"Bauernproteste fußen nicht auf wirtschaftlicher Not"

Bauernproteste in Deggendorf
© Th. Krenn, P. Seidl/zema-medien./Th. Krenn, P. Seidl
Bauern haben sich am 05. Januar mit ihren Traktoren zu einer Demonstration in Deggendorf versammelt. Die Bauern protestieren gegen die Sparpläne der Bundesregierung.
Agrarexperte über Unzufriedenheit
"Bauernproteste fußen nicht auf wirtschaftlicher Not"
Die Bauernproteste sind nach Auffassung des Agrarexperten Wolfgang Reimer nachvollziehbar. Die geplanten Kürzungen bei der Agrardieselsubvention träfen die Landwirtschaft im Vergleich zu anderen Wirtschaftszweigen überproportional, sagte der Agraringenieur dem Evangelischen Pressedienst (epd). "Nicht die wirtschaftliche Not treibt die Bauern auf die Straße, sondern das Empfinden, dass es ungerecht ist, wenn bei einer Branche richtig zugepackt wird und die anderen wieder verschont werden", betonte Reimer, der Vorsitzender der Agrarsozialen Gesellschaft in Göttingen ist.

Damit werde der Grundgedanke des Umweltbundesamtes, alle umweltschädlichen Subventionen langsam abzubauen, konterkariert, kritisierte Reimer, der zwischen 2016 und 2021 Stuttgarter Regierungspräsident war. Allerdings sei das Argument der Landwirte verkürzt, die durch die Pläne ihre Wettbewerbsfähigkeit auf dem europäischen Markt bedroht sehen. "Dabei müssen alle Faktoren berücksichtigt werden, also auch die hohe Investitionsförderung in Deutschland und die sogenannte Bauernmilliarde, mit der in den letzten Jahren der Kauf von landwirtschaftlichen Geräten unterstützt wurde."

Hintergrund der Proteste sei vor allem ein Kampf um Anerkennung, betonte Reimer. Landwirte hätten häufig das Gefühl, von den Städtern, die eigentlich keine Ahnung haben, Vorschriften zur Tierhaltung oder zum Düngen zu bekommen. "Da sind ganz viele kulturelle Konflikte, die im Hintergrund mitschwingen."

Die Agrarsoziale Gesellschaft wurde 1947 mit dem Ziel gegründet, sich für die Verbesserung der Lebensverhältnisse in ländlichen Räumen und in der Landwirtschaft einzusetzen. In ihrer Arbeit verknüpft sie bundesweit unter anderem wissenschaftliche Forschung, Gutachtertätigkeit und Weiterbildung und versteht sich als Meinungs- und Diskussionsforum.

Steinmeier verurteilt aggressiven Bauern-Protest 

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat die Blockade-Aktion von Bauern gegen eine Fähre von Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) scharf verurteilt. Er sagte der "Bild"-Zeitung (Samstag): "Zu sehen, wie ein Minister auf einer privaten Reise von einer aggressiven Menschenmenge eingeschüchtert wird und sich nach Bedrohungen in Sicherheit begeben musste, hat viele in unserem Land schockiert, auch mich. Das dürfen wir nicht hinnehmen."

Steinmeier zeigte sich besorgt über das gesellschaftliche Klima und forderte die Landwirte auf, friedlich zu demonstrieren und die Gesetze einzuhalten: "Demonstrationen gehören zur Demokratie. Kritik an der Regierung ist legitim. Aufrufe zu Hass und Gewalt überschreiten jedoch die Grenze dessen, was gerechtfertigt ist." Wer so handele, verletze die Grundregeln der Demokratie und schade damit seiner eigenen Sache.

Habeck war am Donnerstagabend am Fährhafen Schlüttsiel in Schleswig-Holstein von einem Urlaub auf der Hallig Hooge zurückgekehrt. Wütende Bauern drohten, die Fähre zu stürmen. Das Schiff legte wieder ab, und Habeck kam Medienberichten zufolge erst in der Nacht mit einer anderen Fähre an. Die Bundesregierung, zahlreiche Politiker und der Deutsche Bauernverband hatten die Eskalation der Bauern-Proteste verurteilt.

Özdemir sagte am Freitagabend im "heute journal" des ZDF: "Leute von ganz rechts außen" versuchten, die legitimen Bauern-Proteste für sich zu nutzen. "Die haben Umsturzfantasien." Es sei ein Kernstück der liberalen Demokratie, einander zuzuhören und Gewalt abzulehnen. "Sonst verrottet hier was", warnte der Grünen-Politiker.

Hintergrund der Auseinandersetzung zwischen Landwirten und Bundesregierung sind inzwischen teilweise zurückgenommene Kürzungen von Agrar-Subventionen. Die Ampel-Koalition wollte die Befreiung von der Kraftfahrzeugsteuer streichen und Agrardiesel teurer machen, um Einsparungen im Bundeshaushalt zu erzielen. Trotz des Teil-Rückziehers der Regierung wollen die Bauern an ihren für kommende Woche angekündigten Protesten festhalten.

Özdemir sagte zum Teilrückzug bei den Agrar-Sparmaßnahmen: "Die beiden Maßnahmen zusammen, Kfz-Steuerbefreiung streichen und Diesel-Privileg abschaffen, waren zu viel. Wir haben das korrigiert." Er verstehe, dass das manchen immer noch nicht reiche, es sei aber "eine faire Maßnahme". "Wir sind nicht erpressbar", betonte der Minister mit Blick auf Drohungen, Gewalt anzuwenden, um die Politik unter Druck zu setzen.