Glaube kann mächtiger Unterstützer sein

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Für den Arzt und Psychotherapeut Christian Firus ist es wichtig, nicht den eigenen Ängsten zu entfliehen, sondern sich trotz Ängsten freundlich zu begegnen und verstehen zu lernen, worauf die Angst einen vielleicht hinweisen will.(Symbolbild)
Experte: Tipps gegen Angst
Glaube kann mächtiger Unterstützer sein
Was tun, wenn einen die Angst packt? Psychotherapeut Christian Firus wartet in seinem neuem Buch mit einigen Tipps auf. Wer positive Spiritualität und Rituale lebe und sich anderen auch aus religiösen Gründen zuwende, tue aktiv etwas gegen Ängste.

Wohl jeder kennt das Gefühl, wenn plötzlich die Angst ins Leben tritt: Der Hals und die Brust fühlen sich wie "zugeschnürt" an, der Tunnelblick nimmt zu und engt die Sicht ein. Man verhält sich "engstirnig", weil man keinen Ausweg mehr sieht. Nicht ohne Grund kommt das deutsche Wort "Angst" vom lateinischen Wort "angustus", was "eng" bedeutet.

"Angst macht eng, das erleben die meisten Menschen, wenn sie Angst verspüren", schreibt Christian Firus in seinem neuesten Buch "Wenn die Welt aus den Fugen gerät", das im Patmos-Verlag (Ostfildern) erschienen ist. Als Facharzt für Psychiatrie in der Rehaklinik Glotterbad bei Freiburg hat er mit vielen Patienten zu tun, die depressiv und traumatisiert sind, oder an Burnout leiden.

Er spürt durch eine sehr lange Warteliste die "deutliche Zunahme an Behandlungsbedarf", sagt er gegenüber dem Evangelischen Pressedienst (epd).
Bei den Patienten der Rehaklinik spielten weiterhin viel mehr die eigenen Themen und Belastungen die zentrale Rolle. "Die Pandemie und ihre vielfältigen Auswirkungen spielen da mit hinein", so Firus, der auch Facharzt für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie ist.

Aus seiner Sicht erscheint Angst oft so unüberwindlich groß, weil akute Angst oft alte Ängste im Gepäck hat, die immer noch den Schmerz und die Bedrohung von damals fühlen lassen und glauben machen, das Gleiche würde sich hier und jetzt wiederholen. "Es ist also eine Angst aus Erinnerung und Erfahrung, die meist auch noch die früheren Ohnmachtsgefühle mitbringt."

Warnung vor möglichen Gefahren

Außerdem nehmen Ängste so einen großen Raum ein, weil sie die sorgenvolle Phantasie vor einer befürchteten gefährlichen Zukunft aktivieren. Sie warnen vor möglichen Gefahren, aber würden immer übertreiben, "weil das, was sie uns düster ausmalen, niemals genau so eintreten wird." Und schließlich seien Ängste vermutlich die allerersten Emotionen überhaupt in der evolutionären Entwicklung.

Das limbisches System, das Zentrum für Gefühle, sei in der Reaktion immer schneller als das Großhirn mit seinem logischen Denken und Verstand. "Lassen Sie sich beim Reagieren etwas Zeit, bis das Großhirn seine Arbeit aufnimmt und zu einem vollständigeren Bild der Lage beiträgt", rät deshalb der Experte. Wichtig sei, nicht den Ängsten zu entfliehen, sondern sich trotz Ängsten freundlich zu begegnen und verstehen zu lernen, "worauf meine Angst vielleicht hinweisen will", sagt er dem epd. "Weil sich hinter Ängsten häufig alte, unerledigte Themen verbergen, bietet sich die Chance, sich diesen heute zu stellen."

Mächtiger Unterstützer: freundliches Gottesbild 

Auch Spiritualität und Glaube können laut dem Mediziner und Psychotherapeuten "mächtige Unterstützer im Umgang mit Ängsten sein" - vorausgesetzt, sie speisen sich aus einem freundlichen Gottesbild, sonst bewirken sie das Gegenteil. So könne sich das Bild eines strafenden Gottes negativ auf die psychische Gesundheit auswirken und Ängste sogar verstärken. Doch wer positive Spiritualität und Rituale lebt und sich anderen vielleicht auch aus religiösen Gründen motiviert zuwendet, tue aktiv etwas gegen Ängste.

Zahlreiche Untersuchungen zu Resilienz kämen immer wieder zu dem Ergebnis, dass Menschen Belastungen leichter überstanden, wenn sie sich um andere Menschen, wie zum Beispiel kleine Geschwister, gekümmert haben. "Wer etwas Sinnvolles tut, erlebt sich auch in Krisen handlungsfähig und selbstwirksam."
Orientierung an Sinn und Werten fördere die Erfahrung von Verbundenheit und stifte Gemeinschaft. Solche positiven Erfahrungen in einer Gemeinschaft sind nach Ansicht des Autors wesentliche Antworten auf gegenwärtige Krisen.

Firus empfiehlt, die Freude zu kultivieren. Freude ist sozusagen der Gegenspieler von Angst: Denn sie beruhigt: "Das Genießen von Schönem stimuliert den Parasympathikus, unseren wichtigsten Beruhigungsnerv." Dankbarkeit richte unsere Aufmerksamkeit auf das Gegenwärtige, auf das, was hier und jetzt ist, nicht auf das, was fehlt, was man befürchte und was womöglich nie eintreten wird. "Damit stärkt Dankbarkeit die Widerstandskräfte, füllt meine Ressourcenspeicher und macht mich handlungsfähiger in schwierigen Zeiten."