Angel im Bild

Angel im Bild

Der Journalismus braucht eine Diskussion über Abgrenzungsmöglichkeiten von PR. Taz und FAS diskutieren die frühere Rolle der taz für Pädophile. Und das Dschungelcamp gibt's auch noch

Es gibt, das wird jetzt manchen überraschen, einen Unterschied zwischen dem Fernsehformat "Ich bin ein Star – holt mich hier raus" und der Journalistik an der Universität Leipzig.

Die Qualität des Dschungelcamps, wie ersteres sowohl volksmündlich als auch -schriftlich genannt wird, ist umso höher, je öfter sein Name in massenmedialen Zusammenhängen genannt wird. Es ist dann auch egal, ob diese Nennung in Verbindung mit Bewertungen erfolgt wie "niveaulos" oder "Dafür" (also dafür) "bin ich nicht Genossin (bei der taz; AP) geworden".

Die Qualität der Journalistik ist dagegen umso höher, je seltener ihr Name in massenmedialen Zusammenhängen fällt. Mit der Ausbildung ist es wie mit den Tonleuten beim Film: Ihre Existenz fällt nur auf, wenn sie die Mikroangel ins Bild hängen lassen.

Man kann sagen, dass in Leipzig derzeit die Angel flächig ins Bild baumelt.

Am Freitag war im Altpapierkorb bereits ein Text aus der Zeit zum Thema verlinkt; hier ein Auszug:

"Leipzigs Kommunikations- und Medienwissenschaften bilden eines der größten Institute dieser Art in Deutschland. Dass sie neue Strukturen brauchen, bezweifelt niemand. Jeder der fünf Bereiche forscht und lehrt nach eigenem Ermessen. Seit drei Jahren gibt es neben der Journalistenausbildung noch einen Masterstudiengang Hörfunk, der eng mit dem Leipziger Studentenradio Mephisto kooperiert. Externe Gutachter haben empfohlen, diesen Studiengang bei den Journalisten zu integrieren. Die PR-Hochschullehrer Zerfaß und Bentele folgten dem Rat mit ihrem Konzept nicht. Stattdessen könnte die geschrumpfte Journalistik die Hörfunkausbildung komplett verlieren."

Dazu gibt es weitere Reaktionen.

Marie-Sophie Adeoso, Leipziger Studentin, zitiert in der Frankfurter Rundschau / Berliner Zeitung den emeritierten Professor Michael Haller mit seiner Kritik an der "populistischen, markteuphorischen Haltung", die er aus den Reformen lese. Und Stephan Ruß-Mohl, Medienwissenschaftler und Professor an der Universität Lugano, sieht in Leipzig, u.a. bei Carta, "ein neues Stadium der Eskalation" erreicht:

"die Kommunikationsdisziplin Public Relations gedeiht und professionalisiert sich; derweil werden Redaktionen ausgedünnt, der Journalismus gerät immer mehr in Bedrängnis – auch weil Journalisten immer mehr PR-Meldungen ungefiltert verwenden und so die Glaubwürdigkeit der Medien sinkt."

Seinen Artikel kommentiert wiederum unter anderem jemand, der sich nicht unglaubhaft als der in der Zeit genannte "PR-Hochschullehrer" Ansgar Zerfaß ausgibt, wobei zu erwähnen ist, dass PR-Hochschullehre eher eine Fremdbeschreibung für Kommunikationsmanagement zu sein scheint.

Besagter Zerfaß verteidigt die Reform: Sie sei "keine Aktion 'PR gegen Journalismus', sondern ein seit drei Jahren laufender Strategieprozess" – was für Außenstehende nun nicht so viel anders klingt als: Das Dschungelcamp ist intellektuell nicht stimulierend, sondern wird in Australien gedreht.

Zerfaß oder "Zerfaß":

"Die aktuelle Diskussion an der Uni Leipzig zeigt, wie selbst renommierte Medien und Berufsverbände auf einfache Parolen ('Journalistik wird zugunsten der PR-Ausbildung abgeschafft') hereinfallen. Vor allem, wenn Journalisten selbst eine solche interessengeleitete Kampagne steuern und andere diese Informationen übernehmen, ohne sich die Müphe (sic) zu machen, selbst zu recherchieren."

Wenn man selbst sozusagen recherchiert, indem man zum einen den eingestellten Links folgt und zum anderen die Pressemitteilung von Leipzig-Absolvent Florian Treiß liest, stößt man einerseits auf einen von Treiß initiierten Offenen Brief der Absolventen des Journalistik-Studiums der Universität Leipzig, in dem sich jene nur bedingt begeistert zeigen:

"Die Absolventen sind entsetzt über die Pläne der Hochschule, die Journalistik-Ausbildung auf ein Minimum herunterzuschrauben. 85 Absolventen, darunter der dreimalige Egon-Erwin-Kisch-Preisträger Alexander Osang ('Der Spiegel') sowie die ZDF-Sportmoderatorin Kristin Otto, fordern in einem Offenen Brief die Gremien der Universität auf, den Lehrstuhl des emeritierten Professors Michael Haller wieder neu zu besetzen und auch die anderen Einschnitte bei der Journalistik-Ausbildung zu stoppen."

Und man stößt andererseits auf der Universitätshomepage auf eine Richtigstellung (pdf) zu einem an der Universität kursierenden Papier, die sich beinahe so umfang- und detailreich wie Stefan Raabs Gegendarstellung im Focus liest.

Der Journalismus jedenfalls, das steht nach dieser Diskussion immer noch fest, braucht eine Diskussion über die Nähe und Abgrenzungsmöglichkeiten zur PR, ergebnisoffen.

[listbox:title=Artikel des Tages[Leipzig I: Die Zeit nochmal##Leipzig II: Offener Brief##Leipzig III: FR über die Reformpläne##Odenwaldschule I: FAS über taz-Korrespondent##Odenwaldschule II: taz über taz-Korrepondent##Odenwaldschule III: taz II##Martenstein übers Dschungelcamp]]

Damit ab ins Dschungelcamp. Wir sind längst an jenem Punkt der Berichterstattung angekommen, an dem neben den Verteidigern des Guten, Wahren und Schönen sich auch Verteidiger des Schlechten, Unwahren und Hässlichen finden lassen sowie solche, die finden: So schlecht isses ja auch wieder nicht.

Harald Martenstein zum Beispiel stellt sich in die Reihe der letzteren; er hat für den Tagesspiegel Erwiderungen zu allen Hauptkritikpunkten gesammelt, etwa zu jenem, die Sendung sei irrelevant: "Sind Sie sicher? Der stoische Dschungelbewohner Rainer Langhans bewirkt gerade einen Imagewechsel der 68er, zum Positiven." Oder zur tatsächlich sehr beliebten Äußerung, die Teilnehmer seien "C-Promis, die für Geld alles tun". Martenstein: "Warum diese abfällige Rede über Leute aus dem Showbiz, die beruflich eine Pechsträhne hatten?"

Harald Staun sieht im Dschungelcamp in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung noch ein wenig mehr: "das Labor, in dem das Fernsehen seine Grenzen testet" – und auch bei ihm wird Langhans mit Sonderlob bedacht:

"Dass es so schwer werden würde, ihn als weltfremden Freak zu zeigen, war vor der Show auch nicht unbedingt zu erwarten; jetzt überrascht er nicht nur sein Team mit dem Wissen um Justin Bieber, sondern vor allem damit, dass er offensichtlich tatsächlich enorm von seiner Kommunenerfahrung profitiert."

Auch ein taz-Interview mit Langhans zitiert Staun. An anderer Stelle, im Politikteil, distanziert sich die FAS dagegen deutlich von der taz: in einem Text über einen Lehrer an der Odenwaldschule, der Kinder missbrauchte und später die Zeitung mitgründete:

"Ende der siebziger Jahre gehörte Dietrich Willier zu den Gründern der Berliner 'tageszeitung' (taz). Bis 1989 war er Stuttgarter Korrespondent der Zeitung. Die bot Päderasten eine Plattform. Teile des linken Milieus sympathisierten damals mit den Päderasten, die sich als emanzipatorische Bewegung definierten."

Die taz reagierte bereits am Samstag mit zwei Texten:

"Die Indizien und Belege sind eindeutig: Der Ende der 1970er zu ersten Generation der tazler gehörende Dietrich W. zählt zu den Tätern an der Odenwaldschule."

Und:

"'Die Verbindungen zwischen Kindesmisshandlern, der deutschen Linken und auch der taz zu der Zeit sind offensichtlich noch nicht ausreichend geklärt', sagte der stellvertretende Chefredakteur, Reiner Metzger, am Freitag."


Altpapierkorb

+++ Wo waren wir? Der Tagesspiegel ist angemessenerweise in Tunesien – wobei die nationale Medienrevolution in anderen Zeitungen tendenziell als Teilaspekt der Entwicklungen durchgenommen wird +++ Der Spiegel dagegen befindet sich in China (S. 74f.), wo er eine enorme Zuwendung zu Mikroblogs ausmacht – allerdings nicht nur seitens der Systemkritiker, auch seitens der Obrigkeit +++ Was nicht punktgenau, aber doch in die Richtung des weißrussischen Wissenschaftlers, Bloggers und Autors Evgeny Morozov führt, den die taz interviewt und der sagt: Eine falsche Annahme sei, "dass Diktatoren nicht in der Lage sind, das Internet zu kontrollieren" +++

+++ Wie wird das Wetter? "Es werde Aufhellungen geben, ab und an aber auch einige 'Flöckchli'." Jörg Kachelmann moderiert wieder – "Das Weekend-Wetter" beim Schweizer Lokalradiosender Radio Basel +++ Ein externer Gutachter bescheinigt dem ZDF, am "Wetten, dass..?"-Unfall nicht schuld zu sein; der Spiegel zitiert es +++ Genau wie aus den Reaktionen auf eine Live-Reportage des SWR aus dem Swingerclub. Der Spiegel-Text beginnt mit den Worten: "Mit einem an Peinlichkeit kaum zu überbietenden TV-Beitrag hat sich der SWR blamiert." Er ist leider nicht mehr in der Mediathek zu finden +++ "Die streitlustigste Fernsehshow der amerikanischen Linken wird abgesetzt", so die SZ (S. 15): " 'Countdown with Keith Olbermann" bei MSNBC ++++ Die Funkkorrespondenz aus zwei Perspektiven über den ZDF-Film "2030 – Aufstand der Jungen"; aus der des 71-jährigen Rupert Neudeck und der der 29-jährigen Angelika Luderschmidt +++ Günther Jauch wirbt, doch "Jauchs Einsatz für die Pharmafirma Mucos ist bedenklich. Denn das Arzneimittel Wobenzym plus steht in der Kritik. Das Bundesinstitut für Arzneimittel- und Medizinprodukte will ihm die Zulassung entziehen" (BLZ) +++

+++ Zum Programm dieser Tage: evangelisch.de, die SZ (S. 15), die taz, die Berliner Zeitung und der Tagesspiegel über "Der Verdacht" (ZDF, 20.15 Uhr) +++ Die "Duelle" – diesmal Kohl vs. Schäuble (ARD, 21 Uhr) – finden die Aufmerksamkeit von taz, BLZ / FR, TSP und FAZ (S. 29) +++ Dieter Nuhr bekommt von der FAS und von der Berliner Zeitung für den "Satire Gipfel" einen mit (Samstag), von der Berliner-Zeitungs-Schwester KSTA eher ein Lob +++ Und Stefan Fischer lobt für die SZ (S. 15) ein Hörspiel über Medienmissgriffe (Operation Endstation, WDR 3, 23 Uhr) +++


Das Altpapier gibt es wieder am Dienstag gegen 9 Uhr.

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