Toxic Tantra: Manipulation und Machtmissbrauch im Yoga

Frau auf Yogamatte
Elisa Schu/dpa
Für viele Menschen ist Yoga eine herrliche Art Körper und Geist zu stärken. Aber es gibt eine Bewegung, wo es nicht beim harmlosen Sport bleibt. (Symbolbild)
Buch zur "Yogabewegung Atman"
Toxic Tantra: Manipulation und Machtmissbrauch im Yoga
Ein heute (30. Oktober) erschienenes Buch, das auch auf investigativer Recherche beruht, enthüllt die Machenschaften der internationalen sektenähnlichen Yogabewegung Atman: Junge Frauen wurden systematisch manipuliert, gebrainwashed und dem alten Guru Gregorian Bivolaru zu stundenlangen Tantra-Sex-Ritualen zugeführt. Die Yogabewegung ist auch in Deutschland aktiv. evangelisch.de Redakteurin Katja Eifler hat eine der Autorinnen zum Buchstart gesprochen.

Katja Paysen-Petersen hat zusammen mit ihrer Kollegin Christiane Hawranek das Buch "Toxic Tantra - Machtmissbrauch und Manipulation im Yoga" geschrieben. Ihr Buch zeigt die Gefahr der sektenähnlichen Yogabewegung, die sich "Atman" nennt und zu deren Dachverband Yogaschulen in 29 Ländern der Welt gehören. Laut der Evangelischen Arbeitsstelle für Weltanschauungsfragen kommt die Bewegung auf 40.000 Mitglieder.

evangelisch.de: Wie sind Sie auf dieses Thema und die sektenartige Yogabewegung Atmann aufmerksam geworden? 

Katja Paysen-Petersen: Wir haben eine Podcast-Reihe gemacht, die sich jeweils um eine bestimmte sektenhafte Gruppierung kümmert. Eine Hörerin sprach uns an und erzählte ihre Erlebnisse in einer Yogaschule in München. Dort wurde sie von ihrem Yogalehrer angeworben, um den Guru der Yogabewegung Atman in Frankreich zu treffen, und sie hatte da auch Sex mit ihm, den sie im Nachhinein als Missbrauch empfindet. Das war bei ihr über zehn Jahre her. Wir dachten: War das ein Einzelfall oder finden wir weitere Betroffene? Passiert das auch jetzt noch? Wir haben recherchiert und es kam zu einem Kontakt zu einer Frau, die damals in Finnland lebte und auch betroffen war. Sie beschrieb uns das Ausmaß der Gruppierung: Jetzt gerade lebten Hunderte von Frauen in einer Art sexuellen Sklaverei, meinte sie. 

Wir haben nach dem Podcast dann viele Zuschriften bekommen von Frauen. Vor allem von denen, die selbst in der Bewegung waren. Eine davon ist Protagonistin in unserem Buch. Sie war zehn Jahre lang an der Deutschen Akademie für traditionelles Yoga in Berlin und hat Dinge berichtet, die dem Ganzen noch mal eine Krone aufsetzen. Im Buch haben wir zwei weitere Frauen und einen Mann, alles Aussteiger, die ihre Geschichte erzählen. Die Recherche im Buch zeigt Sexarbeit auf. Und auch die Rolle der Männer in dieser Yoga-Bewegung wird im Buch klarer. Wir blicken außerdem hinter die Mechanismen der Manipulation: Wie kommt es dazu, dass du wirklich am Ende Dinge tust, wo du dir denkst: Mein Gott, das kann mir doch nicht passieren, aber es passiert doch.

Mitautorinn Katja Paysen-Petersen

Warum haben Sie sich entschlossen, da auch investigativ tätig zu werden?

Paysen-Petersen:  Weil die Presse vorher so gut wie gar nicht dazu berichtet hatte in Deutschland. Das liegt unter anderem daran, dass die Yogabewegung schnell mit Klage droht. Man braucht viel Zeit für die Recherche, Belege, mehrere Quellen, um wirklich wasserdicht zu sein. 

Sie haben immer mehr ehemalige Mitglieder gewinnen können, die mit Ihnen gesprochen haben. Wie ist das gelungen? 

Paysen-Petersen: Vertrauen gewinnen ist wichtig. Wir haben uns viel Zeit genommen und stundenlange Gespräche geführt. Einige wollten zunächst, dass die Informationen unter uns bleiben. Wir waren sehr offen in Bezug auf unser Konzept. Allen war klar, dass wir keine Sex-Story erzählen, sondern aufklären wollen über die Gefahr dieser Bewegung. 

Lilly ist ja eine der Protagonistinnen mit geändertem Namen. Bei ihr gibt es Momente im Buch, wo sie tatsächlich noch selbst in der Lage ist zu reflektieren, dass das, was sie tut, irgendwie sehr seltsam ist. Und zwar geht es darum, dass sie erstmals ein Bikinifoto von sich an den Guru Grieg schicken soll. Und sie weiß, dass sie das eigentlich nicht will und macht es dann trotzdem. Also können wir als Außenstehende diese Art der Manipulation überhaupt nachvollziehen?

Paysen-Petersen: Ja, das ist wirklich schwierig. Gerade Männer haben uns nach der Veröffentlichung des Podcasts angeschrieben, so von wegen: "Ja mein Gott, Mädels, hättet ihr euer Hirn halt angeschaltet! So naiv kann man doch gar nicht sein." Aber genau so läuft die Manipulation ab: Dass du erst da reinkommst und denkst, das ist eine ganz normale harmlose Yogaschule. Die Frau aus Berlin dachte auch, es sei eine coole, hippe Yogaschule. Und die Leute waren so nett und auf ihrer Wellenlänge. Sie wurde, ich sage mal, gelovebombt (mit Liebe überschüttet, Anm. der Redaktion). Ein erster Schritt der Manipulation. Die Grenzen wurden dann nach und nach immer weiter überschritten.

"Du müsstest ihm nur ein Foto von dir in Bikini oder Unterswäsche schicken, dann könne er deine Aura lesen – und gesundheitliche Probleme feststellen"

Unsere Protagonistin hatte dann ein Problem in ihrem Leben: Ihre Periode blieb aus, und sie war deswegen verzweifelt. Sie hat ihre Yogalehrerin um Rat gebeten und die meinte: Schreib doch mal unserem spirituellen Lehrer. Er ist sehr weise und kann dir sicher helfen. Du müsstest ihm nur ein Foto von dir im Bikini oder Unterwäsche schicken, dann kann er deine Aura lesen – und gesundheitliche Probleme feststellen. Ihr Bauchgefühl sagte ganz klar: nein. Aber später hat sie es trotzdem gemacht, weil es in der Schule scheinbar völlig normal war. Tantra und Yoga gehen ja oft bisschen über die eigenen Grenzen. 

Der Mann definiert sich in dieser Yogabewegung, so heißt es im Buch, unter anderem durch die Größe seines Geschlechtsorgans? Was passiert mit dem Mann in der Bewegung?

Paysen-Petersen: Die jungen Männer treffen in der Yogaschule auf einen Überschuss an jungen, meistens attraktiven Frauen. Und diesen Frauen wird nach Lehre der Yoga-Bewegung beigebracht, dass es gut ist, mit mehreren Partnern "Liebe zu machen". Für viele Männer war das ein echtes Paradies. Aber auch sie wurden zu Betroffenen, weil sie für die Yogaschule "Karma Yoga" eine Form von freiwilliger Arbeit betreiben. Unser Protagonist im Buch sollte 40 Stunden ehrenamtlich arbeiten, um im Ashram der Schule in Berlin leben zu können. Das sei gut für sein Karma, hieß es. 

Und letztendlich wird den Männern ein Männerbild vermittelt, wie es der Guru Grieg lebt. Obwohl der aktuell in Haft ist, scheint es mir deshalb wahrscheinlich, dass schon bald ein neuer "Grieg" erwacht, der die Yogasekte Atman weiterführt.

Die Geschichte wird ja noch viel dramatischer. Sie schreiben von stundenlangen tantrischen Sex-Ritualen, die viele Betroffene im Nachhinein als Sex ohne echten Konsens empfinden und als Ausbeutung durch Sexarbeit vor der Kamera. Versuchen Mitglieder da wieder rauszukommen oder agiert diese "Sekte" besonders gut im Geheimen?

"Er hat uns erst mal ausgeräuchert, als wir ihm begegnet sind, vielleicht auch, um negative Energien zu vertreiben"

Paysen-Petersen:  Es gibt sehr viele Leute, die versuchen auszusteigen. Es waren über 40 Frauen und Männer, mit denen wir gesprochen haben, die den Ausstieg geschafft haben. Vielen fiel der Ausstieg schwer, weil ihnen so sehr eingetrichtert wurde, dass die Medien oder die ganze Außenwelt als satanische Kräfte wirken, die ihnen nur etwas Böses wollen. Dann zu sagen, ich gehe zu den "Bösen", ist nicht leicht. Azrael, unser Protagonist, war teilweise immer noch von dieser Geisteshaltung befangen. Er hat uns erst mal ausgeräuchert, als wir ihm begegnet sind, vielleicht auch, um negative Energien zu vertreiben. Diese Yogasekte agiert nicht im Geheimen: Es gibt Schulen in Berlin, in München, in Freiburg, die sind nach wie vor offen und sie haben nach wie vor Leute, die hingehen.

Yogakurse sind der Einstieg in diese Bewegung, aber Yoga ist doch gesund und macht Freude?

Paysen-Petersen:  Also wir finden, Yoga ist super. Es ist ein guter Sport und eine ansprechende Lebensphilosophie. Wir haben aber viele Menschen getroffen, die sagten, sie wären ähnlich manipuliert worden, eben nicht nur in dieser Yogasekte, sondern zum Beispiel von ihrem Yogalehrer. Diese Szene bietet ein Einfallstor für Manipulation und Missbrauch, weil es um Nähe geht. Wenn dich jemand an der Haltung korrigiert, berührt er dich und die Grenzen zerfließen. Es ist ein Lehrer-Schüler-Verhältnis. Oft kommt auch noch Esoterik dazu. Ich war auch in einem VHS-Kurs, es tat gut, aber die Lehrerin war esoterisch angehaucht. Dagegen spricht ja erstmal nichts, aber manchmal geht es dann zu weit. Und zu sehen, wo ist die Grenze, wo ist der Kipppunkt, ist nicht so einfach.

Spricht die Bewegung also eine bestimmte Menschengruppe an, typische Opfer?

Paysen-Petersen: Das ist ja der große Irrglaube. Zu Beginn meiner Recherche in Sektenmilieus hatte ich auch dieses Vorurteil: Die, die da reingeraten sind, das sind klassische "Opfer" oder naiv. Aber nach den Gesprächen mit Betroffenen und auch aus dem, was Sektenexperten immer wieder erzählen, weiß ich: Es kann wirklich jeden von uns treffen.

"Es kann wirklich jeden von uns treffen"

Jeder ist irgendwo verwundbar. Man ist gerade einsam, auf Sinnsuche oder will erfolgreicher und glücklicher sein. Wir haben Eigenschaften, die uns anfällig machen und es gibt Dinge, die ziehen uns an. Manche, die Tantra machen, wollen schlicht erfüllenden Sex. Die Leute, mit denen wir geredet haben, das waren sehr gebildete Menschen. Bezeichnend war auch, dass wir mit einer Journalistin gesprochen haben, die auch undercover recherchiert hat und trotz ihres Wissens selbst irgendwann in einer Sexsekte gelandet ist.

Eine ganz persönliche Frage: Sie haben auch investigativ recherchiert. Gab es einen Moment, wo es für Sie an die eigenen Grenzen ging? 

Paysen-Petersen: Ja, wir waren mal zu dritt in einem Stripclub in Rumänien und haben da checken wollen, ob dort Leute aus der Yoga-Bewegung arbeiten. Und ich dachte die ganze Zeit: Oh je, wir fliegen auf und was passiert dann? Da waren nicht nur Frauen, sondern auch große, muskelbepackte Männer. Und es ging mir nahe, diese jungen Frauen zu sehen, die ihr Leben noch vor sich haben, aber diesen Dreck mitmachen, weil sie dahin manipuliert werden. Auch Lilly aus unserem Buch wirkte immer total rational, ruhig, auch wenn sie über intime Details sprach. Sie muss es abgespalten haben, weil es ein Trauma war. Und dann gab es den Moment, in dem sie erzählte, wie sie ihren Freund angelogen hat. Sie fing an zu weinen. Das ging uns nahe.

Sie wurden schon nach Ihrem Podcast angefeindet. Ich frage mich, was folgt aufs Buch?

Paysen-Petersen: Ja, da bin ich auch gespannt. Also, uns wurde schon vorgeworfen, wir seien toxische Journalisten und betrieben eine Schmierenkampagne, unsere Protagonisten bekämen große Summen an Geld, um mit uns zu sprechen. Eine Frau aus der Yogaschule, die damals so etwas in der Art gepostet hat, haben wir getroffen und damit konfrontiert. Das Ergebnis kann man im Buch lesen.

Ihr Buch hat auch ein extrem ausführliches Glossar, das Begriffe erklärt. Warum war Ihnen das wichtig?

Paysen-Petersen: Gerade in der Yoga-Szene gibt es viele Begriffe, von denen viele nicht die Bedeutung kennen. Wir wollen Aufklärungsarbeit leisten. Wir erläutern nicht nur Begriffe wie Gaslighting oder Love Bombing, sondern wir geben Red Flags (Warnhinweis, Anm. der Redaktion), aber auch Green Flags. Also, woran erkenne ich eine gute Yogaschule?

Der Guru sitzt aktuell in Haft, es gab Fahndungserfolge. Wie erklären sie sich, dass diese Bewegung immer noch weitermachen kann? 

Paysen-Petersen: In Deutschland schon in dem Sinne, da Manipulation kein eigener Straftatbestand ist. Das macht es schwierig, Beschuldigte auf juristischem Wege anzuklagen, weil die Frauen, mit denen wir gesprochen haben, die sagen ja selber von sich, sie haben jeden Schritt freiwillig getan. Sie haben immer zugestimmt, vor dem Treffen mit dem Guru ihr Handy und ihren Ausweis abzugegeben. Und sie haben zugestimmt, mit ihm Sex zu haben. Aber sie sagen halt auch, es war eigentlich nicht freiwillig, es war erzwungen, weil sie dahin manipuliert wurden. In Frankreich ist das ein eigener Straftatbestand und das erhöht die Chance, dass Beschuldigten dort ein Prozess gemacht wird.

Machen Sie selbst noch Yoga?

Paysen-Petersen: Nein. Christiane auch nicht. Obwohl es ja an sich toll ist, aber uns wurde das leider ein bisschen vermiest durch die Recherche.

Buchhinweis: 
Toxic Tantra -Machtmissbrauch und Manipulation im Yoga
Christiane Hawranek& Katja Payson-Petersen
conVerlag, ISBN: 978-3-430-21206-9
Erscheinungstermin: 30. Oktober 2025