Sprechende Namen

Sprechende Namen

Gurnimaz, Dr. Erwin Faustus aka der Teufel und Marcus Off oder Anonymität, Weiterdrehen, Synchronsprecherentlohnung. Außerdem: Was von Twitter zu lernen ist, und was von 9Live bleibt

Dem eiligen Zeitgenossen stellen sich beim scannenden Scrollen beliebter Nachrichtensites angesichts der Schlagzeile "Kramp-Karrenbauer kritisiert Teufel" zwei Fragen: Wann hat Katy Karrenbauer sich verpartnert? Und warum tritt sie jetzt als Exegetin des Alten Testaments in Erscheinung?

Es gibt bessere Witze. Aber dass Namen sprechen können, wird nach der heutigen Lektüre der Medienseiten keiner bestreiten wollen.

"Gurnimaz" zum Beispiel dient Heribert Prantl in seinem, wie man unter uns krassprofessionellen Journalisten so sagt, Stück in der SZ über das vom Innenminister geforderte Anonymitätsverbot im Internet als Synonym für die Lächerlichkeit von Alias-Namen. Prantl, der schon im zweiten Satz erklärt, dass "anonym" aus dem Griechischen stammt und "namenlos" heißt, ist dabei nicht so herablassend, wie man es den Gurnimazen dieser Welt gemeinhin gegenüber ist – er hält die Forderung für genauso unsinnig wie das Vermummungsverbot in der analogen Welt.

Hat am Ende aber noch einen Vorschlag zur Güte parat:

"Bei Leserbriefen im Internet, den 'Postings' zu Online-Artikeln, schreibt bisher jeder unter dem Namen, den er für lustig hält. Auch das muss nicht sein. Unter den Leserbrief in der gedruckten Zeitung wird der Realname gesetzt, nicht der Name 'Gurnimaz' oder Ähnliches. Das ist aus rechtlichen Gründen so – und weil es zum Wesen der Zeitung gehört. Im Internet verändert Presse zwar den Aggregatzustand, aber nicht ihr Wesen."

Das mit der Wesensbeibehaltung ist so eine Sache: Ob man die Kommentare unter unter online gestellten Artikeln als Leserbriefe bezeichnen will, ist schon eine Frage, die einen Schulenstreit provozieren könnte. Unter Postings versteht man dann aber doch etwas anderes als Prantl hier insinuiert, was vielleicht daran liegt, dass der Begriff nicht aus dem Griechischen kommt.

However. Der verbotswillige Innenminister heißt bekanntlich Friedrich, müsste ob seiner Verbotswilligkeit doch aber eher Wütrich heißen.

Ein Satz, den Gerhard Stadelmaier, der große FAZ-Theaterkritikpoet, am Ende wohl doch verworfen hätte. Er ist aber auch mit anderen Dingen beschäftigt: einer Feuilletonaufmachereloge feat. eigene Erinnerungen auf Erwin Teufel, den CDU-Ruheständler, der der CDU wieder mehr CDU verordnen will, kurz: der gute Konservative. Und Stadelmaier als Mann des Theaters weiß, dass Namen reden:

"'So ungefähr sagt das der Pfarrer auch', könnte jetzt ein Kanzlerinnen-Gretchen einem Dr. Erwin Faustus schnippisch antworten. Wenn denn Erwin Teufel irgend etwas Faustisches an sich hätte, vom Mephistophelischen, das sein Nachname suggeriert, ganz zu schweigen."

Der Text findet hier nur Erwähnung, weil er hübsch das, wie wie krassprofessionellen und so weiter sagen, Weiterdrehen von Geschichten illustriert, die man selbst in die Welt gesetzt hat: Vor zwei Wochen Erwin Teufel himself mit großer Geste ("Ich schweige nicht länger") in der FAS, diesen Sonntag dann der Nachschlag von the one and only Volker Zastrow. Und nun eben der Theaterredakteur mit schwäbischen Roots.

Wie viele heiße Luft guter Wille in dieser Geschichte steckt, zeigt sich schon an den Konzessionen, die Stadelmaier machen muss, um sein Bild vom besseren Teufel durchzukriegen:

[listbox:title=Die Artikel des Tages[Was ein Posting nicht ist (SZ)##Was Twitteranalyse bringt (FAZ)##Wozu 9Live gut war (Berliner)##Was über den Mauerbau endlich enthüllt wird (Berliner)]]

"Zwar hat er in seiner – segensreichen – Zeit als baden-württembergischer Ministerpräsident eine Verwaltungsreform durchgeboxt. Zwar hat er einen großen Energiekonzern (EnBW) geschaffen. Zwar hat er den Südwestfunk und den Süddeutschen Rundfunk zusammengelegt und in Mannheim eine Pop-Akademie gegründet. Zwar hat er ein 'Haus der Geschichte' geschaffen. Zwar hat er sich auch für das unsinnige Vorhaben starkgemacht, den Stuttgarter Bahnhof unter die Erde zu verlegen. Zwar hat er viel gemacht. Und verändert. Aber."

Ja, aber. Marcus Off ist ein Name, dessen Reiz sich nicht nur Gerhard Stadelmaier erschlösse: Off ist ein zu kurz gekommener Synchronsprecher, besser: Synchronschauspieler, denn als solcher versucht er, bessere Bezahlung für seine Arbeit (etwa als deutscher Johnny-Depp-Resonanzkörper in "Fluch in der Karibik") einzuklagen. Simon Feldmer berichtet in der SZ (Seite 15):

"Von den eingespielten Millionen wollte Off dann jedoch etwas mehr als die 9306,14 Euro Honorar plus 8650 Euro für die Synchronisation von DVD-Bonusmaterial und TV-Spots abhaben, die eigentlich vertraglich festgelegt waren. Das ist eine Entlohnung, die bereits deutlich über der gängigen Gage im Synchrongewerbe lag. Disney hatte für Offs Nachforderung in Höhe von 180000 Euro wenig Verständnis. Und schon wurde 'Fluch der Karibik 4 - Fremde Gezeiten' ohne Off am Mikrophon synchronisiert, was dann wiederum zu Petitionen und Fanprotesten im Internet führte."

Knifflige Fragen, um die es da geht. Ein erster Richterspruch in dieser Sache überzeugt Feldmer jedenfalls nicht:

"In der Urteilsbegründung legten sie ohne zu zweifeln dar: 'Zur originären schauspielerischen Leistung des Johnny Depp konnte er (Marcus Off) keinen eigenen Beitrag mehr leisten, da die Filme bei ihrer Synchronisation bereits fertig gestellt sind.' Das klingt fast so, als hätten sie selbst mitgespielt."


Altpapierkorb

+++ Der große Dieter Anschlag (sic) erklärt in der TAZ noch einmal die Freitag hier schon mitgeteilten Funkkorrespondenz-Beobachtungen von Herunterstufungen der ARD bei den Bild-Fernsehtipps als Indiz für Bewegung in der groß angekündigten ARD-Bild-Battle. +++ In der FAZ erzählt Friederike Haupt die zauberlehrlingseske Geschichte von Vroniplag-Gründer Martin Heidingsfelder, dessen Name in der Öffentlichkeit nicht den Fame generiert, den er sich am Ende der Anonymität erhofft hatte. +++ Ebenfalls in der FAZ (allerdings auf der ersten Feuilletonseite): Michael Hanfeld über 20 Jahre MDR als eine Geschichte endloser Betrügereien, die jüngsten hören auf den weniger funkelnden Namen Udo Foht. +++

+++ Fernsehtipps gibt's hier en masse: Den zweiten Odenwaldschulfilm "Geschlossene Gesellschaft" (heute in der ARD) finden alle gut: Jörg Schindler in der Berliner, Christian Füller in der TAZ, Melanie Mühl in der FAZ (Seite 31), Tanjev Schultz in der SZ (Seite 15). +++ Beim Mauerbau gehen die Meinungen oder zumindest die Darstellungen auseinander: Michael Hanfeld verbindet in der FAZ (Seite 31) mit dem neuesten Geheim-Werk ("Geheimakte Mauerbau", heute im ZDF) ein Lob der zeithistorischen Arbeit von ARD und ZDF ("ein historischer Parforceritt, der luzide deutlich macht"), wo es doch um nichts als Erinnerungsoverkill geht, bei dem man froh ist, wenn endlich 12. September ist: "Jörg Müllner ... profitiert von neuesten Erkenntnissen aus Moskauer Akten, die Historikern erst seit kurzem zugänglich sind." +++ Björn Wirth, der den ZDF-Autor Müllner konsequent Müller nennt, amüsiert sich in der Berliner dagegen über die Mechanik dieses Overkills: "So ist der Autor Jörg Müller sehr stolz darauf, dass er freigegebene Akten aus dem russischen Staatsarchiv für Zeitgeschichte einsehen konnte. Damit lasse sich erstmals rekonstruieren, wer den Befehl zum Mauerbau gegeben hatte. Und was sagen die Akten? Der Befehl kam aus Moskau! Wie gut, dass das nun auch schriftlich vorliegt." +++

+++ Den Unterschied Dokusoaps und Dokumentation versucht Barbara Sichtermann im Tagesspiegel zu beschreiben und gelangt zu einer Zwei-Lager-Theorie, "die seriösen Macher inklusive der Reporter auf der einen Seite, deren Ethos sie dazu verpflichtet, das Material nicht zu manipulieren, sondern so vorzuzeigen, wie sie es angetroffen haben. Und die Reality-Anbieter und Dokusoap-Macher auf der anderen Seite". Wohin steckt man da aber dieses NDR-Panorama-Reporter-Investigativ-Schmierentheater, das an den gleichen Schmonz glaubt, auf den es bei RTL mit dem Finger zeigt? +++

+++ Der Noch-FAZ-Netzökonom Holger Schmidt erklärt, wozu die Twitterbeobachtung gut ist: "Medien können mit der Analyse der Signale aus den sozialen Medien, also zum Beispiel Retweets auf Twitter oder Likes auf Facebook, auch die Interessen ihrer Leser herausfinden." +++ In der TAZ erklärt Arno Frank, warum ihm die mediale Krisenberichterstattung "am Arsch" vorbeigeht. +++

+++ Und das Highlight zum Schluss. Peer Schader listet in der Berliner auf, wozu 9Live gut war: "Nützliche Lebensweisheiten: 'Der Hot-Button sucht', 'Der Hot Button ist 'on fire'', 'Die Uhr läuft nicht auf Null', 'Treffen sie im richtigen Moment Leitung 1', 'Die Sendung ist in wenigen Augenblicken zu Ende' – es waren stets Metaphern fürs Leben, die 9live seinem Publikum schenkte. Jede einzelne ließe sich auf ein Küchenhandtuch sticken." +++

Neues Altpapier gibt's morgen wieder ab 9 Uhr.
 

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