Die Ära der Show-Talker

Die Ära der Show-Talker

Was zeigt das deutsche Fernsehen von Ägypten? Was bald nicht mehr aus Frankreich? Und vollzieht sich auch in Bayern Erstaunliches?

Ressortübergreifendes Topthema bleibt Ägypten. Die einen debattieren, ob es sich bei den Ereignissen dort um eine Facebook-Revolution oder um eine menschenbetriebene handelt (siehe Altpapier), andere, was man denn hierzulande im Fernsehen davon zu sehen bekommt.

In letzerer Hinsicht gab es auf dem Portal dwdl.de, das bei Fernsehmachern beliebt ist, weil es deren tatsächliche Sorgen (Einschaltquoten!) ernst nimmt, am Montag eine gehörige Wutrede. Darin ist von "kläglichem Versagen bei ARD und ZDF" und einem "journalistischen Totalausfall von beschämendem Ausmaß" die Rede:

"Man muss sich nicht über jede Unterhaltungssendung bei den Öffentlich-Rechtlichen empören. Jedes Genre hat seine Berechtigung. Man darf sich aber über die fragwürdigen Prioritäten der öffentlich-rechtlichen Anstalten empören."

Wenn sich nun heute der Berliner Tagesspiegel mit viel Zurückhaltung ("Sicher, 'heute', 'heute-journal', 'Tagesschau' und 'Tagesthemen' erfüllen mit profunden Korrespondentenberichten ihre Pflicht") in die Debatte einschaltet, hat die ARD sozusagen schon reagiert, hat am gestrigen Abend vor die "Familie Dr. Kleist"-Folge Nr. 51 nochmals den anerkanntesten Beweis für Topthema-Qualität, also einen "Brennpunkt" mit Satellitentelefonschalten programmiert.

Im TSP-Cocktail aus Zuschauerzahlen-Zahlenmaterial, exklusiver Verteidigungsrede des ARD-Chefredakteurs Thomas Baumann und allgemeinerer Selbstanklage des bloggenden "Tagesschau"-Chefredakteurs Kai Gniffke hat Tagesspiegel-Redakteur Markus Ehrenberg dennoch eine Formulierung gefunden, die trifft und haften bleiben sollte:

"Frank Plasberg ist - wieder einmal - der Erste. Der erste große Show-Talker zumindest, der sich in diesen Tagen des Themas Ägypten annimmt. 'Freiheit oder Gottesstaat - wie gefährlich ist die Revolution am Nil?', so die Frage in der heutigen 'hart aber fair'-Ausgabe."

Erst was die Show-Talker bereden, wirkt wirklich prioritär im öffentlich-rechtlichen Fernsehen der Gegenwart.

"'Wir sind gefordert, unsere Kernkompetenz Information, Bildung und Qualitätsjournalismus auszubauen' - in einer globalisierten, ständig beschleunigten Welt, in der es für viele immer schwieriger werde, 'Nachrichten einzuordnen, Ereignisse nachzuvollziehen.'"

Diese auf den ersten Blick arg konsensual-langweiligen Sätze sprach am Donnerstag Uwe Wilhelm, der seit dem gestrigen Dienstag nun ganz offiziell Intendant des Bayerischen Rundfunks und damit einer der mächtigsten Männer in der ARD ist. Was auf den zweiten Blick doch auffällt: Unterhaltung, diese dem Anspruch nach besonders beliebte Kernkompetenz, fehlt.

Ob das wirklich etwas zu bedeuten haben wird, mag Christopher Keil noch nicht entscheiden, wenn er heute in der Süddeutschen (S. 17) ausführlich Wilhelms ersten Arbeitstag von "kurz nach halb neun" bis weit nach Einbruch der Dunkelheit protokolliert. Und damit zumindest belegt, dass sich die Süddeutsche bestens beim Bayerischen Rundfunk auskennt. Programmatisch sei zumindest der Umzug der Intendantur:

Während Vorgänger Thomas Gruber sich sein Arbeitszimmer "in rätselhafter Bescheidenheit im vierten Stock mit Fenster zum Innenhof" gewählt hatte, werde Wilhelm "spätestens Ende März umziehen, in den 15. Stock: Das bedeutet freie Sicht auf die Alpen, auf den so oft weißblauen Himmel Bayerns sowie die Türme und Dächer Münchens." Außerdem sitze er damit in der gleichen Etage wie ARD-Programmdirektor Volker Herres, der seinen Sitz ebenfalls in München hat, und sogar "eine Etage über ARD-Chefredakteur Thomas Baumann", dem eben schon erwähnten.

Wilhelms erste kleine Herausforderung wartet im neuen Job kommende Woche in Köln , wo die ARD-Intendanten in der Heimatanstalt ihrer neuen Vorsitzenden Monika Piel tagen (und zur Freude der Süddeutschen wohl beschließen werden, den auslaufenden ARD/ZDF-Vertrag mit dem Tour de France-Veranstalter nicht zu verlängern und also ab 2012 auf Live-Übertragungen der "Doping-verseuchten Sportart" zu verzichten, damit "circa drei Millionen Euro [zu] sparen" und "das Profil des Gebührenfernsehens [zu] stärken"; mehr bei taz.de).

Und vielleicht kommen, auch wenn man nochmals erinnern muss, dass Wilhelm bis zu seiner Intendantenkür Angela Merkels Regierungssprecher, also Steffen Seiberts Vorgänger war, aus München tatsächlich frische Impulse in die ARD.

[listbox:title=Artikel des Tages[Gutjahr bloggt aus Kairo##Plasberg talkt über Ägypten (Tsp.)##ARD/ZDF-Kritik von dwdl.de (Mo.)##Neue CSU-Netzpolitik? (TAZ)##Neues vom Leistungsschutzrecht (Carta)]]

Den Eindruck, dass sich in Bayern erstaunliche Wendungen vollziehen könnten, hatte zumindest phasenweise auch die TAZ, als sie in München an "futuristisch blauen Plastiktischchen" mit "altmodischen Holzständern mit ...Brezen" drauf Platz nahm und dem allerersten Netzkongress der CSU beiwohnte. Immerhin wurde dort "ein unerwartet fortschrittliches Positionspapier zur Netzpolitik" präsentiert.

Gegen Ende des Berichts legt sich Bernhard Hübners Begeisterung etwas:

"Bislang hat die CSU außer einem unverbindlichen Positionspapier wenig zum Thema Internet anzubieten. Nur alte Inhalte in moderner Verpackung. Das altbackene CSU-Propagandaorgan Bayernkurier gibt es seit Januar auch als iPad-App."

Vielleicht schon zu billig, von den Stichworten iPad und Bayern jetzt auf Richard Gutjahr, den BR-Moderator und vermutlich global führenden Apple-Aficionado zu kommen. Aber der befindet sich nun gerade in Kairo und berichtet in Form eines Text/ Foto-Blogs sehr aktuell:

"Ihr merkt, die Menschen rund um diese Großdemo haben mich beeindruckt. Was nicht heißen soll, dass ich nicht auch Probleme sehe. Ich würde meine Hand nicht dafür ins Feuer legen, dass es hier noch länger ruhig bleibt. Als Mubarak am späten Abend verkündet, er wolle bis zum offiziellen Ende seiner Amtszeit im September weitermachen, kippt die gute Laune und schlägt um in Ratlosigkeit aber auch in Wut. 'Wir haben ihm so viele Chancen gegeben' schimpft ein Mann. 'Dann müssen wir ihn halt doch aufhängen!'. Er deutet auf eine baumelnde Mubarak-Puppe am Laternenpfahl. 'Hitler' rufen einige. Schuhe fliegen."

 


Altpapierkorb

+++ Da wir vorhin das Feld der deutschen Netz- und Medienpolitikn streiften: In einigen Wochen nun sei "ein erster Referentenentwurf aus dem Justizministerium" zum lang erwarteten Leistungsschutzrecht für Verlage zu erwarten. Und der dürfte "hinter Verleger-Vorstellungen zurückbleiben", jedoch zu einer Art “Lex Google" werden, "wonach Aggregatoren für Snippets zu zahlen hätten", berichtet Robin Meyer-Lucht auf Carta mit Snippets aus der Interviewzeitschrift Promedia. +++

+++ Man muss sich nicht über jede Unterhaltungssendung bei den Öffentlich-Rechtlichen empören. Aber Lenashows werden ja nun zu einem eigenen Subgenre. "Wie Stefan Raab die ARD gerade am Nasenring durch die Manege führt", beobachtet in der gewohnten Bissigkeit (zumal, solange es nicht um den Finalshowort Düsseldorf), Hans Hoff für die Süddeutsche: "Eine vielarmige Krake wie die ARD hat nicht plötzlich alles im Griff, nur weil 2010 in Oslo etwas gut gegangen ist. Wer Florian Silbereisen für einen guten Entertainer hält und die eigene Nachwuchsförderung mit ein paar Absätzen in Papieren betreibt, hat noch lange nichts kapiert". +++ Alternativlosigkeit à la Angela Merkel erkannte Hannah Pilarczyk (SPON) in der Raab-ARD-Beziehung. +++ Die gestern schon hier erwähnte "Fluffigkeit" (Marcus Bäcker) liegt nun auch gedruckt in der BLZ vor. +++ Und für die FAZ nimmt Dieter Bartetzko Lena Meyer-Landrut schon à la Caterina Valente unter die Lupe ("War es lausige Tontechnik oder persönliche Hemmung? Jedenfalls schien sie sich bei allen Songs zurückzuhalten, manchmal sogar im Lärm der Band zu verstecken"). +++

+++ Ferner weiß die FAZ, dass sich die Maschmeyer-vs.-ARD-Sache komplizierter verhält als es schien und gewisse "ominöse Anfragen der Auskunftei D&B Germany bei den aus der Redaktion des Magazins 'Panorama' stammenden NDR-Autoren nach deren beruflichen Verhältnissen" nicht von Carsten Maschmeyers Anwaltsschar kamen, sondern "angeblich routinemäßig" von einer den NDR oft vertretenden Kanzlei. +++ Und berichtet über die Making-ofs zur Wikilieaks-Aktion, die der Guardian (der der Wikileaks-Partnerschaft zu Gunsten des Daily Telegraph verlustig ging), NYT und Spiegel, aber auch aktuelle und ehemalige Wikileaker in Buchform gerade publizieren. +++

+++ Über die Geschäftszahlen der Bertelsmann'schen RTL-Group freut sich am schönsten der Standard, den nämlich freut, dass mal wieder ein Österreicher, RTL Group-Chef Gerhard Zeiler, "Geschichte schreibt". +++ Ab Sonntag wird der teure Geschichts-Zweiteiler "Die Hindenburg" auf RTL die nächsten Geschäftszahlen beeinflussen. Die BLZ traf Produzent Sascha Schwingel und fragte ihn u.a., wie oft sich eigentlich ein Fernsehfilmproduzent seinen Fernsehfilm beim Produzieren anschaut. +++

 +++ Die Werbewirkung von Earned Media ist höher als von Paid Media? (FAZ-Netzökonom). +++ Ganz Deutschland diskutiert über die Frauenquote, die der aktuelle Spiegel titelmäßig fordert. Auch der Spiegel (SZ). +++ Und Mercedes Bunz ist von Beruf nun "Digital Thinker", erfuhr evangelisch.de beim Lokaljournalistenforum 2011 in Waiblingen. +++

Neues Altpapier gibt's wieder am Donnerstag.

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