Phantom-Protokolle

Phantom-Protokolle

Die Medien haben den Rechtsextremismus verpennt, sagt Astrid Geisler. Aus nichts in der Hand wurden "Döner-Morde". Thomas Gottschalk meldet sich zurück. Und das ZDF hat wohl irgendwie zu sparen vergessen

"Acht Türken, ein Grieche und eine Polizistin" heißt der Dokumentarfilm, den die ARD heute "dem Stereotyp von den 'Döner-Morden' entgegensetzt", wie der Tagesspiegel schreibt. Er

"zeigt, wie verschieden die Leben der Opfer der Terrorzelle 'Nationalsozialistischer Untergrund' (NSU) waren. Gleich war nur die Waffe, durch die alle starben. Wer sind die Ermordeten – diese Frage beantwortet die Koproduktion von RBB, NDR und WDR zum Teil virtuos."

Während der Tagesspiegel noch einmal "die Unfähigkeit der Ermittler" in den Vordergrund rückt, ist es bei der Berliner Zeitung (Link nachträglich gesetzt) das "Misstrauen", das die Familie eines Opfer entwickelt habe, "auch gegenüber deutschen Medien und deren Berichterstattung über die angeblichen 'Dönermorde'." Kenan Kolat, Bundesvorsitzender der Türkischen Gemeinde Deutschlands, "erinnert daran, dass türkische Zeitungen und Verbände schon während der Mordserie immer wieder den Verdacht geäußert hatten, dass hier rechtsradikale Täter am Werke waren – damals aber dafür stark kritisiert worden waren."

Zu recherchieren, wie genau damals der Verdacht lautete, ist uns jetzt zu früher Stunde nicht geglückt. Der Medienseitenaufmacher der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung geht allerdings, was die Berichte deutscher, vor allem, Zeitungen angeht, ins Detail. "Was haben die Medien über die Fahndung berichtet", als noch nicht klar war, dass die elf Morde von Neonazis verübt wurden?, fragt sie – und Gregor Quack findet im Archiv Dokumente des Herumeierns. Phantom-Protokolle – als handelte es sich um einen Film mit Tom Cruise (Foto rechts, links Regisseur Brad Bird).

"Schaut man sich an, wie Medien damals mit dem Informationsmangel umgegangen sind, erkennt man verschiedene Wege und Strategien mit dem Ziel, bloß nicht nichts schreiben zu müssen. Wo die einen im zaghaften Gleichschritt mit der Polizeit 'im Dunkeln tappten', rannten die anderen mit Anlauf in die Dunkelheit – und legten sich dabei in nicht wenigen Fällen gehörig auf die Nase."

Quacks Artikel gibt Zeugnis davon, wie Journalisten es gelingt, aus nichts als ein paar Sinneseindrücken den Beweis einer "schwer durchdringbaren Parallelwelt" zu zimmern, die sich heute als reine Fiktion darstellt. Wenn Kathrin Passig im am Freitag an dieser Stelle ausführlich zitierten Medium-Magazin-Interview sagt, sie finde das Zusammentragen von Bausteinen "wesentlich hilfreicher als das Geschichtenerzählen auf Biegen und Brechen" – hier ist das Beispiel dafür, dass ihr Gespür nicht ganz trügerisch ist.

Im FAS-Text sticht der Journalist Jörg Völkerling, der für Bild schon Jörg Kachelmann auflauerte, mit besonderen Leistungen hervor. Völkerling habe, etwa in der Welt, das herrschende "Schweigen", das "für andere Journalisten schnell zum 'auffälligen Schweigen' wurde, was auch immer das heißen sollte", "eigenhändig mit Inhalten" gefüllt, so Quack – und machte in einem Mordfall "eine von dreizehn Theorien" der Polizei zur einzig gültigen: Jene, "die türkische Drogenmafia" stecke dahinter.

[listbox:title=Artikel des Tages[Bodo Hombach leaves WAZ (taz)##"Acht Morde" (TSP)##Ein trauriges Bild (BLZ)]]

Astrid Geisler, taz-Journalistin und mit Christoph Schultheis Autorin des Buchs "Heile Welten. Rechter Alltag in Deutschland", kritisiert in einer, wiederum, Medium-Magazin-Kolumne, die Medien hätten "den Rechtsextremismus verpennt" – und nennt darin auch Bild-Chefredakteur Kai Diekmann als Hysteriekritiker: "Neonazis? Folklore! Wer sich [2006] noch über Rechtsextremismus empörte, stand unter Hysterieverdacht." Geisler:

"Natürlich leisten sich einige Zeitungen wie der Berliner 'Tagesspiegel' oder Sender wie der NDR noch Journalisten, die nicht erst bei Wikipedia nachlesen müssen, was wohl der 'Thüringer Heimatschutz' sein könnte. Ihr Kreis ist aber überschaubar."

[+++] Schlechte Nachrichten für alle, die nie wieder etwas von Thomas Gottschalk lesen wollten: Eine Woche, nachdem er auf allen Medienseiten und im Altpapier durchgekaut wurde, wird er erneut auf den Medienseiten und im Altpapier durchgekaut.

Anlass ist diesmal Gottschalks ARD-Vorabendsendung "Gottschalk live", die von Ende Januar an werktäglich laufen soll – bis mindestens März, wenn man Hans Hoffs Bericht von der dem allgemeinen Vernehmen nach recht amüsanten Pressekonferenz in der Süddeutschen vom Samstag (S. 23) glauben will:

"Niemand mag daran denken, was passiert, wenn nach der Osterpause die lange Ebene beginnt, in der möglicherweise keiner mehr darüber schreibt, in der die Marktanteile so werden wie jetzt zu dieser Sendezeit, also einstellig. 'Zukunftspläne über den März hinaus gibt es nicht', sagt Gottschalk, und dann deutet er an, dass es durchaus auch so etwas wie einen Notausgang gebe. 'Wenn das keiner will, sage ich nicht: Ich mache das trotzdem'".

Auch sonst war der Samstag Gottschalk-Tag nach seiner Vorstellungskonferenz in Berlin am Freitag. "Sollte Gottschalk nur die Hälfte der guten Laune, die ihm gerade anzumerken ist, in den Vorabend hinüberretten können, dann wird das eine lustige Angelegenheit", glaubt Peer Schader, der, außer für Berliner Zeitung und Frankfurter Rundschau, auch für deren medienjournalistisch eigenständige Schwester, den Kölner Stadt-Anzeiger, tätig wurde. Am Ausführlichsten fassen Joachim Huber vom Tagesspiegel und DWDL das Gesagte zusammen; und den unterschiedlichen Zitaten nach, die über die Wochenendberichterstattung hinaus heute noch im Spiegel (S. 159) stehen, hätte man die Texte auch notfalls noch ohne allzu große Not ein bisschen länger machen können.

"Man könnte diese Pressekonferenz jemandem zeigen, der noch nie von Gottschalk gehört hat, und er würde dessen besondere Stellung in Deutschland sofort verstehen – anders, als wenn man diesem Ahnungslosen eine beliebige Ausgabe 'Wetten, dass ...?' zeigen würde",

schreibt der Spiegel, der im Tageswettbewerb mit dem Focus in Sachen Gottschalk-News allerdings unterliegt. Genau wie in Sachen ungewollte Witzigkeit, die aber ja auch nicht umsonst Focus-Kernkompetenz ist:

"Nach FOCUS-Recherchen wird Thomas Gottschalk sich bei der ARD nicht nur mit leichten Themen befassen. Der erfahrene Showmaster soll auch für Sendungen mit 'Ereignischarakter' eingesetzt werden."

Die Rede ist im weiteren Verlauf des Textes von fünf bis sechs "Samstagabend-Events" pro Jahr, die sich demnach – das dürfen wir uns als Leser vielleicht erschließen – mit schweren Themen beschäftigen werden; "die Verleihung des Deutschen Fernsehpreises" soll darunter sein, es wird also wohl um so hart recherchierte News gehen wie Abendkleider.

Aber gibt's nichts Wichtigeres als schon wieder Gottschalk? Doch, es gibt zum Beispiel ein Porträt von Klaas Heuer-Umlauf, der mit Thomas Gottschalk schon mal gemeinsam moderiert hat, woran die Süddeutsche Zeitung heute (S. 15) erinnert. Und schreibt:

"Dass er heute beim ZDF moderiert, während andere seines Jahrgangs noch immer vor der giftgrünen Wand Lady Gaga ansagen müssen, liegt an Heufer-Umlaufs Fleiß und der Gewissheit, dass es in aller Regel harte Arbeit ist, die den Moderationen Leichtigkeit geben und keine Leere."

Glauben wir sofort. Weshalb die Ankündigung Gottschalks, er werde in seiner ARD-Vorabendsendung "vorbereitet sein", nicht zwangsläufig zu seinen Gunsten ausgelegt werden müsste, Stichwort "Leere von 'Wetten, dass..?'". Gottschalk dient aber nicht nur als Referenzfigur für Heuer-Umlauf, sondern auch für Hape Kerkeling, der am Sonntagabend den ZDF-Jahresrückblick moderierte. Welt Online und KSTA.de machen das "Wetten, dass..?"-Moderationsfass gleich in den Unterzeilen ihrer Frühkritiken noch einmal auf.

[+++] Die härteste Nachricht des Tages betrifft das ZDF: Das habe Sparauflagen der den meisten Medienjournalisten bekannten KEF – Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs der Rundfunkanstalten – missachtet, wie der Spiegel, leicht ausführlicher auch Spiegel Online, berichtet.

"Der fürs ZDF verbindliche Bericht der KEF (Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs der Rundfunkanstalten), der im Januar veröffentlicht werden soll, führt penibel aus, dass der Sender in den Jahren 2007 und 2009 zwar jeweils zugesagt habe, Stellen abzubauen – zunächst 59 und dann sogar 128 – , tatsächlich aber zusätzliche Posten schuf."

Was die KEF als "kritikwürdig" betrachtet; ZDF-Verwaltungsdirektor Hans Joachim Suchan wird mit einem Versäumnis zitiert.

"Nach den neuen Sparvorgaben muss das ZDF nun in den nächsten vier Jahren 75 Millionen Euro beim Personal einsparen. Die Senderspitze verfügte deshalb einen Einstellungsstopp."

Was das für "Wetten, dass..?" und Herrn zum Beispiel Kerner bedeutet, wird man sehen.


Altpapierkorb

+++ Von einem älteren Streit zwischen Springer und Politiker Friedbert Pflüger und seiner Neuauflage berichtet die SZ: Pflüger soll seinen CDU-Parteikollegen Wolfgang Schäuble einst "Goebbels im Rollstuhl" genannt haben, wie zu lesen war; Pflüger bestritt das, wohl schon immer – nun, in einem Schäuble-WamS-Interview im Juni, kam das alte Zitat noch einmal auf den Tisch. Und wieder habe sich Pflüger dagegen gewehrt. Die SZ schreibt: "Die Geschichte verrät einiges über echte falsche Schlag-Wörter im Parlamentsbetrieb, aber auch über den blinden Fleck der Presse, wenn sie mit den eigenen Fehlleistungen konfrontiert ist". WamS und Welt Online  sowie die assoziierte Berliner Morgenpost haben berichtigt. Sollte das unberichtigte Interview mit Schäuble aber noch jemand lesen wollen: Es steht auf den Seiten des von Schäuble geführten Bundesfinanzministeriums +++

+++ Die Berliner Zeitung hat mit dem Schauspieler Fritz Karl gesprochen: "Nach dem Theater hat Fritz Karl fürs Fernsehen gearbeitet, auch wenn er das Medium durchaus kritisch sieht. Vor allem empören ihn die Castingshows von 'Superstar' bis 'Supertalent'. Das Fernsehen erziehe die Leute auch, 'ob es will oder nicht, zu schlechtem Geschmack und widerlichem Voyeurismus. Man verlernt ihnen das Zuhören, das Zusehen.' Es sei ein trauriges Bild der Gesellschaft" +++ Anlass ist der Montags-ZDF-Film, in dem er mitspielt – "Tödlicher Rausch" wird rezensiert von evangelisch.de, der FAZ und der SZ: "Vielleicht hätte der Film auch einfach als trübsinnige Dorfstudie funktioniert, weshalb es unnötig konventionell wirkt, dass die Geschichte in Bearbeitender Struktur eines Kriminalfalls erzählt wird" +++ Explizit DVD-Tipps gibt der sich selbst bisweilen dem Service verpflichtende Tagesspiegel: "Mad Men", "The Wire" und – recht originell – "Catweazle" +++ Die taz bespricht eine ARD-Doku über "Strauss-Kahn" +++

+++ Personality-Tratsch: Die Medienjournalistin Silke Burmester wechselt ins ernsthafte Fach und gehört nun wohl zum Kolumnistenteam von Spiegel Online +++ WAZ-Geschäftsführer Bodo Hombach verlässt, wie die SZ am Samstag schrieb, das Medienhaus. Die taz verabschiedet ihn heute im Medienseitenaufmacher und ordnet ein, was es für Hombach bedeutet, am Wochenende "Gewinner des Tages" in Bild gewesen zu sein  +++

+++ In der SZ: Im Abhörskandal um das eingestellte britische Boulevardblatt News of the World gibt es eine Korrektur: Demnach wurden "rund 800 Menschen Opfer von Telefon-Hacking durch die Murdoch-Presse" – nicht, wie die Ermittler zunächst vermutet hätten, 5795 +++ Das ZDF plane weiterhin eigene Vormittags- und Mittagsnachrichten, wie heute auch die FAZ meldet – "kostenneutral", wie es heiße +++

+++ Und der Spiegel (S. 160ff.) macht einen größeren Aufschlag zu Scripted Reality, in den Spiegel-Online-Auftritt durch eine Art Meldung verlängert. Der Spiegel: "Vor 20 Jahren lautete der Kanon der Medienkritik – angefu?hrt vom US-Wissenschaftler Neil Postman –, dass das Fernsehen uns zu Tode amu?siere. Heute muss man eher feststellen, dass sich das Medium selbst zu Tode schwindelt"

Das Altpapier stapelt sich morgen wieder.

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