Die Zukunft der Tazzigkeit

Die Zukunft der Tazzigkeit

Macht die TAZ Discounter-Journalismus? Zumindest macht sie mit ein bisschen Streik viel Wind. Außerdem: Skandal-Potenzial im Hause Illner/ Obermann?

Streik bei der TAZ? Na ja. Vom heutigen Mittwoch bis zum Samstag werden zehn Auslandskorrespondenten des Blattes sich "vorsorglich nach weiteren Auftraggebern umsehen". Das steht in ihrem offenen Brief, der bei der Journalistengewerkschaft dju/ verdi (inzwischen dritter Beitrag von oben) und den Freischreibern zu lesen ist.

Im heutigen Blatt, dessen Texte ja am Dienstag geschrieben werden mussten, sind Jürgen Gottschlich (berichtet über Reaktionen auf das Menschenrechtsgerichtshof-Urteil zum Mord am Publizisten und Nannen-Preisträger Hrant Dink), Daniela Weingärtner, Ralf Sotschek (vgl. unser Foto) mit einem Artikel über den Großbritannien bevorstehenden Papstbesuch und Rudolf Balmer nicht nur mit einem über Sarko vs. Le Monde, sondern auch noch mit einem über gleich zwei neue Carla-Bruni-Biografien ("Ganz Frankreich ist gespannt") alle noch zu lesen.

Und auch Karim El-Gawhary, der sympathische Moderator des Youtube-Videos "Bei der taz sitzt man im Ausland demnächst in der 2. Reihe", hat in Scharm-el-Scheich erst noch einen Text über die laufenden Friedensverhandlungen für den Nahen Osten verfasst, bevor er im Telefonat mit sueddeutsche.de seinem aktuellen Ärger in eigener Sache deutlicher, viel deutlicher als im Video, Luft machte:

"Ich habe für 49 Pfennig pro Zeile vom Golfkrieg 1991 berichtet, habe über den Libanon- und Gaza-Krieg geschrieben, wäre bei den Präsidentschaftswahlen in Iran fast verprügelt worden. Ich bin ziemlich verärgert, das sind Discounter-Methoden. (...)
Ich verliere ein Drittel meines taz-Einkommens, bei der Grundpauschale sind es sogar 60 Prozent."

Insofern jazzt sueddeutsche.de die am Samstag anstehende Genossenschaftsversammlung bei der TAZ zum "Showdown im Machtkampf", zur "nächsten Schlacht" hoch. Vor dem Hintergrund von Scharm-el-Scheich könnte man das auch tiefer hängen.

Doch zumindest haben die ab heute streikenden TAZ-ler vorab breite Medienmedienwirkung erzielt, ihr Youtube-Video ist bei sueddeutsche.de eingebunden, auf kobuk.at (einem Medienwatchblog der Uni Wien, auf das die FAZ heute verweist, und das selbst durch El-Gawharys Twitter-Account darauf aufmerksam wurde), und u.v.a. auch bei taz.de.

Sowohl in der Zeitung wie auch im hübscher gestalteten Online-Auftritt taz.de wie auch erst recht im Hausblog (unter der arg euphemistisch anmutenden Überschrift "Neue Schwerpunkte bei der Auslandsberichterstattung") geht die Chefredaktion das Thema "in eigener Sache" offensiv an. Ines Pohl stand meedia.de ("Hier werden alte Strukturen verteidigt") und der FAZ (S. 33: "Pohl sagt, der Schritt treffe neun Pauschalisten, drei davon bedauerlicherweise deutlich, doch verbesserten sich manche auch") mit Kommentaren zur Verfügung. Dass "oftmals ... gutbezahlte Pauschalisten in Regionen, die nicht mehr so relevant wie vor zwanzig Jahren seien", säßen, erzählte die Chefredakteurin sueddeutsche.de.

"Künftig wird offenbar eine pauschale Vergütung von 1,50 Euro pro Zeile nur noch für 500 Zeilen pro Monat gelten, jede weitere Zeile wird mit 89 Cent honoriert", berichtet wiederum in einem eigenen kleinen Artikel die gedruckte Süddeutsche (S. 15). So kursieren allerhand Zahlen, die für alle nicht direkt Betroffenen eher abstrakt bleiben. Aber eines beweisen: Es geht im Journalismus dort, wo nicht Mathias Döpfner & Co Quartalszahlen präsentieren, oft um verdammt wenig Geld. Und das kann inzwischen ziemlich viel Aufregung hervorrufen.

Bezeichnenderweise könnte eine salomonische Lösung, so die Chefredaktion, in der Gründung eines Vereins "Freunde der taz-Auslandsberichterstattung" bestehen, noch bezeichnendererweise ist der äußerst karge taz.de-Beitrag "taz-Auslandskorrespondenten streiken" am Mittwochmorgen bereits elfmal geflattrt (also online-bespendet) worden.

[listbox:title=Artikel des Tages[sueddeutsche.de über den TAZ-Konflikt##...über Illner/ Obermann##FR/ BLZ dazu##Ostrowski und die Friseure (Westfalenblatt)]]

Völlig andere Einkommensverhältnisse dürften im Haushalt Illner/ Obermann bestehen, in dem ein Vorstandsvorsitzender eines der größten deutschen Konzerne und eine viel, aber doch nicht gar so viel wie geplant beschäftigte Moderatorin des öffentlich-rechtlichen Fernsehens seit kurzem auch verheiratet zusammen leben.

Gestern wurde bekannt, dass Maybrit Illner vorgestern nicht das "heute-journal" im ZDF moderiert hatte, weil ihr Gatte in weniger schöner Weise darin hätte vorkommen können, also " wegen einer Hausdurchsuchung bei ihrem Ehemann, Telekom-Chef René Obermann" (faz.net). Lässt sich daraus ein neuer kleiner Skandal gestalten?

Ebenfalls na ja. Doch zumindest Ulrike Simon (ganz vorn auf der Berliner Zeitung, ferner in KSTA, FR) und Christina Maria Berr (sueddeutsche.de) scheinen dazu zu tendieren.

Berr wundert sich, dass es in der betreffenden "heute-journal"-Ausgabe um die Hausdurchsuchung kaum ging, sondern "lang und breit um den Vergewaltigungsvorwurf und den Prozess um ARD-Wettermoderator Jörg Kachelmann. Ein Thema, über das wiederum die ARD eher minimalistisch berichtet". Simon fragt sich, warum die Redaktion des ZDF erst so spät "davon erfahren haben will, nachdem das Magazin Wirtschaftswoche darüber berichtet hat? Hat ZDF-Mitarbeiterin Illner kein Wort über den Vorgang verloren?" Hätte sie, wenn schon eine Hausdurchsuchung bei ihr stattfindet, nicht die Kollegen rufen oder die Szenen selber mit dem Handy filmen und ins Studio mitnehmen können?

"Weder Illner noch ZDF-Chefredakteur Peter Frey reagierten am Dienstag auf Anfragen."
 


Altpapierkorb 

+++ Bei der Bertelsmann'schen "Jubelwerbeschmusveranstaltung" am Donnerstag sei die Presse zwar "draußen, am roten Teppich vor dem Konzerthaus am Gendarmenmarkt in Berlin", erwünscht. Drinnen sei "schreibende Presse aber nicht vorgesehen". Das ärgert die TAZ, die sich mit einem Blick ins Westfalenblatt revanchiert und daraus zitiert, wie Bertelsmann-Chef Hartmut Ostrowski nebst Zukunftsforscher Matthias Horx "ihre Visionen der kommenden Jahrzehnte" vor 1200 Frisören in Bielefeld schilderten. +++

+++ "Viel Glas, viel offener Raum und neben dem Eingang ein Loungebereich mit Ledersofas, so sieht die neue Zentralredaktion der Deutschen Presse-Agentur dpa in der Axel-Springer-Passage in Berlin aus" (Süddeutsche, S. 15). 64 Mitarbeiter hätten den Umzug aus Hamburg nicht mitgemacht. "Von den offenen Stellen wurden 30 neu besetzt". +++

+++ Ebenfalls am Umziehen sind die Sender der RTL-Gruppe. Aus dem neuen Nachrichtenstudio in Köln direkt am Rhein berichten die FAZ unter der Überschrift "Beam mich hoch, Kloeppel": "Die auffälligste Neuerung von 'RTL Aktuell' besteht in der Perspektive: Der Moderator wird nicht mehr hinter dem Tisch stehend aufgenommen, sondern seitlich daneben, genau der Mittelwert also aus den beiden Claus-Kleber-Positionen Barmann des Vertrauens (hinter der Theke) und Zechbruder (vor dem Tresen fläzend)". +++ Und  frei online Thomas Gehringer im Tagesspiegel: Gleich "wurde in einer sinnfreien Animation die Tatortwohnung, in der Jörg Kachelmann seine damalige Geliebte vergewaltigt haben soll, 'nachgebaut' - eine Schlüssellochperspektive in der digitalen Welt". +++

+++ Dass sie es versäumt, rechtzeitig auf irgendeine auch nur ansatzweise erwähnenswerte Fernsehpremiere hinzuweisen, zählt nicht zu den Vorwürfen, die man der BLZ machen kann.
Gestern allerdings wich sie von dem Prinzip ab. Und weist erst heute im Nachhinein und unter der anfechtbaren Überschrift "die erste Familienserie im deutschen Fernsehen, die in der DDR spielt" (dabei war das Fernsehen der DDR ja schon auch ein deutsches...) auf die "ganz großartige" Serie "Weißensee" hin. +++

+++ Weniger großartig, aber halt die Fernsehpremiere heute: "Die Zeit der Kraniche" (ARD, 20.15 Uhr). "Die zwölfjährige Stella Kunkat spielt die Lea sehr talentiert, ist aber verständlicherweise auch überfordert, wenn sie die altklugen Dialogsätze mit kindlichem Leben füllen soll" (Klaudia Wick, BLZ). +++ "Das Spiel der Zwölfjährigen (ist) das Beeindruckendste an dem Familien-Krimi-Drama" (SZ, S. 15).+++

+++ Ebd. hat sich Christopher Keil noch mehr Gedanken zu Harald Schmidt gemacht (siehe auch Altpapier gestern), die geradezu danach schreien, mit Playmobilfiguren interpretiert zu werden. Z.B.: "Sein politisches, musikalisches Wissen, sein Allgemeinwissen überhaupt, das den zynischen Kern seiner Gags so oft umschließt, schließt das Massenpublikum aus." +++ Eher über Champions League, aber auch über Schmidt: Markus Ehrenberg im Tagesspiegel. +++

+++ Was ist nochmal "das Wetab"? Das ehemalige "Wepad" (BLZ). Achso, das ehemalige "WePad", also "das deutsche iPad" (Tsp.). Jedenfalls, "das Ding macht einen guten Eindruck" (BLZ wiederum). +++

+++ "Wenn man die ganzen fünfzig Serien ansehen wollte, bräuchte man über zweitausend Stunden. Andererseits: Jeden Abend sechs Stunden, dann ist man in einem Jahr durch." Die FAZ berichtet heute nicht nur ausführlich über die Lage bei "El País" (gehört zu Nicolas Karstadt-Berggruens Investments) und Sarko vs. "Le Monde", sondern widmet auch eine ganze Seite "Fünfzig Fernsehserien aus den letzten zehn Jahren, die man gesehen haben sollte (Teil 2)". +++

+++ "Das Abschlusswort möchte ich heute dem Hamburger Kioskbesitzer Winfried Buck überlassen, der in Folge der Bild-Sarrazin-Ausländer-Hetz-Kampagne in den Bild-Verkaufsboykott getreten ist: 'Bezeichnenderweise sagt der Bild-Zeitungs-Käufer ja auch selbst: Eine Blöd-Zeitung bitte, ein Lügenblatt bitte, ein Schmutzblatt bitte. Niemand würde zum Bäcker gehen und sagen: 'Ich hätte gern ein Scheiß-Brötchen.'' Beglückt und im festen Glauben an das Gute zurück nach Berlin!" (aus der aktuellen TAZ-Medienkriegsreportage).

Neues Altpapier gibt's wieder am Donnerstag.

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