Seibert kann Kanzler

Seibert kann Kanzler

Steffen Seibert tritt als Regierungssprecher an. RTL und ProSieben planen eine Onlinekooperation. Und wenn ARD und ZDF lieb sind, dürfen sie auch mitspielen.

Was sehen wir, wenn wir fernsehen? Wir sehen fürs Erste jedenfalls nicht mehr regelmäßig Steffen Seibert, der, als Ameise verkleidet, neben Dunya Halali hinter einem bogenreichen Rekordbiertisch steht.

 Am Mittwoch tritt der ehemalige "heute"- und "heute journal"-Moderator seinen neuen Job als Sprecher der Regierung Merkel an, und was aus Sprechern einer deutschen Regierung so alles werden kann, schrieb Hans Leyendecker in der Samstagsausgabe der Süddeutschen Zeitung auf:

"Angela Merkel war 1990 stellvertretende Sprecherin der letzten DDR-Regierung und hatte in demselben Jahr für zwei Monate eine Planstelle im Bundespresseamt mit der ordentlichen Besoldungsstufe A16."

Da hätten wir's: Steffen Seibert kann Kanzler.

Ob er auch eines Tages Kanzler wird, ist eine andere Frage. Klaus Bölling, Helmut Schmidts Regierungssprecher, hält im Interview mit der Berliner Zeitung allerdings auch die Chance, in den Journalismus zurückzukehren, für gering:

"Das ist sehr schwer. Sie sind abgestempelt. Ich war damals im Gespräch als Intendant für den WDR in Köln. Damals hat man geflüstert, Kohl und Genscher hätten gesagt, das ginge nicht. Ein Mann von Schmidt, und dann noch Sozialdemokrat. Ich hatte keine Chance."

Der Arme.

Den möglichen blumenkübelgroßen Erolg einer Mitleids- und Spendenkampagne für Seibert im Social Web verhindert allerdings der Focus mit der Meldung, er habe sich vorsorglich ein Rückkehrrecht zum ZDF gesichert, für den Fall, dass die schwarz-gelbe Koalition wider Erwarten nicht noch 15 bis 17 Jahre, bis zu seiner Pensionierung, durchregiert. Der Tagesspiegel hat noch einmal bei ZDF-Sprecher Walter Kehr angerufen, um zu fragen, ob das mit dem Rückkehrrecht stimmt. Ergebnis: jau. Stimmt.

Nun hat Seiberts Wechsel, also vom öffentlich-rechtlichen Fernsehen in die direkte Umgebung der Politik, ja im Juli an mehreren Stellen die Frage aufgeworfen, ob er nach der Brender-Affäre und dem Wechsel des vorherigen Regierungssprechers Ulrich Wilhelm auf den BR-Intendantenposten eine so wahnsinnig gute Idee sei, symbolisch betrachtet (siehe Altpapier vom 12. Juli). Mit der Symbolik ist das dummerweise so eine Sache. Seibert ist ja kein Symbol, sondern ein Arbeitnehmer, und als solcher wechselt man halt auch mal ungebeten die Kaffeemaschine. Sein Rückkehrrecht zum ZDF allerdings wirft die alten Fragen nach dem Verständnis von Unabhängigkeit erneut auf, und nun durchaus etwas konkreter. Zumal die Einräumung dieses Rechts "so üblich" sei, "wenn ein Sender-Mitarbeiter in ein öffentliches Amt wechsle, wie es aus dem ZDF - "ganz staatsnah", so die taz - heiße.

"Wie soll der 50-Jährige erst die Arbeit der schwarz-gelben Koalition auf Gedeih und Verderb loben, um dann zum ZDF zurückzukehren und die Regierungsarbeit wieder als – unabhängiger – Journalist bewerten? Das wird nicht gehen", schreibt Meedia. Und der Tagesspiegel kommentiert, es zeuge
"von einem seltsamen Verständnis von Journalismus, wenn der Regierungssprecher glaubt, er könne in die politische Redaktion des ZDF zurückkehren, als sei nichts gewesen."

Vielleicht bekommt Seibert aber im Fall seiner Rückkehr auch einfach nur eine Talkshow am frühen Sonntagnachmittag.

Volker Lilienthal spricht im "Tagebuch" von epd Medien einen anderen Themenkomplex an, wenn er von "ideologischer Medienkritik" spricht. Bei ihm geht es zwar auch um Kritik an den Öffentlich-Rechtlichen, aber nicht um die Staatsfernedebatte, sondern konkret "um das Online-Engagement von ARD und ZDF". Lilienthal schreibt:

"Die Medienkritik dieser Tage ist hochgradig politisiert, im Falle der Presse oft auch ideologisch, orthodox angekoppelt an das Geschäftsinteresse der Verleger. Noch schlimmer als der Mangel an Neutralität ist die auffällige Argumentenarmut der Kritiker. Nirgends wird ein neuer Gedanke vorgetragen, nirgends die behauptete Wettbewerbsverzerrung auch nur annähernd belegt."

Die Kritik am Neutralitätsmangel wurde bei epd Medien ähnlich schon einmal im Februar vorgebracht, was aber nichts daran ändert, dass sie aufschreibenswert ist in Zeiten, in denen Vorschläge von Privatmedienlobbyverbänden auf Medienseiten immer wieder wie unabhängige Analysen behandelt werden.

Neuestes Beispiel: Der Spiegel meldet soeben "vorab" (was im Juli im Kern schon DPA meldete), nämlich welche konstruktiven Vorschläge der Privatfernsehsenderverband VPRT einer neuen "Arbeitsgruppe der Unionsländer unter dem Vorsitz der Sächsischen Staatskanzlei" unterbreitet: Mindestens eine Milliarde Euro könnten die Öffentlich-Rechtlichen sparen, und der VPRT weiß auch genau, wie. In der Spiegel-Meldung, die eine halbe obere rechte Seite in der gedruckten Ausgabe einnimmt, mit einem hübschen Foto von Anne Heche und Harrison Ford versehen ist und eine Überschrift mit Fragezeichen trägt, heißt es, der VPRT empfehle unter anderem, alle sechs Digitalkanäle einzustellen, die deutliche Reduzierung des Spielfilm- und Sportrechteetats sowie einen Einstellungsstopp.

Die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung kommentiert: "Nach bislang unveröffentlichten Informationen dieser Zeitung könnten ARD und ZDF doppelt so viel sparen, wenn sie doppelt so viel sparten."

Vielleicht kann man die VPRT-Vorschläge aber auch als Angebot der guten Zusammenarbeit mit den Öffentlich-Rechtlichen verstehen, nach dem Motto: Wir rechnen - Ihr spart dafür den Taschenrechner. Dafür spricht, dass sich auf einem anderen Bereich eine Zusammenarbeit zwischen Privatsendern und Öffentlich-Rechtlichen anbahnen könnte. Nach einem FTD-Bericht und Pressemitteilungen vom Freitag planen ProSieben und RTL, vorbehaltlich der Zustimmung der Eu-Kommission, eine gemeinsame Internetvideoplattform, vergleichbar dem US-Vorbild Hulu der Konzerne News Corp, Disney und NBC Universal, das auch gerne nach Europa expandieren würde. Aus der FTD:

"Die deutsche TV-Branche betritt mit dem Aufbau einer senderübergreifenden Zentral-Mediathek neues Terrain. Bislang haben Privatsender wie Öffentlich-Rechtliche unabhängig voneinander Onlinevideoportale aufgebaut. Einige Angebote wie RTL now oder das Pro-Sieben-Sat-1-Pendant Maxdome setzen dabei vor allem auf Bezahlangebote, andere auf gratis abrufbare TV-Sendungen. Die diversen Mediatheken der öffentlich-rechtlichen Anstalten bündeln gebührenfinanzierte Programme."

Daniel Bouhs fragt in der taz, wie das finanzierbar wäre und kommt, auch wenn momentan ein kostenloses Abrufangebot vorgesehen sei, zum Schluss: womöglich doch nur als Bezahlangebot. Und in der Frankfurter Rundschau zitierte er Robert Amlung, in der ZDF-Intendanz "Beauftragter für digitale Strategien". Er "sagte der Frankfurter Rundschau, er verfolge die Entwicklung 'mit großem Interesse'. Es gebe 'noch viele offene Fragen' und daher 'keine konkreten Gespräche'."

[listbox:title=Artikel des Tages[Thomas Schuler über die Bertelsmann-Stiftung (taz)##Wozu noch Journalismus? (Sueddeutsche.de)##German Hulu( FTD vom Freitag)##Kanzlers Sprecher (SZ)##Bilanz des Live-Reportage-Experiments (Carta)]]

Wenn Fernsehen und Internet derart zusammenwachsen, bleibt freilich noch eine Frage zum Journalismus: Was ist denn jetzt eigentlich damit? Bei sueddeutsche.de heißt es im letzten Teil der "Wozu noch Journalismus?"-Reihe:

"Das, was jahrzehntelang getrennt war, wächst im Internet zwangsläufig zusammen. Jahrzehntelang beschäftigten sich Journalisten entweder mit Wort oder mit Ton oder Bild, online aber vermischen sich die hergebrachten Gattungen Presse, Radio und Fernsehen. Und damit besteht die Chance, eines neuen, aufregenden Journalismus".

Und weil wir dann auch gerne dabei wären: anbei schon mal eines unserer Lieblingsvideos ever, 365/24/7 zugänglich bei Youtube.


Altpapierkorb

+++ Die Kommunikationsmanagementprofessorin Miriam Meckel hat vergangene Woche (siehe Altpapierkorb vom Donnerstag) in der FAZ vorgeschlagen: "Stellen wir uns das Web als eine Gemeindewiese vor, unter blauem Himmel. Auf diesem Platz tummelten wir uns, die Netznutzer dieser Welt, Hunderte Millionen Menschen. Und dann stellen wir uns vor, wir brächten unsere Informationen in materieller Form auf diesem Platz unter die Leute." Es hat ein wenig gedauert, bis wir unsere Vorstellungskraft so weit hatten, aber als es so weit war, fühlte es sich ziemlich heavy an. Als wöge jedes Milligramm Sauerstoff, das wir atmen, eine Tonne und sähe aus wie ein Elefant. Dann wären wir ganz erschlagen von frischer Luft. Niklas Hofmann hat auf Meckels Text in der Süddeutschen vom Samstag reagiert. "Wir steuern auf einen Zustand digitaler Adipositas zu", schrieb Meckel, die - frei zusammengefasst - klagte, man werde im Netz zugemüllt mit allem möglichen Quatsch, Werbung, Spam und Facebook-Farmville-Updates. Hofmann erwidert: "Unwillkürlich hat man das Bild eines Fernsehzuschauers vor Augen, der sich in der Werbepause zwar im Sessel windet, aber weder umschalten noch den Blick vom Bildschirm nehmen kann." Und: "Die zum Zeitpunkt X zur Verfügung stehende Aufmerksamkeit ist zwar begrenzt, aber es handelt sich doch um ein regeneratives Gut. Es ist ja nicht so, dass einmal zu einem Tweet über münsterländische Blumenkübel abgeflossene Aufmerksamkeit endgültig verloren wäre und Minuten später für die Lektüre eines Miriam-Meckel-Artikels nicht mehr zur Verfügung stünde." +++

+++ Thomas Schuler befasst sich in der taz mit der Bertelsmann-Stiftung: "Verrechnet man die Steuererleichterungen und Ersparnisse mit den Ausschüttungen, dann zeigt sich, dass die Mohns die Stiftung de facto mit öffentlichem Geld betreiben. Das ist unternehmerisch geschickt. Moralisch ist es jedoch fragwürdig, zumal die Stiftung keine Fördergelder verteilt, sondern die Interessen der Familie Mohn vertritt. Sie dient Mohns Idee, die Gesellschaft wie ein Unternehmen zu führen und durch Unternehmen führen zu lassen." +++

+++ Die Süddeutsche (S. 13) warnt vor der Gefahr für das Pressegrosso, einer Art Netzneutralität des Printmarktes: Jeder Grossist soll "die Blätter streng neutral - also unabhängig von der Stärke ihres Verlegers, ihrem Inhalt und ihrer Tendenz - in die Läden bringen. Die Händler müssen das so akzeptieren, sie haben dafür aber bei Nichtverkauf das Recht auf Rückgabe". +++ Die Netzneutralität, die von Google bedroht scheint, ist Thema der "Nachrichten aus dem Netz" +++

+++ Die taz schreibt über einen Gesetzentwurf der südafrikanischen Regierungspartei ANC, mit dem sie die Medienregulierung zu ihren Gunsten reformieren wolle +++ Mehr aus dem Auslandsmedienressort: Die Spiegel-Geschichte (S. 128) über das Foto der Verstümmelten Bibi Aisha auf dem Titel des "Time"-Magazins, über den Worten: "Was passiert, wenn wir Afghanistan verlassen" +++

+++ Die FAZ (S. 25) druckt Mark Twains Klage über das Interview: "Das Interview ist aus vielerlei Gründen eine Fehlkonstruktion. So scheint dem Interviewer, nachdem er mit einer Fülle von Fragen diverse Quellen angezapft hat, bis er eine findet, aus der es frei und interessant hervorsprudelt, nicht klar zu sein, dass es klug wäre, sich auf diese eine Quelle zu beschränken und das Beste daraus zu machen und all das wegzuwerfen, was er bis dahin zusammengetragen hat." +++ Ebenfalls in der FAZ (S. 24): die Besprechung des Buchs "Der Google Komplex" (transcript), in der es heißt: "Der Autor will Google gerade nicht als heimlichen Weltenherrscher identifizieren. Er exerziert das theoretische Programm Michel Foucaults, nach dem Macht nicht willentlich von einem zentralen Akteur ausgeübt wird, sondern als anonymer Effekt im Austausch verschiedener Akteure entsteht." +++

+++ Carta bilanziert Michalis PantelourisLive-Reportage-Experiment für neon.de +++ Und die Funkkorrespondenz schreibt im Aufmacher über Prominentenmagazine im Privatfernsehen: "Die drei gesichteten Magazine leben in erster Linie vom Prinzip der Skandalisierung, wobei der Anlass austauschbar ist und auch konstruiert sein kann. Je nach Bedarf oder Belieben werden mal der Verstoß gegen gültige Schönheitsnormen, mal deren strikte Einhaltung als verwerflich hingestellt." +++

Frisches Altpapier gibt es wieder am Dienstag.
 

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