Nimm es, wie es ist

Nimm es, wie es ist


Kai Diekmann geht mal wieder steil bis in den elterlichen Schoß, ein Männermedienputsch wird imagniert. Und das Leistungsschutzrecht kann nach hinten losgehen.

Zitat des Tages

"You do what you do; take it how it is" (Walter Pincus)

Diese kleine Reverenz an Rüdiger Dingemann, den vielleicht größten lebenden Mediennewsaggregator aller Zeiten, war schon lange überfällig. Dingemann, gerade aus dem Urlaub zurück (Welcome back, altes Haus!), bestreitet auf der Website des Perlentaucher einen "Medienticker", der verbunden durch extrem flashige Ticker-Pluszeichen, wie das Altpapier sie weiter unten auch verwendet, einen Medienbegriff aufspannt, indem nahezu alles Platz hat – Theaterkritiken, literarisches Leben, Lyrik, Kalenderblätter und so weiter.

Highlight des Daily Dingemann ist für die wahren Aficionados aber das Zitat zu Beginn, das – wie am Ende der Kolumne in internettypischer Transparenz vermerkt wird – nicht aus bildungshuberischem Herrschaftswissens resultiert, sondern – total internettypisch – von einem Internetportal stammt.

Das heutige Zitat lieferte der Newsletter von zitate.de.

Unser heutiges Zitat des Tages verdankt sich dagegen der Lektüre eines aufschlussreichen Artikels in der SZ (Seite 15). Camilo Jiménez war auf einem Reuters-Seminar in New York, wo über Glanz und Elend des Terrorismusbegriffs für den Journalismus gesprochen wurde. Und dort meldete sich besagter Walter Pincus zu Wort, Geheimdienstexperte der Washington Post, der dem munteren Reflektieren über die Bedingungen des eigenen Tuns offenbar nicht abgeneigt gegenüber stand, gleichzeitig aber in Erinnerung rufen wollte, dass – wie wir Fußball-Anhänger gerade in den Tagen der WM sagen – die Wahrheit auf dem Platz ist.

Die vielen Fragen zur Terrorberichterstattung solle man sich ruhig stellen. Arbeiten müsse man aber weiter: 'You do what you do; take it how it is.'

"You do what you do; take it how is" – welch' nüchterne Reife aus den Jahren der Verwitterung im journalistischen Alltagsgeschäft aus so einem Satz spricht, will unser gänzlich betörtes Herz kaum glauben.

Das müsste man vielleicht mal Kai Diekmann sagen, der sich nicht nur im Internet fortwährend als avancierter Rotzlöffel geriert und am Ende immer von Mama und Papa schwärmt (in Diekmanns Fall: dem Axel-Springer-Verlag), die für seine Eskapaden aufgekommen.

Jüngstes Beispiel: Roaming-Gebühren in Höhe von 42.000 Euro, die anfielen, als Diekmann für sein 100-Tage-Blog von Marokko aus tätig war. Die Dramaturgie von Diekmanns postpubertären Westentaschenrevoluzzertum ist immer die gleiche, wie das Kurzinterview in der Süddeutschen anschaulich macht:

Zuerst eine Art Selbstironie verbreiten, die nicht selten genderpolitisch eher weniger avanciert auf Kosten von Schatzi geht, dafür aber die Bild-Zielgruppe mit der richtigen Botschaft versöhnt ("Vor allem will ich sicher sein, dass meine Frau nicht heimlich 50er-Jahre-Liebesschnulzenfilme aus dem Netz geladen hat").

Dann den Rächer der Enterbten geben, was in diesem Fall bedeutet, Telekom-Chef René Obermann tapfer auf sein persönliches Problem anzusprechen ("Vielmehr hat er mich vor versammelter Mannschaft daran erinnert, dass ich beziehungsweise mein Arbeitgeber ganz normale Beschwerdeführer sind. Das heißt: hinten anstellen").

Und sich schließlich eben von Mami und Papi raushauen lassen, weil doch alles Doofis sind außer Kaichen ("Zum Glück hat mein großartiger Verlag, auf den ich mich immer verlassen kann, die Kosten für den Blog übernommen").

Was das fiese Diekmann-Abziehen der Telekom in nächster Zeit an "Bild"-Kampagnen nach sich zieht, verfolgen Sie bitte auf dem Bildblog.de.

Wir müssen hier weiterlesen – und zwar in der TAZ, wo Tom Schimmeck die medialen Selbstermächtigungen gegen die Berliner Regierungskoalition (Spiegel: "Aufhören!", FAS: "Geht Guttenberg?") folgerichtig als Medienputsch von lauter journalistischen Alpha-Generälen imaginiert:

Wirtschaftsgeneral Gabor Steingart (ex Handelsblatt) legte unterdessen in einem Tagesbefehl an die Vorstände der wichtigsten DAX-Unternehmen Grundzüge der neuen Politik dar: Man werde "Deutschlands Abstieg zügig stoppen" und den "Weltkrieg um Wohlstand proaktiv vorbereiten". Vor allem das Verhältnis zu China müsse neu bewertet werden. Im Inland gelte es zunächst, "den sozialen Missbrauch und eine vieles erdrückende - fast schon sozialistische - Bürokratie" einzudämmen. Bis zum Jahresende, versprach Steingart, würde der "Faktor Arbeit" durch Lohnkürzungen und die "Verschlankung der Sozialsysteme" um "mindestens 30 Prozent verbilligt".

Wenn spitzfindige Beobachter jetzt einwenden, dass General Steingart nie, nie, nie gegen den Staat und die "Überregulierung" gehetzt habe, der schaue sich den ARD-Presseclub von vor drei Wochen an (Minute 40:00), wo selbst Mariam Lau sich wundern muss, wie wendehalsig der ranghohe Wirtschaftsmilitär plötzlich nach Mutti ruft ("Vor zehn Jahren hätten Sie jeden erschossen, der das sagt"). Wäre auch ein schönes Zitat des Tages gewesen, wie uns als Dingemann-Schüler gerade auffällt, aber das nur am Rande.

[listbox:title=Die Artikel des Tages[Kai Diekmann wie immer (SZ)##Leistungsschutzrecht dialektisch (Carta)##Medienputsch, satirisch (TAZ)##Mixas Fall, medial (Berliner)##Bilder, bearbeitet (KSTA)]]
Wurde Schimmecks Männerphantasie hier vorbereitet? In der FAZ (Seite 37) interviewt Frank Schirrmacher höchstselbst die Spiegel-Chefredakteurshälfte Mathias Müller von Blumencron zu den Anfängen des Internets, der Zukunft des Internet und der Gegenwart des iPad:

Sie, Herr Schirrmacher, haben kürzlich gesagt: Das iPad ist wie eine Insel. Auch der „Spiegel“ ist auf dem iPad ja wie eine Insel. Es gibt eine mächtige Strömung drum herum, aber die Leute sehnen sich nach dem festen Grund.

Gut zu wissen, dass es die starken Marken auch in Zukunft noch geben wird. Nur der alte Dialektiker Wolfgang Michal sieht auf Carta Ungemach, das den Verlagen gerade durch das Leistungsschutzrecht, das ihnen das Geschäft retten soll, blüht:

Das neue Schutzrecht wird Webseitenbetreiber, Blogger, Aggregatoren und Netzjournalisten dazu zwingen, eigenständige Medien schneller und professioneller aufzubauen als bisher. Es wird Blogger und Netzjournalisten nötigen, künftig selbst zu recherchieren, um Informationen aus erster Hand bieten zu können, anstatt – wie bisher – bequem der Informationsleistung der herkömmlichen Medien zu vertrauen, diese als Quellen zu verlinken und sie pawlowartig zu interpretieren.

Das wird spannend. Man könnte es auch mit dem beliebten Romancier Erich Maria Remarque sagen:

Den Charakter eines Menschen erkennt man erst dann, wenn er Vorgesetzter geworden ist.

Denn wenn der automatische Quellcode im Medienticker funktioniert (<script src=”http://www.zitate.de/scripts/zitat_des_tages.js”></script>), dann sollte dieses Zitat von Zitate.de heute Zitat des Tages bei Rüdiger Dingemann sein.


Altpapierkorb

+++ Noch mehr Männerphantasien: eine Studie, die die mediale Darstellung von Frauen in Spitzenämtern untersucht hat. Karin Strohmaier in der TAZ: "Insgesamt werden Frauen in der Politik als kompetente und handlungsmächtige Personen dargestellt, ihren Exotinnen-Status sind sie jedoch bis heute nicht losgeworden." +++ Ralf Mielke legt in der Berliner die medialen Verwicklungen im Fall des beliebten katholischen Bischofs Walter Mixa dar. +++

+++ Was wird aus dem Fernsehen? Hoffnung kommt aus den hintersten Ecken: Peer Schader preist nun auch in der Berliner die ARD-Digitalkanäle Eins Plus und Eins Festival. +++ Was wird aus Radio Paradiso? Berliner und Tagesspiegel berichten, die Berliner für den Laien vielleicht etwas anschaulicher. +++ Was wird aus der "Kronen-Zeitung"? Die FAZ (Seite 37) weiß, dass die WAZ nicht nach dem Tode Hans Dichands nicht mehr verkaufen will. +++ Was wird aus Le Monde? Die Käufer stehen bereit (Welt-Online, SZ, Seite 15).

+++ Was wir sehen, wenn wir Bilder sehen: DPA-Bildchef Bernd von Jutrczenka spricht mit dem KSTA über Retuschen aka moderne Bildbearbeitung. +++ Wen wir sehen, wenn wir die Dokumentation über den Beitritt der DDR zur BRD im RBB (heute 20.15 Uhr) sehen – Torsten Wahl vermisst in der Berliner Walter Romberg und andere Non-Adabeis. +++ Wovon wir träumen, wenn wir an 1990 denken – die NZZ schwelgt im kurzen Sommer der Anarchie, in dem das DDR-Fernsehen zu einem Selbstbewusstsein fand, ehe seine Protagonisten Karriere im Westen machten. +++ Was wir nicht mehr sehen: RTL kürzt WM-Berichterstattung (was, bedenkt man die rassistische Scheiße, die Reiner Calmund als Mischung aus Super-Nanny-, Auswanderer- und Einrichtungs-Doku-Soap vor dem ersten Paraguay-Spiel abgezogen hat, nicht schade ist). +++

+++ Und Stefan Winterbauer widmet sich auf Meedia.de der Tom-Cruise-Obsession von Springers Nobet Közdöfer. +++


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