Es gibt diesen einen Sommer, den man nie vergisst. Schule und Jugend sind Vergangenheit, aber der Ernst des Lebens hat noch nicht begonnen. Klar, es gibt Träume, Wünsche und Hoffnungen, doch zunächst ist da nur das Gefühl von Freiheit. Kommt dann auch noch die erste Liebe ins Spiel, kann eigentlich nichts mehr schiefgehen; abgesehen von diesem einen Missverständnis, das zu einer immer größeren Lüge wird und das Glück schließlich zerplatzen lässt wie eine Seifenblase.
"Für immer Freibad" ist ein Film für alle, die sich noch gut daran erinnern können, wie das damals war. Das Drehbuch (Will Evans, Christof Ritter) hat die Handlung 1999 angesiedelt, aber sie könnte sich auch 1989 oder 1979 zutragen; mit dem Unterschied, dass in jenen Jahren niemand befürchtet hat, an Silvester drohe die Apokalypse. Außerdem spielt die totale Sonnenfinsternis, die sich am 11. August 1999 ereignet hat, eine besondere dramaturgische Rolle für die Geschichte.
Tilmann P. Gangloff, Diplom-Journalist und regelmäßiges Mitglied der Jury für den Grimme-Preis, schreibt freiberuflich unter anderem für das Portal evangelisch.de täglich TV-Tipps und setzt sich auch für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Auszeichnung: 2023 Bert-Donnepp-Preis - Deutscher Preis für Medienpublizistik (des Vereins der Freunde des Adolf-Grimme-Preises).
Zunächst scheint die Welt noch in Ordnung: Überflieger Simon ist nicht mal 18, hat aber schon das Abitur in der Tasche. Vater Rainer (Benno Fürmann) weiß genau, wie’s weitergeht: Jura studieren, Familie gründen, Haus bauen. So ähnlich hat’s der Erzeuger, ein braver Beamter, schließlich auch gemacht. Die Ehe ist zwar gescheitert, doch in Ermangelung von Alternativen findet Simon die Vorstellung ganz in Ordnung.
Wie so oft hat das Schicksal jedoch eigene Pläne: Anstatt allmorgendlich in Rainers etwas zu großem Hochzeitsanzug mit dem Zug zum juristischen Vorbereitungsseminar in die Stadt zu fahren, radelt er zum Freibad, denn dort erwartet ihn ein völlig anderes Leben; und Mira, eine junge Frau, die ihm kurz zuvor bei einer zufälligen Begegnung aus der Patsche geholfen hat.
Im ersten Akt wirkt die Komödie fast zu episodisch, trifft damit aber perfekt die Haltung der Hauptfigur, denn Simon hält sich nur an Rainers Plan, weil er keinen eigenen hat. Deshalb ist die Konfrontation mit der vermeintlich grenzenlosen Freibadfreiheit auch ein derartiges Erweckungserlebnis: Plötzlich wird ihm klar, was das Leben sonst noch zu bieten hat.
Durch die Begegnung mit der Gruppe rund um Chefin Katja (Pheline Roggan) lernt er kennen, was möglich wäre, selbst wenn die Daseinsformen der anderen nur bedingt erstrebenswert sind. Außerdem ist da natürlich noch Mira, die hier als Rettungsschwimmerin arbeitet.
Tyrell Otoo und Anouk Elias sind keine echten Neulinge, zumal gerade Elias bereits in einigen Fernsehfilmen markante Spuren hinterlassen hat, aber schon allein ihretwegen ist "Für immer Freibad" sehenswert. Regisseurin Laura Fischer hat sich ihr Langfilmdebüt mit Arbeiten für ZDF-Reihen wie "Löwenzahn" und "Siebenstein" verdient. Hier erweist sie sich als warmherzige Erzählerin, die sämtlichen Figuren mit großer Zuneigung begegnet: Rainer, von Benno Fürmann als Inbegriff des Spießers verkörpert, meint es tatsächlich in erster Linie gut mit seinem Sohn. Dessen Kollegen im Freibad wirken auf den ersten Blick wie verkrachte Existenzen, haben aber im Gegensatz zu ihm ihren Platz im Leben gefunden.
Und dann ist da dieser Irrtum, dem der Film seine hintergründige Spannung verdankt. Erst mal macht sich Mira hauptsächlich lustig über diesen schlaksigen Jungen, der zwar eine Klasse übersprungen hat, aber ständig über die eigenen Füße stolpert. Das Verhältnis ändert sich, als sie glaubt, er habe das gleiche Trauma erlebt wie sie: Mira umgibt sich mit einem Nimbus der Unnahbarkeit, um ihre seit dem Tod des Vaters verletzte Seele zu schützen. Als sie sich Simon öffnet, ist es endgültig um ihn geschehen.
Weil er das Missverständnis nicht umgehend aufklärt, sondern sogar noch ausschmückt, schweben fortan gleich zwei Damokles-Schwerter über ihm, schließlich wähnt ihn sein sehr lebendiger Vater jeden Tag im Seminar. Ausgerechnet exakt im Moment der totalen Sonnenfinsternis fällt das Kartenhaus in sich zusammen, und das gilt überraschenderweise auch für Rainer, allerdings nicht wegen der Lügen seines Sohnes.
Abgesehen von Jakob Matschenz als Lebenskünstler ist das weitere Ensemble wenig prominent besetzt, aber ausnahmslos sehenswert, zumal die Mitwirkenden ihre Rollen nach und nach von den anfänglichen Klischees emanzipieren. Sehr witzig ist unter anderem Max Schimmelpfennig Basti als vermeintlicher Frauenversteher, sehr sympathisch ist Amira Demirkiran als Simons beste Freundin; und so ist "Für immer Freibad" auch dank der guten Kameraarbeit (Jakob Creutzburg) ein überaus gelungener Gute-Laune-Film mit einer Vielzahl kleiner Heiterkeiten sowie einer Menge Musik aus den Achtzigern und Neunzigern.