Friedrich: "Jeder antisemitische Angriff ist ein Angriff auf uns alle"

Foto: dpa/Friso Gentsch
Friedrich: "Jeder antisemitische Angriff ist ein Angriff auf uns alle"
In dieser Woche hat der Bundestag das Beschneidungsgesetz verabschiedet. Durch die Debatte sieht sich Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) bestärkt, dass Christen für das Judentum eintreten müssen. Der Minister, der für die Beziehungen des Staates zu den Religionsgemeinschaften zuständig ist, sprach mit dem Evangelischen Pressedienst (epd) über das Verhältnis zu Judentum und Islam.
15.12.2012
epd
Corinna Buschow und Thomas Schiller

Die Verabschiedung des Beschneidungsgesetzes ging Kritikern viel zu schnell. Wie haben Sie das Gesetzgebungsverfahren erlebt?

Friedrich: Das Beschneidungsurteil des Landgerichts Köln habe ich mit Fassungslosigkeit gesehen und dabei gedacht: Warum muss es dieses Urteil ausgerechnet in Deutschland geben? Warum wollen ausgerechnet wir Deutschen die Welt darin belehren, ob jüdische oder muslimische Eltern ihre Kinder beschneiden? Das war mein erster Gedanke.

Und dann?

Friedrich: Dann hat mich die folgende Debatte über das Urteil überrascht. Darin kam eine Wucht des Antireligiösen zum Ausdruck. Dass man in einem christlichen Land wie Deutschland gegenüber religiösen Riten und Traditionen derart verständnislos ist, das hat mich enttäuscht und nachdenklich gemacht. Es hat mich in der Auffassung bestärkt, dass sich Christen zu ihrem Glauben bekennen und stärker auftreten müssen und auch für die religiösen Riten und Traditionen des Judentums eintreten müssen.

"Antisemitische Angriffe werden in unserer Gesellschaft unmissverständlich geächtet"

Ende Januar jährt sich die Unterzeichnung des Staatsvertrages mit dem Zentralrat der Juden zum 10. Mal. Gibt es Bedarf für Neuerungen?

Friedrich: Das hat nichts mit der aktuellen Beschneidungsdebatte zu tun. Die Juden und auch ihr Zentralrat können an der schnellen Reaktion der politisch Verantwortlichen sehen, dass wir das Thema der Beschneidung in großem Respekt vor dem jüdischen Glauben behandelt haben. Uns ist es ein sehr großes Anliegen, dass es jüdisches Leben in Deutschland in einer größtmöglichen Breite gibt. Daher unterstützen wir beispielsweise den Aufbau der jüdischen Gemeinden insbesondere auch in Ostdeutschland.

In der Beschneidungsdebatte gab es nicht nur allgemein antireligiöse, sondern auch explizit oder verkappt antisemitische Töne. In genau dieser Zeit wurde in Berlin ein Rabbiner auf offener Straße überfallen. Müssen Juden in Deutschland Angst haben?

Friedrich: Nein. Natürlich hat uns der Angriff auf Rabbi Alter und auf seine Tochter in Berlin sehr bestürzt. Jeder antisemitische Angriff ist ein Angriff auf uns alle, auf unser freiheitliches Staatswesen. Unsere Demokratie garantiert jeder Mitbürgerin und jedem Mitbürger Religions- und Glaubensfreiheit. Die öffentliche Empörung, die danach in großen Teilen der Bevölkerung eingesetzt hat, hat auch gezeigt, dass Juden in Deutschland willkommen sind. Antisemitische Angriffe werden in unserer Gesellschaft unmissverständlich geächtet. Seitens der Sicherheitsbehörden tun wir alles, um die Sicherheit der jüdischen Einrichtungen und ihrer Repräsentanten zu gewährleisten.

"Auf der einen Seite fördern wir Religion, auf der anderen Seite mischen wir uns in Glaubensinhalte nicht ein"

Was kann man gegen antisemitisches Gedankengut machen? Dieses Gedankengut reicht ja weit in bürgerliche Kreise, in Vereine, Parteien, Kirchen.

Friedrich: Antisemitismus und Israel-Kritik sind zwei unterschiedliche Dinge, die sich allerdings bisweilen vermengen. Israels Siedlungspolitik kann man kritisch sehen. Schwierig wird es, wenn dann eine antisemitische Tonalität angeschlagen wird. Dagegen hilft nur ein offener Austausch von Meinungen und das gegenseitige Kennenlernen, sei es durch einen Besuch in Israel oder durch Diskussionen in den jüdischen Gemeinden hierzulande.

Was erwartet uns zur nächsten Islamkonferenz im Frühjahr 2013?

Friedrich: Das nächste Plenum der Deutschen Islam Konferenz wird sich vor allem mit dem Themenschwerpunkt "Prävention von Extremismus, Radikalisierung und gesellschaftlicher Polarisierung" befassen. Dieser Schwerpunkt ist Teil des DIK-Arbeitsprogramms für diese Legislaturperiode. Dabei geht es beispielsweise um Fragen der Verhinderung von Muslimfeindlichkeit und Antisemitismus unter Jugendlichen. Dabei spielen Fragen der Toleranz eine sehr zentrale Rolle. Wir brauchen ein solides Fundament bei der Frage, wie wir die religiöse Betätigung der Menschen muslimischen Glaubens im Rahmen unserer verfassungsmäßigen Ordnung gewährleisten können. Deutschland ist ja ein weltanschaulich neutraler Staat. Auf der einen Seite fördern wir Religion, auf der anderen Seite mischen wir uns in Glaubensinhalte nicht ein. Staat und Religionsgemeinschaften müssen gemeinsam einen Rahmen vereinbaren, den es dann auch einzuhalten gilt.

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Ist ein Staatsvertrag mit Islamverbänden, wie er in Hamburg abgeschlossen worden ist, ein empfehlenswerter Weg?

Friedrich: Man kann die bestehenden Anforderungen nicht dadurch aushebeln, dass man in Staatsverträgen Sonderrollen vereinbart. Ich glaube, dass sich die islamischen Organisationen ein Stück weit in die deutsche Verfassungstradition begeben müssen. Sie erfüllen derzeit in vielen Bundesländern noch nicht die verfassungsrechtlichen Voraussetzungen einer Religionsgemeinschaft. Nur Religionsgemeinschaften können als Ansprechpartner des Staates bei der Einrichtung von Religionsunterricht an öffentlichen Schulen mitwirken.

"Selbstverständlich gehören die Menschen islamischen Glaubens zu unserer Gesellschaft"

Geht das nur mit dem Status als Körperschaft öffentlichen Rechts?

Friedrich: Der Staat kann wegen seiner Verpflichtung zur Neutralität nicht die Inhalte eines bekenntnisgebundenen Religionsunterrichts bestimmen. Unsere Verfassung sieht vor, dass Religionsgemeinschaften ihre Glaubens- und Lehrinhalte selbstständig entwickeln dürfen. Verträge, die dies abändern, halte ich nur für eine Übergangslösung. Langfristig müssen sich die islamischen Organisationen - wie gesagt - in die deutsche Verfassungstradition begeben - bei den Aleviten hat das ja auch funktioniert.

Wenn die Muslime dies erfüllen - gilt dann auch für Sie der Satz des früheren Bundespräsidenten Christian Wulff, dass der Islam zu Deutschland gehört?

Friedrich: Ich habe den Satz gesagt: "Selbstverständlich gehören die Menschen, die hier leben und islamischen Glaubens sind, zu unserer Gesellschaft." Wir müssen ihnen die Hand reichen, damit sie sich in dieser Gesellschaft wohlfühlen können, hier Arbeit finden, Familien gründen und eine Perspektive für sich, ihre Kinder und ihre Enkel sehen.