Das wahre Gesicht des Lammes

Genter Altar mit 18 Tafeln und biblischen Szenen
© epd-bild/Niklas Hlawitschka
Der Flügelaltar, geschaffen im 15. Jahrhundert von den Brüdern Hubert und Jan van Eyck geschaffen, zählt zu den Meisterwerken der europäischen Kunst. Die 18 Tafeln zeigen verschiedene biblische Szenen.
Restaurierung des Genter Altars
Das wahre Gesicht des Lammes
Der Genter Altar der Brüder van Eyck ist weltberühmt. Seit 2012 wird er restauriert, jetzt ist die Arbeit in ihrer letzten Phase. Das Werk hat eine abenteuerliche Reise durch die europäische Geschichte hinter sich, die noch nicht zu Ende ist. Zuletzt erntete es sogar einen Shitstorm auf Social Media.

Der Weg des Lamms führt quer durch die europäische Geschichte der vergangenen 600 Jahre. Es hat eine turbulente Reise hinter sich und macht nun, hinter einer langen Glasscheibe, bei Hélène Dubois Station. Dubois hat eine Stirnlampe auf, ihr Gesicht ist nur wenige Zentimeter vom Kunstwerk entfernt, das mit Gurten vor ihr auf eine Staffelei gespannt ist.

Seit 2012 leitet Dubois die Restaurierung des Genter Altars der Brüder van Eyck, der in Deutschland als "Die Anbetung des Lamm Gottes" bekannt ist. Im Museum der schönen Künste im belgischen Gent kann die Öffentlichkeit dabei zusehen, wie sie und ihr siebenköpfiges Team jetzt in der letzten Phase an dem Altarbild arbeiten.

Seit 2012 laufen die Restaurierungsarbeiten an den 18 Tafeln des Flügelaltars. Anfangs hoffte man, in rund vier Jahren fertig zu werden. Nun werden die verbleibenden sieben Tafeln bearbeitet, während die bereits restaurierten Teile des Altars wieder in der Kathedrale zu sehen sind.

Der Genter Altar zeigt Bibelszenen und gilt als ein Meisterwerk der europäischen Malerei. Als Hélène Dubois ihn das erste Mal sah, war sie 16 und dachte: "Das ist das Schönste, was ich je gesehen habe", so erinnert sie sich. Sie hat Kunstgeschichte und Restaurierung studiert, ihre Doktorarbeit schrieb sie über den Genter Altar. Selbst daran zu arbeiten aber, sagt sie, habe sie nicht zu träumen gewagt.

Versteckt und von Napoleon verschleppt

Es soll der 6. Mai 1432 gewesen sein, als die Bürger Gents das Werk in der Johanneskirche, die heute St.-Bavo heißt, erstmals zu sehen bekamen. "Überköstlich" sei es, "hochverständig" gefertigt, schrieb der Maler Albrecht Dürer rund 100 Jahre später. 1566 verließ das Werk seinen angedachten Platz erstmals, als man es im Glockenturm der Kirche vor dem Bildersturm calvinistischer Protestanten versteckte.

Napoleon Bonaparte war es dann, der den Mittelteil des Altars Ende des 18. Jahrhunderts verschleppte und nach Paris bringen ließ, in das Musée Napoléon, das heute Louvre heißt. Erst als der Feldherr 1815 im belgischen Waterloo vernichtend geschlagen wurde, kam der Altar zurück nach Gent. Die Flügeltafeln indes waren in Berlin gelandet, wo sie zersägt wurden, damit Vorder- und Rückseite nebeneinander gezeigt werden konnten.

Rettung à la Hollywood

Anfang des 20. Jahrhunderts befand sich der Kontinent erneut im Krieg, und auch hier taucht der Genter Altar wieder an prominenter Stelle auf. Nachdem Deutschland den Ersten Weltkrieg verloren hatte, wurden die Reparationen im Versailler Vertrag geregelt - und auch das Lamm Gottes fand seinen Weg zurück nach Belgien. Zumindest vorübergehend, während des Zweiten Weltkriegs, versteckte man den Altar in den französischen Pyrenäen vor den vorrückenden Deutschen.

Trotzdem fiel er den deutschen Truppen nach deren Überfall auf Frankreich in die Hände, und Hitler ließ ihn als vermeintlich "arische Kunst" zunächst ins bayerische Schloss Neuschwanstein bringen. Wie der Altar schließlich von einer amerikanischen Spezialeinheit, den Monuments Men, aus einer ehemaligen Salzmine in Österreich geborgen wurde, lässt sich im gleichnamigen Hollywood-Film aus dem Jahr 2014 von und mit George Clooney bestaunen.

"Es ist Jesus, der dich anschaut"

Zurück in Brüssel wurde der Genter Altar in den 1950er Jahren restauriert. Die Experten trugen damals einen Firnis zur Versiegelung auf, der sich 70 Jahre später verfärbt hat und nun wie ein dunkler Filter über den Gemälden liegt. Man kann das gut erkennen, wenn man beobachtet, wie Hélène Dubois ein Lösungsmittel mit kreisenden Bewegungen auf dem Bild verteilt, die Lackschicht vorsichtig abträgt und die strahlenden, 600 Jahre alten Farben darunter freilegt.

Ludo Collin erinnert sich gut daran, wie bewegt er war, als er das wahre Gesicht des Lammes auf einer zentralen Bildtafel des Altars 2019 das erste Mal sah. Der Rektor von St.-Bavo ist ein freundlicher Herr, der seit fast 50 Jahren für das Bistum tätig ist und sich in der Kathedrale so selbstverständlich bewegt, als ginge er vom Badezimmer in die Küche.

Bereits 1550 war das Gesicht des Lammes übermalt worden, erst durch die Restaurierung sieht man es jetzt wieder, wie van Eyck es gemalt hat. Die Augen stehen leicht hervor und folgen dem Betrachtenden - Ausdruck und Züge sind eher die eines Menschen, als die eines Tieres. Für Collin ist damit auch der religiöse Charakter des Werkes wiederhergestellt: "Es ist Jesus, der dich anschaut", sagt er.

Auf religiöse Menschen habe der Ausdruck des Tieres eine besondere Wirkung, sagt Hélène Dubois, die zehn Tage an dem zentimetergroßen Bereich gearbeitet hat. Im Internet hingegen wurde das Lamm mit dem Menschengesicht zum Witz. Als das freigelegte Gesicht des Lammes der Öffentlichkeit vorgestellt wurde, verbreitete es sich rasant in den sozialen Netzwerken. Tausende scherzten auf Twitter über die vermeintliche Restaurationspanne.

Anfangs habe sie das sehr getroffen, erzählt Dubois. Der Spott habe sich über all ihre Arbeit, all ihre Überlegungen, all ihren Respekt für das Kunstwerk gelegt. Doch der Weg des Lammes läuft parallel zum Zeitgeschehen und irgendwie sei es folgerichtig, dass es in Zeiten von Social Media, Fake News und Shitstorms auch hier wieder auftauche, findet sie.