Im Gespräch bleiben

Im Gespräch bleiben

Eva Herman gibt den Takt vor: Versöhnung ist angesagt – zwischen FAZ und ARD, Wikileaks und den Zeitungen.

Der allersalomonischste Satz des Tages lautet:

Schauspielerin Sophia Thomalla soll nach einem Bericht der „Bild“-Zeitung in die neue Jury der RTL-Castingshow „Deutschland sucht den Superstar“.

Damn! Jetzt sind wir beim Copy/Paste verrutscht, hinein in diesen in seiner Informationstiefe wie Kürze durchaus beeindruckenden Welt-Online-Text. Der allersalomonischte Satz des Tages geht natürlich so:

Im Gespräch miteinander findet man die besten Chancen, unterschiedliche Positionen, die vielleicht gar nicht so unterschiedlich sind, auszutauschen.

Er stammt nicht von Winnetou und auch nicht von Dr. Motte, sondern von good old Eva Herman und ist zitiert auf Sueddeutsche.de in einem Text, der über den Beitrag von Eva Herman zu den Ereignissen von Duisburg ("die Achtundsechziger!") handelt.

Dieser Beitrag ist indiskutabel, und es wäre zuviel des Guten zu behaupten, dass man von Eva Herman etwas anderes erwarten würde. Weihbischof Helmut Schümann etwa schreitet im Tagesspiegel dennoch pathetisch an die Orgel seiner Empörung:

Versündigt hat sich Eva Herman. An der Pietät. An der Menschlichkeit. Am Verstand. Eva Herman ist eine durch und durch schamlose Person.

Kann man machen, aber was hilft's? Man kann Eva Herman auf den instruktiven Beitrag zum kulturellen Kontext der Love Parade in der Berliner verweisen, aber würde sie den lesen, geschweige denn verstehen? Außerdem wird Eva Herman bald wieder einen Anlass finden, aus dem Schmollwinkel ihrer Beschränktheit "die Achtundsechziger" für irgendetwas verantwortlich zu machen.

Dann doch lieber Versöhnung. Und deren Geist weht uns heute auf der Medienseite der FAZ entgegen. Die FAZ und die ARD, Sie erinneren sich, das war in jüngster Zeit eher, nun ja, nicht so. Heute aber steigen aus dem Kleingedruckten auf der FAZ-Medienseite Dampfwölkchen der Friedenspfeife auf.

Diese Beiträge hatten Sinn und Form.

Steht nobel in dem Format "In medias res" (Seite 33) über die WDR-Berichterstattung zu Duisburg (Der Tagesspiegel hat derweil Jörg Schönenborn zur Bild-Politik der ARD-Brennpunkte interviewt). Und "Chef's own Redakteur", Michael "Staatsjournalismus" Hanfeld lässt seine euphorisch-ergriffene Kritik des Erwin-Wagenhofer-Anti-Hemmungsloser-Finanzkapitalismus-Film "Let's make Money" (ARD, 22.45 Uhr) auf den still-lobenden Sätzen auslauten:

Filmisch besticht Wagenhofer durch seinen Blick für Details, er montiert die Szenen zu einer Anklage, der laute Gestus eines Michael Moore ist seinem Film fern. Es ist gut, dass die ARD ihn im Ersten zeigt.

Der Ironie an dieser Geschichte – eine Zeitung, deren Wirtschaftsseiten die "Neoliberalisierung" genannte Rationalisierung von allem mit Sympathie begleitet hat, ist nun schaudernd beeindruckt von einem Film, der in anderen Zusammenhängen durchaus kritisch wahrgenommen wurde – widmen wir uns ein anderes Mal.

[listbox:title=Die Artikel des Tages[Weltmedienmacht Wikileaks (TAZ)##Wikileaks: Zwei Fliegen mit einer Klappe (Freitag)##Pressestatistiker Walter J. Schütz (TAZ)##Eva Herman geht steil (TSP)##Die Schweiz als Werbefenster (NZZ##Glanz und Elend von Flipboard (Carta)]]

Denn es geht noch einiges. Stichwort: Wikileaks, wie wir mediengeschulten Politikberater sagen. Auch hierzu gibt es bei der FAZ (immer noch Seite 33) einen interessanten Satz im Kleingedruckten:

Doch kann der jetzige „Scoop“ Wikileaks den Königsweg weisen. Mit Algorithmen allein lässt sich die Welt nicht erschließen. Zu wirklich großer Form liefe Wikileaks allerdings erst auf, wenn es nicht mit – geheimen – Informationen aus der freien Welt aufwartet, sondern mit solchen über jene Regimes, welche die Pressefreiheit seit jeher bekämpfen.

Bemerkenswerte Unterscheidung: Some geheime Informationen are better than others – die aus der "freien Welt" sind naturgemäß nur halb so wertvoll wie die aus dem Reich des Bösen, wo immer das gerade liegt.

Aber der Tenor stimmt doch: Durch die Einbeziehung von NYT, Guardian und Spiegel in die Auswertung der geheimen Dokumente aus den Kriegen der freien Welt können die Verlage ihren Frieden mit dem Internetportal machen, wie der Freitag feststellt:

Dass ein Minister lieber keine unliebsamen Überraschungen erlebt, wenn er seinen Computer hochfährt, ist klar. Journalisten andererseits sind stets auf der Jagd nach Exklusivnachrichten - was in ihren Augen den Nachrichtenwert eines schon im Internet veröffentlichten Dokuments schmälert, selbst wenn es sich um noch so relevantes Material handelt. Beide Seiten haben folglich ein Interesse daran, Dokumente auf Wikileaks nicht allzu wichtig erscheinen zu lassen. Um diese Allianz aufzubrechen und politisch wirksam werden zu können, müssen die Wikileaks-Macher also zunächst die Frage beantworten: Wie können wir Partner der Medien werden?

Mag man für etwas paternalistisch halten, diesen Ansatz, aber die Frage ist mit dem letzten "Scoop" beantwortet: so.

Auf die Wikileaks-Berichterstattung schlägt dieser Turn noch nicht recht durch: Es bleibt zuerst einmal bei lexikalischen Informationsanleitungen (SZ) beziehungsweise distanzierteren Julian-Assange-Portraits (FTD). Etwas umfassender informiert die TAZ über die neue "Weltmedienmacht".

Da wir ja mit dem Eva-Herman-Plädoyer fürs "Gespräch" eingestiegen sind: Ganz lustig liest sich die Äußerung von Wikileaks-Deutschland-Gesicht Daniel Schmitt in einem Gespräch, dass der Freitag vor nicht mal zehn Tagen mit ihm geführt hat. Auf die Frage, wann wieder Dokumente auf der Wikileaks veröffentlicht werden, antwortet Schmitt:

So bald wie möglich. ... In den nächsten Wochen wird es sicher schon einzelne Publikationen geben bis dann das System so funktioniert wie wir uns das vorstellen.

That's understatement, Eva Herman.


Altpapierkorb

+++ Walter J. Schütz wird 80. Der Tagesspiegel gratuliert. +++ Die TAZ aber lobhudelt und beschreibt die Verhältnisse im Bonner Reihenhaus des rastlosen Pensionärs: "Der ehemalige Leiter des Medienreferats beim Bundespresseamt und heutige Honorarprofessor für Journalistik lässt sich alle zwei, drei Jahre eine Woche lang alle (sic!) Zeitungen mit allen (sic!) lokalen Ausgaben kommen. Und zählt nach. Wer ihn 2004 beim letzten Durchgang besuchte, kam sich vor wie in einer gut sortierten Bahnhofsbuchhandlung: 1.584 Ausgaben kamen in der Testwoche an - täglich. Und weil das für einen ein bisschen viel ist, hockten neben Schütz und einigen seiner Studenten gestandene Pensionäre wie der langjährige FAZ-Redakteur Kurt Reumann am Boden und blätterten Zeitung um Zeitung durch." +++

+++ Julia Amalia Heyer versucht ihrer Hochachtung für den Spiegel-Reporter Alexander Osang, dessen Spiegel-Reportagen jetzt bei Ch.Links als Buch erschienen sind, in einer Besprechung in der SZ (Seite 12) unter anderem mit diesem Satz Ausdruck zu verleihen: "In seiner Schilderung dieses Monte-Carlo-Hummer-(das Auto)-Silikon-Milieus, dieses grausigen Gemischs aus neuem Geld und schlechtem Geschmack, sticht Alexander Osang mit seinen Sätzen in die Vorstellung dieses Klischees, das genau so ja existiert, dass es einfach verpufft." +++ Dabei war besagter Osang vor nicht all zu langer Zeit Anlass für einen ordentlichen FAS-Diss des Reportage-Genres an sich (siehe Altpapier). +++ Klischees, die existieren, aber nicht so schnell verpuffen: der Stand der Pressefreiheit in Weißrussland (Berliner). +++

+++ Die FR hat online neu. +++ Dafür sind die dort aufgelisteten Medien-Artikel eher old. +++ Nicht neu ist der ARD-Diss, der im KSTA steht von Chefredakteur Peter Pauls höchstselbst verfasst. +++ Neuer: "Anleger jubeln über gute Zahlen von ProSieben", titelt das Handelsblatt. +++ Neu und womöglich gefährlich für die Verlage, die über das iPad gejubelt haben: Flipboard, eine App, die Magazin macht aus diversen Meldungen und Links. Matthias Schwenk erklärt auf Carta sehr ausführlich, worum es sich handelt. +++ Im Prinzip eine alte Geschichte: Die Schweiz und der Rest der Welt, diesmal am Beispiel des medialen Hineinlangens ins kleine Alpenland (NZZ). Endlich versteht man dadurch aber immerhin Heiner Müllers nebulösen Heiner-Müller-Satz: "Die Schweiz ist so klein, weil sie keine Grenzen hat." +++

 

Neues Altpapier gibt's morgen wieder tatsächlich gegen 9 Uhr.
 

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