Es eskaliert

Es eskaliert

...und nimmt immer noch bizarrere Wendungen: Die Verlagsgruppe DuMont beruft den Erben ganz ab und will den Presserat gegen Springer anrufen. Stefan Niggemeier springt dem Bild-Zeitungs-Verlag zur Seite.
 

Die am Morgen allerjüngste Wendung in der immer endloseren Neven DuMont-Saga steht heute auf der Medienseite der Berliner Zeitung (und erschien gestern spätabends im Internet-Auftritt des DuMont Schauberg-Stammblatts, des Kölner Stadtanzeigers). Sie lautet:

"Konstantin Neven DuMont ist als Herausgeber von Kölner Stadt-Anzeiger, Express und Mitteldeutscher Zeitung abberufen worden."

Weil der die "Übereinkunft", "Personalfragen aus Respekt gegenüber allen Beteiligten nicht auf dem Marktplatz" auszutragen, "beinahe täglich missachtet" habe, sei "die Abberufung durch den Aufsichtsrat unabwendbar."

Begonnen hatte diese Eskalationsstufe bereits am Samstag in Köln. Da bezichtigten das Boulevardblatt Express auf seiner Titelseite und der Stadtanzeiger in einem Kommentar seines Co-Chefredakteurs Peter Pauls den Springer-Verlag einer Kampagne gegen die eigene Verlagsgruppe, einen "lästigen Wettbewerber" im Kölner Zeitungsmarkt (am Montagmittag von meedia.de zusammengefasst). Dagegen wolle MDS gar beim Deutschen Preserat vorgehen. Auf den ersten wie auch auf den ausgeruhten Blick ein ziemlich grotesker Vorwurf. Schließlich sind die Neven DuMonts längst in sämtlichen Medien, die über Medien berichten, Thema. Es geht schon gar nicht mehr anders. Schließlich äußert sich Konstantin Neven DuMont inzwischen gegenüber beinahe jedem, der ihn fragt.

Und obwohl zu den Vorwürfen, die sich dem deutschen Internet machen lassen, nicht zählt, dass zu wenige Medienbeobachter darin unterwegs seien, blieb diese aktuelle Eskalationsstufe zunächst ziemlich unbeachtet (auch gestern hier, als die Neven DuMonts Position 2 im Altpapierkorb innehatten). Einerseits sitzen die Medienbeobachter halt nicht in Köln (außer dwdl.de, das sich aber vor allem fürs Fernsehen interessiert und erst unter Bezug auf meedia.de berichtete), andererseits hat MDS einen fast schon vergessenen Trick angewandt und die entsprechenden Artikel einfach gar nicht ins Internet gestellt.

Und auch fast schon gesetzmäßig: Wenn sich neue Entwicklungen zunächst besonders langsam verbreiten, verbreiten sie sich später umso gewaltiger. Insofern sind MDS und Konstantin Neven DuMont heute wieder in allen Medienmedien zu Gast, digitalen wie gedruckten (für die allerdings die Herausgeber-Abberufung des Sohns zu spät kam, weshalb sie auch morgen werden berichten müssen...)

Die TAZ gibt eine sinnvolle Zusammenfassung und entlockte Springer-Sprecher Tobias Fröhlich den Satz "Der Kampagnen-Vorwurf ist komplett absurd." DuMont-Experte Marc Felix Serrao von der Süddeutschen Zeitung erhielt ungefähr die gleiche Einschätzung von einer Sprecherin und weist noch auf eine spezielle Bizarrerie der MDS-Berichte, "ein Zitat des Journalisten Günter Wallraff im Express" hin:

"Springer, heißt es da, hätte allen Grund sich beim "Generationenkonflikt" im Hause DuMont zurückzuhalten: 'angesichts des tragischen Freitodes des Sohnes von Axel Springer'".

Wallraff wiederum ist der "Lieblingsjournalist" Konstantin Neven DuMonts, wie dieser in seinem Geschenkpapier zum Altpapier-Jubiläum schrieb.

Michael Hanfeld fragt in der FAZ auf 21 Zeilen so gentleman-like wie rhetorisch, "ob DuMont damit gut beraten ist?" Die jüngsten Schritte von MDS dürften "die Berichterstattung über die Krise im Verlag wohl eher noch befeuern" (S. 35). Einen ähnlich besonnenen Kommentar setzte unüberlichweise der traditionreiche Branchendienst kress.de auf.

Bei der Bild-Zeitung, die ja über viel Erfahrung in ganz anderen Kampagnen verfügt, stellte man gleich zwei Presseschauen für den Internetauftritt (natürlich ohne externe Links) zusammen. Noch nicht darin enthalten: der jüngste, gestern abend erschienene Beitrag des Auslösers der ganzen Krise (und Betreibers des aus auch nicht genau nachvollziehbaren Gründen immer noch geöffneten sog. "Sandkastens für Konstantin Neven DuMont", in dem am Morgen Kommentar Nr. 2356 einlief).

Stefan Niggemeier also, der vor allem als Bildblogger prominent wurde, kommt nun nicht umhin, sich mit Springer gegen die DuMont-Vorwürfe sozusagen zu solidarisieren (wie auch mit Konstantin Neven DuMont, der seinem Familienunternehmen zumindest implizit ja auch mangelnde Digitalmedienkompetenz unterstellte). Um der Groteske sonst noch einen Mehrwert zu entnehmen, folgert Niggemeier unter der Überschrift "Kommunizieren wie Nordkorea":

"Ihre (der DuMont-Chefetage) Empörung ist ein gutes Indiz dafür, wie wenig selbstverständlich Medienjournalismus in Deutschland immer noch ist, und in welchem Maße Journalisten es ablehnen, Gegenstand von Journalismus zu werden."

[listbox:title=Artikel des Tages[Samstag in Kölns Zeitungen (TAZ)##Samstag in Kölns Zeitungen (meedia.de)##Besonnener Kommentar (kress.de)##Lässt sich daraus ein Mehrwert ziehen? (Niggemeier)##TAZ über Sarah Palins TV-Show]]

Vielleicht ist sie, die Empörung, auch einfach Ausdruck der Partikularisierung der digitalen Gesellschaft, in der die eine Parallelgesellschaft sich über dieses und die andere sich über jenes empört, Berührungspunkte eher zufällig aggregiert werden und gar nicht zwangsläufig Konsequenzen haben müssen. Manche Kölner schauen halt nicht ins Internet, manche Medienbeobachter schauen halt nicht in Kölner Papierzeitungen. Ob überhaupt jemand recht hat, zeigt sich vielleicht später.


Altpapierkorb


+++ Wer aber heute schon einen ganz frischen Beitrag lesen möchte, in dem die handelnden Personen der DuMont-Story mal wieder wuchtig mit antiken Gestalten (hier: Kaiser Konstantin dem Großen und König Pyrrhus) verglichen werden, dem stellt meedia.de Christopher Leskos Epos "DuMont: Zerreißprobe einer Print-Dynastie" zur Verfügung. +++ "Unsere Kuh ist die Zeitung, aber niemand weiß, wie lange sie noch Milch gibt... Deshalb müssen jetzt die neuen Kälber her, die eines Tages die Milch liefern können." Das ist, wiwo.de (also dem Netzauftritt der Wirtschaftswoche) zufolge, originaler Konstantin-Content aus der vorigen Woche. Die Äußerungen stammen von einer Veranstaltung der Beratungsfirma Deloitte (ihrerseits gerade wg. einer gescheiterten Fusion mit Roland Berger in den Schlagzeilen). +++

+++ Rupert Murdochs Plan einer iPad-Tageszeitung erfährt weiterhin gespannte Beachtung: "Anachronistisch erscheint", so Jörg Häntzschel in der Süddeutschen, "dass die App von allen sozialen Online-Netzwerken abgeschottet sein soll. Die Web-Leser, die sich in den vergangenen Jahren daran gewöhnt haben, Teil einer Community zu sein, werden wieder auf die Rolle des reinen Rezipienten zurückgeworfen." +++ Oder aber: Dieses "Daily" "könnte die Blaupause für die Zeitungs-App der Zukunft werden und als Leuchtturmprojekt für den Rest der Branche dienen" (FAZ-Netzökonom Holger Schmidt). +++

+++ "Sarah Palin's Alaska" "bietet die gähnende Langeweile von Familienvideos. Vor großartiger landschaftlicher Kulisse. Mit Bären, einem Wal, der Wellen ins Meer schlägt, und einem Heilbutt, den die Politikerin persönlich erschlägt". Und es bescherte dem amerikanischen Kabelsender TLC die höchste Einschaltquote seiner Geschichte (TAZ). +++ "Palin gehört zu den beneidenswerten Zeitgenossen, die es vermögen, auch aus ihren Schwächen Kapital zu schlagen" (FAZ)

+++ Ferner auf der FAZ-Medienseite: Kurt Beck (habe die Ernennung von Wolfgang Schäubles Tochter Christine Strobl zur SWR-Fernsehfilmchefin benutzt, um "den parteipolitischen Preis für die nächste Spitzenpersonalie" zu erhöhen), Nicolas Sarkozy (Haben seine Geheimdienste das Internetportal rue89.com ausgeraubt??) sowie die am Sonntag beendete wieder großartige dänische Krimiserie "Kommissarin Lund" ("Gerade ein Seriengenie wie Søren Sveistrup muss immer aufs Neue um den Erfolg kämpfen. An der dritten Lund-Staffel, man hört es gern, arbeiten er und die Seinen schon.") +++

+++ Tagesspiegel-Medienressortchef Joachim Huber verfügt zu seinem Steckenpferd, dem eskalierenden Getalke in der ARD, über neue Sendeplatz-Informationen. +++ ... und schaute sich die Fusion von "CSI: Miami", "CSI: New York" und "CSI: Den Tätern auf der Spur" an. +++ "'Crime Scene Investigation' als Massenphänomen, als Schrittmacher der Popkultur, als Trostspender des modernen Fernsehzuschauers - das beginnt, exakt datierbar, in den Wochen nach 9/11. Auf einmal explodierten die Quoten. Die alten Antworten waren plötzlich nicht mehr da - dafür aber ein riesiger Schuttberg. Und sehr, sehr viele Leichenteile, die noch eine Geschichte erzählen sollten" (Tobias Kniebe in der Süddeutschen). +++

+++ Bizarres aus der Medienjustiz: Weil Leser "eher die Produkte eines Unternehmens kaufen, das sich als verantwortungsbewusst präsentiere", sollen Tabakanbieter sich bzw. Markennamen ihrer Produkte nicht als solche präsentieren dürfen (Süddeutsche). +++

+++ "Der Boss von Wal-Mart oder Aldi macht den Menschen weniger Angst als Google. Wer kennt schon Eric Schmitt, den Vorstandsvorsitzenden von Google? Kaum jemand" So die amerikanische Soziologin Saskia Sassen beim Plaudern mit der Berliner Zeitung. Schriebe die BLZ den Google-Chef "Schmidt", vielleicht kennten ihn ein paar Leute mehr.+++

 

Neues Altpapier gibt's wieder am Mittwoch.

 

weitere Blogs

Eine Ordensschwester im Kongo wurde wieder freigelassen – weil der Bandenchef keinen Ärger wollte.
Ein spätes, unerwartetes Ostererlebnis der besonderen Art
Ein mysteriöser Todesfall, das Mauern der Einheimischen und eine latente Homophobie begegnen einer lesbischen Pastorin bei ihrer Ankunft in einer ostdeutschen Kleinstadt. Aus der Großstadt bringt sie zudem ihre persönlichen Konflikte mit. Beste Zutaten für den Debütroman „In Hinterräumen“ von Katharina Scholz.