Die internationalen Donnerstagskrimis im "Ersten" spielen in der Regel an Orten oder in Gegenden, die keiner Erklärung bedürfen: Barcelona, Zürich, Masuren, Kroatien; und so heißen sie dann auch. Daher lautete der Arbeitstitel dieses möglichen Auftakts zu einer weiteren Reihe "Der Galicien-Krimi".
Dass die ARD-Tochter Degeto davon Abstand genommen hat, lässt sich leicht nachvollziehen, zumal die Verwechslungsgefahr mit Galizien (heute zum Teil in Polen, zum Teil in der Ukraine) allzu groß ist. Galicien befindet sich im nordwestlichen Spanien. Hape Kerkeling hat mit dem Donnerstagskrimi rein gar nichts zu tun, kennt die Gegend jedoch recht gut: 2001 ist er nach Santiago de Compostela gepilgert. Seine Erfahrungen hat er in dem 2006 erschienenen Buch "Ich bin dann mal weg" verarbeitet. Seither ist der Jakobsweg, übertrieben formuliert, in aller Munde; die Degeto konnte also davon ausgehen, dass der Titel "Die Tote vom Jakobsweg" deutlich mehr Aufmerksamkeit erregen wird als "Der Galicien-Krimi".
Tilmann P. Gangloff, Diplom-Journalist und regelmäßiges Mitglied der Jury für den Grimme-Preis, schreibt freiberuflich unter anderem für das Portal evangelisch.de täglich TV-Tipps und setzt sich auch für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Auszeichnung: 2023 Bert-Donnepp-Preis - Deutscher Preis für Medienpublizistik (des Vereins der Freunde des Adolf-Grimme-Preises).
Natürlich spielt das Pilgerwesen in dem Film eine nicht unerhebliche Rolle. Abgesehen von verschiedenen optischen Eindrücken geht es dabei jedoch vor allem um einen wirtschaftlichen Aspekt: Ein Mord auf dem Jakobsweg ist nicht gut fürs Geschäft. Entsprechend groß ist der Druck, unter dem die Ermittlungen stehen. Weil’s in den Krimis aber immer auch menscheln soll, haben sich der während der Drehbucharbeit verstorbene Xaõ Seffcheque und seine Schreibpartnerin Lina Victoria Schmeink eine spezielle Konstellation einfallen lassen.
Das Team bekommt mit David Acosta (Michael Epp) einen neuen Chef aus Valencia, was prompt für Unmut sorgt, denn eigentlich war Lokalmatador Adrián Martinez (Dirk Borchardt) zur Beförderung vorgesehen. Für zusätzlichen Zündstoff zwischen den beiden Alphatieren sorgt die Tatsache, dass Martinez mit Acostas zukünftiger Ex-Frau (Henriette Richter-Röhl) liiert ist, was der Chef erst später erfährt; er hat sich extra nach Santiago versetzen lassen, weil er auf einen Neuanfang hofft. Die junge Kommissarin Mercédes Navarro (Mercedes Müller) tut als Dritte im Bunde alles, um zwischen den beiden charakterstarken Kerlen zu vermitteln, kann aber nicht verhindern, dass es schließlich zu Handgreiflichkeiten kommt.
Zum Glück sind diese Befindlichkeiten nicht wichtiger als die Ermittlungsebene, zumal der Fall dank des religiösen Hintergrunds zusätzlich reizvoll ist: Das Opfer, Sofia, war Mitarbeiterin des Pilgerbüros, ist erst ausgeraubt und dann am Kap Finisterre ("Ende der Welt", galicisch Cabo Fisterra), dem eigentlichen Abschluss des Jakobswegs, ins Meer gestürzt worden. Da war sie allerdings bereits tot.
Ertrunken ist sie in der Tat, doch nicht im Meer, sondern in einem Taufbecken, wie die clevere Mercédes herausfindet. Nun bringt das Drehbuch allerlei Verdächtige ins Spiel, die mehr oder minder mit dem Pilgergeschäft zu tun haben. Das Opfer hatte eine Affäre mit einem verheirateten Restaurator (Beat Marti), der dank der nicht ganz uneigennützigen Unterstützung einer jungen Frau von der Diözese den lukrativen Auftrag bekommen hat, sich der Malereien in der Kathedrale von Santiago anzunehmen. Ungleich zwielichtiger ist jedoch ein Taschendieb (Max Befort), der Pilgerinnen um ihre Wertsachen erleichtert. Seine Fluchtversuche bescheren dem Film gleich zwei recht dynamisch umgesetzte Verfolgungsjagden.
Neben dem zentralen Trio ist der Krimi ohnehin vor allem wegen der Bildgestaltung sehenswert. Regisseur Adolfo J. Kolmerer und Kameramann Christian Huck eint eine fruchtbare Zusammenarbeit; zu den gemeinsamen Meriten zählen unter anderem die hochspannende Fitzek-Verfilmung "Der Heimweg" (Amazon Prime, 2025), die beachtliche Mystery-Krimiserie "Oderbruch" (ARD, 2023) und die Flüchtlingsdramaserie "Liberame – Nach dem Sturm" (ZDF, 2022).
Besonders eindrucksvoll fotografiert ist das Finale am nebligen Kap Finisterre, aber auch die düsteren Revierszenen sind reizvoll, weil gerade die Gesichter der beiden Männer oft im Halbschatten liegen. Die Rückblenden, in denen die Tat geschildert wird, sind ohne Übertreibung große Kunst. Ein Bonus war die seltene Erlaubnis, in der Kathedrale von Santiago zu drehen. Aus Publikumssicht hält sich die kriminalistische Herausforderung zwar in Grenzen, aber die Handlung ist dank vieler wichtiger Nebenfiguren überraschend komplex, zumal der Katholizismus nicht nur symbolische Akzente setzt: Der bibelfeste Martinez hat seinen Glauben verloren, als seine Frau an Krebs gestorben ist, und Acosta hängt im Revier erst mal das Kreuz ab; Mercédes dagegen stand schon kurz vorm klösterlichen Gelübde.