Das Google-Appel-Schema

Das Google-Appel-Schema

Man kann es nicht allen recht machen: Verlage gegen ARD, ARD/ZDF gegen Google/Apple, RTL/Sat.1 gegen ARD/ZDF, Google gegen Facebook

Reinhard Appel, der einstige Deutschlandfunk-Intendant und langjährige ZDF-Chefredakteur ist gestorben. Jochen Hieber beginnt seinen Nachruf in der FAZ mit der Würdigung von ZDF-Intendant Schächter:

"In seinem Nachruf notiert Markus Schächter, der Intendant des ZDF, über den früheren Chefredakteur des Senders, er, Reinhard Appel, sei 'eine der wichtigsten journalistischen Persönlichkeiten in der Nachkriegsgeschichte der deutschen Publizistik'. Daran ist nichts übertrieben. Es war genau so."

Der Feuilletonist in uns würde sagen: So viel Einhelligkeit war selten. Und wenn auch Appels Lebensleistung ("Journalisten fragen – Politiker antworten", "heute journal", "Wiso") keineswegs geschmälert werden soll, ist der Gedanke doch interessant, ob es an Appel oder dem Nachruf als Form liegt, dass in einer gedruckten Zeitung noch vom "erfüllten Ruhestand" eines öffentlich-rechtlichen Fernsehmannes gesprochen werden kann.

Anders gesagt: Wie wird, angesichts der derzeitigen Händel, dereinst über das gegenwärtige Personal von ARD und ZDF geurteilt werden von den Leuten, die dann noch in dem Bereich arbeiten, den wir einmal Zeitung genannt haben werden? Wird die Tagesschau-App im milden Licht des Rückblicks womöglich als visionäre Großtat einem Einzelnen  zugeschrieben werden können so wie Appel heute das "heute journal"?

Die Lektüre des Handelsblatt-Beitrags von Christoph Keese, der noch immer unter der – zu Appels Zeiten undenkbaren – Berufsbezeichnung "Konzerngeschäftsführer Public Affairs der Axel Springer AG" firmiert, erleichtert die Spekulation, insofern man sagen kann: Wenn Keeses Warnungen vor der Tagesschau-App zutreffend sind, wird die deutsche "Qualitätspresse", für die Springer sich mit seinem heißen Blatt sich bekanntlich täglich neue Meriten erwirbt, derart in Schutt und Asche gelegt sein, dass es schlichtweg nichts mehr geben wird, worauf, worin Nachrufe auf ARD-Granden erscheinen könnten.

Die andere Variante wäre, dass die Verlage mit ihrer Klage Erfolg haben und die Tagesschau-App zum Rohrkrepierer wird, über den jeder Nachruf hinweggehen kann. Argumentativ interessant ist die Notlage der Verlage, die Keese gleich zu Beginn nachvollziehbar umreißt:

"Klagen vor einem Gericht sollte nur, wem kein anderes Mittel mehr bleibt und wer alle anderen Wege abgeschritten hat."

Außerdem schützt er sich gegen Vorwürfe, dass ein eher kapitalismusfreundliches Unternehmen als vom Frost des Wettbewerbs beleidigte Leberwurst dastehen könnte:

"Wie jede andere Branche müssen Verlage im Internet neue Geschäftsmodelle finden. Sie haben kein Anrecht auf gesetzlichen Schutz traditioneller Modelle, und sie erheben auch keinen Anspruch darauf. Sie stellen sich dem Wandel und Bejahen die Schumpeter’sche Zerstörung."

Zerstörung bejahen, klingt im ersten Moment krass. All den Nostalgikern, die angesichts der Verlagslage denken könnten, über die DDR kann man ja sagen, was man will, aber eine Tagesschau-App hätte es da nie gegeben, macht Keese aber ebenfalls einen Strich durch die Rechnung:

"Neue Märkte sind nicht zu erschließen, wenn der Staat es seinen Institutionen gestattet, die Regale mit Geschenken zu beladen. Genau hier verläuft die Grenze zwischen Marktwirtschaft und ihrem kollektivistischen Gegenteil."

Steffen Grimberg hat in der TAZ den Vorteil einer gewissen Unabhängigkeit, die sich darin ausdrückt, disclaimerlose Texte in dieser Angelegenheit schreiben zu können. Das Ziel Brüssel als Main Street des gerichtlichen Showdowns entlockt ihm eher Heiterkeit:

"Da wird sich Brüssel aber schrecklich freuen, wenn dieser K(r)ampf schon wieder losgeht. Denn die Debatte gab es eben erst, und am Ende stand, von der EU-Kommission für okay befunden, das Monster namens 12. Rundfunkänderungsstaatsvertrag mit seinem Dreistufentest. Der hat schon Gigabites gebührenfinanzierter Netzinhalte vernichtet. Und jetzt zünden die Verleger die nächste Stufe: Die EU soll richten, was die Verlage in Deutschland nicht schaffen. Vielleicht streichen sie in Brüssel dabei auch gleich mal die ermäßigte Mehrwertsteuer für Presseprodukte?"

[listbox:title=Die Artikel des Tages[Zerstören, sagt sie, die ARD (HB)##Brüssel wird sich freuen (TAZ)##Revierkämpfe im Netz (TSP)##Zum Tod von Reinhard Appel (FAZ)]]

Die Welt der Tagesschau-Apps ist allerdings nicht das einzige Feld, das der Presse, wie wir sie bisher kannten, Ungemach bereitet. Holger Schmidt berichtet in der FAZ (Seite 17) von neuen Google-Suchtechniken alias Schema.org nichts Gutes – wie heute schon bei Kino und Wetter soll die Suchmaschine auf bei spezialisierten Fragen künftig nicht mehr zu Anbietern von Programmen oder Vorhersagen verlinken, sondern die Antwort gleich selbst präsentiert.

"'Gerade für Journalismus-Seiten könnte Schema.org gefährlich werden, wenn die Suchmaschinen aus den maschinenlesbaren Daten Wissen generieren können, das nicht mehr vom Urheberrecht geschützt ist', sagt Alexander Siebert vom Berliner Unternehmen Retresko, das sich auf die semantische Aufbereitung großer Datenmengen spezialisiert hat."

Tröstlich daran ist nur, dass Googles Bemühungen nicht nur von Verlagen kritisch gesehen werden. Im Tagesspiegel beschreibt Kurt Sagatz die Revierkämpfe zwischen Facebook, Google und Microsoft im Internet.

Alles Player, wie der "Konzerngeschäftsführer Global Economy" in uns sagen würde, die wiederum zum Menetekel für das deutsche öffentlich-rechtliche Fernsehen taugen. In der SZ (Seite 19) schreibt Simon Feldmer über die Video-on-demand-Plattform-Pläne des ZDF (deren Name sich im übrigen Christoph Keese ausgedacht haben könnte - "Germany's Gold"):

"Google, Apple, Geschäfte der Zukunft? Für den Chef der 100-prozentigen ZDF-Tochter Enterprises – den auf Rechteeinkauf, Lizenzverwertung und Koproduktionen spezialisierten kommerziellen Arm der gebührenfinanzierten Anstalt aus Mainz – steht die Antwort fest: lieber selber machen. In der ARD sehen das viele ähnlich."

Dumm nur, dass die Privatsender nicht mitmachen dürfen.

"Und wer ist - bislang zumindest - nicht dabei? RTL, Pro Sieben, Sat 1 und Co."

So viel steht fest: Alles voll nicht kollektivistisch.


Altpapierkorb

+++ Ganz andere Krisen: Thomas Schmid schreibt über die gewendete Presse in Tunesien (Berliner). +++ Und Joseph Croitoru beschreibt in der FAZ, wie martialisch man sich ein Anti-Gaddafi-Libyen-Fernsehen vorstellen muss. +++

+++ Fernsehen: Maris Hubschmid ist in der Tagesspiegel-WM-Fernsehen-Kolumne nicht convinced von Bernd Schmelzer und so was von gar nicht von Claus Lufen. +++ Die SZ (Seite 19) empfiehlt einen Film über Jimmy Carter, den Jonathan Demme ("Das Schweigen der Lämmer") gemacht hat. +++ Die TAZ empfiehlt eine Arte-Dokumentation über die schändliche Praxis des Begleitgas-Abfackelns bei der Ölförderung. +++ Wie viele solcher Dokumentationen künftig auf dem deutsch-französischen Kulturkanal noch laufen, scheint offen zu sein, wenn man der Meedia.de-Meldung folgt, wonach Dokumentarfilmer sich über die Arte-Programmreform im nächsten Jahr beklagen. +++ 30 Jahre Schimmi: Klaudia Wick erklärt Genese der Ermittlerfigur, die uns den Fernsehkommissar als Privatperson eingebrockt hat. Ein wenig Kulturpessimismus wittern wir allerdings bei der Formulierung: "Eine Kommissars-Figur mit der dramaturgischen Sprengkraft von Schimanski ist im 'Anything goes'-Fernsehen von heute nur schwer vorstellbar." Schimmi ist heute doch gerade deshalb undenkbar, weil er die Figur mit der dramaturgischen Sprengkraft, die er war, gewesen ist. Oder? +++

+++ Eine Pointe, die naheliegt: Die Welt schreibt über die Unwahrscheinlichkeit einer Rückkehr von Jörg Kachelmann zur ARD: "In seinem ersten Interview nach dem Freispruch sagt Kachelmann der 'Zeit', ob man ihn bei der ARD als Wettermoderator wiedersehe 'entscheiden der liebe Gott und die ARD'. Von der ARD habe sich seit dem Prozess nicht eine einzige Person jemals wieder bei ihm gemeldet." Was ist mit Gott? +++

Neues Altpapier gibt's morgen wieder ab 9 Uhr.

 

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