Die toten Gäule

Die toten Gäule

Es hört nicht auf, aber vor allem geht es nicht weiter: Wulff, Bild oder warum Günther Jauch nicht als kritischer Journalist in die Geschichte seiner Sendung eingehen will

Zu den unangenehmen Weiterungen der Causa Wulff gehört, dass man jetzt jeden Sonntag "Günther Jauch" gucken muss. Gestern abend lief bereits die zweite Sendung, die den krisenhaften Bundespräsidenten zum Thema hatte.

Und erstaunlicherweise hätte Jauch einmal das tun können, was man von seiner Talkshow im Grunde nicht erwartet: eine Debatte moderieren, durch genaues Nachfragen jene kritischen Punkte herausarbeiten, die im print- und onlinemedialen Nebeneinander immer nur im Raum stehen.

Aber Jauch ist ein Fußballspieler alter Prägung, der auf Ergebnishalten aus ist und lieber sicher hintenrum spielt, statt in die Räume vorzudringen, die sich plötzlich auftun. So leistet er in der Sache Wulff keine Aufklärung, bei der hinter dem ganzen Bohei zu verschwinden droht, dass die Verbindung zu Unternehmern durchaus einen Skandal darstellt. Oder in der man durchaus über Sinn und Unsinn des offiziell höchsten Amtes im Staat hätte diskutieren können, wie es – der, wie in solchen Runden üblich, merkwürdige besetzte schreibende Strafverteidiger – Ferdinand von Schirach vielleicht etwas zu deutlich vorschlug (bei 54:46)– und, als Jauch partout nicht darauf eingehen wollte, über "so eine Art Zensur von Herrn Jauch" sprach (bei 57:08).

Und zweitens hätte Jauch, was hier stärker interessiert, bei den medialen Aspekten der Angelegenheit, sprich: der Rolle vor allem der Bild-Zeitung, Fortschritte erzielen können. Diekmanns Edeldomestike Blome saß zum zweiten Mal bei ihm, und heuer passenderweise nicht am Rand als Stimme der Kritik, sondern mittenmang (der Spiegel in Person von Chefredakteur Georg Mascolo hatte sich durch die aktuelle Titelgeschichte diesmal ebenfalls qualifiziert).

Für einen kurzen Moment schien es, als könnte Jauch gleich zu Beginn mit einem halbwegs kritischen Einspielfilmchen und vor allem durch Bernhard Vogel, der als Politiker a. D. keine Angst mehr haben darf, von der Bild-Zeitung gedisst zu werden, die scheinheilige Inszenierung von Springers heißem Blatt dem breiten Fernsehpublikum durchschaubar machen.

Aber Jauch insistierte eben nicht, als Nikolaus Blome sich aus dem Aufzug-Zitat von Dr. Döpfner (wer mit Bild nach oben fahre, fahre mit ihr auch wieder nach unten), das die Macht des Boulevard-Blatts drohend beschreibt, durch ein schlechten Witz über den Paternoster im Berliner Springerhochhaus aus der Affäre zog. Oder als Blome die gezielte Indiskretion des Mailbox-Textes, den Wulff auf Diekmanns Telefonbeantworter hinterlassen hatte, zur Nachhilfestunde bei anderen Medien verniedlichte.

Als Jauch schließlich die absurde Süßwarenhändlerin aus Noderney als Freundin von Wulff präsentierte, die später noch einmal auf die Machenschaften von Bild orientierte, würgte dann ausgerechnet die Mascolo die Diskussion ab.

So bleibt das Fazit von Michael G. Meyer in der ersten Frühkritik bei der Berliner:

"Doch trotz bestens besetzter Runde blieben die Fragen oberflächlich."

[+++] Und hier bleibt folglich nur der Blick auf die immer nur an Bild adressierte Kritik, die mittlerweile so verbreitet ist, dass selbst unterkomplexere Positionen das Problem erahnen.

Richard Gutjahr etwa bläst in seinem Blog den Kampf zwischen Wulff und den Medien gleich zum Paradigmenwechsel in der politischen Kultur auf. Bedient damit aber zumeist so grobe Vorstellungen wie mit seiner Selbstkritik:

"Wie selbstverständlich greifen wir Journalisten jeden Presserabatt ab, der sich uns bietet...Schämen müsste man sich. Aber es tut keiner."

Bezeichnend für den Journalismus ist dabei, dass Gutjahr als ethisches Korrektiv nur verdrängte Scham einfällt und nicht etwa die Möglichkeit des bewussten Verzichts.

Der Journalistikprofessor Stephan Weichert öffnet den Fokus auf Meedia.de ebenfalls sehr weit:

"In der Causa Wulff geht es vor allem um Aufmerksamkeit."

Kann man nichts gegen sagen. Nur bei den Begriffen vielleicht noch mal überlegen, ob da nicht eine sehr vulgomarxistische Auslegung zugrunde liegt:

"Es überrascht, mit welcher Einmütigkeit dabei die ehemaligen Klassenfeinde Springer, FAZ und Spiegel jetzt berichten."

Konkurrenten wären womöglich das bessere Wort gewesen. Aber der Befund ist nicht falsch. Weshalb für die SZ, die mit ihrem Text über die Mailbox-Geschichte für die Wiederaufnahme des Schmierentheaters nach den Weihnachtsferien gesorgt hatte, Ralf Wiegand in der Samstagausgabe in eigener Sache Auskunft gibt:

"Diese Zeitung hatte von dem möglichen Anruf des Präsidenten bei Bild tatsächlich erst Sonntag aus der FAS erfahren und dann recherchiert - mit Anfragen bei Springer, dem Bundespräsidialamt und Wulffs Anwalt. Das Ergebnis dieser Recherchen war die Berichterstattung in der SZ. Die Reaktionen darauf hatten Wulff letztlich gezwungen, sich ARD und ZDF zu stellen."

Die Frage, ob diese Mailbox-Ansage tatsächlich einen Skandal, einen Angriff auf die Pressefreiheit darstellt oder ob nicht mit Wulff hier nicht "der Gaul" (Bernhard Vogel) durchgegangen ist und es nicht stillos ist von Diekmann, trotz angenommener Entschuldigung die Sache zu streuen, wird leider nicht gestellt.

[+++] Die Zwanghaftigkeit dieser speziellen Debatte, deren weiterführende schiere Redundanz Stefan Niggemeier hübsch auflistet, scheint auf Hans Leyendecker ergriffen zu haben. Der äußerte in einer Diskussion zum Thema auf der "50 Jahre Deutschlandfunk"-Tagung, die das DLF-Medienmagazin am Samstag sendete, es sei Zumutung, "dass man zum Verteidiger der Bild-Zeitung" werde.

Muss man doch gar nicht. Man kann es auch anders halten, wie Ulrich Schulte in der TAZ beweist:

"Warum fragt niemand, warum Bild scheibchenweise informiert? Diekmanns Kalkül liegt dabei auf der Hand: Irgendwer wird Wulffs Sätze schon veröffentlichen. 'Bild' stünde dann - quasi neutral - daneben, hätte andere Medien auf die eigene Seite gezogen und immer noch die letzte Hoheit über den Skandal. Denn die Bild-Leute stechen nur Passagen durch."

Und dabei unterscheidet Schulte immer noch von klassischer medialer Praxis:

[listbox:title=Die Artikel des Tages[Wulff-Bild-Bohei: Mediale Selbstgenügsamkeit (Berliner)##Wulff-Bild-Bohei: Eine Grenzverletzung (TAZ)##Wulff-Bild-Bohei: Normale Intervention (MZ)##Wulff-Bild-Bohei: Schiere Redundanz (Niggemeier)##]]

"Damit kein falscher Eindruck entsteht: Mitleid mit Christian Wulff ist fehl am Platze. ... Und auch das sei gesagt: Nicht nur Bild inszeniert. Auch andere Medien, die taz eingeschlossen, planen Berichterstattung dramaturgisch, um möglichst großen Effekt zu erzielen, oder spielen über Bande, wenn es ihren Interessen dient. Doch was Diekmann mit der Bild-Zeitung gerade macht, ist eine Grenzverletzung. Die Zeitung gibt ihre Beobachterfunktion weitgehend auf und verfolgt nur mehr das Ziel: Wulff soll zur Strecke gebracht werden."

Der Spiegel befindet in der aktuellen Titelgeschichte auf Basis des Transkripts der Mailbox-Nachricht:

"Ein Anschlag auf die Pressefreiheit? Das ist wohl reichlich übertrieben. Aus dem Papier spricht vielmehr die Enttäuschung des Präsidenten: Er hatte gedacht, er rufe bei einem Freund an, auf den bisher Verlass war."

Interessanterweise sind zur Empörung über die Mailbox-Nachricht, die wohl nur deshalb ein Politikum ist, weil sie diese Form der Hintergrundgespräche erstmals dokumentiert, die alten Fahrensmänner des Journalismus nicht recht fähig.

Der ehemalige DLF-Korrespondent Peter Quay berichtet in besagtem DLF-Gespräch von der Intervention als gängige Praxis. Der ehemalige SZ-Chefredakteur Hans-Werner Kilz erzählt den DuMont-Medien, in deren Aufsichtsrat er heute sitzt:

"Ich habe als Chefredakteur von 'Spiegel' und 'Süddeutscher Zeitung' viel erlebt, zuletzt die ganze Siemens-Affäre vorbeirauschen gesehen. Natürlich gab es da Interventionen – vom Vorstandschef, vom Ministerpräsidenten, vom Finanzminister: 'Wissen Sie eigentlich, dass Sie einen der wichtigsten deutschen Konzerne, einen der größten Steuerzahler ins Trudeln bringen…?' Das hat dann noch einmal ein ganz anderes Druckpotenzial als dieser Anruf des Bundespräsidenten beim Bild-Chefredakteur. Ich sehe den Kollegen Kai Diekmann ja förmlich zittern vor Angst!"

Und Friedrich Küppersbusch sagt im wöchentlichen TAZ-Gespräch:

"Ein Chefredakteur, ein Verleger bekommt sein Gehalt unter anderem dafür, Druck auszuhalten – dass Diekmann sich zum Stauffenberg der Pressefreiheit hochjuxt, ist bereits sein Sieg und Wulff sein nützlicher Depp."

Insofern, und damit wären wir wieder beim Ergebnisverwalter Günther Jauch, ist vor allem Christian Bommarius' großer Essay aus der Berliner vom Samstag zu empfehlen. Der hebt auf all die problematischen Details einer politischen Kultur ab, die hinter dem Mailbox-Kindergarten verschwinden:

"Der Selbstgenügsamkeit der politischen Skandale in Deutschland entspricht die Selbstgenügsamkeit der deutschen Medien im Umgang mit ihnen."

Die Wulff-Bild-Geschichte, müsste man mit dem berühmten Medienkritiker Heiner Müller sagen, reitet derweil auf toten Gäulen ins Ziel.


Altpapierkorb

+++ "Eins zumindest ist sicher: In Großbritannien wäre Kai Diekmanns Mailbox längst gehackt und der Volltext der bundespräsidialen Adventsgrüße genüsslich in den Medien ausgebreitet." Schreibt Steffen Grimberg in der TAZ zum Fortgang der Leveson-Kommission. +++ Ebenfalls in der TAZ: Günter Wallraffs Auftritt bei einem Prozess, in dem er die Verbrennungen vorzeigen musste, die er sich undercover in einer Großbäckerei zugezogen und über die er wie über die der Angestellten dort berichtet hatte. +++ Im Tagesspiegel empfiehlt Thomas Gehringer (wie Kollege Peer Schader "dringend" in der Berliner, nicht online) die Sendung "Markencheck: Der Lidl-Check" (ARD, 20.15 Uhr), die Arbeitsweise von Discountern breit diskutiert. +++

+++ Womit wir beim Fernsehen wären. Michael Hanfeld findet den ARD-Film zur Sarrazin-Debatte (heute im WDR, morgen im RBB) gut – hätte den ursprünglich geplanten von Güner Balci aber besser gefunden. +++ Die TAZ schaut vor allem auf Sarrazin – und greift zur Vogel'schen Pferdemetaphorik. +++ Für die SZ (Seite 13) besucht eine spürbar charmierte Claudia Tieschky aus Anlass des Films "Das Kindermädchen" die große Inge Keller daheim in Berlin-Pankow. +++ Torsten Wahl portraitiert aus gleichem Anlass in der FR Jan Josef Liefers. +++

+++ Über die "Sponsored Stories" auf Facebook als problematische Form der Werbung orientiert Niklas Hofmann in der SZ (Seite 13). +++ Aussteigerprogramme aus Facebook empfiehlt der Tagesspiegel. +++

Neues Altpapier gibt's morgen wieder gegen 9 Uhr.
 

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