Bürger:innen kämpfen für Geisterinsel

Die Insel Poveglia
epd-bild/Poveglia per tutti
Poveglia - diese verlassene Insel soll keine Luxus-Privat-Insel werden, sondern ein Park für die Bewohner:innen von Venedig.
Lost-Place-Insel von Venedig
Bürger:innen kämpfen für Geisterinsel
Poveglia für alle: Eine Bürgerinitiative zeigt einen Alternativweg auf zwischen Verfall und Veräußerung - und wehrt sich damit auch gegen die Auswirkungen des Massentourismus.

Länger als ein halbes Jahrhundert ist die Insel Poveglia schon unbewohnt. Fernab vom Trubel Venedigs liegt der wild bewachsene Fleck Land vor dem Lido, jenem Landstrich, der die Lagune vom adriatischen Meer abtrennt.

Poveglia drohte ein Schicksal, das schon viele der kleinen Inseln der Lagune ereilte: der Verkauf an private Investoren und damit eine Zukunft als Luxusunterkunft für wohlhabende Touristen.

Doch für Poveglia kam es anders - zumindest erst einmal. Anfang Juli dieses Jahres entschied die Behörde, die für die staatseigenen Liegenschaften zuständig ist, dem Verein "Poveglia per tutti" für sechs Jahre einen Teil der Insel zu überlassen. "Poveglia für alle" ist nicht nur der Vereinsname, sondern auch gleichzeitig das Programm. Elf Jahre haben die Venezianerinnen und Venezianer dafür gekämpft, ihr grünes Kleinod zu behalten.

Kurz zusammengefasst geht es darum, einen öffentlichen Park auf der verlassenen Insel zu errichten. "Die Erlaubnis bezieht sich auf die grüne Insel, die nördliche der drei Teilinseln von Poveglia", erklärt Patrizia Veclani, die Vizepräsidentin des Vereins. Dort stehen keine Gebäude, die kleine Insel diente früher der Landwirtschaft. Das Altenheim auf dem mittleren Teil von Poveglia wurde 1969 geschlossen. Seitdem gilt das Eiland als verlassen.

Seit einigen Wochen wird die grüne Insel aber nun von den Venezianern gehegt und gepflegt und hergerichtet. Patrizia Veclani ist Gründungsmitglied von "Poveglia per tutti". Die 56-Jährige ist in Venedig geboren. Der Verein zählt aktuell fast 5.000 Mitglieder. Mit deren Beiträgen und Spenden sind in den vergangenen Jahren 313.000 Euro an Rücklagen gebildet worden, die nun zur Verwirklichung des Projekts abgerufen werden können. Mit dem Geld soll vor allem eine sichere Anlegestelle gebaut werden.

Ansonsten will man keine großen Veränderungen vornehmen. Der geplante Park sei "diskret" beschreibt Veclani das Projekt, es werde bei der Verwirklichung viel Rücksicht auf die Landschaft und die Natur des Orts genommen. Nachhaltigkeit stehe im Vordergrund.

Luigi Brugnaro, der Bürgermeister von Venedig, zeigte sich glücklich über die Vergabe an den Verein. Auch das ist in dieser Geschichte bemerkenswert: Denn kurz vor seiner Wahl zum Stadtoberhaupt im Jahr 2015 hatte er als Privatunternehmer selbst ein Angebot für Poveglia abgegeben. Weder er noch der Verein, der aus Protest gegen die geplante private Veräußerung entstanden war, erhielten damals den Zuschlag.

Warum es ausgerechnet jetzt zu einer Entscheidung für die Bürgerinitiative kam, kann Veclani nicht sagen. Eine Vermutung aber hat sie. Nicht nur hatte der Verein zwei Siege vor dem Verwaltungsgericht errungen. Er hatte geklagt, dass die Behörde die Entscheidung über die Vergabe von Poveglia hinauszögere, obwohl seit 2014 ein fertiges Konzept von "Poveglia per tutti" zur bürgerfreundlichen Verwendung der Insel samt Finanzierung des Projekts vorliegt.

Mitglieder des Vereins "Poveglia per tutti" auf der Insel Poveglia. Seit mehr als 50 Jahren ist die Insel schon unbewohnt.

"Außerdem gab es kürzlich diese Initiative der Universität Verona", erzählt Veclani. Eine Dozentin habe den Zuschlag im Rahmen des Next-Generation-Fonds der Europäischen Union erhalten, um eine Untersuchung über die sozialen und wirtschaftlichen Auswirkungen einer Bürgerinitiative zur Wiederherstellung eines verlassenen Landstrichs zu finanzieren. Ihr Forschungsgegenstand: Poveglia.

Wann "Poveglia für alle" wirklich Realität wird, hänge einzig und allein von den Behörden ab, sagt Veclani, und davon, wann die Genehmigung für den Bau der Anlegestelle vergeben werde. Dann aber wird der Verein vor einer weiteren Herausforderung stehen: Poveglia vor dem in Venedig grassierenden Massentourismus zu schützen.

"Ja", sagt die Venezianerin, der Vereinsname sei Programm. Aber ohne Einschränkungen werde es nicht gehen. "Wir müssen Kriterien für den Zugang entwickeln, die für alle gleich sind und niemanden verärgern", sagt Veclani. Gleichzeitig müsse der Ort und die Ruhe, die man hier findet, bewahrt werden. Auch gehe es um Respekt vor der Arbeit der Bürgerbewegung, die diese Insel wieder zum Teil der Stadt machen will.

Die Fragilität der Lagunenstadt schwebt auch über Poveglia. Denn gerettet ist die Insel nicht. Was nach den sechs Jahren, für die der Verein den Zuschlag erhalten hat, geschieht, weiß niemand. Und auch diese Zeit kann schneller enden als geplant. In der Konzession steht ausdrücklich geschrieben: Sollte sich in den sechs Jahren doch noch ein Interessent für den Inselkomplex finden, wird verkauft - und die Erlaubnis für den Verein erlischt.

Der symbolische Sieg aber würde bleiben. "Wir konnten einen dritten Weg aufzeigen", sagt Patrizia Veclani, "eine Alternative sowohl zur Verwahrlosung eines Ortes durch die Institutionen als auch zum Ausverkauf an private Investoren." Ein Beispiel, das auch an anderen Orten Schule machen könnte.