Stäblein fordert mehr Hilfe für Kommunen

Bischof Christian Stäblein
© epd-bild/Christian Ditsch
"Die Kommunen brauchen dringend Unterstützung", fordert der evangelische Bischof Christian Stäblein anlässlich des Bund-Länder-Gipfels zur Flüchtlingspolitik.
Flüchtlingspolitik
Stäblein fordert mehr Hilfe für Kommunen
Die Flüchtlingspolitik ist am Mittwoch (10. Mai) Thema des Bund-Länder-Gipfels in Berlin. Im Mittelpunkt stehen Fragen der Finanzierung von Unterkunft und Versorgung der Hilfesuchenden in Deutschland. Der Flüchtlingsbeauftrage der EKD, der Berliner Bischof Christian Stäblein, mahnt mehr Unterstützung für die Kommunen an. Die Lage von Schulen, Kindergärten und der gesundheitlichen Versorgung müsse jedoch auch ganz unabhängig von Flucht und Zuwanderung flächendeckend verbessert werden.

epd: Was erhoffen Sie sich vom Flüchtlingsgipfel am Mittwoch?

Christian Stäblein: Der Gipfel sollte dazu genutzt werden, strukturelle Verbesserungen für die Kommunen auf den Weg zu bringen, endlich, das ist nötig. Fehlender Wohnraum, fehlende Arbeitskräfte, Ärzte- und Lehrermangel oder überlastete Behörden - die Versorgungslücken in der gesellschaftlichen Grundversorgung sind ja deutlich und zunehmend spürbar. Die Kommunen brauchen hier dringend Unterstützung. Es wäre allerdings völlig falsch, für diese Herausforderungen Schutzsuchende verantwortlich zu machen, die vor Krieg, Not und Verfolgung fliehen. Durch sie werden nur die Probleme sichtbar, die schon lange da sind. Ich erhoffe mir vom Gipfel klare Worte des Kanzlers. Und ein Machen dessen, was ansteht.

Die Kommunen melden seit geraumer Zeit große Schwierigkeiten bei der Unterbringung und Integration von Flüchtlingen und Zuwanderern. Was muss da aus Ihrer Sicht passieren?

Stäblein: Hier ist ein differenzierter Blick nötig. Nicht alle Kommunen sind gleichermaßen überfordert. Es gibt Kommunen, die gut vorbereitet sind und nach 2015 ihre Hilfsstrukturen nicht abgebaut haben. Wir wissen von evangelischen Landeskirchen, die Räume und Unterstützung bei der Unterbringung angeboten haben, die aber nie von der Politik abgerufen werden mussten. Zugleich gibt es auch Kommunen, die an ihre Grenzen kommen. Das muss nicht bei der Unterbringung sein.

In den östlichen Bundesländern beobachten wir, dass die ärztliche und schulische Versorgung oft schwierig ist beziehungsweise keine Arbeitsplätze zur Verfügung stehen. Man muss also gut differenzieren. Kurzfristig sind kreative, unbürokratische Ideen in Politik und Verwaltung gefragt, zum Beispiel die Möglichkeit, während des Asylverfahrens privat unterzukommen. Bei vielen ukrainischen Geflüchteten hat dies gut funktioniert. Ein gutes Zeichen für unsere Gesellschaft und ihre Bereitschaft zu Solidarität. Langfristig wird es Reformen und größere Anstrengungen brauchen, um die Lage von Schulen, Kindergärten und der gesundheitlichen Versorgung flächendeckend zu verbessern - ganz unabhängig von Flucht und Zuwanderung.

Verschiedene Politikerinnen und Politiker streben Asylverfahren außerhalb der EU an, die abgelehnte Asylsuchende an der Einreise nach Deutschland hindern würden. Wie bewerten Sie das?

Stäblein: Solche Ideen sind gefährlich und verdienen die Bezeichnung "Asylverfahren" nicht. Es ist menschenverachtend, Unschuldige in Lagern zu inhaftieren oder andere Staaten für die Abwehr von Flüchtlingen zu bezahlen. Wir können unsere staatliche Verantwortung nicht einfach auslagern. Wir sollten unsere Menschlichkeit nicht delegieren wollen. Zudem wissen wir seit den Lagern auf Lesbos und anderen ägäischen Inseln, dass diese schnelle Prüfung und Abschiebung schlicht nicht funktioniert. Das Ergebnis dieser politischen Versprechen sind furchtbare Elendslager und anhaltende Menschenrechtsverletzungen.

"Es ist menschenverachtend, Unschuldige in Lagern zu inhaftieren oder andere Staaten für die Abwehr von Flüchtlingen zu bezahlen."

Wenn das schon in der Europäischen Union nicht gelingt, wie soll es erst in anderen Staaten werden? Solche Ansätze verlängern nur das Leid von Menschen oder verschlimmern es gar. Das kann die Europäische Union nicht ernsthaft wollen, wenn sie eine Wertegemeinschaft bleiben will. Wir sehen schon jetzt, wie der Trend zur Abschottung seit Jahren voranschreitet und dabei das internationale und europäische Flüchtlingsrecht zunehmend aushöhlt. Als evangelische Kirche werden wir nicht nachlassen, diese Entwicklung klar zu benennen und entlang der Grenzen unseres Kontinents an der Seite der Schwächsten zu stehen.

Eine weitere Forderung aus der Politik ist, die Liste sicherer Herkunftsländer zu erweitern und so die Chancen auf Asyl und Aufenthalt in Deutschland zu verringern. Könnte das ein Weg sein, Fluchtbewegungen stärker zu steuern?

Stäblein: Ich habe das Gefühl, die sicheren Herkunftsstaaten werden immer dann von der Politik bemüht, wenn es darum geht, eine noch härtere Gangart gegen Schutzsuchende einzulegen. Das Problem bei den sogenannten sicheren Herkunftsländern ist, dass das Schutzgesuch von Menschen aus diesen Ländern nur noch kurz und oberflächlich geprüft wird. Dahinter steht das politische Kalkül, die Zahl von Flüchtlingen bei uns zu senken. Das ist hochproblematisch, denn so geraten die individuellen Fluchtgründe immer mehr aus dem Blick und das Verständnis dafür, dass Flüchtlinge keine Zahlen sind, sondern Menschen. Es sind Menschen, wie wir alle, mit eigenem Willen, eigenen Hoffnungen und Wünschen, ihr Leben in die Hand zu nehmen. Wenn es einer Person an einem Ort schlecht ergeht oder ihr gar Lebensgefahr droht, wird sie zu fliehen versuchen. Ob deutsche Politik gefährliche Herkunftsstaaten auf dem Papier für sicher erklärt, ändert ja nichts an den tatsächlichen Verhältnissen.

Vertreter der Kommunen warnen, die gesellschaftliche Akzeptanz von Migration werde brüchiger und populistische Kräfte versuchten, die Situation für ihre Zwecke auszunutzen. Was muss da getan werden?

Stäblein: Es sollte getan werden, was wir als Kirchen tagtäglich versuchen: den Zusammenhalt in unserer Gesellschaft stärken. Das bedeutet auch zu begreifen, dass es keine "illegalen Massenströme" gibt oder "Fremde" kommen, sondern immer Menschen. Menschen, die wie jeder Mensch Kind Gottes sind. Menschen, die durch Krieg und Verfolgung zur Flucht gezwungen wurden. Oder Menschen, die freiwillig aufgebrochen sind, um anderswo Arbeit, Ausbildung und ein besseres Leben zu finden. Ob aus Not oder Hoffnung heraus: Wann immer ich mit Geflüchteten oder Migrantinnen und Migranten spreche, beeindruckt mich ihre innere Stärke und ihr Lebensmut. Und ich bin der Ansicht, dass je besser wir Zuwanderer aufnehmen, desto besser es für uns als gesamte Gesellschaft ist.