Stalinistische Lesbokratinnen

Stalinistische Lesbokratinnen

Das Geblubber des Tages: Warum wir Journalismus brauchen und noch kein iPad, wem das ZDF was verbieten sollte und was Eva Herman macht.

"Wozu noch Journalismus", stöhnt es nach der Ruhe des Feiertags aus den Tiefen des Medienressorts auf Sueddeutsche.de. "Eine merkwürdige Frage", findet auch Panorama-Moderatorin Anja Reschke. Wobei man Reschkes Erklärung, was daran merkwürdig sein soll, nicht so recht versteht.

"Weil man bei uns nicht erschossen wird, wenn man Machthaber kritisiert, sondern im blödesten Fall eine Gegendarstellung kassiert. Ein Blick auf die Verhältnisse in Russland, China, dem Iran oder all den Ländern, die in der Pressefreiheitsstatistik weit hinter uns liegen, würde wohl reichen, um diese Frage ganz einfach zu beantworten: Für den Erhalt unserer Demokratie! Klingt zu banal?"

Merkwürdig an dieser Serie doch, dass wo es um Ökonomie gehen müsste, immer von Moral geredet wird. Da wenden wir uns lieber Andreas Platthausens FAZ-Blog zu, aus dem es frohgemut tönt:

"Was für ein Genuß, die Auswahl zum Erlanger Max-und-Moritz-Preis, der wichtigsten deutschen Comic-Auszeichnung, endlich wieder kommentieren zu dürfen! Die vergangenen fünf Male (und das heißt beim Zweijahresrhythmus von Erlangen seit zehn Jahren) war ich Teil der Jury und durfte mir das Gejammer und die mokanten Bemerkungen all der Enttäuschten anhören."

Das ist die richtige Einstellung. Der Autor zeigt keine Scheu vor medialer diversity (Blog) und gewinnt den Leser mit seinem ehrlichen Enthusiasmus ("endlich", "dürfen") für die journalistische Sache, die ihm allemal näher ist als der ja durchaus schmeichelhafte Jury-Posten. Das liest man doch gerne:

"Was ist denn bloß aus den alten Kategorien geworden, in denen jeweils drei bis fünf Kandidaten nominiert waren, in Rubriken wie 'Bester deutschsprachiger Comiczeichner' (die einzige hochdotierte Auszeichnung), 'Bester deutscher Comic', 'Bester internationaler Comic', 'Bester Comic für Kinder', 'Bester Comic-Strip'? Sind die weg? Nein, sie sind alle noch da, aber diesmal werden die Gewinner aus dem Gesamtpool gewählt. Oder sagen wir es so: Das sollen wir glauben. In Wirklichkeit hat die Max-und-Moritz-Jury ganz klassisch ihre Favoriten in den jeweiligen Rubriken bestimmt, aber wir dürfen uns diesmal selbst überlegen, welche Kandidaten für welchen Preis in Frage kommen, denn bekannt gegeben hat man nun eben unterschiedslos alle zwanzig Kandidaten. Eine kleine Revolution, die die Spannung bis zum 4. Juni beträchtlich erhöhen sollte."

[listbox:title=Die Artikel des Tages[Dazu Anja Reschke (Sueddeutsche.de)##Gekürzter Köhler (Joeseblog)##Harald-Schmidt-Interview (FAS)##Fernsehen der Zukunft (Berliner)]]

Naja, vielleicht ein wenig speziell für Leute, die sich jetzt nicht so sehr für Comics interessieren. Kehren wir also zurück zu den alten Kategorien des Anja-Reschke-Journalism: Investigation.

Martin Sonneborn hat für die "heute-show" den Pharmalobbyisten Peter Schmidt interviewt, der auch erzählt, was er öffentlich eigentlich nicht erzählt haben will.

Schmidt beschwert sich nun, wie der Spiegel berichtet:

"Der Satiriker habe unter der Flagge von 'heute' und 'heutejournal' sein Vertrauen erschlichen, weshalb er davon ausgegangen sei, dass die Interviewpausen nicht gesendet würden. 'Das war eine echte Schweinerei', sagt Schmidt. 'Allerdings haben wir selbst eine Mitschuld, weil wir nicht misstrauisch genug waren.'"

Eben da wird es interessant: Das Beschämende an der Geschichte ist ja nicht, dass der Pharmalobbyist getäuscht wurde, sondern dass er das offenbar nicht gewohnt ist. Die Normalität besteht für die Peter Schmidts dieser Welt darin, dass sie mit Journalisten gemeinsam überlegen können, was sie sagen dürfen und was nicht. Ist das der Journalismus, von dem Anja Reschke träumt?

Jedenfalls irrt ZDF-Programmdirektor Thomas Bellut, wenn er den "heute-show"-Mitarbeitern verbietet, "auf irgendeine Weise mit den Marken 'heute' und 'heute-journal' zu operieren." Er müsste eigentlich den "heute"- und "heute-journal"-Mitarbeitern verbieten, mit Lobbyisten auf irgendeine Weise anders zu sprechen, als Sonneborn das getan hat.

Etwas zu deutlich geworden, was die Ziele des Afghanistan-Einsatzes angeht ("freie Handelswege"), ist offenbar auch Bundespräsident Horst Köhler in einem DLF-Interview, das im Nachhinein gekürzt erscheint (mehr hier, hier und hier).

Fascinating, den Schnitt hört man naturgemäß nicht. Und "Reschpekt" (Horst Köhler) den Heraushörern angesichts von Köhlers "Ausmären" (Anja Reschke); man muss sich ganz schön konzentrieren.

Soll man nun Zensur rufen? Oder von avanciertem Gatekeeping sprechen?

Wenn einem bei Zensur dieser Tage nicht China einfällt, dann doch Google. Der Medienkritiker Matthias Kalle lässt in seiner Tagesspiegel-Kolumne ("Ich habe verstanden") keinen Zweifel daran, was er von Google und dessen Geschäftspartnern hält:

"Dass sich Pack nicht vorher schlagen muss, um sich zu vertragen, erkannte ich heute, als ich mir die erste Seite der 'Bild' anschauen musste. Das stand: 'Google-Gründer zu Besuch bei BILD', darunter ein Foto von Google-Gründer Larry Page (37) und BILD (Kai Diekmann), im kleinen Text ist der Besuch gar ein 'hoher'. Bemerkenswert, wenn man sich darüber freuen kann, dass Google zu einem nach Hause kommt."

Gefreut werden darf sich in Deutschland auch bald über das iPad. Während Springer-Chef Mathias Döpfner allerorten mit seiner an einer alten Take-That-Klassiker geschulten Lobhudelei ("beten und Steve Jobs danken") zitiert, nähren sich auch Zweifel.

Matthias Kurp gibt in der Funkkorrespondenz zu bedenken, wie sich Apples monopolöse Stellung dereinst auswirken könnte:

"So behält allein Apple die direkten Kundenkontakte, und die Anbieter beispielsweise von journalistischen Inhalten haben das Nachsehen. Wer in der analogen Welt noch seine Zeitungsabonnenten kennt und also zielgerichtet Werbung akquirieren kann, verliert beim iPad jegliche Kundenbeziehung."

Der Spiegel (S. 70) fragt sich dagegen vorsichtig, wie die Anforderungen des iPad den Journalismus verändern werden:

"Der Nutzer des iPad, meint er (Lukas Kircher, Zeitungs- und Online-Designer; Anm. AP), werde vom Journalismus etwas erwarten, das ihm bisher vor allem das Computerspiele bieten: ein Ereignis selbst zu durchforsten, nachzuerleben, beinahe selbst zu spüren."

Bis es so weit ist, muss aber erstmal die Frage entschieden werden: iPad kaufen – ja oder nein?

Der "fröhliche Kulturpessimist" (Selbstauskunft) Kalle rät:

"Nächste Woche kann man in Deutschland übrigens das 'iPad' kaufen. Man kann es auch lassen. Noch."

Mmmh, in dem sibyllinischen "Noch" scheint sich die Ahnung größer Gefahr zu verbergen. Da schlagen wir zur Sicherheit noch mal bei Harald Schmidt nach, der der FAS die Frage beantwortet hat, ob er sich schon ein iPad bestellt habe:

"Nein, ich habe auch kein iPhone, kann mit Mühe eine SMS schreiben, den Computer anstellen und bei Google etwas suchen. Ich habe auch kein Online-Banking und noch nie in meinem Leben etwas im Internet gekauft. Aber dafür habe ich supertolle junge Mitarbeiter."

Ist auch Schmidt am Ende ein Kulturpessimist?

"Null! Als wir noch Gedichte konnten, war Opa in Russland. Man muss sich auch mal entscheiden, oder? Das ist genauso wie dieser Satz: Ich vermisse diese charismatischen Figuren in der Politik. Soll Pofalla sich dafür entschuldigen, dass er nicht in Stalingrad war? Das ist doch alles Geblubber."

 



Altpapierkorb

+++ Geblubber ist eine super Überleitung zur tapfer-ausführlichen Welt-Besprechung des schwer fassbaren und offenbar unendlichen banalen Eva-Herman-Komplexes, der sich in einem neuen Buch materialisiert. Zitiert sei eine Stelle aus Antje Hildebrandts Text allein wegen des hotten Attributs, zu dem wir uns bald eine Jörg-Buttgereit-Lothar-Lambert-oder-Carl-Andersen-Verfilmung wünschen: "Ihre Kritiker beschreibt sie als eine Allianz aus 'stalinistischen Lesbokratinnen', neidischen NDR-Kollegen und voreingenommenen Zeitungsjournalisten." +++

+++ Geblubber trägt auch noch für die "Wetten, dass...?"-Rezensionen vom Sonntag. "Gute Unterhaltung ohne große Schwächen", hat Jens Schröder bei Meedia.de erlebt. +++ "Respektabel", meint Reinhard Lüke im KStA. +++ Zu lang, urteilt Uwe Felgenhauer auf Welt-Online. +++ Einen noch nicht näher definierten Endpunkt erkennt der Matthias Kalle im Tagesspiegel: "Die sogenannten Sommerausgaben der Show sind traditionell mau – dass sie aber auch so mau sein können, dass es historische Dimensionen annimmt, ist fast schon wieder eine Leistung.... Irgendwann war 'Wetten, dass...?' mal etwas anderes, das ZDF wollte damit etwas anderes und Gottschalk vielleicht sogar auch. Das ist seit Sonntagabend ein für alle Mal vorbei." +++ Martin Unfried freut sich über Sponsorennamen in der TAZ. +++

+++ So richtig los geht's erst mit Lena Meyer-Landrut. Über das Phänomen denkt etwa der Tagesspiegel nach. +++ Während Stefan Niggemeier in der FAZ über die Phänomenisierung nachdenkt. +++ Sympathisch finden alle jedenfalls, wie gegenüber dem Boulevard geschwiegen wird. Die TAZ druckt hübsche Pressekonferenz-Dialoge mit RTL-Reporterin nach. +++ Wo wir gerade bei "Bild" sind: Die Funkkorrespondenz hat beobachtet, wie das Blatt die ARD disst. +++ In Sachen Schutz der Privatsphäre sollte Facebook-Chef Mark Zuckerberg vielleicht bei Lena Meyer-Landrut in die Lehre gehen. Andererseits: will er ja gar nicht, auch wenn er sich salbungsvoll via Washington Post entschuldigt, wie etwa die FTD anmerkt. +++

+++ Der große Heribert Seifert nimmt in der NZZ das von der Zeit betriebene "Netz gegen Nazis" unter die Lupe. +++ Daniel Bouhs erklärt in der BerlinerFR das Fernsehen der Zukunft, hybrid ohne Ende, dessen Gatekeeper früher oder später wohl auch Google oder Apple heißen werden. +++ Wolfgang Michael betrachtet auf Carta die Abmahneritis, wie wir im Geiste von Sabine Leutheusser-Schnarrenberger hier einfach einmal sagen, als Feindin der Meinungsfreiheit. +++ Über Filmmusik orientiert die NZZ. +++ Übers Sparen bei Fernsehfilmen der Tagesspiegel. +++

+++ Bleibt als letzte Frage: Wozu noch Ernst Elitz? Beziehungsweise: Wem hat Ernst Elitz wozu noch nichts gesagt? Der ehemalige Deutschlandradio-Intendant, der auf evangelisch.de Fragen beantwortet und auch schon wusste, wozu Journalismus noch gebraucht wird, ist jetzt auch Bild-Kommentator, was die Funkkorrespondenz nicht ohne Süffisanz kommentiert: "Und am 7. Mai begann Elitz seinen Kommentar im Wahrheitsmedium 'Bild' über Kritik an antigriechischen Pressekommentaren mit den Worten: 'Journalisten sind Wahrheitsfanatiker.'" +++

Neues Altpapier gibt's morgen wieder ab 9 Uhr.
 

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