Vergessene Sachbücher lesen!

Vergessene Sachbücher lesen!

Trotz der aktuellen Lage wird heute mal wieder auch über den Medienjournalismus als Ganzes diskutiert, über facebookende Journalisten und gefakete Twitter-Accounts.

Der Blick muss nicht immer nach vorn gehen in die düstere Zukunft, hilfreich kann es auch sein, einen Blick zurück zu werfen. Jürgen Kaube tut es im Feuilleton-Kommentar bei faz.net. Wir würden durch „das Desaster in Fukushima in der Zeit zurückversetzt“, schreibt er:

„Wer wäre denn in der Lage, einem Jugendlichen zu erklären, dass alles, was gerade erörtert wird, genau so auch schon vor dreißig, vierzig, fünfzig Jahren diskutiert wurde? Es gibt kein einziges neues Argument. Man kann jetzt alle Texte – von Anders und Jungk und Steinbuch und Weizsäcker oder wie dergleichen vergessene Sachbuchautoren sonst heißen – noch einmal lesen.“

Um das ein bisschen weiterzudrehen: Man kann das auch als implizite Anregung verstehen, in die Archive zu steigen - um zu erfahren, wie man vorvorgestern journalistisch mit den Thesen der vergessenen Sachbuchautoren umgegangen ist. Vielleicht fallen da ein paar Inspirationen ab fürs aktuelle Schreiben. Was auf jeden Fall heute anders ist als zu Zeiten von Anders, Jungk und Co.: die optischen Darstellungsmöglichkeiten. Wie groß, übertragen auf deutsche Verhältnisse, das von Beben und Tsunami betroffene Gebiet ist, veranschaulicht uns Zeit Online. Unter der in puncto Aufmerksamkeitsökonomie nicht üblen Überschrift „Der Medienjournalist als akkreditierter Nestbeschmutzer?“ schlägt derweil der Blogger avatter einen großen Bogen von der Berichterstattung zur Tsunami- und Atom-GAU-Berichterstattung zum Medienjournalismus als Ganzem. „Ist das eine Arbeit, auf die man verzichten kann?“, fragt er - und antwortet:

„Die Antwort ergibt sich, wenn wir über den Journalismus als die gefeierte‚ vierte Macht im Staate‘ und damit über eine Erkenntnis aus dem 18. Jahrhundert nachdenken. Die staatlichen Einrichtungen unterliegen Checks und Balances – doch wer kontrolliert eigentlich die Presse? Hin und wieder gibt es gibt es reflexartige Selbstreinigungsprozesse, doch die kontinuierliche Arbeit wird tatsächlich überwiegend von den Medienjournalisten geleistet.“

Auslöser dieser allgemeinen Betrachtung sind insbesondere Artikel zur öffentlich-rechtlichen Katastrophenberichterstattung in der Frankfurter Rundschau, zum Beispiel dieser. Die FR, so der Blogger, habe „am Mittwoch gleich zwei Mal die Kanonen mit lautem Getöse knallen“ lassen. Die Reaktionen der Journalisten auf die Katastrophe in Japan - damit hat sich unter einem anderen Aspekt Stephan Ruß-Mohl in einer beispielsweise bei Carta zu findenden Kolumne beschäftigt. Er hat analysiert, wie sich bei den Journalisten unter seinen Facebook-Freunden die Postings seit Beginn des Desasters verändert haben:

„Was mich frappiert hat: Der hohe Anteil an Zeitgenossen, die einfach weiter gemacht haben wie bisher – als gäbe es die Zäsur durch das Erdbeben und den Strahlenalarm in Japan  einfach nicht. Dann, natürlich, ein paar Profis, die sich selbst mit einer Nachrichtenagentur verwechseln und meinen, jede neueste Tickermeldung auch über Facebook weiterverbreiten zu müssen. Und schliesslich so etwas wie eine schweigende Mehrheit, die wie ich selbst nahezu von Schockstarre befallen sind, sich also entweder gar nicht oder nur mit kargen Vier- oder Fünfwort-Sätzen melden ...“

[listbox:title=Artikel des Tages[Carta über facebookende Journalisten##Afrikaberichterstattung##Medienjournalismus-Metatext]]

Wobei natürlich zu fragen wäre, welche Art der Reaktion denn angemessen wäre. Wenn Journalisten Facebook nutzen, um ihr eigenes Netzwerk auf Artikel hinzuweisen und sich möglicherweise sowieso „mit einer Nachrichtenagentur verwechseln“ (es gibt Schlimmeres heutzutage), warum sollten sie dann derzeit einen anderen Stil praktizieren? Über eine andere Art des sozial-medialen Umgangs mit dem GAU berichtet die taz. Sie beschäftigt sich mit dem gefaketen Twitter-Account „Atomforum-eV". Tweets à la „Diese Wolke ist doch im Nu vom Winde verweht" oder "Ein Atom ist übrigens nur ein Millionstel Millimeter groß. Wer davor Angst hat, hat sie ja nicht mehr alle“ hätten dazu geführt, dass die Satiriker nunmehr fast viermal soviel Follower haben „wie der Twitter-Account des echten Atomforums, das über diesen Weg ebenfalls kommuniziert - und vor dem Fake warnte“. Ein gewisser Markt für Wortmeldungen des Deutschen Atomforums besteht offenbar, wie man einem Beitrag bei sueddeutsche.de entnehmen kann, der sich ansonsten mit Quotenentwicklung der Japan-Berichterstattung befasst:

„Selten, dass Ralf Güldner so viel und so oft im Fernsehen sprechen durfte wie in diesen Tagen. Der Präsident des Deutschen Atomforums ist ein gefragter Gesprächspartner für TV-Interviews. Denn viele Befürworter von Atomstrom lassen sich nicht mehr finden.“


Altpapierkorb

+++ Wo bleibt das Positive? Die Frage mag in diesen Tagen etwas abwegig klingen. In einem anderen Sinne ist diese Frage enthalten in einem ausgeruhten, mit langer Vorlaufzeit produzierten Beitrag des Fachblatt Columbia Journalism Review. „Hiding the real Africa. Why NGOs prefer bad news“, lautet die provokante Überschrift. Der Tenor des Beitrags: Westliche Journalisten vertrauten zu sehr auf die Offiziellen von Hilfsorganisationen - was auch an knappen Recherchebudgets liege. +++

+++ Im Freitag (S.11) verweist Christian Kortmann aus im weiteren Sinne aktuelle Anlass auf eine Abhandlung des niederländischen Philosophen Johan Huizinga, In der beschäftigt sich dieser 1938 mit dem damaligen Infantilismus der Mediengesellschaft. Anzeichen dafür seien, so Kortmann mit Huizinga, „‘das leicht zufriedengestellte, aber nie gesättigte Bedürfnis nach banaler Zerstreuung, die Sucht nach großer Sensation‘, die ‚schnellbereite Zustimmung‘ sowie das ‚maßlose Übertreiben in Lob und Tadel.‘“ Manchem, so Kortmann, werde „die Diagnose aktuell erscheinen ..., obwohl er noch viele Jahre von der großen Mitmachmaschine Internet entfernt ist“. +++

+++ Auch als dreimalige Pulitzer-Preisträgern hat man kein leichtes Leben. Sari Horwitz von der großen Washington Post hat aus Artikeln der nicht ganz so großen Arizona Republic abgeschrieben. Ihr Verlag hat sie nun suspendiert. Ihre Preise wird sie wohl behalten dürfen, da verhält es sich anders als mit Doktortiteln in Deutschland. Ebenfalls als Missetäter hat sich der im Sportressort tätige BR-Mann Wolfgang Nadvornik erwiesen. Weil er einen Gerichtstermin geschwänzt hat, darf er fortan nicht mehr moderieren (Süddeutsche). +++

+++ Ein Update zum bei Medienseitenmachern notorisch beliebten Sportrechte-Kuddelmuddel (svgl. Altpapier) liefert der Tagesspiegel. Eine umfangreiche Fortsetzung einer anderen juristischen Causa, dem „im rechtsfreien Raum“ sendenden Parlaments-Fernsehen findet sich in der Süddeutschen (S. 17). +++

+++ In Sachen TV-Programm blickt heute alles auf den Start der der zweiten Staffel mit dem Polizeipsychologen „Flemming“: „Flemming wird etwas braver und familientauglicher“, schreibt der Tagesspiegel. Darüber hinaus solle alles „ein bisschen süffiger, wärmer und weniger überfrachtet“ werden - so zitiert das Blatt die zuständige ZDF-Redakteurin. Die Süddeutsche lobt Flemming-Darsteller Samuel Finzi: „Der 44-jährige Finzi hat vor der Kamera eine unaufdringliche und gewaltige Präsenz. Seine Mimik, seine Gesten, seine Körpersprache erzählen alles ... Samuel Finzi erweckt den Eindruck von Natürlichkeit, von Beiläufigkeit. Darin ist er einer von wenigen deutschen Schauspielern.“ Ein Interview mit dem guten Mann hat die Berliner Zeitung im Angebot. Die FAZ (S. 37) bedauert, dass sich „ausgerechnet die Auftaktfolge zur zweiten Staffel als einfältig konstruiert erweist.“ Der Plot sei „so lieblos durchpsychologisiert, dass sich Fremdscham einstellt“. Wer sich davon nicht abschrecken lässt, freut sich womöglich auch darüber, dass es die Figur Flemming jetzt auch im wirklichen Leben gibt - zumindest in der Twitter-Welt. Fans der Serie können hier vorab das eine oder andere Dialog-Fragment aufschnappen. Bisheriger Höhepunkt: „Ann, du lächelst mich tot.“ +++

Neues Altpapier gibt's wieder am Montag.
 

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