Wulffs Revier

Wulffs Revier

Beschädigt Kai Diekmann das Amt des Bild-Chefredakteurs? Auf die Fragen der TAZ gibt sich Springers Pressestelle schmallippig wie Wulffs Anwälte. Außerdem: das Dilemma der Öffentlich-Rechtlichen

Der John Wayne der deutschen Medienwelt ist zurück! Nein, nicht Peter Altmaier von der CDU. Der gibt eher eine Art Diggy Luke, weil er schneller die Tweet-Taste drückt, als er twittert.

Anke Sirleschtov betrachtet im Tagesspiegel die Aktivitäten, mit denen der von der CDU erfolgreich als bürgerlicher Neue-Medien-Beherrscher und zwitschernde Antwort auf die Piraten ins Spiel gebrachte Intimus der Kanzlerin zuletzt von sich reden machte.

"Seither zwitschert der CDU- Mann fast täglich munter in der Gegend herum, nennt gut 6000 Follower sein Eigen – und ist jetzt gleich zweimal hintereinander auf die Nase gefallen."

Das erste Mal, wie der Text nahe legt, mit dem Tweet an Christian. Das zweite Mal:

"'Jens Spahn' tauchte in der Nacht zum Samstag kommentarlos auf seinem Account auf. Was viele als Hinweis deuteten, dass der Gesundheitspolitiker der Union mit seiner anhaltenden Kritik am Verhalten von Christian Wulff nicht nur seine eigene Meinung vertritt sondern auch Altmaiers... Vielleicht war es ja auch so. Vielleicht hat sich Altmaier aber auch nur vertwittert, wie er sagt."

Wir werden es nie erfahren. Der deutsche John Wayne, um wenigstens hier die Spannung rauszunehmen, ist kein anderer als Jürgen Heinrich aka der Wolff von "Woffs Revier" – dazu mehr im Altpapierkorb.

Denn wo wir schon bei Altmaier sind – der könnte jetzt analog zu seinem urst legendären "Christian"-Tweet (bei dem sich Sirleschtov auch fragt, Twitter hin, Netiquette her, ob man den Bundespräsident so anreden sollte) jetzt nachladen. Vielleicht so:

"Ich mach mich jetzt vom Acker. Wünsche mir, dass Kai seine Pressestelle an die Leine legt und alle Antworten selbst gibt."

Kai Diekmann, der Bild-Chefredakteur, hat nämlich auf den Fragenkatalog der TAZ antworten lassen:

"Am Montag um 15.59 Uhr, eine Minute vor Ablauf der Frist, schickte die Pressestelle des Axel Springer Verlags eine Mail an die taz."

Schreibt Felix Dachsel in der TAZ. Die Zeitung hatte in einer öffentlichen Mail um Aufklärung in der Frage gebeten, wie die Mailbox-Nachricht von Christian Wulff an die Öffentlichkeit gelangt ist. Dazu wurden 15 Fragen gestellt.

"Die Antworten der Springer-Pressestelle kamen zwar pünktlich. Aber sie fallen knapp aus – und bleiben an den entscheidenden Stellen vage."

Das betrifft vor allem den Komplex 3. ("Wie vielen und welchen Journalisten wurde die Nachricht weitergegeben? Wurde sie als Ganzes oder "in Teilen" weitergeben?")

Darauf antwortet die Springer-Mail (wie auch auf 4. und 5.):

"Der Bild-Chefredakteur hat seinerzeit persönlich mit zwei externen Journalisten über den Anruf gesprochen und ihnen in diesem Zusammenhang auch den Text zukommen lassen. Gerade aufgrund der eigenen Betroffenheit ging es ihm dabei um das Einholen von Einschätzungen nicht betroffener Kollegen außerhalb der Redaktion. Der eine Journalist empfahl übrigens, die Geschichte zu veröffentlichen, der andere riet davon ab. Schon daran können Sie erkennen, dass der richtige Umgang mit dieser Situation alles andere als eindeutig war."

Nicht nur ein McKinsey-Berater würde erkennen, wie sich hier hinter dem moralischen Argument "Betroffenheit" eine mangelnde Expertise, um nicht zu sagen Unprofessionalität wegduckt.

Muss Bilds höchster Journalist nicht in der Lage sein, journalistische Sachverhalte angemessen beurteilen zu können? Und wozu gibt es Stellvertreter und andere Koryphäen im eigenen Haus, die im Falle einer persönlichen Betroffenheit des Chefs mit Rat und Tat zur Seite stehen können? Übt mit Diekmann am Ende ein Minderleister das verantwortungsvolle Amt eines Chefredakteurs aus? Das sind Fragen, die Friede Springer und Dr. Döpfner sich jetzt stellen müssen.

[+++] Wir schalten nach Österreich. Beim ORF laufen dieser Tage bekanntlich die Angestellten gegen den neuen SPÖ-Büroleiter Niko Pelinka des ORF-Generaldirektors Alexander Wrabetz Sturm. Das privat entstandene Protest-Video berührt durch hehres Ethos: Der ORF gehöre den Zuschauern, nicht den Parteien.

In der FAZ (Seite 31) schreibt Michaela Seiser:

"In einer Reaktion auf die Aufforderung der ORF-Redakteure, seine Bewerbung als Büroleiter zurückzuziehen, spielt der arg unter Druck geratene Nachwuchsmann Pelinka den Ball nun an seinen Protektor weiter: Sofern der Generaldirektor es wünsche, werde er seine Bewerbung zurückziehen. Wrabetz, ein ausgebildeter Jurist, hat jetzt Mühe, ohne Gesichtsverlust aus der Affäre herauszukommen."

In der deutschen Fernsehlandschaft kommt es derweil zu merkwürdigen Koalitionen, wie Peer Schader in einem großen Text in der Berliner schreibt:

[listbox:title=Die Artikel des Tages[Mangelnde Transparenz bei Bild (TAZ)##Die Angestellten proben den Aufstand beim ORF (Youtube)##Das Dilemma von ARD/ZDF (Berliner)##Beschwerde gegen die "Blitztabelle" (TSP)##]]

"Ungewöhnliche Vorhaben erfordern ungewöhnliche Allianzen. Aber dass Kurt Beck mal mit RTL einer Meinung sein würde, hätte sich vor ein paar Wochen auch noch niemand vorherzusagen getraut. Jetzt ist der Ernstfall eingetreten: In der Medienfachzeitschrift Promedia empfahl Beck als Vorsitzender der Rundfunkkommission der Länder den öffentlich-rechtlichen Sendern, ein paar ihrer Digitalkanäle abzuschaffen, zum Beispiel Eins Festival und ZDFinfo."

Im Laufe der Diskussion kommt Schader auf den Geburtsfehler der Angelegenheit zu sprechen:

"Das Problem ist Folgendes: ARD und ZDF haben der Politik ihre Digitalkanäle abgerungen, ohne selbst so genau zu wissen, was sie damit anstellen wollen. Hauptsache: genehmigt."

Selbst dem ZDF, dass mit den Digitalkanälen mehr anzufangen weiß, bescheinigt Schader:

"Dass auch das ZDF das Potenzial seiner Kleinsender noch lange nicht ausschöpft, steht außer Frage."

Das Dilemma der Digitalkanäle, auf deren Experimentierfelder sich nebenbei die Ansprüche an die Öffentlich-Rechtlichen outsourcen lassen, liest der Text positiv:

"Die Marktanteile mögen gering sein, aber der Weg stimmt. Der eigentliche Skandal ist, dass es für all das erst neue Sender gebraucht hat. In den Hauptprogrammen hätte es wahrscheinlich nichts davon gegeben. Weil ARD und ZDF sich davor fürchten, ihre älteren Stammseher zu vergraulen, dadurch Marktanteile einzubüßen und eine Debatte zu provozieren, ob die Gebühren noch gerechtfertigt sind."

Und so landet, wer einmal gründlich nachdenkt, zwangsläufig bei den ganz großen Fragen: Wie ein öffentlich-rechtlicher Rundfunk beschaffen sein muss, der gerade nicht den Renditezwängen eines privatwirtschaftlich organisierten Fernsehens gehorchen muss, sich aber aus Angst vor Diskussionen aber dem Diktat der Quote unterwirft.


Altpapierkorb

+++ Womit wir bei John "Wolff" Wayne wären: "Damals, als die erste selbstproduzierte Serie des Senders Sat.1 nach 173 Folgen endete, sah es so aus, als sei Wolff gestorben, wie er sich durchs Leben schlug – with his boots on", schreibt Michael Hanfeld in der FAZ (Seite 31) anlässlich eines neuen Piloten, der fünf Jahre später die Wiedergeburt der Sat.1-Serie testen soll. Aus dem Geist der Ökonomie: "Es wäre eine Tat, ließe Sat.1 diesem Film eine Serie folgen. Damit unterstrichen die Verantwortlichen, der Sat.1- Chef Joachim Kosack und der Pro-Sieben-Sat.1-Vorstand Andreas Bartl, dass sie gelernte Produzenten sind und dass es ihnen ernst damit ist, einen Privatsender, zumal einen, der Finanzinvestoren gehört und hohe Gewinnmargen abzuwerfen gezwungen ist, mit den Mitteln des Fernsehspiels zum Erfolg zu führen gewillt sind und nicht mit dem Programmauswurf, dem der Konkurrent RTL es in weiten Teilen verdankt, an der Spitze der Senderliste zu stehen." Die Frage ist nur: Warum sollten die Finanzinvestoren das machen, wo sie doch Finanzinvestoren heißen und nicht Fernsehspielkunstmäzene? +++

+++ Wie sich Geld verdienen lässt, zeigt die "Blitztabelle" bei der "Unser Star für Baku"-Suche. Dagegen regt sich Protest: "Eine MABB-Sprecherin bestätigte am Montag Medienberichte, wonach eine Beschwerde vorliege, dass die Blitztabelle, bei der in Echtzeit zu sehen ist, wie beliebt jeder Kandidat ist, einen enormen Zeitdruck aufbaue. Für die Praxis, die Anruferzahlen mittels eines fingierten Zeitdrucks hochzutreiben, musste der Sender 9 Live Strafen bezahlen." (TSP). +++ Mit Hitler Geld zu verdienen versucht der Verleger Peter McGee, der Ausschnitte aus "Mein Kampf" drucken will, die Rechte am Buch liegen bei Bayrischen Finanzministerium. Willi Winkler, kraft seines Buchs über den Schweizer Banker Francois Genoud ein Fachmann auf diesem Gebiet, beschreibt in der SZ (Seite 15) McGee vor allem als Geschäftsmann: "Der britische Verleger Peter McGee, der recht gut weiß, dass sich alles mit der Aufschrift 'Nazi' nach wie vor bestens verkauft, handelt selbstverständlich mit bester aufklärerischer Absicht. ... Vor drei Jahren brachte er Faksimile-Ausgaben der nationalsozialistischen Zeitungen Völkischer Beobachter (VB) und Der Angriff heraus, ummäntelt von vergleichsweise sparsamen Kommentaren und hochkarätig betreut von einem Beratergremium, dem so angesehene Zeithistoriker wie Hans Mommsen und Peter Longerich angehören." +++ Die FTD schreibt ebenfalls dazu. +++

+++ Über das Zeitungsgeschäft in Argentinien, in dem eine einzige Papierfabrik eine zentrale Rolle spielt, informiert die TAZ. +++ Die FAZ (Seite 15) stellt die slowakische Idee einer Art Flatrate für Online-Zeitungsangebote vor, die Piano heißt und vielleicht endlich eine Antwort auf die Frage liefert, die der Chefredakteur des Guardian, Alan Rusbridger, gemäß einer FAZ-Meldung anlässlich von Seitenkürzungen offen stellt: "Die unverblümte Wahrheit sei dies jedoch, weil das jetzige Wirtschaftsmodell für Qualitätszeitungen in einem großen Teil der entwickelten Welt in Schwierigkeiten stecke. Alle Zeitungen stünden unter dem Zwang, digitale Formen zu entwickeln, für die aber bisher niemand ein praktikables Geschäftsmodell gefunden habe." +++

+++ Zur Dschungelcamp-Berichterstattung: Stern.de macht das nicht schlecht, weil es sich auf Gossip konzentriert, statt mit Häme dem Witz der Sendung begegnen zu wollen. +++ Klaudia Wick diskutiert im Briefwechsel online bei der Berliner ebenfalls in angemessenem Ton: "Aber dieser Jahrgang ist ja ohne jeden Ehrgeiz!" +++ Auf Meedia.de kann Stefan Winterbauer der Versuchung widerstehen, auch mal ein Wortspiel zu machen: "Na bitte! So langsam kommt das Dschungelcamp bei RTLs "Ich bin ein Star - holt mich hier raus!" doch noch ins gewohnte Fahrwasser. Bzw. Regenwasser." +++ Gewohnt niveaulos bleibt indes Welt-Online, wo die mit großem Bild aufdringlich inszenierte "Expertin" namens Angelika Zahn ("freie Journalistin , Jahrgang 1983, und bekennende Klatschspaltenleserin"). Von Ironie hat Zahn einen recht schlichten Begriff: "Ailtons graue Zellen haben ein anderes Problem: In seinem Kopf herrscht momentan Blutarmut. Das staut sich nämlich momentan in anderen Körpergefilden des Fußball-Dickerchens." +++

+++ Und aus Paul Ingendaays Text über die Nachrufe auf den umstrittenen spanischen Politiker Manuel Fraga Iribane erfährt man etwas über die beeindruckende Kultur des Nekrologs, die dort gepflegt wird: "'Gefällt mir', das sagen über diesen ebenso sturen wie anpassungsfähigen Mann die konservativen Blätter 'ABC' und 'La Razón' – und drücken ihre Wertschätzung in vierzehn beziehungsweise siebzehn Seiten Nachruf aus. Kein Druckfehler." +++ Der Tagesspiegel meldet, das ZDF habe einen neuen Moderator für die Unterhaltungssendung "Wetten, dass..?" gefunden. Thomas Gottschalk hatte die Moderation Ende letzten Jahres abgegeben. +++

Neues Altpapier gibt's morgen wieder gegen 9 Uhr.
 

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