Außenpolitik muss Religion mitdenken

Thomas Rachel
epd-bild/Christian Ditsch
Thomas Rachel (CDU), der neue Beauftragter für weltweite Religions- und Weltanschauungsfreiheit, sieht seinen Schwerpunkt darin, "mit den Menschen solidarisch zu sein, die ihre Religion nicht ausüben können, die diskriminiert, verfolgt und verhaftet werden."
Religionsbeauftragter Rachel
Außenpolitik muss Religion mitdenken
Thomas Rachel ist in der neuen Bundesregierung Beauftragter für weltweite Religions- und Weltanschauungsfreiheit. Mit ihm ist der Posten ins Auswärtige Amt umgezogen. Damit sei auch eine Aufwertung des Amts verbunden, sagt Rachel, selbst engagierter evangelischer Christ, im Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst. Er äußert auch seine Meinung zum umstrittenen Beschluss des Weltkirchenrats, in dem Israel der Vorwurf der Apartheid gegenüber den Palästinensern gemacht wird.

Es gehe darum, Religion und Weltanschauung mehr Aufmerksamkeit in der Gestaltung der Außenpolitik zu geben.

epd: Die Koalition aus Union und SPD hat die Zahl der Beauftragten stark reduziert. Der Erhalt Ihres Amtes, des Beauftragten für weltweite Religions- und Weltanschauungsfreiheit, war aber schon im Koalitionsvertrag vereinbart. Warum ist der aktuellen Regierung das Thema offenbar so wichtig?

Thomas Rachel: Der Grund ist naheliegend: Drei Viertel der Menschen leben in einem Land, in dem die Religions- und Weltanschauungsfreiheit nicht gewährleistet wird. Dadurch wird die Dringlichkeit deutlich, diesen Menschen eine Stimme zu geben und sich für ihre Recht einzusetzen. Sowohl die Koalition wie auch die Bundesregierung sind sich einig, den internationalen Dialog zu diesem elementaren Menschenrecht zu intensivieren und mehr Aufmerksamkeit für das Thema zu schaffen.

Welche Schwerpunkte werden Sie setzen?

Rachel: Ich sehe für den Beginn zwei Säulen: Zum einen wird es darum gehen, aufmerksam zu verfolgen, wie sich die Religions- und Weltanschauungsfreiheit weltweit entwickelt. Hierüber werde ich dem Bundestag in regelmäßigen Abständen Bericht erstatten. So schaffen wir größere Aufmerksamkeit für das Thema. Das ist mein Ziel. Zum anderen geht es darum, Religion als eine Dimension von Außenpolitik zu verstehen und verstärkt zu berücksichtigen.

Das heißt, mit dem Umzug Ihres Amtes vom Entwicklungsministerium ins Auswärtige Amt ist auch eine Aufwertung des Themas verbunden?

Rachel: Dass der Beauftragte für Religions- und Weltanschauungsfreiheit nunmehr im Auswärtigen Amt angesiedelt ist, stärkt das weltweite Engagement der Bundesregierung für die Religionsfreiheit. Da gibt es ein klares Commitment. Stärker als bisher lassen sich nun diese Fragen im diplomatischen Austausch zwischen den Regierungen integrieren.

Was hat Religionsfreiheit konkret mit Außenpolitik zu tun?

Rachel: Ganz einfach: Für Milliarden Menschen bestimmen Religion und Weltanschauung, wie sie ihr Leben führen. Sie stehen gewissermaßen morgens mit Gott auf und gehen abends mit Gott schlafen. Weil das so ist, spielt Religion in vielen Ländern eine zentrale Rolle und somit auch in den internationalen Beziehungen. Daher müssen auch wir in unserem Verständnis von Außenpolitik den Faktor Religion immer mitdenken, unabhängig, ob man selbst gläubig ist oder nicht.

"Das Ziel bleibt dabei, das friedliche Zusammenleben der Religionen zu fördern und jeder Form von Unterdrückung und Gewalt durch den Missbrauch von Religion eine Absage zu erteilen."

Gehört dazu auch der Dialog mit den Religionsgemeinschaften?

Rachel: Hierzu zählt entscheidend der Dialog mit und zwischen den Religionsgemeinschaften. Leitfrage sollte immer sein: Was können wir dafür tun, Menschen zusammenzuführen, gerade unterschiedlicher Religionszugehörigkeit. Das Ziel bleibt dabei, das friedliche Zusammenleben der Religionen zu fördern und jeder Form von Unterdrückung und Gewalt durch den Missbrauch von Religion eine Absage zu erteilen. Der Tübinger Theologe Hans Küng hat es treffend auf den Punkt gebracht: "Kein Weltfrieden ohne Religionsfrieden. Kein Religionsfrieden ohne Religionsdialog."

Früher gab es für das Thema "Religion und Außenpolitik" im Auswärtigen Amt ein eigenes Referat. Nach Diskussionen um eine Personalie vom Zentralrat der Muslime wurde die Arbeit ruhen gelassen. Wird es das wieder geben?

Rachel: Es war gut, dass der damalige Außenminister Frank-Walter Steinmeier dieses Referat gegründet hat. Über die Jahre wurde viel Kompetenz zu diesem Themenfeld entwickelt. Daran können wir anknüpfen und neue Akzente setzen. Jetzt wird es darum gehen, der Rolle von Religion und Weltanschauung wieder mehr Aufmerksamkeit in der Gestaltung unserer Außenpolitik zu geben und den Dialog mit religiösen und politischen Akteuren zu intensivieren.

Religionen spielen mitunter nicht eine friedensstiftende Rolle, sondern das genaue Gegenteil. Wie werden Sie damit umgehen?

Rachel: Die Rolle von Religionen kann ambivalent sein. Religiöse Akteure können beispielsweise in Friedensprozessen eine entscheidende Vermittlerrolle übernehmen. Kolumbien ist ein gutes Beispiel dafür. Hier hat die katholische Kirche dazu beigetragen, die Friedensbemühungen in einem Konflikt mit Hunderttausenden Opfern voranzubringen. Auf der anderen Seite wird Religion aber leider nach wie vor missbraucht, um Gewalt und Intoleranz zu rechtfertigen. Die Terrororganisation "Islamischer Staat" ist so ein Fall. Ihre Anhänger töten Menschen, weil sie andere religiöse Auffassungen haben. Mein Ziel ist es, Hass und Diskriminierung entgegenzuwirken und diejenigen zu stärken, die Frieden unterstützen wollen.

Ich nehme mal ein konkretes Beispiel: Sollte man den Dialog mit dem russisch-orthodoxen Patriarchen Kyrill suchen, der den Krieg Russland gegen die Ukraine gutheißt?

Rachel: Nicht jeder Konflikt, den wir in der Welt haben, ist ein religiös geprägter Konflikt. Manche werden religiös verbrämt. Grundsätzlich finde ich es richtig, durch Dialog zwischen Religionen und religiösen Vertretern in einen Prozess des Austauschs, des Dialogs zu kommen.

Einen anderen Krieg sehen wir im Nahen Osten. Innerhalb der Kirchen hat jüngst ein Beschluss des Weltkirchenrats für Diskussionen gesorgt, in dem Israel der Vorwurf der Apartheid gegenüber den Palästinensern gemacht wird. Wie bewerten Sie die Erklärung?

Rachel: Der Beschluss ist nicht zielführend. Der Begriff der Apartheid rührt aus einer konkreten historischen Situation in Südafrika her. Ihn auf eine hochkomplexe und völlig anders gelagerte Situation im Nahen Osten anzuwenden, wird dem Problem nicht gerecht. Mir fehlt aber auch etwas ganz Entscheidendes in der Erklärung: Der aktuelle Konflikt wurde durch den brutalen Terrorüberfall der Hamas vom 7. Oktober 2023 ausgelöst. Noch immer - auch nach bald drei Jahren - sind Geiseln in den Tunneln der Hamas eingekerkert. Hamas muss sie unverzüglich und bedingungslos freilassen. Dazu äußert sich der Weltkirchenrat in seiner Erklärung bedauerlicherweise nicht.

Ich komme noch einmal zurück auf den Koalitionsvertrag. Dort heißt es in Bezug auf ihr Amt, "insbesondere der Schutz der weltweit größten verfolgten Gruppe der Christen" sei von besonderer Bedeutung. Werden sie bei Christen genauer hinsehen?

Rachel: Mein Schwerpunkt wird sein, mit den Menschen solidarisch zu sein, die ihre Religion nicht ausüben können, die diskriminiert, verfolgt und verhaftet werden. Das bezieht sich auf alle Menschen, welche religiöse oder weltanschauliche Überzeugung sie auch immer vertreten. Von der Verletzung der Religionsfreiheit ist zahlenmäßig besonders die Gruppe der Christen betroffen.

Eine letzte Frage zu Syrien: Noch ist offen, ob die vielen religiösen Minderheiten in dem Land künftig gleichberechtigt leben können. Die Bundesregierung hat das Ziel, auch dorthin wieder abzuschieben. Kann man das etwa bei Christen guten Gewissens machen?

Rachel: Was Syrien jetzt am dringendsten braucht, ist Stabilität und ein inklusiver Transitionsprozess. Von der syrischen Regierung erwarten wir, den Schutz der religiösen Minderheiten in Syrien sicherzustellen. Und das muss für alle gelten - ganz gleich ob Drusen, Kurden, Alawiten oder Christen. Im Übrigen werden in Deutschland Entscheidungen über Asyl und Aufenthalt stets an den Umständen des individuellen Einzelfalls entschieden. Das halte ich auch für richtig so.