Quallenzauber

Quallenzauber

Das Internet: Reich der Elektroquallen und der digitalen Blockwarte, die Zukunft der Medien, ein Selbstvermarktungstool, auch nur ein großes Vereinswesen und politischer Aufbruch – es geht um alles

Es ist mal wieder Zeit für Einlassungen zum Thema Internet. Der Anlass ist vorhanden, die Bloggerkonferenz re:publica ist am Freitag zu Ende gegangen – und wie kann man zusammenfassen, was am Wochenende und heute erschienen ist? Irgendwie gar nicht, also der Reihe nach.

Zunächst einmal, um gaaanz langsam zu beginnen, wäre die Einschätzung von Kurt Kister, Chefredakteur der Süddeutschen Zeitung, zum Internet festzuhalten: Er nennt es in seiner in erstaunlich großer Schrift für den gemeinen Ausdrucker gehaltenen Wochenend-Kolumne das "große Reich der Elektroquallen" – herzlichen Glückwunsch vorab schon mal zum nächsten Reportage-Preis, schöner wurd's ja nun nie beschrieben. Das Foto (dpa-Bildfunk) zeigt übrigens ein Bit der Ausstellung "Quallenzauber".

Kommen wir zur nächsten Einschätzung, jener von ViSdP-Herausgeber Hajo Schumacher, der über "digitale Blockwarte" schimpft, als er sich über die Plagiatssucher in Silvana Koch-Mehrins Doktorarbeit (bei VroniPlag) und ihre journalistischen Gehilfen erregt. "Es geht um journalistische Standards bei der Beurteilung, was ein Skandal ist und was eher Pillepalle", schreibt er, selbst mit einem Dr. ausgestattet, und kommentierte auch in einer Radioeins-Kolumne (ab 18:45 Minute) schon am 14. April: "Ist das", also Koch-Mehrins Doktorarbeit, "ein Plagiat? Nein, es ist keins." Und er bekennt: "Nach den Maßstäben wäre ich wahrscheinlich auch ein Plagiator."

Während diese Freimütigkeit erstmal nicht gegen ihn spricht, ist einem Kommentator unter seinem Text und auch der SZ vom Samstag etwas aufgefallen, was komisch rieche: Schumachers Frau hat mit Koch-Mehrin mal ein Buch geschrieben. Was nun auch an sich noch nichts Verlässliches über seine Motivation aussagt, sie zu verteidigen, aber wirkliche Transparenz ist nun tatsächlich etwas anderes.

Womit wir uns annähern an den Kern der Debatten des Tages. Es geht dabei etwa um die Zukunft des Journalismus und um die Transparenzfrage.

Nicht nur im allgemein um Gegenwartsdebatten zum Internet kreisenden Interview, das Jakob Augstein (für die Transparenz: den Verleger des Freitag, für den ich derzeit arbeite) Cicero Online gegeben hat und in dem er etwa Wikileaks verteidigt, wenn er über uns – also in diesem Fall Journalisten – sagt:

"Wir müssen doch ein Interesse haben an Offenheit und Transparenz. Unsere Aufgabe ist nicht die Systemstabilisierung der Bundesregierung oder der FDP oder des amerikanischen State Departments. Ich erinnere mich da an Äußerungen z. B. von Josef Joffe im Tagesspiegel, die hätte Adenauer weiland 1962 auch nicht anders formuliert" –

wobei noch die Frage bliebe, ob diese oder jene Äußerungen gemeint waren.

[listbox:title=Artikel des Tages[Gemütlichkeit (Carta)##Jagd auf van Gaal (JakBlog)##Prantl über Medien und SZ (Die Presse)##Augstein über Medien und re:publica (Cicero Online)]]

Vor allem aber geht es, wenn das Wort Transparenz fällt, in diesen Tagen um die Gründung der Digitalen Gesellschaft (siehe Altpapier vom Mittwoch und Donnerstag), in der, wiederum, Süddeutschen Zeitung des Montags, etwa gleich in zwei Feuilletontexten: Da wären, eher mit dem Blick des Netzeuphorie-Skeptikers geschrieben, die "Nachrichten aus dem Netz" (S. 12). Und da wäre der längere Beitrag über die re:publica (S. 13), der Veranstaltung durchaus gewogen.

Erstere schlagen den Bogen von der Vermeldung der Gründung des Vereins um den netzpolitik.org-Blogger Markus Beckedahl zur Frage, ob soziale Medien als Primärzweck am Ende gar nicht eine Demokratisierung haben, sondern "Selbstvermarktung und (...) Vermehrung des eigenen sozialen Kapitals".

Der Text über die re:publica dagegen, der in der Unterzeile mit der im Artikel selbst etwas schwer auffindbaren Behauptung aufwartet, es handle sich bei der Welt der Netzgemeinde um eine "hermetische", konstatiert durchaus einen – auch politischen – Aufbruch:

"Nicht dass das Politische auf der re:publica nicht auch schon in den vergangenen Jahren seinen Platz hatte. Wikileaks war hier bereits Thema, als die Plattform den Radar der deutschen Medien noch meilenweit unterflog. Aber die Effekte der Diplomaten-Depeschen, von GuttenPlag und (zumindest gefühlter) Facebook-Revolution in Nordafrika wirken 2011 unübersehbar nach, als Katalysatoren für ein verändertes Zutrauen der Netizens in die eigenen Möglichkeiten."

Natürlich zeugt die Gründung der Digitalen Gesellschaft ebenfalls von einem solchen Aufbruchsversuch. Und doch – um auch auf die Transparenzfrage zurückzukommen:

"Den geringsten Beleg für den politischen Frühling im deutschen Netzgemeinwesen, lieferte übrigens wohl die vorab so gespannt erwartete Gründung der als eine Art Internet-Greenpeace angekündigten 'Digitalen Gesellschaft'. (...) (D)ass es allen Ernstes nicht möglich sein soll, die Liste der Handvoll Gründungsmitglieder zu veröffentlichen, weil einige von ihnen Probleme am Arbeitsplatz zu befürchten hätten, wirkt nicht eben als Signal für die selbst beschworene Transparenz."

Bei Carta übt ein CDU-Mann ähliche, aber schärfer vorgetragene Kritik:

"Es wirkt (...)wie der Versuch, die wirkliche digitale Gesellschaft durch eine 'Digitale Gesellschaft' in der Meinungsbildung zu dominieren. So wird eher Verbandsstruktur der Bundesrepublik als der Grundstruktur des Internets Rechnung getragen. (...) Die von allen Anderen immer wieder eingeforderte Transparenz, die diese Internetelite sonst wie eine Monstranz vor sich herträgt, bleibt Beckedahl nämlich auch mit Blick auf die 'Digitale Gesellschaft' schuldig: wer sind die 20 Gründer des Vereins?"

Die Kritik an der Vereinswesenhaftigkeit wird bei Carta gleich noch einmal wiederholt – die re:publica diene der "Gemütlichkeitsbildung", meint dort Stefan Rosinski, der Benedikt Köhlers Vortrag zitiert:

"aus der starken Fragmentierung des Netzes erwächst ein Bedürfnis nach Heimat, das wir aus allen Globalisierungsdebatten kennen. Als Sehnsucht nach 'Gemeinschaft' skizziert Köhler das und will es streng von 'Gesellschaft' unterschieden wissen. Während letztere sich nämlich in ihrer 'Kultur' das Forum der Reflexion über die eigenen Kommunikationsbedingungen gibt – bis hin zur Infragestellung der eigenen Identität -, vermeidet Gemeinschaft solche Fundamentalkritik an den eigenen Voraussetzungen. 'Gemütlichkeitsbildung' möchte ich das nennen."

Und wenn es ums Internet geht, geht es auch um die Zukunft des Journalismus. In Spiegel und taz etwa: Die taz beschaut den Data Journalism: "Der Journalismus muss sich den technischen Gegebenheiten des Internets anpassen. Denn wie der Betriebswirt und Datenjournalist Kayser-Bril beweist: 'Programmierer können den Beruf des Journalisten übernehmen.'" Und Der Spiegel (S. 82ff.) geht aus einer völlig anderen Perspektive an das Thema heran – aus jener des White House Press Corps, das ganz nah an der Macht ist. Und doch:

"Ein paar Absätze auf der Web-Seite der 'Huffington Post', in wenigen Minuten hingetippt, können mehr Wirbel in der US-Hauptstadt entfachen als eine Geschichte, an der ein Reporterteam des Pressekorps monatelang recherchiert."

 


Altpapierkorb

+++ Die re:publica hat auch Harald Staun von der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung besucht – oder jedenfalls die dort sprechende Anthropologin Gabriella Coleman gesprochen: Sein Artikel über "Anonymous" ist noch nicht frei online, aber falls er je online geht, ist es eine Leseempfehlung online für alle, die sich nicht gleich Colemans Vortrag als Video anschauen wollen, der vielleicht auch irgendwann online geht +++

+++ Mehr Aussagen zum Internet: Ein anderes Mitglied der SZ-Chefredaktion, Heribert Prantl, äußert sich im Interview mit Die Presse nicht nur zu einer einst geplanten, aber nie gekommenen Sonntagsausgabe seiner Zeitung: "Die neuen Verleger, die vor ein paar Jahren sehr viel Geld für das Blatt ausgegeben haben, werden nicht schon wieder eine Großinvestition machen wollen. Aber man wird überlegen, in welcher Weise man die sechste Ausgabe, die Samstagsausgabe, zu einer ganz neuen Wochenendausgabe macht." Anders gesagt: Die SZ will vielleicht ein bisschen wie die taz werden, die ihre Sonntagsausgabe jeden Samstag quasi beilegt. +++ Und der Chefblogger von Seite 4 sagt – das ist ja das Thema heute – auch etwas zum politischen Teil des Internets: "Die Bloggerei lässt sich mit dem großen Demokratisierungsschub von 1848 vergleichen: Damals ist das Zeitungswesen explodiert, jetzt passiert Ähnliches. Es gibt eine produktive Unruhe, die befruchtet auch die neuen Bürgerbewegungen." +++

+++ Aus dem Vorabmeldungszirkus: "Gebühreneinzugszentrale will mehr Personal einstellen", meldet Der Spiegel, womit der Tagesspiegel und die Süddeutsche weiter arbeiten +++ Ebenfalls im Spiegel: "Sender gehen gegen Entscheidung des Kartellamts vor", RTL und ProSieben namentlich – was assoziativ unmittelbar die Medienjournalisten-Insiderfrage aufwirft: Was treibt eigentlich gerade die KEK? +++ Sonst so: Sachsen koordiniert die Medienpolitik der Unionsländer (SZ, S. 15) +++

+++ Die Fernsehkritiken des Tages gelten etwa dem Film "Liebe deinen Feind" (20.15 Uhr, ZDF): "Leider hat Regisseur und Drehbuchautor Niki Stein (...) so viel vor mit seinen Figuren, dass ihre Charaktere nur holzschnittartig gezeigt werden können", schreibt die FAZ (S. 29) +++ Die SZ schreibt (S. 15): "Wenn man das Kunstwerk zerschlägt und die Einzelteile unter die Lupe legt, erkennt man zunächst etwas Positives: Ein aktuelleres und feineres Thema hätte der Autor Stein nicht finden können." +++ Und die FR / BLZ schreibt: "Indem Niki Stein mit klassisch-angloamerikanischen Gerichtsszenen über Rache und Gerechtigkeit, über Schuld und Sühne diskutieren lässt, umschifft er die Gefahr, aus seinem Drama eine allzu private Nachkriegs-Schmonzette zu machen" +++ Für die Berliner hat Ulrike Simon Carl Bergengruen getroffen, den neuen Chef von Studio Hamburg +++ "Wildes Deutschland" bespricht der Tagesspiegel +++

+++ Der auch berichtet, dass Die Bibel an die Kioske kommt +++ Die FAZ kümmert sich mangels Platz auf der Fernsehprogrammseite wiederum im Feuilleton (S. 28) um den britischen Abhörskandal von News International: "Die Polizei (...) vermutet, dass die Telefone von wesentlich mehr Prominenten gehackt wurden als die bislang genannte Zahl von einundneunzig Opfern. Darüber hinaus untersucht Scotland Yard Fälle, in denen es um Bestechungsgelder von Journalisten an Polizeibeamte geht" +++

+++ "Für ARD und ZDF besteht die größte Herausforderung der nächsten Jahre darin, jüngere Zuschauer anzusprechen. Aber nicht um jeden Preis: Das ältere Stammpublikum muss schließlich auch weiterhin bedient werden. Für diese Gratwanderung gibt es keine Patentrezepte." Schreibt die Funkkorrespondenz. Und zeigt statt Patentrezepten dann die eingeschlagenen Wege +++ Ebenfalls das Thema Zielgruppe hat DWDL +++

+++ Die tz sollte demnächst nicht vergessen werden, wenn jemand was über den Boulevard schreibt: Die Geschichte eines tz-Reporters über seine Verfolgung von Louis van Gaal nach seiner Entlassung als Trainer des FC Bayern München zeugt vom Glauben daran, dass es schon seine Berechtigung hat, jemands Familie tierisch auf den Keks zu gehen, nur weil er prominent ist – auch wenn es außer Emotion ohnehin nichts zu holen gibt +++ Siehe auch Christian Jakubetz' Blog +++

+++ Die britische Prinzenhochzeit beschäftigte die FAS: "Schon die Ankündigungen der Vorberichte reichen, um in die schönste antimonarchische Stimmung zu kommen" – weiß eigentlich auch der Gesellschaftsteil der FAS, wie die Kollegen so drauf sind? +++

Das Altpapier stapelt sich am Dienstag wieder.

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