Islamischer Religionsunterricht an staatlichen Schulen?

Islamischer Religionsunterricht
© epd-bild / Stefan Arend
In einigen Regionen Deutschlands gibt es ihn bereits: Unterricht im Islam. Was davon zu halten ist, nimmt Alexander Maßmann in seiner aktuellen Kolumne unter die Lupe.
Kolumne: evangelisch kontrovers
Islamischer Religionsunterricht an staatlichen Schulen?
Einige deutsche Bundesländer geben in verschiedenen Konstellationen islamischen Religionsunterricht an öffentlichen Schulen. An manchen Universitäten werden auch muslimische Imame ausgebildet. Vieles ist hier noch im Fluss, aber was ist von dieser neueren Entwicklung der Religionspolitik zu halten?

Diesen Sonntag wählt die Türkei einen neuen Präsidenten. In den Umfragen liegt Recep Erdoğan zurück. In seinen 20 Jahren im Amt hat er mit einem zunehmend autokratischen Stil das Ziel verfolgt, die Türkei wieder an die alte Größe des Osmanischen Reiches heranzuführen. Doch der Ausgang der Wahl könnte auch für die deutsche Innenpolitik Folgen haben. Das wurde etwa deutlich, als Erdoğan vor fünf Jahren die große DITIB-Moschee in Köln feierlich eröffnet hat. Im Islam gibt es zwar keine zentrale "Kirchenleitung", doch Erdoğan kommt einem Bischof für die türkisch-stämmigen Muslime in Deutschland ziemlich nahe. 

Von den etwa 5,5 Millionen Muslimen und Muslimas in Deutschland sind fast die Hälfte türkischer Abstammung. Wenn sie in die Moschee gehen – was keineswegs alle tun –, stehen die Chancen gut, dass sie dort einen türkischen Imam treffen, den Erdoğans Religionsbehörde für ein paar Jahre nach Deutschland entsandt hat. Der spricht oft nur wenig Deutsch und arbeitet mit der türkischen DITIB zusammen, der mit Abstand größten Vereinigung von Muslimen in Deutschland. Auch wenn es um islamischen Religionsunterricht an deutschen Schulen geht, ist ein Verband wie die DITIB von Bedeutung, aufgrund unserer Verfassung. Die DITIB ist z.B. in wechselnden Formen auch an der Deutschen Islamkonferenz beteiligt.

Die Fragen: Religionsunterricht und Imam-Ausbildung

Die DITIB hat zwar Gutes für die deutschen Muslime geleistet, ist aber auch Erdoğans verlängerter Arm in Deutschland. Dass das Gemeindeleben hier oft auf Türkisch stattfindet, geleitet von türkischen Imamen, die sich kaum mit der deutschen Gesellschaft identifizieren, ist nicht förderlich für die fortschreitende Integration türkischstämmiger Muslime. Wenn die Religionsgemeinschaft so operiert, wie lässt sich dann der muslimische Religionsunterricht sinnvoll an deutschen Schulen organisieren? Weshalb soll es überhaupt islamischen Religionsunterricht geben? Und wie steht es mit den Imamen in deutschen Moscheen? 

Der Religionsunterricht in Deutschland

Der Religionsunterricht wird grundlegend vom deutschen Grundgesetz geregelt. Dort heißt es, dass das Schulwesen "unter der Aufsicht des Staates" steht; dass der Religionsunterricht an öffentlichen Schulen ordentliches Lehrfach ist und dass er "in Übereinstimmung mit den Grundsätzen der Religionsgemeinschaften" stattfindet. Davon kann man die Muslime nicht einfach ausnehmen, die in Deutschland immerhin die größte nicht-christliche religiöse Gruppe sind. 

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Hier schließt die "Aufsicht" des Staates aus, dass der Unterricht z.B. auf Türkisch stattfindet. Andererseits bedeutet die "Übereinstimmung" mit den Religionsgemeinschaften, dass der Staat den Unterricht nicht einfach ganz in eigener Verantwortung durchziehen kann. Auch ein Unterricht, der bloß neutral über bestimmte Religionen informiert, widerspricht dem Grundgesetz. 

Ein Grund für diese Regelungen liegt in der Geschichte: Im Nationalsozialismus hat der Staat die Kirchen zu großen Teilen gleichgeschaltet und in die ideologische Mobilisierung der Gesellschaft eingefügt. Im Gegensatz dazu beschränkt das Grundgesetz die Rolle des Staates. Bei der Organisation des Religionsunterrichts geht es auch darum, dass Deutschland eine freiheitlich-demokratische Gesellschaft bleibt.

Muslimische Kooperationspartner

Auch der islamische Unterricht muss also eine Kooperation von Staat und Religionsgemeinschaft sein. Das setzt aber voraus, dass die Religionsgemeinschaft sich auf Vertreter einigt, die langfristig in Staat und Gesellschaft als Ansprechpersonen und Kooperationspartner dienen können. Das ist auch wichtig, wenn muslimische Imame, also die Vorsteher der Moscheen, an deutschen Universitäten ausgebildet werden. Denn wenn die muslimischen Gemeinden nicht einmal indirekt in diese Ausbildung eingebunden sind, haben sie wenig Gründe, diesen Imamen zu vertrauen und sie anzustellen. Die Islamwissenschaft wäre dann eine rein akademische Angelegenheit. 

Die Ausbildung deutscher Imame

Damit würde nicht nur der Islamwissenschaft die Erdung im praktischen Gemeindeleben, in der gelebten Religion fehlen. Auch würde dann ein Ziel der akademischen Imam-Ausbildung verfehlt, nämlich, dass deutsche Moscheen Imame anstellen, die dauerhaft in Deutschland verwurzelt sind und auf Deutsch predigen. Mit türkischen Imamen dagegen würde die türkische Religionspolitik weiterhin das gesellschaftliche Leben in Deutschland mitbestimmen. Ein geeigneter Partner zur Organisation des Religionsunterrichtes wird sich so ebenfalls nicht finden lassen.

In der Ausbildung von Imamen an deutschen Unis lehren dagegen Islamwissenschaftler:innen, die oft selbst praktizierende Muslime sind. Sie üben mit den Studierenden ein, dass der Koran der gegenwärtigen Auslegung bedarf und man die muslimische Lehre nicht gedankenlos von einer Generation zur nächsten weitergeben kann, unverändert wie einen Backstein.

Kulturwandel

Dagegen beschreiben Islamwissenschaftler den Unterricht der Jugendlichen in der Moschee auch in Deutschland oft als ein stereotypes Auswendiglernen von vorgegebenen Inhalten. Diese traditionelle Didaktik soll stärker einem Hinterfragen und Verstehen weichen. Wenn sich nun die Ausbildung der Imame ändert, dann wird allmählich auch der Moschee-Unterricht auf die Bildungsideale der deutschen Gesellschaft einschwenken: auf Kritikfähigkeit und mündiges Verstehen. Das ist der Mindeststandard in einer freiheitlich-demokratischen Gesellschaft.

Der schulische Islamunterricht und ein Gemeindeleben auf Deutsch kommen einer konsequenten Integration von Muslimen in die deutsche Gesellschaft entgegen. Dieser Wandel nützt auch den Muslimen, unter denen z.B. ein signifikanter Teil schulische Probleme hat. Ein attraktives Angebot an die muslimischen Gemeinden ist das auch deshalb, weil es ihnen zunehmend schwerfällt, in der jüngeren Generation das Interesse am muslimischen Glauben aufrechtzuerhalten.

Die Stammtischmethode der Integration

Religionsunterricht und Imam-Ausbildung – man kann sich natürlich fragen, weshalb die deutsche Gesellschaft all das leisten soll. Viel einfacher scheint uns "Biodeutschen" natürlich die Stammtischmethode der Integration: Wir bewegen uns gar nicht, aber wer sich nicht an unsere Spielregeln hält, endet entweder vor Gericht oder muss das Land verlassen. 

Doch mal abgesehen davon, dass die Mehrheitsgesellschaft den muslimischen Mitbürgerinnen und Mitbürgern, die schon seit mehreren Generationen hier leben, auch moralisch etwas schuldig ist; und abgesehen davon, dass hier Fachkräftemangel herrscht: Die Stammtischmethode der Integration ist ein Wunschdenken, das der Wirklichkeit nicht standhält. Die Justiz und die Ausländerbehörde sollen hinterher aufräumen, wenn die Integration nicht geklappt hat. Doch bei einem Versagen der Integration kommen die Behörden natürlich nicht mehr hinterher. Und es liegt auf der Hand, dass der Versuch des nachträglichen Aufräumens wesentlich komplizierter ist als die verantwortliche Vorsorge dafür, dass Integration gar nicht erst schiefgeht, sondern funktioniert. Die Stammtischmethode der Integration ist nicht nur autoritär und ungedeihlich. Sie ist Realitätsverweigerung.

Salafismus-Prävention

Zugleich stößt ein signifikanter Teil der Muslime bei Deutschen oft auf Misstrauen oder gar Feindseligkeit. Regelmäßig wird vor "dem politischen Islam" gewarnt. Schlimmer noch: Seit dem 11. September und anderen Gewalttaten ist die Angst vor islamistischer Gewalt verbreitet. 

Es ist aber keineswegs so, dass die Investitionen in einen deutschen Islam dem Extremismus zugute kommen würden oder gar dass der Islam an sich Extremismus bedeuten würde. Im Gegenteil: Immer wieder stellen Ermittler fest, dass Islamisten und Extremisten gerade nicht in die muslimischen Gemeinden vor Ort eingebunden sind. Ihr dürftiges Wissen über den Islam beziehen sie eher aus oberflächlichen Internet-Quellen. Eine Einbindung in die Moschee-Gemeinde und islamischer Religionsunterricht vermindern das Risiko des Islamismus gerade.

Dialog oder Autoritarismus

Was dagegen bei Integration und Bildung auf dem Spiel steht, ist ein Wildwuchs, der nicht dialogbereit ist, sondern autoritär. Natürlich können wir den Kopf in den Sand stecken und sagen, dass nicht sein kann, was nicht sein darf. Doch wenn wir uns so weigern, den Muslimen einen Platz am Tisch im öffentlichen Leben einzuräumen, geht die Gefahr eines religiös-politischen Wildwuchses nicht einfach weg. Ein Paradebeispiel für diese Gefahr sind die christlich-evangelikalen Kreise in den USA. 

In den USA ist die Schnittstelle zwischen der breiteren Gesellschaft und den christlichen Gemeinden verkümmert: An staatlichen Schulen gibt es keinen Religionsunterricht, und die Pfarrer werden nicht an staatlichen Universitäten ausgebildet, an denen eine öffentliche Qualitätskontrolle möglich wäre. Damit gibt es in einigen Kirchen vor Ort relativ wenig Stimmen, die zunehmend sektiererische Trends kritisch hinterfragen, herkommend aus einer Kultur der öffentlichen Vernunftgebrauchs. Dieser sektiererische Trend hat dazu beigetragen, dass Donald Trumps Putschversuch im Januar 2021 klar von rechtskirchlichen Kreisen mitgetragen wurde. Auch geht konservative Religion in den USA oft mit der Vergötterung von Schusswaffen einher ("God, guns and freedom"). 

Wenn man nicht den Dialog mit den religiösen Kreisen pflegt, droht die Gefahr des Fundamentalismus. Und übrigens ist das nicht bloß ein Sonderproblem von Christen und Muslimen: Auch in deutschen säkularen Kreisen gibt es fremdenfeindliche Vorurteile und Ausländerfeindschaft, teilweise dort noch mehr, wo das kirchliche Leben schwächer ausgeprägt ist. 

Ausblick

In verschiedenen Bundesländern hat man nach Kompromissen gesucht und Wege gefunden, die zumindest eine vielversprechende Übergangslösung bilden. In verschiedenen Bundesländern gibt es Beiräte, in denen verschiedene muslimische Verbände (z.B. DITIB, Schura oder die Islamische Gemeinschaft der Bosniaken) den schulischen Islam-Unterricht mitverantworten. Verschiedentlich kommt es in diesen Beiräten aufgrund von Kompetenzgerangel und Fehlverhalten zu ernsten Verstimmungen. Solche Reibungen sind unvermeidbar, und man muss in geduldigen Verhandlungen nach Kompromisslösungen suchen. 

Man darf aber nicht vergessen, dass die muslimischen Gemeinden und die konservativen Verbände einen immensen Transformationsprozess durchmachen. Im langen historischen Rückblick hat sich der Islam oft in einer homogenen, nicht-pluralistischen Gesellschaft entwickelt. Nun soll er in einer pluralistischen, demokratischen Gesellschaft funktionieren, wo selbständige Gemeinden eine akademisch reflektierte, pluralismusfähige Perspektive entwickeln sollen. 

Doch Dialog und Toleranz sind "dem" Islam keineswegs wesensfremd. Im Mittelalter war der islamische Staat in Spanien toleranter gegenüber Juden und Christen als die christlichen Reiche gegenüber Juden und Muslimen. Letztlich wird zählen, dass sowohl die deutsche Mehrheitsgesellschaft als auch die muslimischen Gemeinden profitieren, wenn muslimischer Religionsunterricht an deutschen Schulen erteilt wird und deutsche Hochschulen Imame (oder gar Imaminnen) ausbilden.