Die Einsamkeit der Ameise

Die rote Waldameise
© epd-bild/imageBROKER/Thomas Goetzfried
Die Rote Waldameise gilt laut Roter Liste als gefährdet. Sie baut am liebsten in Fichtenwäldern ihre imposanten Erd- und Hügelnester - doch die Fichtenwälder sterben in Zeiten des Klimawandels ab. Zu heiß.
Artensterben durch Überdüngung und Klimawandel
Die Einsamkeit der Ameise
Sie sind wichtig für ein funktionierendes Ökosystem und soziale Wesen, denen Isolation zu schaffen macht: Ameisen faszinierten schon die Denker der Antike. Heute sind rund die Hälfte aller Ameisen-Arten in Deutschland bestandsgefährdet. Weltweit sieht es noch schlechter aus. Überdüngung und Klimawandel macht ihr den Garaus.

Schon Salomon wusste sie zu schätzen. "Geh zur Ameise, du Fauler, sieh ihre Wege und werde weise", heißt es in den ihm zugeschriebenen biblischen "Sprüchen" 6,6-8. Auch der spätantike griechische Autor Kelsos pries die Ameisen und sprach ihnen gar "eine Vernunft in vollkommenem Zustand und gemeinsame Vorstellungen von einigen allgemeinen Wirklichkeiten" zu.

Schon im zweiten Jahrhundert nach Christus wusste er, was Ameisen alles können, nämlich kommunizieren, sich orientieren und gegenseitig helfen. Die Braunschwarzen Rossameisen treiben sogar Herdenwirtschaft, indem sie die Läuse hegen, deren Honigtau sie "melken".

"Superorganismus" hat der wohl berühmteste moderne Ameisenforscher, der amerikanische Biologe Edward O. Wilson, 1990 den Ameisenstaat genannt. Jüngere Ameisenfachleute wie die Verhaltensforscherin Susanne Foitzik von der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz haben sogar herausgefunden, dass isolierte Ameisen an sozialer Vereinsamung leiden: Ihr Immunsystem wird herunterreguliert, sie werden anfälliger für Parasiten, weil sie sich nicht mehr genug selbst pflegen.

Sie war an einer deutsch-israelischen Studie von 2021 zum Thema beteiligt. Diese "zeigt, dass Ameisen ebenso von Isolation betroffen sind wie soziale Säugetiere und deutet auf einen allgemeinen Zusammenhang zwischen sozialem Wohlbefinden, Stresstoleranz und Immunkompetenz bei sozialen Tieren hin", fasst Foitzik die Ergebnisse zusammen.

Ameisen gehören unter den Insekten zur Ordnung der Hautflügler, wie Bienen und Wespen. Mehr als 1.400 Ameisenarten wurden bisher weltweit beschrieben, vermutet werden 20.000 bis 30.000 Arten. In Europa allein um die 600, die meisten in Spanien und Griechenland, die wenigsten im Baltikum und in Skandinavien. Und wie viele gibt es in Deutschland?

Bernhard Seifert, Ameisen-Ökologe im Senckenberg Museum für Naturkunde Görlitz, weiß es genau: "Der aktuelle Stand sind 121 dauerhaft im Freiland überlebensfähige Arten. Darunter sind neun invasive Arten, die überwiegend durch Pflanzenhandel eingeführt wurden. In den Gewächshäusern gibt es sicher noch um die 20 subtropische und tropische Arten, die aber außerhalb von Gebäuden nicht überlebensfähig sind."

Sind sie überhaupt noch überlebensfähig, fragt sich, wer einen Blick in den Insektenatlas des Bundes für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) und der Heinrich-Böll-Stiftung von 2020 wirft: Mehr als 90 Prozent der Ameisenarten seien rückläufig, heißt es darin.

Seifert weist allerdings darauf hin, dass es schon seit Jahren kein Monitoring, also keine Bestandsaufnahme, der Ameisen mehr gegeben habe. Indirekt aber lasse sich schließen: "Vor allem die Arten des Offenlandes sind zurückgegangen. Unterm Strich ist die Lage schlecht." Ein Grund: zu hohe Stickstoffeinträge; die Überdüngung verändert den Lebensraum vieler Ameisen.

Das Rote-Liste-Zentrum, das gefährdete Arten erfasst, bestätigt den Fachmann. Allerdings führt es nur 116 in Deutschland etablierte Ameisenarten auf. Von den 108 bewerteten Arten seien 52 Prozent bestandsgefährdet, 26 Prozent ungefährdet und 17 Prozent auf der Vorwarnliste. Ameisen, so heißt es weiter, "besetzen wichtige regulatorische Planstellen." Grünspecht, Wendehals und Wachtel könnten ohne sie nicht überleben. "Zudem schichten sie Erde um und lockern sie auf, wo Regenwürmer fehlen", ergänzt Seifert.

Die Rote Waldameise, die am liebsten in Fichtenwäldern ihre imposanten Erd- und Hügelnester baut, gilt laut Roter Liste als gefährdet. Seifert verweist auf das Sterben der Fichtenwälder in Zeiten des Klimawandels. "Fichten sind unterhalb von 800 Metern nicht mehr zu halten", sagt er. Aber in den Laubwäldern sieht er noch eine Perspektive für die Waldameisen. Vorausgesetzt, sie finden genug Altholz.

Besonders angetan haben es dem Ökologen aber andere Ameisen: die winzigen Baumameisen, die in hohlen Eicheln und Haselnüssen nisten: "Fünf Arten sind die Gewinner des Klimawandels. Sie brauchen nicht viel, und eine Caspar-David-Friedrich-Eiche ist ein toller Lebensraum." Alte, charaktervolle, auch abgestorbenen Eichen zählen zu häufigen Motiven des romantischen Malers. Aber wenn es die nicht gibt, nehmen Baumameisen auch mit jungen Gehölzen vorlieb.