Mehr von allem

Mehr von allem

Es geht ab: Der Fernseher soll zum Computer werden, und Journalistenpreise werden nicht nur an Kurt Westergaard vergeben.

Es hat in diesen Tagen etwas Beruhigendes zu erfahren, dass es auch Themen gibt, über die man nicht diskutieren muss.

"'Wenn es bei einer Show in Deutschland momentan keinen Handlungsbedarf gibt, dann ist es ,Wetten, dass...?’“

Wird Jörg Pilawa, der nach Beckmann, Kerner, Lanz und Pflaume bekannteste moderierende Freizeitlederjackenträger des deutschen Fernsehens im Tagesspiegel zitiert.

Handlungsbedarf herrscht dagegen überall anderswo. Etwa bei den Fernsehgeräten, die weil sie die besseren Bildschirme sind, browsertauglich gemacht werden sollen. Daran wird auch Torsten Wahls gutgelaunte Erinnerung an vergangene Experimente in dieser Richtung nichts ändern, die in der Berliner zu lesen ist:

"Wir hatten bereits vor neun Jahren mal so etwas Zukunftsweisendes zu Hause ausprobiert... Vorreiter war damals eine aus Italien stammende Firma namens Freedomland... Zwar konnte man nichts herunterladen oder speichern - dafür aber TV-Standbilder per E-Mail verschicken. Ein irrer Spaß, den wir einige Tage lang auch ganz intensiv genutzt haben. Danach staubte die Fernseher-Tastatur leider ein. Wir waren vorm Fernseher zum Planetenverändern wohl einfach zu faul."

Da Google sich das Falls jetzt annimmt, wird man wohl aber davon ausgehen dürfen, dass nicht mehr nur Standbilder per E-Mail verschickt werden können, sondern dem gewöhnlichen Couch Potato Beine gemacht werden.

"Google TV wird entweder direkt in neuere Geräte eingebaut sein - Sony hat bereits eine entsprechende Partnerschaft bekannt gegeben - oder kann mit Settop-Boxen auch auf älteren Geräten genutzt werden. Der Dienst sichtet das Angebot, nachdem der Nutzer über eine Tastatur etwa ein Suchwort wie 'Star Trek' eingegeben hat. Als Suchergebnisse erhält er dann Clips auf Youtube, Ausschnitte auf Fan-Seiten oder komplette Filme auf den Webseiten von Sendern oder in Online-Videotheken."

Erklärt Marin Majica ebenfalls in der Berliner. Etwas nüchterner fällt die mutmaßliche Bedienungsanleitung im Handelsblatt aus. Naturgemäß kann man sich fragen, wohin das alles noch führen wird. Das haben Joachim Müller-Jung und Holger Schmidt in der FAZ getan (Seite 31) – die Antworten auf die Frage, was Google alles noch können wird, kam vom Chef persönlich. Eric Schmidt:

"Das wissen wir heute noch nicht. Die einfachste Antwort lautet: Mehr von allem."

Einfach – und darin faszinierend – ist auch der Blick von Schmidt auf die ganze kulturkritische Sülze, die hierzulande vor jeder technischen Neuerung in Gelatine erstarrt: Es wird alles gut gefunden, was als "nützlich" bezeichnet werden kann. Was das fiese deutsche Wort Datensammelwut meint, ist für Schmidt nur der Schritt zum easier way of life:

"Wenn ich eine Straße hinuntergehe, können Passanten per Livestream Informationen von der Oper, dem Kino, dem Händler und den Schulen empfangen. An der Oper könnte das Telefon dann ein Stück der Oper vorspielen. Wenn der Nutzer die Oper hasst, bekommt er eine andere Einspielung. Das allwissende System trifft also Entscheidungen in Echtzeit und versorgt die Menschen mit Informationen."

[listbox:title=Die Artikel des Tages[Mitmachfernsehen war schon mal (Berliner)##Google-TV kommt noch (Berliner)##Nie wieder einsam und allein (TAZ)##Westergaard kriegt M100 (SZ)##]]

Ob uns Carl Schmitt lesenden Pilawa-Jüngern dieses Szenario behagt, indem alle Entscheidungen irgendwann ein mobiles Endgerät trifft, diskutieren wir ein andermal. Interessant ist am Schmidt-Interview noch der Gap zwischen Google und Apple (Offenheit vs. Restriktion) und die Absage an Netzbetreiber, die gern Geld von Google hätten ("Nein").

Auch die TAZ hat auf der IFA bei Eric Schmidt aufmerksam zugehört:

"Wenn Schmidt in einigen Jahren in ein Auto steigt, will er, dass es selbst fährt. 'Das Auto kennt Sie ja schließlich. Es weiß, wo andere Autos sind und wo es hinfahren soll.' Google will auch sonst unterwegs von einer Suchmaschine zu einer Art Entscheidungsmaschine werden: 'In naher Zukunft können wir Ihnen Vorschläge machen, was sie als Nächstes tun sollten. Nie wieder werden Sie einsam oder gelangweilt sein.'"

Nie wieder einsam und allein? Das ist doch mal eine Perspektive. Bis es so weit ist, überlegen wir uns nur noch, worüber wir uns dann noch beklagen können.


Altpapierkorb

+++ Kurt Westergaards Zeichnungen kann man so oder so finden, nur Lebensgefahr ist das eindeutig falsche Mittel der Kritik, resümiert Gunnar Herrmann die Verleihung des bekannten und gänzlich undotierten Potsdamer Journalismus "M100" an den dänischen Karikaturisten in der SZ (Seite 11). +++ Auf Sueddeutsche.de liefert Constanze von Bullion Impressionen von der Verleihung, die den Tagesspiegel zu Bericht und Portrait inspiriert. +++ Die FAZ, deren Herausgeber Frank Schirrmacher wie jeder andere prominente Medienname, der Ihnen binnen fünf Sekunden einfällt, zum Beirat der Preisvergeber gehört, hat Westergaard interviewt (Seite 29). Auch da die Frage nach der Zukunft: "Oh, wie ein Freund neulich sagte: Wir warten jetzt auf das Musical zu dieser ganzen Affäre." +++ Was im zur Preisverleihung gehörenden Colloquium in Sanssouci diskutiert wurde, weiß der Tagesspiegel, es ging, grob gesagt, um Pressefreiheit und Internet. +++ Auch anderswo werden Journalistenpreise verliehen, der nach Theodor Wolff benannte ist allerdings mit 6.000 Euro je Kategorie dotiert. Beliebtes Spiel: Jede Zeitung erfreut sich an der Sonne, die durch den ins Rampenlicht Prämierten aus den eigenen Reihen auf sie fällt. So widmet sich die Berliner Zeitung vor allem der ausgezeichneten Sabine Rennefanz, der KSTA seinem Reporter Detlef Schmalenberg. In dieser Logik müsste das Zeit-Magazin heute Jana Hensel seine Ehre erbieten – wir hatten noch keine Zeit nachzuschauen, ob dem so ist. +++

+++ Die TAZ macht sich Gedanken über die Eröffnung einer zweiten SVP-Dependance in der Schweizer Presselandschaft: Weltwoche-Vize Markus Somm, der "sich zudem mit bewundernden Kommentaren und Biografien zu autoritären Männerfiguren wie Blocher oder dem Schweizer Weltkriegsgeneral Henri Guisan" profilierte, wird Chefredaktor bei der Basler Zeitung. +++ Mario Adorf ist seit gestern 80, auf Welt-Online kann man den Kranz lesen, den Dr. Dieter Wedel sich windet, der mit dem Schauspieler seit neun Jahren kein Wort mehr gesprochen hat: "Neben Gesundheit und Glück und noch vielen vielen hellen Lebensjahren wünsche ich Mario Adorf noch zahlreiche große Rollen, die ihn befriedigen und uns, seine Zuschauer, beglücken!" +++

+++ Die Abschiedsmail von Helmut Markwort und Gründungsgeschäftsführer Frank-Michael Müller liegt Meedia.de vor – und birgt eine Nachricht, die erst später verkündet werden sollte, als sie laut User-Kommentar getwittert wurde. Sie lautet: "Liebe Kolleginnen und Kollegen, Helmut Markwort und ich möchten Sie darüber informieren, dass wir zum 30. September 2010 die Geschäftsführung der FOCUS Magazin Verlag GmbH an Philipp Welte abgeben werden. Mit besten Grüßen Helmut Markwort Frank-Michael Müller." Unsentimentaler hätte es auch das Smartphone von Eric Schmidt nicht sagen können. +++

Neues Altpapier gibt's morgen wieder ab 9 Uhr.
 

weitere Blogs

Ein mysteriöser Todesfall, das Mauern der Einheimischen und eine latente Homophobie begegnen einer lesbischen Pastorin bei ihrer Ankunft in einer ostdeutschen Kleinstadt. Aus der Großstadt bringt sie zudem ihre persönlichen Konflikte mit. Beste Zutaten für den Debütroman „In Hinterräumen“ von Katharina Scholz.
Nach 15.000 Kilometern und fünf Monaten ist Leonies Reise vorbei. Was bleibt? In ihrem letzten Blogbeitrag schaut sie auf ihre Erfahrungen zurück.

Vom Versuch nicht zu hassen. Biografische Streiflichter von gestern, das irgendwie auch heute ist.