Nimmt die AfD Kirchengemeinden in den Blick?

Stadt Templin im Landkreis Uckermark, Wahlplakate hängen an einem Mast vor der Maria-Magdalenen-Kirche.
Patrick Pleul/dpa
Die evangelischen Landeskirchen suchen, nach den Schocks über AfD-Wahlerfolge, den passenden Umgang mit AfD-Anhänger:innen, die sich für ein Amt in der Kirche bewerben wollen. (Symbolbild)
Rechtsextreme Strategien
Nimmt die AfD Kirchengemeinden in den Blick?
Anfang November fand in Halle/Saale die rechtsgerichtete Buchmesse "Seitenwechsel" statt. Hier stellten nicht nur teils rechtsextreme Verlage aus, sondern es wurde auch der Anspruch erhoben, nun endlich in der Mitte der Gesellschaft ankommen zu wollen. Soll dies nun auch durch aktive Arbeit in Kirchengemeinden passieren? evangelisch.de Mitarbeiter Thomas Klatt hat sich auf Spurensuche begeben.

Der Bericht über die Buchmese dürfte Stirnrunzeln auch bei Kirchenverantwortlichen ausgelöst haben. Die Seitenwechsel-Veranstalter verfolgten laut David Begrich von der Arbeitsstelle Rechtsextremismus in Magdeburg das Ziel, rechtsextreme Inhalte salonfähig zu machen. Es wurde spekuliert, inwieweit nun auch Kirchengemeinden mit in den Blick genommen werden. AfD-Funktionär:innen etwa in Gemeindekirchenräten und Presbyterien, wieso nicht?

Dabei hat es das schon gegeben. Volker Münz war von 2013 bis 2019 Kirchengemeinderat der evangelischen Kirche in Uhingen sowie Mitglied in der Bezirkssynode Göppingen. Da war Münz längst aktiver AfD-Politiker, zog 2017 mit seiner Partei in den Bundestag ein und wurde dort kirchenpolitischer Sprecher der AfD-Fraktion. Seine Betonung lag stets darauf, dass er Kirchenpolitik machen wolle und nicht Religionspolitik, denn dann müsse er sich auch zum Islam äußern.

Doch der Islam sei für ihn keine Religion, sondern allein eine politische Ideologie, betonte er in Interviews. Und weiter: Die christliche Nächstenliebe betreffe nur das unmittelbare persönliche Umfeld wie die Familie oder die Gemeinde, nicht aber irgendwelche Ausländer oder Migranten. Dass ihn die beiden großen Kirchen damals für diese eigenwillige Interpretation des jesuanischen Gebotes kritisierten, konnte Volker Münz nicht nachvollziehen. Nun sitzt er nicht mehr für die AfD im Bundestag und auch seine Kirchenämter in der württembergischen Landeskirche hat er aufgegeben

Nur kann das nicht jederzeit wieder passieren, dass AfD-Politiker:innen oder zumindest Menschen, die für die AfD aktiv sind, kirchliche Ämter bewusst übernehmen, um so Kirchengemeinden besser mit rechter Ideologie agitieren zu können?

Im Hintergrund dieser Frage steht auch das Trauma der Kirchengeschichte. Bei den Wahlen zu den Gemeindekirchenräten im Juli 1933 erzielten die Deutschen Christen im ganzen Deutschen Reich große Mehrheiten. Nur mit großen Mühen konnte die Bekennende Kirche damals ein Gegengewicht aufbauen. So etwas soll heute nicht mehr geschehen. Zumindest die evangelischen Landeskirchen scheinen nach den Schocks über die ersten AfD-Wahlerfolge ihren modus vivendi gefunden zu haben. 

Per Gesetz ausgeschlossen

So wurde in der württembergischen Kirche bei der letzten Synode vom 23. bis zum 25. Oktober 2025 ein neues Gesetz verabschiedet, das "explizit" sowohl die Unvereinbarkeit als auch das Verfahren und einen möglichen Ausschluss regelt. Wer sich kirchenfeindlich betätigt, kann sein Wahlrecht verlieren. 
Die Wahlordnung zieht die Folgerungen: "Wer durch sein Verhalten offenkundig und beharrlich Jesus Christus als alleinigen Herrn der Kirche leugnet, die Verkündigung Christi grob missachtet, der Ordnung im Zusammenleben der Gemeinde entgegenwirkt und damit ihr Zeugnis unglaubwürdig macht, kann von der Wahl ausgeschlossen werden."

Zum Verlust des Wahlrechts führt die Unterstützung kirchenfeindlicher Betätigungen. Kirchenfeindliche Betätigungen sind insbesondere solche, die deshalb im Widerspruch zum Auftrag der Kirche oder zu den Grundsätzen ihrer Ordnung stehen, weil sie die Gottesebenbildlichkeit aller Menschen zum Beispiel durch menschenfeindliche, rassistische, antisemitische oder exklusiv völkisch-nationalistische Äußerungen infrage stellen. Zu der Sorge um die rechte Lehre gehört auch die Abwehr von Irrlehren, die die Einheit der Gemeinde bedrohen oder spalten.

Das wird mal wohl noch sagen dürfen, wirklich?

Ein "das wird man doch wohl noch sagen dürfen" werde dann bei Kirchengemeinderatswahlen durch die Kirchengemeinde geprüft werden. Sollte diese nicht weiterkommen, kann die nächste Ebene (Dienstaufsicht, Dekanat) eingeschaltet werden. Bis hin zur Kirchenleitung. Bei der Landessynode ist gleich der Oberkirchenrat gefragt, heißt es aus der Pressestelle der württembergischen Landeskirche.

Auch die anderen Landeskirchen scheinen in der Frage rechter Unterwanderung wie eine Phalanx aufgestellt. Die Pressestelle der benachbarten badischen Landeskirche schreibt: "Aufgrund des geltenden Rechts gibt die bloße Mitgliedschaft in der AfD ohne weitere Begleitumstände bisher keine Möglichkeit, dienstrechtliche oder arbeitsrechtliche Schritte einzuleiten. Entscheidend ist die zentrale Frage, wie sich der bzw. die Einzelne – das gilt für Haupt- und Ehrenamtliche gleichermaßen – im öffentlichen Diskurs und bei seinem/ihrem politischen Engagement verhält und äußert, und zwar unabhängig vom Parteibuch. Vertritt er/sie die zentralen Werte der Evangelischen Kirche, gibt es in den Äußerungen und in seinem/ihrem Handeln eine klare Distanzierung zu Diskriminierung, Hass und Hetze?"  

Im Leitungs- und Wahlgesetz ist geregelt, dass Gemeindeglieder ihre Wahlberechtigung verlieren, wenn sie offenkundig diskriminierend und menschenverachtend agieren. Durch den Verlust ihrer Wahlberechtigung verlieren sie automatisch auch ihre Wählbarkeit. Das führt ohne Ermessensspielraum dazu, dass die betroffenen Personen aus den kirchlichen Wahlämtern entlassen werden.

Grundordnungen der Landeskirchen als Anker

In Artikel 1, Absatz 2 der Grundordnung der badischen Landeskirche steht: "Eine diskriminierende Behandlung etwa aufgrund des Geschlechtes, des Lebensalters, der sexuellen Orientierung, der Geschlechtsidentität, einer Behinderung, einer rassistischen Zuschreibung oder ethnischer Herkunft ist unzulässig. Eine Ungleichbehandlung aus sachgebotenen Gründen bleibt unberührt." 

In der Evangelischen Kirche Mitteldeutschlands besagt das Gesetz zu den Wahlen für den Gemeindekirchenrat: "Wählbar ist nicht, wer seine Pflichten als Gemeindeglied erheblich verletzt, sich kirchenfeindlich betätigt oder sich im Widerspruch zur Heiligen Schrift, dem christlichen Glauben oder der Kirche verhält. Als kirchenfeindlich gilt auch, wer …extremistische, antisemitische, fremdenfeindliche oder sonst menschenverachtende Positionen vertritt oder sich in entsprechenden Organisationen betätigt. Der Gemeindekirchenrat kann von den Kandidaten verlangen, dass sie hierzu eine Erklärung entsprechend einem vom Landeskirchenamt bereitgestellten Muster abgeben."

Alle Menschen sind Geschöpfe Gottes

So müssen Kandidat:innen von sich aus vor der Wahl eine Erklärung abgeben: "Ich versichere, dass ich die Werte des christlichen Glaubens achte und mich für deren Verwirklichung einsetze. Ich stehe ein für das christliche Menschenbild, das alle Menschen als gleichwertige Geschöpfe Gottes ansieht. Daraus leitet sich die Menschenwürde ab. Deshalb vertrete ich keine ausgrenzenden oder menschenverachtenden Positionen und wahre die Verfassung der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland. Ich versichere insbesondere, keiner Partei oder Organisation anzugehören, die vom Verfassungsschutz auf dem Gebiet der EKM als extremistisch eingestuft wird." 
So gab es im Vorfeld einer Wahl potenzielle Kandidat:innen, die nicht aufgestellt wurden, weil sie diese Selbsterklärung nicht unterschreiben wollten. Dabei handelte es sich nicht unbedingt um AfD-Mitglieder. Manche lehnten dieses Vorgehen aus "Prinzip" ab, schreibt die EKM-Pressestelle.

Und weiter: "Hinweisen möchten wir noch darauf, dass es hier nicht um den Ausschluss von Gemeindegliedern aus dem Gemeindeleben geht, sondern um Leitungsfunktionen in der Kirche. Es war uns immer wichtig, dass kirchliche Veranstaltungen und insbesondere die Gottesdienste allen Menschen offenstehen. Insoweit bleibt der Gesprächsraum offen."

Einzelne AfD-Aktivist:innen wollen in Gremien 

So gibt es immer wieder Fälle, bei denen AfD-Aktivist:innen versuchen, in Kirchengremien zu gelangen oder dort zu bleiben. Ob dahinter aber eine konzertierte Strategie rechter Unterwanderungsversuche steckt, bleibt offen.
Die Evangelische Kirche in Hessen-Nassau benennt einen Einzelfall aus dem Jahr 2018, in dem ein Mitglied eines Kirchenvorstandes durch Parteiwechsel zu einem AfD-Funktionär wurde. Dies wurde 2018 kirchenintern intensiv bearbeitet und ein Ausschluss angestrebt. Die AfD hatte die Kirche dafür öffentlich kritisiert. Gegen den Abberufungsbeschluss wurde ein Gerichtsverfahren vor dem Kirchengericht angestrengt, das sich durch den Ablauf der Amtszeit dann aber von selbst erledigt hatte.

Die evangelische Landeskirche Kurhessen-Waldeck meldet: Es gab 2019 einen Fall, dass ein Kirchenvorsteher erneut kandidierte – inzwischen mit AfD-Parteibuch – und gewählt wurde. Nach sachlich und einvernehmlich geführten Gesprächen hat er sein Parteibuch behalten und von dem Recht Gebrauch gemacht, die Wahl nicht anzunehmen. 

Wegen verfassungsfeindlicher Werte kein Amt 

In der Lippischen Landeskirche sind zwei Fälle bekannt. In dem einen wurde im Laufe einer Amtsperiode eines Kirchenvorstands von einem Mitglied des KVs die Mitgliedschaft in der AfD bekannt. Es wurden Gespräche mit dem KV-Mitglied geführt und mitgeteilt, dass das aktive Äußern verfassungsfeindlicher Werte nicht den christlichen Werten entspricht. Sodann legte das Mitglied sein Kirchenvorstandsmandat nieder. In einem weiteren ähnlichen Fall wurden Gespräche geführt und dabei auf die Unvereinbarkeit verwiesen. Daraufhin hat die Person ihr Mandat niedergelegt.

Also von einem Phänomen massenweiser Unterwanderung der Kirchengremien als neue rechte Taktik, um in der Mitte der Gesellschaft "salonfähig" zu werden, kann derzeit keine Rede sein. Dagegen sprechen eben auch die geltenden Kirchenordnungen. Den vielleicht eindrucksvollsten Text zu der Problematik hat die Gesamtsynode der Evangelisch-reformierten Kirche vor genau zwei Jahren im November 2023 beschlossen: 

"Die Gesamtsynode der Evangelisch-reformierten Kirche ist besorgt über zunehmend radikale und extremistische Positionen in unserer Gesellschaft. Die Kirchenverfassung stellt fest: Gott hat Israel zu seinem Volk erwählt und nie verworfen. Er hat in Jesus Christus die Kirche in seinen Bund hineingenommen. Jesus Christus ist das Haupt der Kirche. In ihm haben alle Unterschiede der Menschen ihre trennende Bedeutung verloren. Dies bedeutet, dass alle Menschen gleichwertig sind, unabhängig von der Herkunft, dem Geschlecht, der sexuellen Orientierung oder der Frage, ob jemand an ihn glaubt oder nicht. Gott hat jedem einzelnen Menschen Würde gegeben. Sie zu achten und für sie einzutreten ist Auftrag der Kirche.

Aus diesem Auftrag folgt: Die Evangelisch-reformierte Kirche handelt bewusst auf der Grundlage ihrer eigenen Geschichte von Flucht, Migration und Minorität. Gerade deshalb werden die Sorgen und Nöte von Minderheiten besonders wahrgenommen. Aus diesem Bewusstsein heraus gilt in der Tradition der Emder Synode von 1571 nicht nur, dass keine Gemeinde über einer anderen und kein Gemeindeglied über einem anderen steht, sondern auch, dass kein Mensch über einem anderen und keine Gemeinschaft über einer anderen steht… Daher tritt die Evangelisch-reformierte Kirche sowohl innerhalb als auch außerhalb der Kirche für ein Demokratieverständnis ein, das die Rechte von Minderheiten beachtet. Dies ist Teil der reformierten Identität und Tradition, wie sie sich aus der Auslegung der Bibel herleitet."