürlich vorn und hinten nicht stimmt. Alle Jahre nun ja nicht.

Wallraff muss sich aber seitens der Zeit-Interviewerinnen Fragen gefallen lassen, die keineswegs unter "Eine Zigarette mit Günter Wallraff" verbuchbar sind. Sie fassen den Verlauf des ausführlichen Gesprächs ganz gut zusammen und lauten unter anderem:

"Wir wüssten gern: War für Sie die DDR am Ende das bessere Deutschland?" / "Wieso fällt es Ihnen immer noch so schwer, Ihre Stasikontakte als Fehler einzugestehen?" / "Wussten Sie, dass das Stasileute waren?" / "Und was war Ihre Gegenleistung?" / "Könnten Sie nicht einmal im Nachhinein zugeben, dass die Sie damals benutzt haben und dass der ganze Kontakt eine Jugendsünde war, die Sie bereuen?" / "Fürchten Sie sich vor dem, was noch ans Licht kommen könnte?" usw.

Woraus man durchaus ersehen kann, dass man die Geschichte Wallraff, der sagt, er habe lediglich in DDR-Archiven recherchiert, ja schon noch einmal erzählen kann. Aber wie die WamS nun so tut, als wolle man ihr reflexhaft was Böses, wenn man die Tatsache benennt, dass sie das verdammt dünne Brett, an dem sie rumbohrte, zum tragenden Balken umdeklariert hat, das ist schon ein starkes Stück.

"Mich erstaunt, dass Medien reflexartig von Springer-Angriffen sprechen, statt sich mit den Fakten zu beschäftigen", äußerte Welt-Chefredakteur Jan-Eric Peters via Horizont, weil das eben immer noch die einfachste Übung der Selbstverteidigung ist: die eigenen Beißreflexe den anderen in die Schuhe zu schieben.

[+++] Wie? Diese Kritik ist maßlos? Stimmt natürlich. Sorry, das ist diese Tradition, die wohl auch auf die blaue Gruppe abfärbt.

"Unter Bild-Kritikern hat die Maßlosigkeit Tradition", schreibt Die Zeit in einem weiteren Artikel, in dem wiederum Wallraff, diesmal als Bild-Kritiker, vorkommt ("Niemand hat die von Axel Springer 1952 erfundene Bild-Zeitung so ausdauernd bekämpft wie Günter Wallraff"). Anlass für den Text ist der bevorstehende 100. Geburtstag des seligen Axel C. nationale Feiertag aus Gründen.

"1972 ereiferte sich Heinrich Böll im Spiegel über einen Artikel des Boulevardblatts: 'Die Überschrift Baader-Meinhof-Gruppe mordet weiter ist eine Aufforderung zur Lynchjustiz.' Der Anlass: Böll hatte – im selben Bild-Artikel – gelesen, dass sich die Polizei noch nicht sicher war, ob die Terroristen hinter einem Bankraub steckten. Böll: 'Ich kann nicht begreifen, dass irgendein Politiker einem solchen Blatt noch ein Interview gibt. Das ist nicht mehr kryptofaschistisch, nicht mehr faschistoid, das ist nackter Faschismus. Verhetzung, Lüge, Dreck.'"

Zeit-Autor Rüdiger Jungbluth hat dagegen ein ganz anderes Blatt als seinerzeit Böll gelesen: "Wenn man Bild über Wochen Tag für Tag aufmerksam liest, findet man ein meist zivilisiertes Boulevardblatt, das auf Klatsch und Unterhaltung setzt", schreibt er unter anderem. Darf man ja auch mal sagen.

[+++] Und dann ist da mit Betreffzeile "Springer" noch der Fight einiger Verlage for the Leistungsschutzright, der in eine neue extrem gut gestylte Runde geht: Ein lustiger kleiner Film, der bei, tataa, Youtube steht und dort darauf wartet, geteilt zu werden, "räumt mit Unwahrheiten auf", was man sich von interessierter Seite, in diesem Fall seitens des Bundesverbands Deutscher Zeitungsverleger (BDZV) und des Verbands Deutscher Zeitschriftenverleger (VDZ), ja immer am liebsten gefallen lässt. Die zeigen sich wenigstens immer so schön interessiert.

Und sonst so? BDZV und VDZ traten am Tag des Urheberrechts der Deutschen Content-Allianz bei (siehe etwa heise), es sei nämlich "Zeit, endlich die Presseverleger im Netz zu stärken". Die SZ stellt, wo der VDZ eh gerade durch die Presse geht, den seit Januar amtierenden VDZ-Hauptgeschäftsführer Stephan Scherzer vor, der gekommen sei "als Figur des Umbruchs, als Reiseleiter in die digitalen Welten".

Dass unter den Baustellen, auf denen der VDZ künftig arbeiten wolle, auch der "War for Talents" steht (siehe etwa kress), lässt – natürlich nur reflexhaft – das Schlimmste befürchten. Vielleicht haben wir aber auch Glück, und es bedeutet, dass Berufsanfänger in Zukunft herausragend bezahlt werden.

[+++] In Großbritannien derweil geht es an das Eingemachte, und zwar an das Obst des Kollegen Murdoch, Rupert, wie die taz in anderer Formulierung schreibt (siehe auch Altpapier vom Donnerstag). Steffen Grimberg fragt sich angesichts des öffentlichen Verhörs, dem sich der sogenannte Medienmogul derzeit stellen muss (eines Verhörs "mit den gleichen Spielregeln wie im Gerichtsprozess – aber zu Fragen, die weit über den engen Ansatz der reinen Juristerei hinausgehen"), ob das in Deutschland nicht auch möglich wäre:

"Vielleicht sollte man auch deutsche Medienskandale – zum Beispiel die des MDR – mal so aufarbeiten. Dann könnten auch Exsenderbosse peinlich befragt werden, ohne dass man ihnen gleich Vorsatz nachweisen müsste – was derlei Unterfangen in Deutschland so schwierig macht."

Die FAZ (S. 35) konzentriert sich auf die Figur Murdoch:

"Murdochs Aussagen gewähren einen faszinierenden Einblick in die Denk- und Vorgehensweise einer der einflussreichsten Medienfiguren unserer Zeit. Sie stellen Lordrichter Leveson vor die Frage, wer der eigentliche Murdoch ist: der nachdenkliche, Fehler eingestehende Konzernchef oder der gerissene und gewissenlose Machiavellist, als der er verteufelt wird. Murdoch lässt beide Einschätzungen zu."

Auch die SZ (S. 19) stellt Murdoch in den Mittelpunkt, einen Mann mit Charme nämlich, aber auch mit einem einmal in aller Schärfe aufblitzendem Geschäftsgeist, "der in seinem die Welt umspannenden Medienkonzern für seine herrische Art, seine Ungeduld und seine Härte bekannt ist".

[+++] Und ganz anderes Thema noch: David Nienhaus berichtet in seinem Blog von der "ganzen Wahrheit" über ein Telefonschaltgespräch zwischen dem aus Würzburg stammenden Basketballer Dirk Nowitzki und einem Rudel deutscher Journalisten. Nienhaus, so schreibt er, habe aus technischen Gründen keine einzige Frage stellen können, aber die anderen Fragen gehört, und wundert sich über die Fragen der Kollegin von der Bunten:

“Spielen Sie mit ihrer Verlobten eigentlich auch mal Basketball in ihrem Garten?”

Dass er am Ende dann aber direkt überleitet zu dem Text, den er selbst daraus für DerWesten schrieb, kann man vielleicht dramaturgisch suboptimal nennen: Auf den Seiten dort steht nämlich ein Wortlautinterview, anmoderiert mit dem Satz "DerWesten sprach mit dem Würzburger". Wir, also ich, plädieren hiermit für die Zukunft für die ehrliche Anmoderation von Texten, die aus telefonischen Poolinterviews entstanden sind: "DerWesten sprach nicht mit dem Würzburger." Auch beim Schwindeln muss man sich an die Etikette halten.


ALTPAPIERKORB

+++ Der ARD-Sender Eins Extra bekommt einen neuen Namen: "Tagesschau 24". Die SZ ordnet ein: "Bei der Neuigkeit, die der NDR an diesem Donnerstag ankündigte, geht es um viel – aber ganz sicher nicht um Geschmacksfragen, wie man meinen könnte", so Claudia Tieschky. "Für die sechs Digitalkanäle von ARD und ZDF geht es in den kommenden Monaten um alles oder nichts. Die Politik drängt die Anstalten zum Rückbau, nicht alle digitalen Programme werden den nächsten Staatsvertrag überleben" +++ Michael Hanfeld von der FAZ macht die Nachricht vom neuen Namen des Senders erwartungsgemäß ebenfalls zum (vergleichsweise kleinen) Thema: "Alle Viertelstunde laufen dort Nachrichten, womit die ARD, vielleicht von vielen bis dato unbemerkt, ihren eigenen Informationskanal betreibt. Er steht neben dem gemeinsam mit dem ZDF betriebenen Parlaments- und Dokumentationskanal Phoenix. Das Zweite unterhält mit ZDFinfo ebenfalls ein eigenes Informationsprogramm. Es ist die solchermaßen geschaffene Verdopplung und Verdreifachung wesensverwandter Kanäle, welche die Medienpolitiker auf die Idee gebracht hat, es könne des Guten inzwischen zu viel sein" +++ Der Tagesspiegel berichtet und konkretisiert auch Hanfelds Kritik mit einem indirekten Zitat: "Der rheinland-pfälzische Ministerpräsident Kurt Beck hatte kürzlich vorgeschlagen, ARD und ZDF sollten auf ihre digitalen Informationskanäle verzichten und stattdessen den gemeinsamen Nachrichtenkanal Phoenix stärken" +++

+++ Während sich Öffentlich-Rechtliche und Verlage in der oben erwähnten Content-Allianz einträchtig zusammenfinden, kriegen sie sich an anderen Stellen bekanntlich in die Wolle, etwa wenn es um Apps geht und darum, was ARD, ZDF und Deutschlandradio im Internet "dürfen" – sie machen schließlich Rundfunk, aber was ist das in Zeiten der Digitalisierung? In Frankreich sehe es anders aus, so die taz: "Konkurrenz im Netz, auch zwischen den hier so verkämpften Mediengattungen Print und Fernsehen, ist in Frankreich geradezu gewollt" +++

+++ Die Zeit schreibt über den idealtypischen Print-Online-Konflikt, der beim Spiegel-Verlag ausgebrochen sei (S. 24): "Ausgangspunkt ist, dass Leser in Deutschland für Online-Journalismus nicht zahlen. Niemand verlangt Geld von ihnen. Erbittert gestritten wird um die Frage, warum das so ist. Fehlt bloß die taugliche Software, um Cent-Beträge für einzelne Artikel abzurechnen? Oder haben die Onliner einfach nichts zu bieten, was sich verkaufen ließe?" +++ Andere Baustelle, aber gefühlt die gleiche: Urheberrecht. Berliner Zeitung und Frankfurter Rundschau beantworten einige Fragen, etwa zur Kulturflatrate: "Die Diskussion darüber können wir uns allerdings sparen, sollte beispielsweise das multilaterale Acta-Abkommen zum Kampf gegen Produktpiraterie und Urheberrechtsverletzungen in Kraft treten. Die Unterstützer des Abkommens, vor allem die Verwertungsindustrie, versprechen sich eine Sicherung ihres Geschäftsmodells. Die Gemeinwohlorientierung bliebe auf der Strecke" +++

+++ Die FAZ räumt im Feuilletonaufmacher Piratin Julia Schramm ab, die ein Buch geschrieben hat, das im September erscheint: "Der Irrsinn ist ja: jeder würde ja sagen, es ist gut, dass man mit Büchern Geld verdienen kann. Nur nicht Julia Schramm: sie kassiert, weil sie mal die kapitalistische Logik kennenlernen will" +++ RTL hat den am Samstag zu kürenden so called Superstar schon mal pannenhalber bekanntgegeben (Welt Online) +++ Ebd. wird eine talkshowmäßig "behämmerte Woche" behandelt +++

+++ Die SZ bespricht die "Lottokönige" beim WDR +++ Die taz das Radio-Feature "Rechter Terror" +++

Das Altpapier stapelt sich wieder am Montag.

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