Sinkenden Mitgliederzahlen der christlichen Kirchen in Deutschland zum Trotz: Weltweit betrachtet nimmt die Bedeutung von Religion zu. Geflüchtete suchen besonders in Kirchengemeinden Zuflucht und Halt. In Karlsruhe erleichtert ein Live-Übersetzungsprogramm seit Mai 2025 Menschen ausländischer Herkunft die Teilnahme an Gottesdiensten.
"Die Idee entstand am Esstisch", sagte der Erfinder des KI-gestützten Übersetzungsprogramms, Tim-Cedric Inhoff, dem Evangelischen Pressedienst. Sein Vater, Pastor beim Karlsruher Missionswerk, habe ihm von den Schwierigkeiten erzählt, Dolmetscher für die sonntäglichen Gottesdienste zu finden. Viele Gottesdienstbesucher der Gemeinde stammen aus dem Iran, Russland, der Ukraine oder einem englischsprachigen Land.
Das Gespräch weckte den Erfindergeist des Informatikers. Tim-Cedric Inhoff, der, wie er berichtet, schon im Studium "für Künstliche Intelligenz brannte", machte sich auf die Suche. Binnen weniger Monate fand er eine Lösung und entwickelte ein auf christliches Vokabular abgestimmtes Übersetzungsprogramm. Die Testversion stellte er zunächst über private Verbindungen befreundeten Kirchengemeinden zur Verfügung.
"Bei meinem Onkel in der Gemeinde in Nordrhein-Westfalen hatte eine Iranerin nach dem Gottesdienst Tränen in den Augen, weil sie nach Jahren wieder einen Gottesdienst in ihrer Muttersprache hören konnte", berichtet der Jungunternehmer. Sein Start-up "Streamlingo" übersetzt in Echtzeit in 57 Sprachen - von Farsi über Tamil, Maori, Isländisch bis Bosnisch oder Schweizerdeutsch. Die Gottesdienst-Übersetzung ist über einen QR-Code auf dem PC, Tablet oder dem Smartphone abrufbar.
786 Spezialbegriffe im Programm
Die computergenerierte Stimme klinge "schon recht menschlich", sagt Inhoff, es sei "schön, ihr zuzuhören". Der KI-Dolmetscher reagiert auf gesprochene Sprache. Gleich oder ähnlich klingende Wörter können schon mal zu Verwechslungen und somit falschen Übersetzungen führen: Die Verse im Gesangbuch haben so wenig mit der Ferse des Fußes zu tun wie normalerweise der Altar mit dem Alter.
"Schwyzerdütsch" sei vor allem als Variante der Eingangssprache wichtig, sagt Inhoff, und erinnert an lustige Momente während der Erprobungsphase, etwa den klassischen Fauxpas, wenn das Programm statt "taufen" "saufen" verstand. "Da lacht die Gemeinde noch heute drüber", so der Entwickler.
Anders als der Übersetzungsdienst von Google ist die KI von Streamlingo mit christlichem Vokabular gefüttert. "Google Translate ist gewissermaßen der Allgemeinarzt, Streamlingo der Facharzt", beschreibt Inhoff den Unterschied. Unter den 786 Spezialbegriffen für Deutsch finden sich christlich vertraute Wörter wie "Advent", "Demut" oder "Altar", aber auch Fachbegriffe wie etwa die Laien kaum bekannte Bezeichnung "Deuteronomium" für das 5. Buch Mose.
Personelle Unterstützung für das Projekt fand Inhoff unter ehemaligen Kommilitonen der "Studenten für Christus" am Karlsruher Institut für Technologie (KIT). "Ich fand es eine tolle Idee, Gottesdienste von überall her in der Muttersprache hören zu können", sagt die für Kommunikation zuständige Elly Miller. "Ich wollte schon immer einen Job, der Sinn und einen Unterschied macht. Hier kann ich Glauben und Technik vereinbaren."
Finanziell gefördert wird Streamlingo vom EXIST-Gründerstipendium des Bundes für innovative Start-ups. Die Kirchengemeinden kostet die Live-Übertragung pro Stunde und Sprache zehn Euro. Das lohne sich, sind Inhoff und Miller überzeugt. Denn der Übersetzungsservice entlaste Pfarrer, Ehrenamtliche und Dolmetscher.