Axel Springer im Briefkasten

Axel Springer im Briefkasten

Ein Appell gegen Foto-Missbrauch, echte Anwälte, die wie im US-Fernsehen posieren, womöglich islamistische Drohungen gegen Journalisten, eine Initiative gegen die Gratis-Bild-Zeitung. Und natürlich Günter Grass: Aufregung an allen Medienfronten.

Die Kölner Bildagentur laif

"appelliert an alle Bildredaktionen, dokumentarische Fotografie nicht sinnentstellend außerhalb Ihres Kontextes nur rein illustrativ einzusetzen! Wir leben in einer zunehmend visuellen Welt. Dazu brauchen wir alle eine visuelle Ethik, die dem wirklichen Inhalt der Bilder und der Intention des Bildautors verpflichtet ist!"

Hier stellt dieselbe Agentur die gesamte, mit den deutschen Suchwörtern "Kosovo, Balkan, Kinder, Müll, Lebensumstände, Roma" rubrifizierte Fotoserie "The Garbage Gang of Kosovo" zur Verfügung (zum Anschauen und vermutlich auch zum privaten Downloaden, falls man möchte, natürlich nicht zum Weiterverbreiten).

Der Grund ist die seit vorgestern (Altpapier) und gestern (Altpapier) um sich greifende Aufregung über die schweizerische Weltwoche, die ein Foto aus dieser Serie, das mit dem kleinen Jungen, der mit einer Pistole auf seinen Fotografen bzw. Betrachter zielt, vorige Woche als Titelbild zu ihrer "Die Roma kommen: Raubzüge in die Schweiz"-Reportage missbrauchte. Die aktuelle Ausgabe des Blattes ziert übrigens ein herzensgutes Symbolbild.

[Und à propos: Achtung, unser Foto hier nebenan hat nichts mit diesen Absätzen zu tun, sondern bloß mit dem ganz unten].

Von Missbrauch des Fotos, "sinnentstellendem und wahrheitsveränderndem", sprechen die Agentur und auch der italienische Fotograf Livio Mancini, den sie in Deutschland vertritt. Mancini hat mit dem Tagesspiegel gemailt, der die Wochenzeitung unter der Überschrift "Raubzüge beim Fotografen" scharf kritisiert. "Unter ihrem Chefredakteur und Eigentümer Roger Köppel für aggressiven Rechtspopulismus berüchtigt", sei sie. Mit dem stellvertretenden Weltwoche-Chefredakteur Philipp Gut (der an den Roma-Artikeln beteiligt war und im Weltwoche-Video performt) sprach das Berliner Blatt ebenfalls. Der habe die Empörung "absolute Heuchelei" genannt. Mancini sieht immerhin auch dialektisch das Positive an der Sache:

"Die Lage der Roma ist nach Ansicht des Fotografen durch die Wut über die Zürcher Zeitungsmacher wieder zurück auf der Agenda: 'Nach alledem gibt es in diesen Tagen ein neues Interesse an dem Thema. Und darüber bin ich froh.'"

Köppel wiederum mailte auch nach Deutschland, und zwar im Rahmen eines ausführlichen Interviews mit der Welt aus dem Springer-Verlag, die er selber ja früher (2004 bis 2006) leitete. Darin geht es zunächst ausgiebig um die Artikel zum Thema in der Weltwoche (die nicht frei online verfügbar sind; hier eine Übersicht). Köppel verteidigt sie vehement. Ums Foto geht's erst später. Dazu sagt bzw. schreibt der Chefredaktor:

"Wir haben das Bild rechtmäßig über eine Agentur  bezogen. Die Botschaft wurde weder  verändert noch verfälscht. Man sieht ein verwahrlostes Kind, das einem sofort leid tut. Wir haben kein Bild aus der Schweiz genommen, weil es im Artikel gerade nicht um die hier lebenden Roma geht, sondern um kriminelle Roma-Familienclans, die aus dem Osten Europas kommen."

[+++] Wenn man sonst so das Angebot der Welt überfliegt, springen einem Berichte von ethnisch, religiös, so oder so populistisch bis radikal bestimmten Medienfronten geradezu entgegen (und da muss man noch gar nicht Günter Grass bemühen, von dem das Süddeutsche-Feuilleton heute ein neues, diesmal als Fließtext präsentiertes Gedicht ins Feuer gießt, dessen einprägsame letzte Zeile "Allein Birma lässt kleine Hoffnung keimen" lautet).

[+++] Womit welt.de zum Beispiel aufwühlt: "Breiviks Anwälte", die des norwegischen Massenmörders, "inszenieren sich wie TV-Helden" (und damit hat es, sofern dieses Foto aus der entsprechenden Klickgalerie nicht auch aus einem komplett anderem Kultur & Lebensart-Serie zweckentfremdet wurde, absolut recht).

[+++] Womit welt.de zum Beispiel aufwühlt, gestern abend ganz oben auf der Startseite: "Islamisten bedrohen deutsche Journalisten".

Auch dies wieder eine komplexe Geschichte. "Namentlich genannt" und "offen bedroht" worden seien "Berichterstatter der 'Frankfurter Rundschau' und des 'Tagesspiegels' in Berlin in einem vierminütigen Video auf YouTube", schreibt die Welt. In den genannten Medien scheint darüber nichts zu stehen. In dem "weiteren Youtube-Video", auf das der welt.de-Artikel anders als auf ersteres verlinkt, liest ein deutscher Muslim in einem Café einen auf seinem Smartphone ergoogelten Artikel unklarer Provenienz über die geplante Verteilung kostenloser Korane (siehe natürlich auch evangelisch.de) in deutschen Fußgängerzonen vor, und zwar ostentativ freundlich.

Bloß der dem Video gegebene Titel "Antwort eines MUSLIM an die ISLAMHASSER und HETZER von WELT ONLINE und Hetz-Bild!" spricht eine andere Sprache. Auf demselben Youtube-Kanal gibt es Videos, in denen freundliche Fußgängerzonen-Interviews gezeigt und mit Beschreibungen wie "das Versagen der Hass-Medien (Bild, Spiegel TV und weiterer Abfall)....." offenbar auch kräftig dekontextualisiert werden. Zumindest verläuft hier eine andere Front als die der klassischen Kritik an Springer-Medien.

[+++] An der Front der klassischen Springer-Kritik ist aber auch etwas los. Heute startet die Initiative alle-gegen-bild.de, die (ähnlich wie im Januar hier im Altpapier erwünscht) die Auslieferung einer kostenlosen Ausgabe der Bild-Zeitung am 23. Juni an alle rund 41 Millionen deutschen Haushalte verhindern möchte. Und dazu ein Online-Formular anbieten wird.

Der Sitz der dahinterstehenden Initiative ist ein Doppeldeckerbus in der Skalitzer Straße in Berlin. Initiatorin Nadja Ratkow argumentiert:

"BILD spricht nicht, wie manche meinen, einer breiten Bevölkerung nach dem Munde, sondern trichtert ihr ihre eigenen Standpunkte und Sichtweisen mit sensationslüsternen Überschriften ein. Der BILD-Slogan 'Bild Dir Deine Meinung' müsste eigentlich lauten: 'Bild Dir unsere Meinung'"

und verspricht:

"Jede Absage wird den logistischen Aufwand für Springer erhöhen sowie die geplante Auflage senken."

Bloß warum Ratkow den Bild-Zeitungs-Gebrauch übernimmt, den Namen des Blattes immer in Großbuchstaben zu schreiben, bleibt unklar. Mindestens so unklar wie die Frage, warum die Deutsche Post den Bild-Zeitungs-Gründer Axel Springer als "Freiheitskämpfer" beschreibt.

[listbox:title=Artikel des Tages[Foto-Missbrauch? (Tsp.)##Agentur-Appell##Journalisten-Bedrohung? (welt.de)##Initiative alle-gegen-bild.de##TAZ über Briefmarkenenthüllung##Der Wert eines Tweets (wiwo.de)]]

[+++] Denn zumindest Axel Springer im Briefkasten wird vermutlich niemand verhindern können. Gestern wurde die in Anlehnung an die Bild-Zeitungs-Optik gestaltete, nass- (nicht selbst-) klebende Sondermarke zum 100. Geburtstag des Verlegers im 19. Stock des Axel-Springer-Hauses in Gegenwart von Wolfgang Schäuble, Friede Springer und Mathias Döpfner feierlich enthüllt.

Natürlich berichten diverse Springer-Medien (bild.de, abendblatt.de). Einen weniger akklamierenden Bericht, auch davon, wie die Staffelei, auf der das Werk in vergrößerter Form präsentiert wurde, "fast gekippt" wäre, bietet die TAZ.


Altpapierkorb

+++ Axel Springer, dieser Teufelskerl (nun ist nicht mehr vom 1985 verstorbenen Unternehmer, sondern vom offiziell ja gleichnamigen Unternehmen die Rede) will nun auch die Bundesligaonlinerechte! Das weiß die Zeit (Vorabmeldung), wobei sich das Kleingedruckte weniger spektakulär liest. Es geht um "das so genannte Paket M, welches das Recht umfasst, Höhepunkte der Spiele online als Video-Clips zu zeigen, die pro Begegnung zwischen 90 Sekunden und sechs Minuten dauern können. Diese Spielausschnitte im Internet sollen teilweise noch vor der 'Sportschau' in der ARD zu sehen sein – würden den Zuschauer aber einen kleinen Betrag kosten." Sollte Springer diese Rechte ersteigern, wären also weder die Pay-TV-Berichterstattung, noch die "Sportschau" oder andere Free-TV-Formate betroffen. +++ Frisch von der allgemeinen Lage an der Bundesliga-Rechte-Front berichtet die FTD. +++

+++ Mehr Medien-Fußball: Die nicht unbrisante Frage, ob ein unter Federführung des WDR für die ARD vorbereitetes Radioprojekt zur Europameisterschaft nicht eigentlich ein "gemeinsamer, gebührenfinanzierter digitaler Sportkanal" der ARD wäre, die zwar "dem privaten Fußballkanal '90elf etwas entgegensetzen" möchte, jedoch "bundesweit ausgerichtete Hörfunkprogramme" überhaupt nicht anbieten darf, wirft die Süddeutsche auf ihrer Medienseite 15 auf. +++

+++ Mehr Fotografie: Die aktuelle Urheberrechtsfrage, ob Facebooknutzer für an ihre Pinnwand gepostete Fotos haftbar gemacht werden können bzw. abmahnbar sind, wird in vielen Medien thematisiert (BLZ/FR, heise.de). Ausgangspunkt der Meldungen ist das Blog der Kölner Anwälte Lampmann, Haberkamm & Rosenbaum. +++ Bernd Graffs gestrige Laudatio für den in den Ruhestand gehenden Fotografen Volker Hinz steht nun frei online. +++

+++ Mehr Urheberrecht: Anhand von aktuellen Streitigkeiten zwischen den Persönlichkeiten Jürgen Trittin (Grüne) und Andrian Kreye (Süddeutsche), die auf vielen Baustellen unterwegs sind und sich nicht zu sehr in alle Detais vertiefen können, verteidigt Wolfgang Michal auf Carta die ältere Idee einer Kulturflatrate fürs Internet. +++

+++ Das wühlt Medienwächter auf: Sat.1 geht als Lizenznehmer aus Mainz nach Hamburg. Dazu hat faz.net eine Meldung. In der gedruckten FAZ geht Michael Hanfeld viiiel tiefer auf den Grund der Sache bzw. des "Pfälzers Bermuda-Dreiecks" (Überschrift): "Das ist für die Mainzer Medienpolitik, die sich bundesweit führend dünkt, weil der Ministerpräsident Kurt Beck auch als Chef der Rundfunkkommission der Länder wirkt, ein Schlag ins Kontor. Sat.1, der älteste deutsche Privatsender, der am 1. Januar 1984 in Ludwigshafen auf Sendung ging, verlässt nach achtundzwanzig Jahren sein Stammland." Auch hat Hanfeld O-Töne des ProSiebeSat.1-Vorstandsmitglieds Conrad Albert: "Wir wechseln mit der Lizenz von Sat.1 von Rheinland-Pfalz nach Hamburg und Schleswig-Holstein, weil wir uns dort besser aufgehoben fühlen. Wir können das umstrittene Verfahren, mit dem die Landeszentrale für Medien und Kommunikation in Ludwigshafen die Vergabe der Drittsendezeiten regelt, nicht ganz ausblenden. Wir stellen die Verpflichtung zu Drittsendezeiten nicht in Frage. Wir halten diese für einen Beitrag zur medienpolitischen Kulturlandschaft. Zu dem stehen wir. Doch..." stehen die Mainzer in der komplexen Frage der Drittsendezeiten (siehe Altpapier) nun scheinbar doof da. +++ "Dadurch erhöhen wir konsequent die Vielfalt der Aufsichtsmeinungen", sagte Albert zu kress.de so, als seien Aufsichtsmeinungen ein asset, das den Aktienkurs treiben könnte. +++

+++ Nicht ganz ungenüsslich geht zeit.de dem sich weiterhin abzeichnenden Scheitern der "Internetzeitung" Kontext nach. Es habe damit zu tun, dass die "eingefleischten Bahnhofsgegner" aus Stuttgart, "so sollte sich bald zeigen, zwar viel von einer freier Presse forderten aber zugleich fest auf ihrem Geldbeutel saßen". Und damit, dass angefragte"Großgönner" wie Götz Werner und Jakob Augstein nicht noch einsteigen wollten. +++

+++ Matthias Opdenhövel startet heute seine neue ARD-Show. Für die Süddeutsche kippte er Hans Hoff "eine Lkw-Ladung Optimismus vor die Füße". Sein Ziel erreicht hat er, der Optimismus, in der TAZ. Ein Interview gibt's hier nebenan. +++

+++ Außerdem ist der Geld-Wert eines Tweets, also eines maximal 140 Zeichen umfassenden Beitrags auf Twitter, ermittelt worden. Er beträgt einen Zehntel-Cent, meldet Sebastian Matthes im Wirtschaftswoche-Blog. +++

Neues Altpapier gibt's wieder am Freitag.

 

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