Der Glaube der Jugend - nur ein Achselzucken?

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Interessieren sich Jugendliche noch für den Glauben? Und wenn ja, wie und wo?
Der Glaube der Jugend - nur ein Achselzucken?
Die Jugendlichen gehen in der Regel nicht in die Kirche, Synagoge oder Moschee. Stattdessen sind vor allem Computer und Smartphone ihre Augen in die Welt. Heißt das, dass sie an nichts mehr glauben? Die Herbert-Quandt-Stiftung hat Lehrer und Experten aus Gesellschaft und Wissenschaft eingeladen, herauszufinden, wo und wie Jugendliche ihren Glauben leben.
03.12.2012
evangelisch.de

Theologie-Professor Heinz Streib steht auf dem Podium vor einer Gruppe von Lehrern und klickt sich durch die Grafiken und Sätze seiner Power-Point-Präsentation. Er zitiert Zahlen, seine eigenen und die anderer Studien, um einen Eindruck davon zu vermitteln, wie religiös Jugendliche heute noch sind. Denn die Fachtagung der Herbert-Quandt-Stiftung "jung und gläubig?!" will genau das herausfinden.

Mehr als die Hälfte der deutschen Jugendlichen sagen, laut Shell-Studie, dass sie nicht religiös seien. "Vor allem von den ostdeutschen Jugendlichen ernten sie nur ein Achselzucken, wenn sie nach Religion fragen", sagt Heinz Streib. Hingegen verstehen sich zwei Drittel der Immigranten als religiös. "Wenn man die Religiosität durch die Frage nach Transzendenz ersetzen würde, dann hätten wir andere Ergebnisse", vermutet Heinz Streib. Doch leider frage die Shell-Jugendstudie, die größte ihrer Art, immer weniger nach Glaubens- und Religionsüberzeugungen.

Der Glaube: die Wurzel ihrer Identität

Dass jugendliche Immigranten sich mehr der Religion zuwenden als ihre gleichaltrigen deutschen Mitschüler, hat vor allem wegen einer Studie aus Niedersachsen einen negativen Beigeschmack bekommen. Das Kriminologische Forschungsinstitut Niedersachsen hat in seiner Studie über Jugendkriminalität 2010 diese Aussage getroffen: Junge männliche Muslime, die besonders häufig in die Moschee gehen und sich als sehr religiös einschätzen, neigten zur Gewalt.

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Heinz Streib kritisiert die Aussage zur erhöhten Kriminalität unter muslimischen Jugendlichen: "Die Aussage basiert nicht auf der Frage nach der Religion, sondern auf anerzogenen, gewaltlegitimierenden Männlichkeitsnormen", sagt Streib. An der Universität Bielefeld, an der er lehrt, hat er eine eigene Studie designt. Sie ist bisher zwar noch nicht so umfassend, bestätigt jedoch seine Kritik, dass es eben nicht die Religion der Immigranten sei, die Gewalt fördert.

Adem Aygün hat am Lehrstuhl von Heinz Streib darüber geforscht, was muslimische Jugendliche in Deutschland und der Türkei glauben und wie der Glaube sie sozialisiert. "Für muslimische Jugendliche in Deutschland wird der Glaube viel mehr zur Wurzel ihrer Identität als für Jugendliche in der Türkei", sagt Adem Aygül. Der Grund dafür sei, sagt er, dass sich eine Identität aus Kultur, Nation und Religion forme. Wer sich keiner Nation zugehörig fühle, interpretiert Aygül, besinne sich auf die Religion zurück.

"Meine Schüler interessieren sich nicht für Religion"

Bei jüdischen Jugendlichen spiele Religion hingegen kaum eine Rolle, sagt Meron Mendel, Leiter der Anne-Frank-Begegnungsstätte in Frankfurt am Main. In seiner Promotion wollte er herausfinden, welche Faktoren Identitätsstiftend für jüdische Jugendliche in Deutschland sind. "Die Religion ist es nicht", sagt Meron Mendel, da 90 Prozent der in Deutschland lebenden Juden aus der Sowjetunion stammten. "Ihre jüdische Identität basiert auf der Kultur des Judentums und der Solidarität mit Israel."

"Meine Schüler interessieren sich nicht für Religion - überhaupt nicht", sagt ein frustrierter Religionslehrer. Die Experten auf der Fachtagung sehen das allerdings anders. "Jugendliche haben auf jeden Fall religiöse Fragen und ein religiöses Interesse", sagt Floran Hintz, freier Mitarbeiter am Lehrstuhl für Religionspädagogik und Mediendidaktik der Goethe Universität Frankfurt am Main. Doch die Angebote der Kirchen im Internet seien einfach nicht so, dass sie die Jugendlichen ansprechen würden. "Jugendliche wollen mitmachen, mitgestalten - so wie sie sich bei Facebook ja auch selbst profilieren können", sagt Florian Hintz. Und deshalb müsse man die Jugendlichen eben im Internet abholen.

Deutsch-jüdische Jugendliche nutzten vor allem amerikanische Angebote, um sich über den "Jüdischen Lifestyle" auf dem Laufenden zu halten, sagt Pavel Zboroviskiy von Likrat. Es gebe Apps, die einem sagen, wo es koscheres Essen gibt und eine gute und beliebte deutsche Seite sei hagalil.com.

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Für deutsch-türkische Jugendliche spielt laut Götz Nordbruch von ufuq (arabisch für Horizont) die Seite vaybee.de eine große Rolle. Es ist mit 400.000 Mitgliedern das erfolgreichste deutsch-türkische Portal. Besonders die Chats und Foren seien stark frequentiert, da Jugendliche dort ohne Tabus weltliche und religiöse Themen diskutieren könnten. An religiöse, deutsche Muslime richtet sich jedoch eher das Islam-Portal waymo.de, das vom Zentralrat der Muslime in Deutschland betrieben wird. "Vor allem junge muslimische Frauen besinnen sich auf ihre Religion", sagt Götz Nordbruch. Der Grund sei, dass der Islam Bildung als ein Recht der Menschen betrachte. Junge muslimische Mädchen sähen deshalb ihre gelebte religiöse Praxis als Mittel, ihren Familien gegenüber ein Recht auf Bildung einzufordern.

Heinz Streib sieht unter den Jugendlichen heute den Trend, dass es ihnen weniger peinlich ist über Religion zu reden. "Und wenn wir Religion durch Spiritualität ersetzen, dann finden wir noch mehr Leute, die sagen, dass sie auf der Suche nach Spiritualität sind", sagt Streib und erinnert zum Beispiel an Hape Kerkelings Buch "Ich bin dann mal weg", das monatelang auf den obersten Plätzen der Bestseller-Liste verharrte. Das Fazit der Tagung? Die Jugendlichen sind für den Glauben und die Religion nicht verloren. Sie sind nur woanders.