Ist es Gold oder schlechte Maske?

Ist es Gold oder schlechte Maske?

Die Hochzeit. Der Fußball. Der Günther Jauch. Alles dreht sich um Großereignisse. Und wir hätten, weil Wünsche derzeit offenbar erhört werden, auch noch einen Wunsch ans ARD-Programm

Fernsehen, was ist Fernsehen? Fernsehen ist ein glänzendes Medium, es laufen da ganz tolle Dinge. Peer Schader, zum Beispiel, empfiehlt in der Berliner Zeitung allerwärmstens das Untertitelangebot der ARD bei Fußball-WM-Spielen. "Dafür sprechen so genannte 'Live-Reporter' ihren Text in ein Mikrofon, damit der vom Computer per Spracherkennung auf den Bildschirm gebracht werden kann." Die "Binsenweisheitsintensität" sei sogar vergleichbar der aus dem Fernsehen mit Ton. Toll!

Und falls dem einen oder anderen dabei das atmosphärische Vuvuzelarauschen fehlt, empfiehlt sich: VuvuzelaFM.

Frank Bachner ist im Tagesspiegel ähnlich begeistert vom WM-Fernsehen, in diesem Fall von den investigativen Leistungen der Kollegen, etwa von Gerhard Delling, ARD. "Danke dafür, wie beeindruckt er enthüllte, dass sich Ghanas Torhüter in der Abendkälte ständig warm gehalten hatte."

Trotzdem fragt sich, da ja von all dem Fernsehen selten etwas bleibt außer dem Moment: Wenn im Fernsehen etwas glänzt, ist es dann Gold, oder handelt es sich nur um schlechte Arbeit der Maskenbildner? Ausnahmsweise - und wir kommen dann, versprochen!, gleich anschließend zum Teil, in dem nur noch herumgemeckert wird - handelte es sich am Samstag wohl tatsächlich um Gold, als die Hochzeit von Prinzessin Victoria und Prinz Fitness von Schweden (auf einem, siehe Foto, Fußballplatz?) übertragen wurde (Marktanteil: höher als Fußball, siehe Tagesspiegel). Evelyn Roll von der Süddeutschen Zeitung jedenfalls, obwohl "bekennend hochadels- und hochglanzsimmune Yellow-Press-Verächterin", behauptet, berührt gewesen zu sein. 277 deutsche Journalisten, davon aus Protest gegen die Bedingungen bekanntlich keine von diversen Agenturen (siehe etwa Frankfurter Rundschau), allerdings allein 70 vom ZDF, waren vor Ort, und Roll fragt sich, warum. Ihre Antwort: "Wir haben Merkel, Westerwelle und Seehofer, Lähmung, Entsetzen und Dauerdepression. Ein politisches Personal und Narrativ, das sich jeder Märchenhaftigkeit und popkultureller Ausdeutung entzieht."

Keine Märchenhaftigkeit, das gilt allerdings nur aus Zuschauersicht. Wer weiß, was die Politiker selbst von sich halten? Die Funkkorrespondenz (S. 39) befürchtet das Schlimmste:

"Das neue ARD-Motto scheint zu lauten: Wir talken uns zu Tode. Angesichts solch einer massiven Überproduktion, für die sich das Publikum erst noch begeistern muss, beschleicht einen der Gedanke, dass die gnadenlose Personalisierung der deutschen Politik, wie man sie derzeit beobachten kann, eine Folge dieser Fehlentwicklung ist. Denn dieses permanente Hofieren von Gästen, in welche der ARD-Talksendungen sie denn nun bitte kommen und ihr Gesicht in die Kamera halten wollen, scheint bei ihnen den Eindruck zu verfestigen, dass sie ganz ungeheuer wichtig sind."

Überschrift des Textes: "Absurder als absurd" - gemeint ist damit der drohende, noch unter dem Vorbehalt der Gremlins-Zustimmung stehende Wechsel von Günther Jauch zur ARD bei gleichzeitiger Fortsetzung seiner RTL-Unterhaltungstätigkeit.

In der Tat findet ein Teil der Medienjournalistencommunity diesen Wechsel umso irrsinniger, je länger man über ihn nachdenken kann. Und das hat weniger mit Jauchs Qualitäten für das real existierende Fernsehen zu tun, als damit, wie das Fernsehen eben ist. Harald Martenstein etwa sah sich Anfang Juni zu folgender Feststellung veranlasst: "Jeder Gedanke, der vielschichtiger ist als eine Wagner-Kolumne in der Bild-Zeitung, könnte natürlich von irgendjemandem missverstanden werden."

Martenstein schrieb hier vom ARD-Mann mit den aufgeriebenen Zeigefingern, aber man kann sich Reinhold Beckmann auch einfach weg- und jeden beliebigen Namen eines Talkshowmoderators hindenken, es stimmt immer: Fernsehen ist kein analytisches Medium und hat seine besten Momente nicht, wenn jemand, wie in Talkshows, einfach nur spricht, was man erst so richtig bemerkt, wenn man all das, was da so geredet wird, mal verschriftlicht sieht (was zu Peer Schaders Fußballkolumne, siehe oben, zurückführt).

Also wäre nach wie vor die Frage interessant, was all die Talksendungen in den Öffentlich-Rechtlichen eigentlich leisten sollen? Sonntags bis donnerstags - mit Jauch, Beckmann, Sandra Maischberger, Frank Plasberg und Anne Will - plant die ARD künftig zu talken, dazu gibt es bekanntlich noch das ZDF mit, unter anderem, Maybrit Illner am Donnerstag, gegen die - Planungsstand heute - Anne Will direkt antalken soll. Was ZDF-Programmdirektor Thomas Bellut zu einer grundsätzlichen Frage Anlass gibt, die die Funkkorrespondenz als Antwort auf eine Nachfrage bekommen hat. Bellut:

"'Ist eine solche Programmänderung im Sinne unserer Zuschauer, wenn dadurch dann zwei politische Talkshows in beiden öffentlich-rechtlichen Sendern – teilweise – parallel ausgestrahlt werden? Das liefe gegen alle bisherigen Absprachen und wäre dem poli- tisch interessierten Zuschauer gegenüber nur schwer vermittelbar.'"

Doch selbst wenn Will und Illner nicht in direkte Konkurrenz träten, müsste immer noch eine Lösung für die Frage gefunden werden, ob wir bei dieser Menge an Talk nicht Vollzeit-Talkshow-Gäste bräuchten, welche, die nicht noch nebenbei mit Politik beschäftigt sind. "Jeden Abend Talkshow um 22 Uhr 45 allein in der ARD, wer soll das sehen wollen? Nur noch die Schlaflosen. Und die armen Redaktionen, wo sollen die nur die Besetzungen für diese Talkshows her bekommen?", fragt der ehemalige WDR-Intendant Friedrich Nowottny im Tagesspiegel-Interview, der sich darin auch dafür ausspricht, Plasbergs "hart aber fair" auf 21 Uhr vorzuziehen. "Schon heute ist es doch so, dass zu oft die immer gleichen Köpfe das immer Gleiche sagen."

[listbox:title=Artikel des Tages[Prinz Fitness und wir (SZ)##Thomas Bellut beschwert sich über die ARD (FK)##DDP wird gekillt (taz)]]

Mit diesen Kritikpunkten müsste vielleicht doch bald mal jemand den ARD-Vorsitzenden, Peter Boudgoust, oder den NDR-Intendanten Lutz Marmor konfrontieren.

Ach, und schau an: Da kam ja sogar jemand drauf. Marmor sagt im Gespräch mit der Neuen Osnabrücker Zeitung (hier die Agenturzusammenfassung) auf die Frage, ob  Plasberg nicht schon um 21 Uhr drankommen könnte: "Ich halte grundsätzlich wenig davon, gerade getroffene Entscheidungen sofort wieder in Frage zu stellen. Die ARD-Intendantinnen und -Intendanten haben sich einstimmig für eine Talkleiste von Montag bis Donnerstag mit einem einheitlichen Beginn nach den 'Tagesthemen' ausgesprochen." (Den Sonntag hat er da mal weggelassen, da wird ja schon um 21.45 Uhr getalkt - das ist also was ganz anderes.)

Und  Boudgoust? Der gab nun auch dem Spiegel ein Interview, und er plädiert darin - diese Passage steht auch bei Spiegel Online - "für ein neues Themenspektrum und hat dabei Wissenschaftsthemen im Visier. 'Warum nicht Themen wie Gesundheit, Forschung oder Atomausstieg?' Bei diesen Themen sollte es auch mehr ausländische Talk-Gäste geben."

Nicht nur der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung vom Sonntag fiel bei dieser Passage die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung vom Sonntag vor einer Woche ein, in der es hieß, erstens:

"Erst wenn eine tobende Runde mit Gästen aus allen siebenundzwanzig EU–Mitgliedstaaten im Fernsehen zu bestaunen ist, dürfte verständlich werden, warum das in Brüssel manchmal etwas hakelt."

Und zweitens:

"Die meisten der heute bestimmenden Fernsehmacher haben in den siebziger und achtziger Jahren studiert, als die Wirtschafts- und Sozialwissenschaften, VWL und die 'Powi' modern waren. Entsprechend drehen sich heute politische Sendungen gern um Rente, Gesundheit, Wirtschaft und Soziales. Dabei könnte man mit der Neurowissenschaft fragen, welche Politik glücklich macht, mit der Mathematik, ob Algorithmen unser Leben bestimmen, oder der Philosophie, was das alles soll."

Boudgoust scheint also Zeitung zu lesen. Falls er auch manchmal im Internet blättert - wir hätten da auch noch einen Wunsch: endlich mal irgendwas mit Tieren. Und wenn Tom Buhrow vielleicht auch mal eine Reportage machen könnte? Susanne Daubner könnte sie großflächig ansagen, Günther Jauch zum Thema talken - die Möglichkeiten wären unendlich. Es gibt, um mit der taz zu sprechen, keinen Grund, warum er nicht dürfen sollte, was die Kollegen vom "heute journal" auch dürfen. Gleiches Recht zum Unsinn für alle!


Altpapierkorb

+++ "Wenn wir (...) alle viel Geld dafür zahlen, dass ARD und ZDF uns bestens informieren (was im Einzelfall natürlich zu prüfen ist) - welchen Sinn hat es dann noch, Privatsender dazu zu verpflichten, Nachrichten zu senden, wenn sie es nicht wollen?", fragte die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung (S. 29) am Mittwoch - kleiner Scherz: am Sonntag - in einem Text über die Informationspflichten der Privatsender, die Vollprogramme sein wollen +++ Hintergrund: der Verkauf von N24. Der KSTA über die Bedingungen des Verkaufs +++

+++ Mehr Verkäufe: Die WAZ interessiere sich nach dem Tod des Kronen-Verlegers nun doch wieder für die Kronen-Zeitung, schreibt die FTD +++ Und ddp wird zugunsten von DAPD gekillt, so die taz"Die bisherigen Beteuerungen, ddp und DAPD getrennt weiter zu betreiben, sind vom Tisch. Ab August wird nach taz-Informationen nur noch ein einheitliches Meldungsangebot der dpa Konkurrenz machen. Überraschend ist dabei, wer dabei auf der Strecke bleibt: (...) die etablierte Marke ddp" +++

+++ Endlich was Neues: Stuckrad-Barre und Ulmen pilotieren aus dem "Ballhaus Rixdorf in Berlin-Kreuzberg", das in Berlin-Neukölln steht, so DWDL. Mit großartigen nie gesehenen Gästen: Henkel, Tiedje, Schumacher und Sarrazin! +++ Dabei gäbe es noch andere: "Irfan Aktan gehört nicht zu den Journalisten, die in der Türkei jeder kennt. Er wird nicht in die gängigen Talkshows eingeladen", schreibt die taz - Aktan wurde, das ist das Thema, wegen Recherche verhaftet +++

+++ Wo klemmt die Säge? Michael Spreng im FAS-Interview +++

+++ Und neben all dem Fernsehen gibt es auch noch was im Fernsehen: Michael Jackson, erst im ZDF, jetzt in der ARD (21 Uhr), besprochen von der FAZ (S. 31), die schreibt: "Dieser Film zeichnet das Psychogramm einer gescheiterten Adoleszenz". Und vom Tagesspiegel, der den ARD-Film mit dem von "Michael Lanz" (Absicht? Wegen Lanz' schönheitsoperierter Frisur?) vergleicht +++

Frisches Altpapier gibt es am Dienstag gegen 9 Uhr. 

 

weitere Blogs

Drei Kreuze mit Regenbogenfarben
Körper sind ein zentrales Thema in den Passionserzählungen. Eine gute Gelegenheit, einen Blick in eine queer-theologische Körperkonfigurationen zu Kreuz und Auferstehung zu werfen.
KI macht jetzt auch Musik – und das beunruhigend gut.
Aus gegebenem Anlass: zwei Briefe an den bayerischen Ministerpräsidenten.