Fußball wird gern als "schönste Nebensache der Welt" bezeichnet. Das ist selbstverständlich eine kolossale Untertreibung, wie einst schon Bill Shankly, Trainerlegende des FC Liverpool, festgestellt hat: "Es gibt Leute, die denken, Fußball sei eine Frage von Leben und Tod. Ich mag diese Einstellung nicht. Ich kann Ihnen versichern, dass es noch sehr viel ernster ist." Mittlerweile ist dieser Sport vor allem ein Milliardengeschäft.
Das war nicht immer so: In den Achtzigerjahren hing der Fußball zumindest hierzulande am Tropf. Topstars wie Karl-Heinz Rummenigge oder Lothar Matthäus kickten in Italien, in den Stadien verloren sich mitunter nur ein paar tausend Zuschauer, auf den Tribünen lieferten sich Hooligans blutige Schlachten; und dann erfanden zwei Deutsche die Champions League. Der Dokumentarfilm "Trophy Men" handelt von einer wundersamen Wiederauferstehung.
Natürlich geht es auch um unvergessene Spiele, an die unter anderem Lars Ricken (BVB) und Oliver Kahn (FC Bayern) erinnern, allen voran neben den Triumphen die "Mutter aller Niederlagen" der Münchener gegen Manchester United (1999). Aber Christian Twente und Markus Brauckmann haben noch viel mehr zu bieten; im Grunde geht es darum, wie der Fußball damals zur Ware wurde.
Tilmann P. Gangloff, Diplom-Journalist und regelmäßiges Mitglied der Jury für den Grimme-Preis, schreibt freiberuflich unter anderem für das Portal evangelisch.de täglich TV-Tipps und setzt sich auch für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Auszeichnung: 2023 Bert-Donnepp-Preis - Deutscher Preis für Medienpublizistik (des Vereins der Freunde des Adolf-Grimme-Preises).
Großen Anteil an dieser Entwicklung hatte das Privatfernsehen. 1988 luchste RTL der ARD die Bundesligarechte ab, und plötzlich wehte ein anderer Wind durch die Sportberichterstattung; mit "ran" (Sat.1) wurde Fußball ab 1992 endgültig Teil des Showgeschäfts. In diesem Jahr startete auch die Champions League. Ihre Erfinder waren Klaus Hempel und Jürgen Lenz. Sie entwickelten ein völlig neues Konzept für den Europapokal der Landesmeister. Heutzutage sind die Spieltage der Champions League für die meisten Fußballfans Festtage. In den Siebziger- und Achtzigerjahren fanden die Spiele in der Öffentlichkeit dagegen kaum Beachtung. Tiefpunkt des Wettbewerbs war eine Katastrophe im Brüsseler Heysel-Stadion, als Anhänger des FC Liverpool beim Finale gegen Juventus Turin 1985 eine Massenschlägerei provozierten. In der anschließenden Panik kamen 39 Menschen ums Leben; auch daran erinnert der Film.
Sportlich litt das Europa-Cup-Konzept ohnehin unter einem erheblichen Manko: Es gab keine Gruppenphase, weshalb sich die Top-Teams zuweilen schon in der ersten Runde gegenseitig eliminierten. Als Hempel und Lenz, bis dahin Sportvermarkter bei der adidas-Tochter ISL, aufgrund einer internen Umstrukturierung ihre Jobs verloren, taten sie sich zusammen und gründeten ein eigenes Unternehmen (Team). Zu diesem Zeitpunkt dachte man beim Europäischen Fußballverband Uefa darüber nach, den Europapokal zu reformieren, um zu verhindern, dass die Topvereine eine eigene Liga gründeten. Hempel und Lenz nutzten die Gunst der Stunde und konzipierten einen komplett neuen Wettbewerb, der den Fußball von seinem prolligen Image befreien sollte: mit Opernhymne, Emblem, einer einheitlichen Anstoßzeit und detaillierten Abläufen.
Die Uefa war beeindruckt, wollte aber eine Garantie in Höhe von 150 Millionen Schweizer Franken, vor gut dreißig Jahren eine exorbitant hohe Summe; aber selbst dafür fand sich eine Lösung, wie die beiden Männer, längst um die achtzig, leutselig schildern. Ausgerechnet die Vereine waren zunächst jedoch eher skeptisch. Michael Meier, damals BVB-Geschäftsführer, erinnert sich, dass man plötzlich nicht mehr Herr im eigenen Haus war: Wegen der exklusiven Verträge der Uefa mit den Champions-League-Sponsoren darf es in den Stadien keinerlei Hinweise auf andere Werbepartner geben. Davon abgesehen entpuppte sich das Konzept der Marketing-Experten, wie es Sportjournalist Christoph Biermann auf den Punkt bringt, als "Gelddruckmaschine". Damit begann allerdings auch eine von Fußballromantikern mit Grausen verfolgte Spirale, die zu immer höheren Ablösesummen, Gehältern und Beraterhonoraren geführt hat.
Twente und Brauckmann können es sich leisten, auf einen Kommentar zu verzichten, und das nicht nur, weil Hempel und Lenz gute Erzähler sind. Fußballer wie Kahn, Ricken und einige andere steuern Erinnerungen aus Sicht der Kicker bei; Marcel Reif, der damals für RTL die Champions League kommentiert hat, und ZDF-Reporterin Claudia Neumann beschreiben die Entwicklung der Sportberichterstattung. "Trophy Men" lebt aber keineswegs nur vom Wort. Flott geschnittene Bildkaskaden, untermalt von vielen zeitgenössischen Pop-Hits, vermitteln das passende Zeitgefühl. Dank der optischen und akustischen Gestaltung ist der Film nicht nur äußerst informativ, sondern auch kurzweilig und unterhaltsam. Das ZDF zeigt "Trophy Men" im Anschluss ans Champions-League-Finale, der Film steht bereits in der Mediathek.